„Warum wurde ich nicht über die Ankunft des Bürgermeisters informiert?“, fragte Wu Hei mit kalter Stimme.
„Mein Herr, wir konnten es nicht. Wir haben die spirituelle Energie gespürt, die das Anwesen durchdrungen hat, bevor die Kutsche des Bürgermeisters das Anwesen betreten hat. Gemäß Ihren vorherigen Anweisungen haben wir uns versteckt und uns dem Bürgermeister nicht gezeigt“, sagte der maskierte Mann mit nervöser Stimme.
Für einen Moment zeigte Wu Hei einen verwirrten Gesichtsausdruck, bevor er wieder sprach.
„Der Bürgermeister hat seine spirituellen Sinne eingesetzt? Aber ich habe nichts bemerkt! Bist du dir sicher?“, fragte Wu Hei.
„Ja, mein Herr. Ich schwöre bei meinem Leben“, antwortete der maskierte Mann und schlug sich mit der Faust auf die Brust, um seine Entschlossenheit zu zeigen.
„Hmm …“, brummte Wu Hei und rieb sich das Kinn.
„Vater wird immer hinterhältiger. Das hat er noch nie gemacht. Hat er vielleicht Verdacht geschöpft?“, überlegte Wu Hei.
„Na gut, dann ist es okay. Aber pass das nächste Mal besser auf. Ich will wissen, ob er sich dem östlichen Bezirk überhaupt nähert“, befahl Wu Hei.
„Ja, mein Herr!“, antwortete der maskierte Mann.
Wu Hei dachte noch etwa fünf Minuten lang nach, während der maskierte Mann still blieb und wartete.
„Bald werden neue Gäste in unserem Bezirk eintreffen, die Schüler der Tri-Cauldron-Peony-Sekte. Ich möchte, dass mir jede ihrer Bewegungen gemeldet wird, sobald sie eintreffen“, befahl Wu Hei.
„Wie ihr befiehlt, mein Herr“, antwortete der maskierte Mann mit gesenktem Kopf.
„Du kannst gehen“, entließ Wu Hei den Mann.
Der Mann stand auf und wollte gerade das Büro verlassen, als Wu Hei ihn erneut rief.
„Warte! Informiere auch Hei Wan darüber. Sag ihr, dass wir möglicherweise die Hilfe unseres ‚Verbündeten‘ brauchen, falls es Probleme gibt. Er sollte nützlich sein, wenn unsere Vermutungen über ihn stimmen. Bisher hat er unsere Erwartungen erfüllt.“
Wu Hei sprach mit ruhiger Stimme, die am Ende erwartungsvoller klang.
„Wie du wünschst, mein Herr“, antwortete der maskierte Mann, bevor er sich schnell entfernte, um seine Befehle auszuführen.
Wu Hei setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und lehnte sich müde zurück, während er sich die Stirn rieb.
~Seufz~
„Was hat Vater jetzt vor? Erst ignoriert er die Handlungen des Oberhaupts der nördlichen Stadt, und jetzt das. Es beschäftigt ihn eindeutig etwas, ich muss herausfinden, was es ist“, dachte Wu Hei bei sich. „Und diese ‚Täter‘, ich frage mich, ob sie schon etwas Neues über sie herausgefunden haben.“
***
In der Traumwelt saß Lin Mu unter dem Geistapfelbaum und hatte die Augen geschlossen.
Lin Mu versuchte gerade zum zweiten Mal, die namenlose Technik zu üben, die der verlorene Unsterbliche entwickelt hatte. Er leitete sein Geist-Qi gemäß den Anweisungen auf dem Holzstreifen und stellte auch diesmal keinen Unterschied fest.
Lin Mu hatte fast sein gesamtes Geist-Qi aufgebraucht und hatte nur noch knapp hundert Fäden davon übrig, zusammen mit sechs Tropfen flüssigem Geist-Qi. Im Laufe des Tages war es ihm gelungen, zwei weitere Tropfen davon zu verfeinern.
Er hatte gedacht, dass sich seine Geschwindigkeit beim Verfeinern von flüssigem Geist-Qi verbessern würde, aber davon war bisher nichts zu sehen. Trotzdem gab er die Hoffnung nicht auf und wusste, dass er sich irgendwann verbessern würde. Senior Xukong hatte ihm dasselbe gesagt.
~Huu~
Lin Mu atmete tief aus, als er die Augen öffnete.
~Seufz~
„Auch jetzt noch kein Unterschied. Ob ich wohl was falsch mache?“, murmelte Lin Mu vor sich hin.
Er dachte kurz nach und stand dann auf, um mit seinen Waffen zu trainieren. Er holte den Speer heraus und übte die Routine, die in der Schrift über tausend Waffen gezeigt wurde.
Während er übte, bemerkte Lin Mu etwas Neues. Der Speer schien sich jetzt angenehm anzufühlen.
Er war zwar noch nicht so gut wie sein Kurzschwert, aber immer noch besser als alle seine anderen Waffen.
„Hm, sieht so aus, als hätte ich jetzt eine zweite Lieblingswaffe“, dachte Lin Mu bei sich.
Er übte weiter die Bewegungen aus der Schrift über tausend Waffen und dachte darüber nach.
„Vielleicht sollte ich mal wieder den alten Jing besuchen. Vielleicht hat er auch einen Speer, der eine Geistwaffe ist“, murmelte Lin Mu vor sich hin.
~pop~
Xukong tauchte plötzlich vor Lin Mu auf und befand sich fast an der scharfen Spitze des Speers, nur einen Millimeter entfernt. Dennoch zeigte er keine Reaktion und schwebte einfach weiter dort.
„Oh? Deine Kontrolle wird besser“, sagte Xukong in leicht lobendem Ton.
„Ah, ja! Das finde ich auch, Senior. Aus irgendeinem Grund mache ich mit dem Speer viel schnellere Fortschritte als mit den anderen Waffen. Außer natürlich mit meinem Kurzschwert“, antwortete Lin Mu.
„Hmm, anscheinend hast du auch eine Affinität zu Speeren“, sagte Xukong anerkennend.
„Senior, soll ich vielleicht noch mal versuchen, Jing Weis Laden zu besuchen?“, fragte Lin Mu.
~Kichern~
Xukong schwieg einen Moment, bevor er leise lachte.
„Du kannst es natürlich versuchen. Ich weiß allerdings nicht, ob du den Laden überhaupt wiederfinden wirst“, antwortete Xukong.
Lin Mu sah etwas verlegen aus, beruhigte sich aber schnell wieder.
„Du hast recht, Senior. Ich werde trotzdem versuchen, es zu finden, wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Meine verbesserte spirituelle Wahrnehmung sollte mir jetzt helfen, denke ich“, sagte Lin Mu.
Senior Xukong antwortete nicht und schwebte einfach weiter herum. Er war zu zufälligen Zeitpunkten aufgetaucht, um Lin Mus Reaktionszeit zu testen. Lin Mu wusste nicht, dass er das insgeheim auch genoss.
Lin Mu kehrte bald zu seiner Übung zurück und dachte über seine Pläne nach. Während er das tat, hatte er plötzlich eine Idee und seine Augen weiteten sich.
Lin Mu hielt abrupt inne, verstaute den Speer in seinem Ring und setzte sich hin. Dann schloss er die Augen und versuchte, das umzusetzen, was ihm in den Sinn gekommen war. Lin Mu sang das Sutra der Herzenszerreißung und konzentrierte sich auf einen Punkt ganz unten in seinem Dantian.
