Meine gedrückte Stimmung wurde durch einen Husten und ein Klopfen von hinten unterbrochen.
Erschrocken drehte ich mich um und sah das gleiche Mädchen wie zuvor und zwei weitere Männer, die sie begleiteten. Anscheinend hatte sie den Arzt und einen älteren Butler mitgebracht.
„Ja.“
Der alte Arzt in den Sechzigern, der alte, aber gut erhaltene Lederkleidung trug, trat zwei Schritte vor und rückte seine dünne Brille zurecht, während er sprach.
„Es scheint, als hättest du wieder Bewusstsein, junger Herr Henry.“
„Glaubst du, dass es noch Nachwirkungen von vorhin gibt?“, fragte der alte Butler, der hinter ihm stand.
„Nun, Henry kann laufen, also nehme ich an, dass es keine gibt, aber ich muss ihn mir trotzdem ansehen, bevor ich mir sicher sein kann“, sagte der Arzt, bevor er auf das Bett zeigte und Henry oder genauer gesagt mich aufforderte, uns auf das Bett zu setzen.
Der Schock über meinen neuen Körper war noch nicht ganz abgeklungen, aber ich gehorchte dem Arzt und setzte mich auf die Bettkante, während er mich untersuchte.
Es war eine einfache Untersuchung. Er hörte meinen Herzschlag, ließ mich husten, untersuchte meine Augen, meine Zunge und meine Nase. Ein kurzer Blick hier und da, und schon war er fertig. Während er seine Geräte zusammenpackte, sagte er:
„Nun, ich kann zumindest sagen, dass er körperlich in Ordnung ist.“ Der Arzt korrigierte sich, bevor er fortfuhr.
„Jetzt ein paar Routinefragen.“
„Sag mir, Henry, wer bist du?“
Das war die Millionenfrage.
Ich zerbrach mir den Kopf, aber mir fiel nichts ein. Es fühlte sich an, als wäre ich nur eine Maschine voller Materialien, ohne dass irgendetwas funktionierte.
„Ich schätze … Henry.“
„Guter Witz.“ Der Arzt dachte, ich würde scherzen … wenn er nur wüsste, was in meinem Kopf vorging.
„Wie heiße ich?“
„… Ich weiß es nicht.“
„Es ist nicht nett, darüber zu scherzen, Henry, jetzt sag mir die Wahrheit.“
„Ich weiß es wirklich nicht“, sagte ich ihm ganz ehrlich.
„Komm schon, Henry, ich weiß, dass es nicht schön ist, solche kindischen Fragen zu beantworten, und dass es Zeit kostet, aber du musst mir ehrlich antworten.“
Ich seufzte, weil ich nicht wusste, wie ich dem Mann antworten sollte. Ich sagte die Wahrheit, aber das wussten sie nicht, sie wussten nicht, was ich gerade durchgemacht hatte.
„Ich bin ganz ehrlich zu dir, Doc, ich weiß nicht, wer du bist, und ich weiß, dass das total bescheuert klingt, aber ich meine es ernst.“
Der Arzt war verwirrt, als er Henrys neue Art zu reden sah. Sehr verwirrt.
Henry war vielleicht viele große Dinge gewesen, er hatte viel gegessen und sich sicherlich auch oft über andere lustig gemacht, aber … er hatte das Gefühl, dass es diesmal vielleicht anders war als zuvor.
„… meinst du das ernst?“
„Absolut.“
„Und was ist mit denen … erinnerst du dich an einen von ihnen?“ Er zeigte hinter sich auf die Haushälterin und den Butler.
Ich schaute zuerst den alten Butler an und schüttelte den Kopf. Sein Gesicht kam mir überhaupt nicht bekannt vor.
Als er sah, dass ich den Kopf schüttelte, schnappte der Butler erschrocken nach Luft und schaute den Arzt an, aber der Mann schaute mich weiterhin an.
„Und sie?“
Ich musterte die Magd von oben bis unten und versuchte, mich an sie zu erinnern, aber mir fiel nichts ein.
„Sie ist wirklich hübsch.“
Ich schaute in ihre unschuldigen braunen Augen, ihr schwarzes, üppiges langes Haar und ihr schwarz-weißes Dienstmädchenkostüm, aber die Antwort war immer noch dieselbe.
„Nein …“
Ich hielt inne, als mir plötzlich ein Gedanke kam, verglich ihn mit meinem aktuellen Aussehen und sah die Dienstmagd an, die sehr andächtig zu beten schien, während sie ihre Hände vor der Brust verschränkte.
Ich hatte das Gefühl, dass ich die Frage stellen musste. Ich war mir zu 70 % sicher, dass es nicht das war, was ich dachte, aber … wenn doch …
Ich sah sie an, meine Neugierde war auf dem Höhepunkt und fragte: „Bist du … Anna?“
Die Magd, die leicht weinte, sah zu mir auf, nickte mehrmals und sagte: „Ja! Ja, junger Herr, ich bin Ihre Magd Anne. Sie erinnern sich an mich, junger Herr.“
„Hmm…“, wunderte sich der Arzt.
„Können Sie mir noch etwas über sie erzählen?“
Ich versuchte es, aber diesmal fiel mir absolut nichts ein … außer dem, was ich aus meiner Vergangenheit wusste. Ich schüttelte den Kopf, während die fröhliche Magd wieder verstummte.
„Hmm …“
„Du kennst ihren Namen, das ist gut … aber du weißt nichts weiter, richtig?“ Ich nickte.
„Nun gut … dann muss ich dir noch ein paar Fragen stellen, bevor ich eine Vermutung anstellen kann.“
sagte der Arzt und stellte mir weitere Fragen. Die meisten waren einfach, wer er oder sie war, ob ich diesen Ort oder jenes Ding kenne, aber manchmal ging er etwas tiefer.
Wo ist die Schatzkammer? Wer ist meine heimliche Liebe? Warum war ich so dick? … Ich glaube, die letzte Frage war absichtlich.
Aber nach einer sehr langen Zeit kam der Arzt schließlich zu einem Schluss, als er seufzte: „Das ist nicht gut … überhaupt nicht gut.“
Der Arzt stand auf und sagte zu der Haushälterin und dem Butler: „Es scheint, als hätte Henry sein Gedächtnis verloren.“
„Völlig?“
„Nein, nicht völlig. Wie Sie gesehen haben, weiß er grundlegende Dinge, andere nicht so wichtige und … den Namen des Mädchens.“ Der Arzt sah Anna einen Moment lang an und sagte: „Aber ansonsten scheint er sich nicht daran zu erinnern, wer er ist.“
„… Wird er für immer so bleiben?“, fragte der alte Butler, während er vor Schmerz seine Hände umklammerte.
„So wie er plötzlich erkrankt ist, kann ich das nicht sagen.“
Als wäre sein schlimmster Albtraum wahr geworden, sagte der alte Butler: „Oh – oh! Mein … junger Herr.“
„Was soll man machen? Es passiert nicht jeden Tag, dass jemand hört, dass seine Verlobte ihn angreifen will.“
„Verlobte? … Mich angreifen … Es scheint, als wäre genau das passiert, was ich nicht wollte.“
Ein Klopfen an der Tür erregte die Aufmerksamkeit aller, als eine weitere Dienerin hereinkam und Anna einen Brief überreichte.
„Er ist vom Herrn aus der Hauptstadt.“ Sie warf einen Blick auf den alten Butler, der nickte. Nachdem sie die Erlaubnis erhalten hatte, öffnete sie den Brief und begann zu lesen.
„Wenn ich so am Arsch bin, wie ich dachte, dann ist es wahrscheinlich so.“ Meine Vermutung war richtig, denn Annas Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie den Brief las.
„Der Herr … wurde ermordet.“
