Golden Paragon konnte maximal fünf Minuten lang aktiviert werden.
Egal, wie gut Broken es geschafft hatte, die Anzeige während des Kampfes aufrechtzuerhalten, sobald der Timer abgelaufen war, würde er den Avatar unweigerlich verlieren.
Und so, als sich das Schlachtfeld langsam beruhigte, verschwand die erstickende Dunkelheit und wurde wieder von Licht ersetzt. Die imposante Gestalt von Golden Paragon hinter Broken flackerte – und verschwand dann vollständig.
Eine nach der anderen lösten sich die Gaia-Bestien auf. Sogar Gaia selbst, die neben Broken gestanden hatte, verschwand ins Nichts.
Der Kampf hatte ihm alles genommen.
Nun begann für Golden Paragon eine 48-stündige Abklingzeit, eine brutale Strafe, die Broken völlig unfähig machte, seine Fähigkeiten einzusetzen. In diesem Moment war er nicht in der Lage, den Kampf fortzusetzen.
Aber er war nicht der Einzige.
Als die Auswirkungen des Kampfes nachließen, wurde eine weitere Veränderung deutlich: Die Eisschichten, die das Schlachtfeld bedeckten, schmolzen in rasantem Tempo. Der starke Schneefall hatte aufgehört. Die Arena, die zuvor von einer eisigen Festung dominiert worden war, schmolz nun dahin.
Nicht nur Broken hatte seine Grenzen erreicht.
Ihm gegenüber war Frostedge auf ein Knie gesunken, sein Schwert in den Boden gerammt, und er kämpfte darum, sich aufrecht zu halten.
Er hatte massiven Schaden erlitten.
Seine Gesundheit, die sich zuvor mit erschreckender Geschwindigkeit regeneriert hatte, erholte sich nicht mehr. Sein Frosttitan war komplett verschwunden. Sein einst so mächtiges Eisfeld war zu Nichts zerfallen.
Der Kampf hatte beide völlig erschöpft.
Aber …
Wenn Frostedge noch stehen konnte … wenn er noch einen einzigen Angriff starten konnte …
Dann würde Broken ihn nicht aufhalten können.
Im ganzen Stadion war es plötzlich total still, jeder hielt den Atem an.
Das war’s.
Der letzte Moment.
Der Ausgang des Kampfes hing davon ab, was als Nächstes passieren würde.
Brandos Stimme zitterte vor Aufregung, er konnte die Bedeutung dieses Augenblicks kaum fassen.
„Das … das ist jenseits aller Vorstellungskraft!“
„Broken hat seinen Goldenen Paragon verloren!“
„Aber schaut euch Frostedge an! Der Frostkönig selbst kniet auf einem Knie! Seine Gesundheit erholt sich nicht! Seine legendäre Ausdauer versagt!“
„Beide Spieler haben alles in diesen Kampf gesteckt. Sie sind über ihre Grenzen hinausgegangen, über das hinaus, was möglich sein sollte!“
„Und jetzt kommt es auf einen einzigen Moment an!“
„WER WIRD ALS ERSTER FALLEN?“
Frostedge ließ sein Schwert zu Boden fallen. Langsam hob er den Kopf und zum ersten Mal seit Beginn des Kampfes huschte ein schwaches Lächeln über sein Gesicht.
Er stand auf.
Sein Blick traf den von Broken.
Sie gingen langsam aufeinander zu und verringerten den Abstand zwischen ihnen. Es wurden keine Worte gewechselt, doch irgendwie verstanden sie sich vollkommen.
Der Preis für Frostedges Niederlage war nun klar. Seine unglaublichen Fähigkeiten – die darauf ausgelegt waren, Broken zu kontrollieren und ihm gleichzeitig verheerenden Schaden zuzufügen – hatten ihren Preis. Niemand konnte einen Kampf gegen Frostedge überstehen, ohne über eine immense Regenerationsfähigkeit zu verfügen, wie sie Broken dank Gaias Unterstützung hatte.
Gleichzeitig hatte Frostedges Verteidigung ihn jedoch nahezu unantastbar gemacht.
Nur sehr wenige hätten seinen Angriffen standhalten und ihn gleichzeitig so nah an seine Grenzen bringen können.
Sie standen sich einen Moment lang gegenüber, ohne ein Wort zu sagen.
Dann brach Frostedge das Schweigen.
„Dieser letzte Move …“, murmelte er, gerade laut genug, dass Broken ihn hören konnte. Er ging nicht näher darauf ein.
Er sollte verstehen, warum Broken seine Eternal Flame Form vor den Kameras verborgen hatte.
„Das nächste Mal habe ich auch darauf eine Antwort.“ Sein Lächeln wurde breiter.
Broken lachte leise. „Das war ein Kampf, den ich nie vergessen werde.“
Sie nickten sich respektvoll zu und verneigten sich voreinander.
Und einfach so hob Frostedge beide Hände in die Luft.
Er hatte sich ergeben.
BROKEN HATTE GEWONNEN!
Das Stadion explodierte.
Ohrenbetäubender Jubel und Geschrei erfüllten die Luft, während Brando in sein Mikrofon schrie, seine Stimme kaum zu hören über dem Tumult.
„BROKEN HAT ES GESCHAFFT! ER HAT ES GESCHAFFT! NACH EINEM DER GRÖSSTEN KÄMPFE IN DER GESCHICHTE DER IMMORTAL LEGACY IST BROKEN DER CHAMPION!“
Die Menge war auf den Beinen und brüllte seinen Namen.
„Was für ein Kampf! Was für ein Finale! Darüber wird man noch jahrelang reden!“
Einige Zeit später tauchten beide Spieler aus ihren Kapseln auf und wurden mit tosendem Jubel begrüßt. Das Stadion war immer noch voller Aufregung, die Energie wollte auch nach dem Ende des Kampfes nicht nachlassen.
Leon hatte kaum Zeit zum Atmen, als er sah, wie Han Feng aus seiner Kapsel geholfen wurde.
Ohne zu zögern ging er auf ihn zu.
Han Feng zeigte trotz allem keine Anzeichen von Enttäuschung. Stattdessen sah er Leon mit einem Ausdruck puren Respekts an, als sie nebeneinander standen.
Währenddessen schrie der Moderator fast ins Mikrofon und feuerte die Zuschauer an, um den historischen Sieg zu feiern.
Dann, als die Sprechchöre der Menge immer lauter wurden, wurde Leon der Meisterpokal überreicht.
In dem Moment, als er sie hoch in die Luft reckte –
brach das Stadion in Jubel aus.
Ohrenbetäubendes Gebrüll erfüllte die Luft und hallte in Wellen purer Feierlaune wider. Der Jubel, die blinkenden Lichter, die Menschenmenge, die seinen Namen skandierte – alles überrollte ihn auf einmal.
Leon atmete tief aus, seine Brust hob und senkte sich, als wäre ihm endlich die Last von den Schultern gefallen.
Er hatte gewonnen.
Wer hätte das gedacht?
Das war ein Kampf, wie er ihn noch nie erlebt hatte.
Um sich diesen Sieg zu sichern, hatte er keine andere Wahl gehabt, als „Ewige Flamme“ zu aktivieren, eine Fähigkeit mit strengen Bedingungen. Diese Fähigkeit erforderte, dass er die Seelen seiner gefallenen Feinde absorbierte, bevor sie überhaupt ausgelöst werden konnte – etwas, das nur unter außergewöhnlich seltenen Umständen möglich war.
Es war ein einmaliger Zug.
Und er hatte ihn genutzt.
Aber jetzt, wo er da stand und den Meisterpokal in den Händen hielt, waren alle Anstrengungen, alle Risiken, alle verzweifelten Momente es wert gewesen.
Für diese Leistung wurde Leon offiziell zum MVP der Eternal Challenge gekürt, dem ersten offiziellen Turnier, das von den Entwicklern des Spiels veranstaltet wurde.
***
Leon stand vor Han Feng, der in seinem Rollstuhl saß und sich bereit machte, in das wartende Auto zu steigen, neben dem sein Assistent stand.
Einen Moment lang sahen sie sich einfach nur an.
Dann sprach Han Feng als Erster.
„Es gibt noch eine Menge Dinge, die ich in diesem Spiel erreichen möchte.“
Leon schwieg und hörte zu.
„Und … ich habe nicht vor, einer Gilde beizutreten.“
Gilde? Warum sprach Han Feng das an?
Han Feng sagte mit einem kleinen Lächeln: „Es ist nur aus Respekt. Bevor mich jemand rekrutieren will, möchte ich lieber zuerst meine Position klarstellen.“
Leon hob eine Augenbraue. „Du weißt, dass ich dich gerade einladen wollte, der Gilde von Vensalor beizutreten?“
Han Feng lachte leise und schüttelte den Kopf. „Das wäre definitiv ein großartiges Angebot.“
Genau darüber hatten Leons Gildenmitglieder zuvor gesprochen. Frostedge zu rekrutieren wäre ein großer Gewinn für sie gewesen. Ein Spieler seines Kalibers würde für jede Gilde eine entscheidende Veränderung bedeuten.
Aber Leon verstand auch etwas anderes.
Han Feng hatte seinen eigenen Weg, seine eigenen Ambitionen, und ihn in eine Gilde zu zwingen, würde ihm nur seine Freiheit nehmen.
Als Han Feng also seine Haltung klar machte, war das nicht nur eine Ablehnung, sondern ein Zeichen von Respekt. Er hatte zuerst gesprochen und anerkannt, was kommen würde, damit Leon ihm kein Angebot machen musste, nur um eine Absage zu hören.
„Ich hoffe, wir sehen uns im Spiel wieder“, fuhr Han Feng fort. „Und ganz sicher beim nächsten Duell der Champions.“
Leon nickte langsam. „Ich werde darauf warten, dich wieder zu besiegen.“
Han Feng grinste. „Das nächste Mal werde ich es dir nicht so leicht machen.“
Sie gaben sich die Hand, und ihre Rivalität war besiegelt.
Sie mussten keine Gildenmitglieder sein, um Konkurrenten zu sein.
Und vielleicht mussten sie auch nicht in derselben Gilde sein, um Freunde zu sein.
