Als Atticus im Camp ankam, ging er direkt in sein Zimmer. Als er seine Tür erreichte, bemerkte er ein Mädchen, das mit einem Tablett mit Essen geduldig vor seiner Tür wartete.
Sie hatte weißes Haar, war etwa 1,50 Meter groß und strahlte eine gewisse Zurückhaltung aus. Es war niemand anderes als Ember, die an der Wand lehnte und ihren Blick auf die Tür gerichtet hatte, um seine Ankunft zu erwarten.
Als er sie sah, huschte ein Lächeln über Atticus‘ Lippen. „Hey, Ember, was gibt’s?“, begrüßte er sie und ging auf sie zu.
Ember bemerkte ihn, wandte ihren Blick zu ihm und lächelte leicht. Ihre Antwort war einfach – sie hob das Essen, das sie mitgebracht hatte.
Atticus lachte anerkennend. „Danke! Ich hab ein bisschen Hunger. Hast du lange gewartet?“, fragte er, während er zur Tür ging und sie öffnete.
Ember schüttelte den Kopf und folgte ihm ins Zimmer.
Als sie eintraten, setzte Atticus das Gespräch fort. „Und, wie läuft das Training?“
„Gut“, antwortete Ember, setzte sich an den Tisch und stellte das Essen darauf.
„Hmm, das ist toll“, bestätigte Atticus, setzte sich ebenfalls und nahm den einladenden Duft des Essens wahr.
Dann fingen sie an zu essen, und die Erinnerung an die Qualen, die er Helodor zugefügt hatte, war völlig verdrängt.
Ein paar Stunden später, in der Krankenstation des Raven-Lagers, war Helodor nach den Schlägen von Atticus verarztet worden. Sein Körper war mit Verbänden bedeckt, die die Verletzungen aus der Auseinandersetzung versorgten.
Sein Kiefer war zwar noch nicht vollständig verheilt, aber im Vergleich zu zuvor hatte sich sein Zustand deutlich verbessert.
Das Lager hatte viel in seine Krankenstation investiert, um auf Verletzungen reagieren zu können. Da Kämpfe erlaubt waren, kam es häufig zu Verletzungen, und das Personal der Krankenstation war in höchster Alarmbereitschaft, um alle Fälle zu behandeln, die auftreten konnten.
Als er auf dem Bett lag und über sein Leben nachdachte, kam plötzlich ein Mann in den Raum. Helodor erstarrte, als er den Mann sah. Der Anblick dieses Mannes zwang ihn, den Schmerz zu überwinden, sich vom Bett zu erheben und sich tief zu verbeugen, trotz der Proteste seines noch nicht vollständig geheilten Körpers.
Der Mann beobachtete diese Geste mit unbewegtem Gesichtsausdruck. Nach einigen Sekunden, in denen Helodor verbeugt blieb, sprach er.
„Du hast nicht mal diese einfache Aufgabe geschafft, Helodor. Wie willst du dir seine Gunst verdienen?“ Sein Blick bohrte sich kalt und unerbittlich in Helodor.
Helodor versuchte schnell, eine Erklärung zu finden, und seine Worte sprudelten in seiner Verzweiflung aus ihm heraus. „Es tut mir leid! Ich wusste nicht, dass er so stark ist! Er hatte ein zweites Element! Wenn ich nur …“
„Er hatte ein zweites Element?“ Der Tonfall des Mannes wurde deutlich ernster.
„Ja, Meister Finn! Er hat Feuer benutzt, als ich das Seil durchgeschnitten habe!“, antwortete Helodor hastig und klammerte sich an diese Enthüllung wie an einen Strohhalm.
„Ich verstehe. Der Meister wird das hören wollen. Gut gemacht“, bestätigte Finn, doch sein Blick blieb kalt.
Helodor verspürte einen Hauch von Erleichterung – „Vielleicht habe ich noch eine Chance.“
Er wollte weiterreden, wurde aber abrupt unterbrochen.
„Leider gibt der Meister keine zweiten Chancen. Von jetzt an bist du auf dich allein gestellt, Helodor“, sagte Finn mit eiskalter Stimme und versetzte ihm den letzten Schlag.
Damit drehte er sich um und verließ den Raum, zurück blieb ein Helodor, dessen Augen leblos geworden waren.
„Es ist vorbei“, flüsterte Helodor, während ihm Tränen der stillen Verzweiflung über die Wangen liefen.
Da er in der Hierarchie von Ravenstein einen niedrigen Status hatte, war er total begeistert gewesen, als Rowan ihn in seinem ersten Jahr im Lager rekrutiert hatte.
Seitdem hatte er sich aktiv für ihre Sache eingesetzt. Zu seinen Aufgaben gehörte es, neue Mitglieder zu rekrutieren und auf verschiedene Weise zu ihren gemeinsamen Zielen beizutragen.
Kürzlich hatte er eine neue Aufgabe bekommen: sich um Atticus zu kümmern. Der Plan war, Atticus so zu provozieren, dass er angreifen würde, um Helodor die Möglichkeit zu geben, sich zu wehren und ihn zu überwältigen.
Diese Strategie sollte Atticus‘ Ruf ruinieren, den Respekt der Leute vor dem Erben untergraben und sein Selbstwertgefühl schwächen. Trotz Atticus‘ Status in der Hauptfamilie vertraute Helodor auf Rowans Schutz.
Der Plan ging jedoch schief, da Atticus nicht auf den Köder hereinfiel. Frustriert entschied sich Helodor für eine direktere Vorgehensweise und nutzte eine Gelegenheit, als Hella die Mission auswählte.
Er wusste, dass die KI jede direkte Verletzung von Atticus aufzeichnen und möglicherweise die Ausbilder alarmieren würde. Allerdings hatte das einfache Durchtrennen eines Seils eine andere Bedeutung.
Er hätte jedoch nie gedacht, dass Atticus ein Monster in Menschengestalt war. Die Folter, die Atticus ihm zugefügt hatte, würde er für den Rest seines Lebens nicht vergessen.
„Aber jetzt ist alles vorbei“, in dem Raum war nur noch das Schluchzen eines kleinen Jungen zu hören.
Am nächsten Tag wachte Atticus früh auf, absolvierte sein Training und kam zur morgendlichen Trainingseinheit, bereit für alles, was Elias ihm zumuten würde.
Er kam früh zum Trainingsplatz und war überrascht, dass Aurora noch nicht da war. Nach ein paar Minuten trafen nach und nach andere Jugendliche ein.
Lucas und Nate kamen auf ihn zu und begrüßten ihn. „Guten Morgen“, sagte Lucas mit einem Lächeln.
„Hey“, sagte Nate etwas unbeholfen. Atticus bemerkte, dass Nate sich ihm gegenüber etwas zurückhaltend verhielt.
„Bin ich zu weit gegangen?“, fragte sich Atticus. Dann zuckte er mit den Schultern. „Es wird sich nichts ändern. So werde ich meine Feinde immer behandeln.“ Atticus hatte nicht die Absicht, seine Ideale wegen ihm zu ändern.
Tatsächlich hielt er es für notwendig, dass sie wussten, wie er mit denen umging, die er als Feinde betrachtete. Er glaubte, dass dies eine große Abschreckung für zukünftige Verräter sein würde.
Sie standen zusammen und warteten auf die Ankunft der Ausbilderin.
Ein paar Minuten später tauchte Aurora schließlich auf, nur zwei Minuten vor der vereinbarten Zeit.
Sie wirkte müde und erschöpft, ein Anblick, der Atticus langsam vertraut wurde.
Dank seiner geschärften Wahrnehmung bemerkte er blaue Flecken an ihrem Körper, die nicht allein durch hartes Training verursacht worden sein konnten. „Sie ist wieder so“, dachte er.
Doch dann ermahnte er sich schnell: „Das ändert nichts. Es geht mich nichts an.“
Während er über Auroras Zustand nachdachte, betrat Elias den Trainingsplatz, und die Jugendlichen schluckten unwillkürlich, als sie seinen besonders entschlossenen Gesichtsausdruck sahen.
