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Kapitel 621: Priscilla

Kapitel 621: Priscilla

Die Worte des Jungen hallten nach – leise, bedächtig – und Priscilla konnte es schon vor sich sehen.

Die Laternen. Die murmelnde Menge. Das Blut auf den Lippen des Barons. Seine Schwester, die neben ihm zitterte. Der Erbe der Crane-Familie, der aufrecht dastand und sich in seiner edlen Rechtschaffenheit sonnte. Und dann – sie, die mitten hinein trat.

Zu spät.

Gerade noch rechtzeitig.

Und dann –

änderte sich die Stimme des Jungen.
Leiser.

Höher.

Er ahmte das Zittern eines jungen Adligen nach und vermischte es mit theatralischer Verzweiflung.

„Ah … Prinzessin“, sagte er, die Hand auf die Brust gelegt, scheinbar zitternd, aber nicht spöttisch. „Meine Herrin – meine Dame – bitte. Ihr erinnert Euch doch an mich, oder? Aus dem südlichen Hof? Ihr … Ihr habt mein Gelübde vor dem Herbstfest angenommen.“
Seine Stimme zitterte, wie die eines Mannes, der sich an eine gemeinsame Wahrheit erinnert, die nie existiert hat.

„Und jetzt – jetzt drohen sie mir! Diese Adligen – das Haus Crane – sie versuchen, uns zu vertreiben!“

Er riss die Augen leicht auf, mimte Panik, seine Stimme zitterte gerade genug, um glaubwürdig zu wirken.

„Du musst sie aufhalten, Prinzessin. Bitte.“

Dann hielt er inne.

Es folgte Stille.
Aber nicht in ihr.

In Priscilla tobte ein Sturm.

Denn jetzt sah sie es. Alles.

Das Gesicht des Barons – erbärmlich und flehend. Die Aufmerksamkeit der Menge, die sich ihr zuwandte. Die Adligen, die zusahen und bereits wussten, wie das Spiel lief. Die bereits erwarteten, wie sie reagieren würde.
Sie würde dort stehen. Schweigend. Unsicher. In Erinnerungen, die es nicht gab, nach einem Gesicht suchen, das sie nie gesehen hatte.

Und wenn sie nein sagte?

Wenn sie die Treue des Jungen leugnete?

Dann würde nicht er leiden.

Sondern sie.
Sie, die „unerwünschte Prinzessin“, die aus dem Volk stammte, würde als kalt dargestellt werden. Als illoyal. Als feige. Als eine Anführerin, die zulässt, dass ihre eigenen Anhänger von den Stiefeln der Adligen zertrampelt werden.

Auch wenn nichts davon wahr wäre.

Auch wenn alles von Anfang an erfunden wäre.

Es spielte keine Rolle.
Denn es stünde ihr Wort gegen das der anderen – und in den Augen des kaiserlichen Hofes war ihr Wort schon immer mit einem Sternchen versehen.

Sie konnte es schon hören: „Das ist also das Mädchen, das der Kaiser in die Akademie aufgenommen hat? Diejenige, die ihre Verbündeten öffentlich im Stich lässt? Diejenige, die sich zu sehr schämt, um sich selbst zu verteidigen?“

Der Junge sagte nichts.

Das musste er nicht.
Er beobachtete sie nur, wieder still, und ließ ihre Gedanken durch jede Welle der Falle rasen, die es hätte geben können.

Eine Falle, die sie nicht einmal gesehen hatte, bis sie fast schon gestellt war.

Und langsam –

ganz langsam –

ballte sich ihre behandschuhte Hand zur Faust über der Armlehne.

Nicht aus Angst.

Sondern aus Verständnis.

Es ging nicht um das Haus Crane.

Nicht wirklich.
Es ging um sie.

Darum, sie zu demütigen, bevor sie überhaupt einen Fuß in die Akademie gesetzt hatte. Darum, ihren Titel so weit zu beschmutzen, dass sie niemals auf Augenhöhe stehen würde.

Um ihre Anwesenheit in der Hauptstadt nicht nur unangenehm, sondern unerwünscht zu machen.

Und es hätte funktionieren können.

Es hätte funktionieren können.

Dieser Gedanke, leise und präzise, setzte sich mit dem Gewicht von Eisen in Priscillas Kopf fest.
Es war nicht mehr nur eine Hypothese.

Es war eine praktikable Strategie – eine mit Präzedenzfällen, eine, die der Hof verschlingen würde wie Blut im Wasser. Ihre Anwesenheit in der Akademie würde ohnehin schon Gerüchte auslösen, aber das hier? Das würde ihnen einen Grund liefern, ihre Verachtung zu bekräftigen. Etwas Konkretes. Ein Versagen, sie zu beschützen. Ein Zeichen politischer Schwäche. Ein Makel.

Und das würden sie nicht vergessen.

Sie holte tief Luft – sagte aber nichts.
Denn der Junge beobachtete sie immer noch. Er saß immer noch mit dieser wahnsinnigen Ruhe gegenüber von ihr am Tisch.

Wenn sie ihn jetzt genauer ansah, war er nicht mehr nur ein „Junge“.

Er war älter, als sie zuerst angenommen hatte – kein Kind, das Spiele spielte, sondern ein Mann, wahrscheinlich in den Zwanzigern.
Vielleicht noch jung, aber deshalb nicht weniger gefährlich. Seine Haltung, die Klarheit seiner Worte, die Zurückhaltung in seinem Tonfall – das waren nicht nur Zeichen von Klugheit. Das waren Zeichen von Selbstbeherrschung.

Er hatte sich wie ein Scharlatan aufgeführt, hatte das Grinsen eines Provokateurs aufgesetzt, aber jetzt … jetzt, wo sie ihn ohne Vorurteile ansah, erkannte sie, wie bewusst diese Darstellung gewesen war.
Sein Gesicht war scharf geschnitten, nicht hager, aber klar – markante Wangenknochen, ein Kiefer, der gerade genug Weichheit aufwies, um die Präzision zu unterstreichen. Und seine Augen –

diese Augen.

Sie waren nicht weit aufgerissen wie die eines Jugendlichen. Sie beobachteten. Ständig. Es war ein Blick, der nicht nur den eigenen traf, sondern auch das, was dahinter stand.

Und jetzt?

Sein Blick wurde wieder etwas weicher, als er eine Hand in einer leichten, anmutigen Bewegung hob.

Und dann –

fing er wieder an.

Diesmal spielte er mit dem Publikum.

„Oh … oh mein Gott“, keuchte er leise und ahmte den unterwürfigen Tonfall einer Adligen nach, während er seine Hand dramatisch vor seiner Brust flatterte. „Hast du das gesehen? Sie hat ihn nicht einmal beachtet. Ihren eigenen vereidigten Baron.“
Dann wechselte er die Rolle – seine Stimme vertiefte sich zu dem tiefen, selbstgefälligen Gemurmel eines rundlichen Adligen. „Eine Schande. Wirklich untauglich für den Hof. Ich habe zwar schlechtes Urteilsvermögen erwartet, aber dass sie ihren eigenen Mann im Stich lässt? Tsk.“

Eine weitere Veränderung.

Eine flüsternde, gedämpfte Stimme. „Nun, ihr Blut ist nicht rein, weißt du. Was kann man schon von einem Mädchen erwarten, das mit Gefühlen statt mit Verstand erzogen wurde?“
Er ließ diese imaginären Stimmen einen Moment lang nachklingen, bevor er seine Haltung wieder änderte.

Die Schultern zurück. Das Kinn leicht angehoben. Und dann –

Der Erbe des Hauses Crane.

Der Ausdruck des Jungen verwandelte sich in eine Maske selbstgefälliger Zufriedenheit, seine Stimme klang nun gedehnt und herrisch, voller triumphierender Herablassung.
„Natürlich hatten wir nie vor, etwas Ernstes anzufangen“, sagte er mit falscher Höflichkeit. „Aber wenn ein Adliger des Imperiums für solche Unruhen sorgt, müssen wir handeln. Es ist eine Frage der Würde. Der Disziplin.“

Er beugte sich leicht vor, hob einen Finger zur Betonung und sprach mit einer Stimme, die vor falscher Tugendhaftigkeit nur so triefte.

„Und da Ihre Hoheit nicht bereit ist, ihren Anspruch geltend zu machen … nun ja. Was blieb uns anderes übrig, als selbst für Ordnung zu sorgen?“
Er seufzte theatralisch – gerade so übertrieben, dass es spöttisch wirkte.

„Es ist wirklich schade. Ich hatte gehofft, Prinzessin Priscilla würde in diese Rolle hineinwachsen.“

Dann hielt er inne.

Es kehrte wieder Stille ein.

Sein Gesichtsausdruck war nun regungslos. Er war wieder ruhig.

Aber seine Stimme?

Nur eine Frage blieb offen – unausgesprochen, aber in jedes Wort eingebrannt, das zuvor gefallen war:

Verstehst du jetzt?
Denn sie taten es.

Priscilla atmete langsam, tief und leise aus.

Ihre Hand öffnete sich und kehrte auf die Armlehne zurück, während der Feuersturm der Möglichkeiten zu etwas Kälterem abklang – zu etwas Analytischem.

Ja, das Bild, das er gezeichnet hatte, war plausibel.

Beunruhigend plausibel.

Aber es war auch konstruiert. Vielschichtig. Möglicherweise ausgeschmückt.

Und sie war keine Närrin.
Wenn sie jede Geschichte glauben würde, die in einer verrauchten Gasse geflüstert oder von redegewandten Fremden erzählt wurde, würde sie vor ihrem nächsten Gerichtstermin von Paranoia überwältigt werden. Sie würde ausgenutzt werden. Von tausend Lügnern in tausend Netze gezogen werden.

Das hier – was auch immer es war – könnte die Wahrheit sein.

Oder es könnte nur eine weitere Inszenierung sein. Eine Falle in einer Falle, verpackt in Einsichten und mit perfektem Timing präsentiert.
Ihr Blick ruhte auf ihm.

Messend. Scharf.

„Warum“, sagte sie schließlich, „sollte ich dir vertrauen?“

Wie auf Stichwort unterbrach das leise Klirren von Porzellan die Stille.

Ein silbernes Tablett wurde vorsichtig zwischen sie gestellt, zwei Tassen wurden von einer diskreten Dienerin mit kaiserlicher Präzision darauf platziert. Sie verbeugte sich wortlos und verschwand so schnell, wie sie gekommen war, in den Schatten der Terrasse.
Der Dampf stieg sanft aus den zierlichen Tassen auf.

Priscilla bemerkte sofort: nicht die gleiche Bestellung.

Sie hatte ihr übliches Getränk gewählt – subtil, ruhig, bitter genug, um den Geist zu schärfen.

Aber seines?

Imperial Mirasheen.

Schon wieder.

Natürlich hatte er das.
Der Junge – junger Mann, korrigierte sie sich im Stillen – hob die Tasse vorsichtig, als wäre es ein Ritual. Er nahm einen einzigen Schluck, seine Haltung so lässig, dass es schon fast komisch wirkte … und atmete dann leise und zufrieden aus, so wie jemand, der gerade etwas überlebt hat, das ihn eigentlich hätte umbringen müssen.

Und dann –

lächelte er.

Dieses verdammte halbe Lächeln, das einfach ein bisschen zu selbstbewusst war.
„Warum solltest du mir vertrauen …“, sinnierte er, die Tasse noch immer zwischen den Fingern balancierend.

Sein Blick huschte zu ihr, fast verschmitzt.

„… Hmm.“

Noch ein Schluck.

Die Stille dehnte sich aus, absichtlich.

Dann endlich –

„Weil ich nicht lüge.“

Priscilla blinzelte.

Ihre Augenbrauen hoben sich – ganz leicht.

„… Haah?“

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Score 10
Author: Artist: Released: 2024 Native Language: German
Auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, konnte er nur noch die Hölle ertragen. Er hatte keine Familie, auf die er sich verlassen konnte, da sie ihm den Rücken zugekehrt hatten. Eine Seele vom Schlachtfeld: Lucavion Thorne. Aber anscheinend war er viel mehr als nur ein einfacher Soldat, denn das Schicksal hatte noch einiges für ihn auf Lager. Eine Seele von der Erde ... Als sie verschmolzen, wurde ihm klar: Er war ein Bösewicht aus einem Kapitel, dessen einziger Zweck darin bestand, als Kulisse für die Tragödie des Protagonisten zu dienen. Aber war er wirklich nur ein Bösewicht aus einem Kapitel, oder hatte das Schicksal noch ein paar Asse im Ärmel? Verfolge die Geschichte von Lucavion Thorne, wie er den Sinn seiner Seelenwanderung findet und sein eigenes Schicksal entdeckt. ---------- Ein oder zwei Kapitel täglich. Kapitellänge 1500-2000 Wenn du möchtest, kannst du bei mir auf Discord vorbeischauen. Dort kannst du die Illustrationen sehen und mit mir chatten, wenn ich verfügbar bin. https://discord.gg/BQRMhDxZr8 ---------------------------0------------------------------ Geschäftliche E-Mail-Adresse: [email protected] Discord: _yty_ Shattered Innocence: Transmigrated Into a Novel as an Extra ist ein beliebter Light Novel, der die Genres Action, Abenteuer, Drama, Fantasy, Harem, Romantik und Tragödie abdeckt. Geschrieben vom Autor Darkness_Enjoyer geschrieben. Lies "Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt" kostenlos online.

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