Nachdem er seine Gedanken und seinen Atem beruhigt hatte, trat Kent vorsichtig in das Innere des Schreins.
Doch kaum hatte er einen Fuß hineingesetzt, weiteten sich seine Augen angesichts des seltsamen Anblicks, der sich ihm bot. In dem riesigen offenen Raum schwebte eine Landmasse, still und unberührt von der Zeit.
In ihrer Mitte stand eine imposante Götzenfigur – ein Gott in einer tanzenden Pose, mitten in einer Bewegung eingefangen, mit acht Händen, die verschiedene Waffen schwangen. Unter seinen mächtigen Füßen lag ein besiegter Dämon, für immer in der steinernen Darstellung des Todes gefangen.
Neun Steinsonnen umkreisten die Statue und warfen schwache Schatten über die Kammer.
Kent atmete tief ein und setzte seinen Fuß auf die Landmasse. Sofort schlossen sich alle Wege und er stand allein vor der Statue.
Die Stille in der Kammer drückte auf seine Ohren und verstärkte den Klang seines eigenen Herzschlags. Vorsichtig trat er vor, den Blick auf die Statue geheftet.
Die aufwendigen Details der Statue ließen sie fast lebendig wirken. Jede Waffe glänzte leicht, als wäre sie von unsichtbaren Händen poliert worden. Die Sonnenkugeln schwebten in perfekter Harmonie um den Gott herum.
Seine Augen suchten die Umgebung nach Anzeichen von Gefahr ab. Keine Verteidiger, keine Fallen, nichts stand ihm im Weg. Auch gab es keine Anzeichen von Gefahr oder Besorgnis. Er konnte das Gewicht unsichtbarer Augen spüren, die ihn beobachteten, das Echo vergessener Macht, das in der Kammer nachhallte.
Kent kniete nieder und legte seine Handfläche flach auf den Stein unter ihm. Er schloss die Augen und konzentrierte sich, um sich an irgendetwas aus Grizzacs Handbuch zu erinnern, das ihm weiterhelfen könnte. Eine vage Erinnerung an die letzten Zeilen tauchte auf, und die raue Stimme des alten Mannes hallte in seinem Kopf wider.
„Die neun Sonnen werden sich vereinen, um den dreiaugigen Gott zu erwecken. Der Schüler muss sein Blut opfern, um sein mutiges Herz zu beweisen.“
Kent öffnete die Augen und starrte zu der Statue hinauf. Die Worte hallten schwer in seinem Kopf wider. Es gab keinen weiteren Hinweis, keinen sichtbaren Mechanismus. Sein Blick wanderte zurück zu den Füßen der Gottheit, wo der Dämon lag. Das steinerne Gesicht des Dämons war von Qualen verzerrt, sein Mund stand leicht offen, als wäre er mitten in einem Schrei verstummt.
Nach langem Beobachten stand Kent auf. Er wusste, was zu tun war.
Er krempelte seinen Ärmel hoch, drückte seinen Daumen gegen seinen Zeigefinger und beschwor eine dünne Flamme hervor. Er zog die scharfe Hitze über seine Handfläche und zuckte leicht zusammen, als eine dünne rote Linie erschien.
Mit stiller Entschlossenheit hob Kent seine blutende Hand über den Kopf der Götzenfigur. Ein einzelner Tropfen Blut fiel auf die Krone der Statue. Alle in der Kammer hielten den Atem an.
Tropfen um Tropfen fiel. Aber nichts passierte.
Gerade als der dreizehnte Tropfen auf den Kopf des Gottes fiel, flackerten die neun Sonnen und begannen, eine nach der anderen, in verschiedenen leuchtenden Farben zu glühen. Ihr sanftes Licht wurde intensiver und erfüllte den Raum mit einem Regenbogen aus Farben. Kent trat zurück und schirmte seine Augen ab, als die schwebenden Sonnen sich zu bewegen begannen.
Die Sonnen verlängerten sich, verdrehten sich und krümmten sich, bis sie die Form von neun Schlangen annahmen. Ihre Körper schimmerten wie geschmolzenes Gold, während sie sich über dem Götzenbild zusammenrollten und einen kapuzenartigen Baldachin über dem Kopf des Gottes bildeten. Die Statue selbst begann sich zu verändern, goldenes Licht drang durch ihre Steinoberfläche, milderte die Konturen und formte die Gestalt neu.
Kent blinzelte durch den Schein, sein Herz pochte. Das Götzenbild wuchs und wuchs, bis es fast vier Meter hoch war.
Als die Verwandlung langsamer wurde, wurde der leblose Stein zu Fleisch. Die einst kalten Augen des Götzenbildes leuchteten jetzt mit göttlichem Feuer. Die drei Augen des Gottes öffneten sich und fixierten Kent mit einer Intensität, die ihm den Atem raubte.
Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Kent sich wirklich klein.
Der Gott trat vor, und das leise Klirren seines Schmucks hallte in der riesigen Kammer wider. Jede seiner acht Hände bewegte sich fließend, als würde er die Grenzen seiner neuen Gestalt ausloten. Der dreiaugige Gott blieb nur wenige Meter vor Kent stehen, sein Blick war durchdringend und undurchschaubar.
Kent brachte kein Wort heraus. Seine Lippen zitterten, aber es kam kein Ton heraus. Selbst bei seinen Begegnungen mit dem Kriegsgott hatte er keine so überwältigende Präsenz gespürt. Das war etwas, das weit über sein Verständnis hinausging.
Langsam hob der Gott einen Finger und drückte ihn sanft zwischen Kents Augenbrauen.
Eine Flut von Visionen überschwemmte Kents Geist. Er sah Welten weit jenseits seiner eigenen, vierzehn Reiche, die sich wie ein unendlicher Teppich ausbreiteten. Sieben strahlten in göttlichem Licht, während die anderen sieben vor dunkler, dämonischer Energie brodelten.
Bilder von riesigen himmlischen Wesen und uralten Übeln tanzten vor seinen Augen. Der Weg zur Erleuchtung öffnete sich vor ihm, nicht durch bloße Macht oder Eroberung, sondern durch Reinkarnation, Karma und das Streben nach Erleuchtung.
Wie Kaban gesagt hatte, gibt es nur 14 Welten in diesem Universum.
Kent schnappte nach Luft, als die Last des Wissens mit jeder Sekunde schwerer wurde. Sein Ziel war klar. Weder Halbgötter noch Urgötter noch die alten Götter standen an der Spitze der Existenz.
Vor ihm lag der ewige Weg, den noch kein Wesen beschritten hatte. Der einzige Weg nach vorne bestand darin, sich durch alle Reiche zu erheben und sogar die höchste Welt, die Satya-Loka selbst, zu überwinden.
Als der Gott seine Hand zurückzog, taumelte Kent rückwärts und keuchte schwer. Er fühlte sich gleichzeitig leer und erfüllt, als ob das Universum selbst nun in ihm wohnte.
Der Gott begann langsam zu verblassen, sein Körper löste sich in strahlendem Licht auf. Als er verschwand, verschwand auch die Kammer um Kent. In einem einzigen blendenden Blitz befand sich Kent außerhalb des Schreins. Lies neue Kapitel in My Virtual Library Empire
„Kachhhhhhaaaaa…“
Das Geräusch fallender Schätze und das Verschwinden der felsigen Schrein-Struktur waren gleichzeitig zu hören.
Eine Berg von Schätzen lag um Kent herum verstreut und glänzte wie Sterne auf dem matten Sand. Waffen, Artefakte und unermessliche Reichtümer waren in alle Richtungen verstreut. Jean, Gunji Zing und Aran standen in der Nähe und starrten geschockt auf den Reichtum, der sich materialisiert hatte.
Kent warf kaum einen Blick auf die Schätze. Seine Augen leuchteten schwach und reflektierten das göttliche Licht, das er im Schrein gesehen hatte.
Das Trio stellte weiter Fragen. Aber Kent ignorierte sie wie Geschwätz. Aran und Gunji zögerten sogar, die Schätze anzufassen, aus Angst, Kent könnte das beleidigen.
Ohne zu zögern wandte sich Kent an Gunji und sprach mit ruhiger, entschlossener Stimme.
„All das gehört euch. Ich habe eurem Vater Grizzac versprochen, diese Schätze euch zu überlassen. Ich brauche nur das Nötigste.“
Gunji riss die Augen auf. „Du hast meinen Vater getroffen?“
Kent nickte, aber bevor Gunji weitere Fragen stellen konnte, entrangen sich den anderen die nächsten Worte ein Keuchen. „Wenn du möchtest, werde ich dich zu meiner Frau nehmen, wie es dein Vater Grizzac gewünscht hat.“
Bei diesen Worten sank Jean das Herz, ihr Gesichtsausdruck war unlesbar. Aber Kents Blick zeigte keine Spur von Zögern. Gunji stand wie angewurzelt da, sie konnte ihren Ohren nicht trauen.
Als Gunji sich umdrehte, sah Jean sie bereits mit feuchten Augen an. Kents Worte hatten sie zutiefst schockiert.
Für einen Moment dachte Aran, er könnte Jean jetzt heiraten.
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*Schau dir die Kommentare zum Bild des dreiaugigen Gottes an.