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Kapitel 579: Traum

Kapitel 579: Traum

Lucavions Griff um das Artefakt wurde fester, während die Welt um ihn herum dunkler wurde. Das flackernde Licht der Laterne verschmolz mit den Schatten, die sich unnatürlich ausdehnten und den Raum in eine kriechende Dunkelheit hüllten. Das Gewicht seines eigenen Körpers schien immer weiter in die Ferne zu sinken, als würden seine Gliedmaßen in dickflüssigem, zähem Teer versinken.

Nach unten.

Und noch tiefer.

Und noch tiefer.
Sein Atem wurde langsamer, jedes Einatmen fiel ihm schwerer. Die Ränder seines Bewusstseins verschwammen, seine Gedanken zerfaserten wie Fäden, die sich aus einem alten Wandteppich lösen.

„So funktioniert das also, was?“

Das Artefakt pulsierte gegen seine Handfläche, sein kristalliner Kern schimmerte in den Farben einer erlöschenden Glut. Ein langsamer, rhythmischer Schlag – wie ein zweiter Herzschlag – synchron mit seinem eigenen.
Lucavion atmete scharf und kontrolliert aus. Seine Finger zuckten gegen den Rahmen des Artefakts, aber sein Körper – sein echter Körper – fühlte sich eher wie ein Konzept an als wie etwas Greifbares. Die Luft war dick, fast erstickend. Das Gefühl war ihm nicht ganz unbekannt. Er hatte schon einmal am Rande der Magie gestanden, am Abgrund unnatürlicher Kräfte, aber das hier –

das war anders.
Das Gefühl des Fallens kam nicht von außen. Es war nicht die Welt, die ihm entglitt.

Er war es, der der Welt entglitt.

Eine Verzerrung im Raum, ein langsames Auflösen seiner Präsenz.
Er spürte, wie sein Verstand sich gegen den Sog wehrte und instinktiv dem Abstieg widerstand. Bleib wachsam. Kontrolliere das Tempo. Aber das Gewicht, das ihn nach unten zog, war unerbittlich. Seine Sicht verdrehte sich, zerfiel – Teile einer traumähnlichen Nebelwand tauchten in seinem Bewusstsein auf und verschwanden wieder. Das Licht der Laterne, der Schreibtisch, das Pergament, das Vitaliara gelesen hatte – alles zerbrach und verbog sich in den Abgrund.
Das ist nicht real. Das ist das Werk des Artefakts.

Seine Finger krallten sich instinktiv zusammen. Keine Schmerzen, keine Empfindungen – nur die wachsende Distanz zu sich selbst.

Dann –

Ein scharfer Impuls.

Erinnerung.

Lucavions Atem stockte, als ein Farbblitz durch die Leere blitzte. Es war nicht das Leuchten des Artefakts – es war etwas Tieferes, etwas in ihm, das hervorgezogen wurde.
Eine Verbindung.

Ein einziger, unbestreitbarer Faden der Erinnerung, der sich längst in seine Knochen eingegraben hatte.

Ein Gesicht. Eine Stimme.

Die Vergangenheit.

„Ein Traum, war es das?“

Seine Lippen öffneten sich, die Worte formten sich kaum in seinem Kopf. Wenn dieses Ding mit tiefen, emotionalen Erinnerungen als Anker funktionierte, dann …

Lucavion atmete durch die Nase aus. Ein langsamer, gemessener Atemzug.
Es gab keinen Ausweg.

Wenn er wollte, dass dieses Artefakt funktionierte, wenn er wollte, dass es ihm den Feind zeigte …

Dann musste er sich dieser Erinnerung erneut stellen.

Seine Sicht verschwamm. Die Dunkelheit wellte sich und verschob sich wie flüssige Seide. Die Luft verdichtete sich mit etwas Unsichtbarem, etwas, das unter seiner Haut kroch.

Die Vergangenheit wartete auf ihn.

Und dieses Mal hatte er keine andere Wahl, als sie hereinzulassen.
Lucavions Atem stockte, als sich die Dunkelheit um ihn herum zusammenrollte, verschob und neu ordnete. Der Abgrund war nicht mehr leer. Die Leere pulsierte und mit einer langsamen, schleichenden Unausweichlichkeit …

begann sie Gestalt anzunehmen.
Zuerst das Geräusch.

Ein fernes Horn. Leise. Unheilvoll. Es hallte in seiner Brust wider.

Dann der Geruch.

Blut. Verkohlte Erde. Zu einer tödlichen Klinge geschliffenes Metall.

Und dann –

das Schlachtfeld.

Die Welt wurde scharf, und plötzlich war er wieder dort.
Fünfzehn Jahre alt. Er stand inmitten seines Zuges. Seine Hände umklammerten den Schaft seines Speers, seine Knöchel waren vor Anspannung weiß. Sein Körper fühlte sich leichter an, schlanker – noch nicht von den folgenden Jahren gezeichnet. Seine Rüstung lastete schwerer auf ihm, ungewohnt, ein Gewicht, das noch nicht zur zweiten Natur geworden war.

Und er wusste, was kommen würde.

Nein. Nein, nein, nein –

Aber der Moment war bereits gekommen.
Das Horn ertönte.

Lucavions Körper bewegte sich, bevor er denken konnte, sein Instinkt setzte sich gegen sein Bewusstsein durch. Sein fünfzehnjähriges Ich stürmte mit dem Rest seiner Einheit vorwärts, mitten ins Chaos, mitten ins Gemetzel.

„Haltet die Linie!“
Vances Stimme hallte über das Schlachtfeld, genau wie zuvor. Genau wie immer.

Lucavion spürte den Speer in seinen Händen, die raue Oberfläche des Holzes, die sich in seine Handflächen grub. Er wusste, was passieren würde, bis hin zu dem Moment, in dem das Blut den Boden unter seinen Füßen tränken würde.

Er erkannte jede Bewegung.

Jeden Schrei.

Jeden Tod.

Und doch –
bewegte sich sein Körper, als gehöre er hierher, als hätte er diesen Ort nie verlassen.

„Das …“

Seine Gedanken zerfaserten und lösten sich auf, als sein fünfzehnjähriges Ich den ersten Soldaten angriff.

KLIRR!
Die Wucht des Schwertes des Feindes hallte in seinen Armen wider. Er kämpfte wie damals – effizient, trainiert, aber nicht gut genug. Er war immer noch zu schwach, zu langsam. Jede Bewegung reichte gerade so zum Überleben.

Der Feind wich zurück – ein anderer trat an seine Stelle.

„Das ist nicht real“, dachte Lucavion, doch sein Körper weigerte sich, seinem rationalen Verstand zu gehorchen. Das war real. Zumindest jetzt.

Er spürte, wie seine Muskeln brannten, wie ihm der Schweiß in den Augen brannte und wie ihn eine Müdigkeit überkam, die er längst überwunden geglaubt hatte.

Und dann, genau wie zuvor …

Erneut erschien der schwarze Ritter.

In dem Moment, als die Erinnerung ihn vollständig überkam, spürte Lucavion es – die unerträgliche Last der Hilflosigkeit.

Das Schlachtfeld entfaltete sich genau wie zuvor.

Der Ritter des Windes verschwand von seinem Platz.
Garret fiel, seine Brust durchbohrt.

Mateo wurde die Kehle aufgeschlitzt, bevor er überhaupt realisierte, dass der Tod ihn ereilt hatte.

Felix.

Elias.

Clara.

Alle.

Einer nach dem anderen starben sie erneut.
Ihre Leichen fielen in den Dreck und färbten das Schlachtfeld rot, während sich ihre letzten Momente mit brutaler Präzision wiederholten. Das Grinsen auf dem Gesicht des Ritters, die Art, wie sein Speer durch Fleisch schnitt, als wäre es nichts, seine mühelosen, unerschütterlichen Schritte, während er sich durch das Gemetzel bewegte.

Es war alles wie zuvor.

Und Lucavion – der fünfzehnjährige Lucavion –

war wie erstarrt.
Sein Körper weigerte sich, sich zu bewegen. Seine Muskeln waren wie gelähmt, jeder Instinkt in ihm schrie nach Flucht, nach Ausweichen, nach Unterwerfung unter das Unvermeidliche.

„Beweg dich!“

Sein Verstand flehte, forderte, aber sein Körper ignorierte ihn.

Nein, nein, nicht schon wieder. Ich weiß, wie das endet.

Und doch passierte es.

Wieder.

Wieder.

Wieder.
Seine Finger krallten sich um den Schaft seines Speers, die Knöchel weiß vor Anstrengung. Das Gewicht des Speers drückte auf seine Brust und nahm ihm den Atem.

Dann trat Clara vor – ihre Haltung war entschlossen, trotzig. Ihre Mana flammte auf, ihre Hände leuchteten, ihre Stimme zitterte, aber sie war stark.

„Bleib zurück!“

Lucavion wusste, was als Nächstes passieren würde.

Sie würde fallen.

Sie würde sterben.

Und er – er würde nichts tun.
WEG DA, VERDAMMT!

Aber seine Beine gehorchten ihm nicht.

Er war gefangen. Nicht nur in der Erinnerung – sondern in dem, der er gewesen war.

Das grüne Mana des Ritters flammte auf und verschlang Claras Angriff, als wäre er nichts. Seine Stimme, voller Herablassung, schlitterte wie Gift durch die Luft.

„Schade, dass du so ein Schwächling bist.“

Dann –
durchbohrte der Speer ihren Bauch.

Lucavions Magen verkrampfte sich heftig, als sich der Moment, der sich in sein Gedächtnis eingebrannt hatte, vor seinen Augen wiederholte.

Clara – geschockt. Ihr Atem stockte, ihre Finger zuckten, als wollten sie nach etwas greifen – nach irgendetwas. Die langsame, grausame Drehung der Waffe des Ritters, als er sie aus ihrem Körper riss und zusah, wie sie zu Boden sank und sich eine Blutlache unter ihr bildete.
Ihre Augen – trüb, aber immer noch suchend.

Als würde sie darauf warten, dass jemand sie rettet.

Als würde sie darauf warten, dass er sie rettet.

Lucavions Atem ging stoßweise, seine Brust hob und senkte sich zu schnell, zu unregelmäßig. Seine Hände zitterten.

„Clara, nein!“

Die Worte kamen ihm über die Lippen, bevor er überhaupt realisierte, dass er sie ausgesprochen hatte.

Und der Ritter – er drehte sich zu ihm um, genau wie zuvor.
„Du lebst noch. Interessant.“

Lucavion ballte die Fäuste.

Er erinnerte sich daran, was als Nächstes kommen würde.

Er würde sich wehren, er würde sich erheben – er würde verspottet werden. Der Ritter würde ihm eine Narbe ins Gesicht schneiden und ihn an seiner eigenen Ohnmacht ersticken lassen.

Das war sein Schicksal gewesen.

Das war der Moment seines Versagens gewesen.

Und hier, in dieser Erinnerung –
Konnte er es ändern?

Der Gedanke traf ihn wie ein Blitz.

Das ist ein Traum.

Lucavions dunkle Augen weiteten sich.

Das ist eine Erinnerung, aber ich bin nicht mehr dieser Fünfzehnjährige.

Die Erkenntnis traf ihn so plötzlich und heftig, dass etwas in ihm zerbrach.

Das war nicht die Realität.

Das war sein eigener Verstand.

Und in seinem eigenen Verstand …

musste Lucavion nicht schwach sein.

„BEWEG DICH!“

Der Befehl war nicht nur an sich selbst gerichtet.

Er war an die Erinnerung selbst gerichtet.

Sie zerbrach.
Das Schlachtfeld flackerte – wie Tinte, die in Wasser verläuft. Das Gewicht, das seine Glieder festhielt, löste sich in Luft auf, die erstickende Luft brach auf –

und zum ersten Mal trat Lucavion vor.

Seine Lanze, die er mit beiden Händen umklammerte, fühlte sich echt an. Sein Atem beruhigte sich. Das Grinsen des Ritters flackerte – kurz, fast unmerklich.

Lucavion atmete aus.
„Du“, murmelte er mit fester, unerschütterlicher Stimme. Sein dunkler Blick war auf den Ritter des Windes geheftet.

Der Ritter blinzelte.

Genau. Diesmal erlebe ich das nicht nur noch einmal.

Lucavion rollte mit den Schultern und spürte die alten Wunden der Vergangenheit wie Phantomschmerzen – aber nichts weiter.
„Ich muss dich nicht finden.“ Sein Grinsen war langsam, bedächtig und umspielte seine Lippen.

„Du bist genau hier.“

Der Wind heulte.

Der Wind heulte, eine heftige, unerbittliche Kraft, die über das Schlachtfeld fegte.

Aber dieses Mal

war es nicht Lucavion, der darunter zitterte.
Die Erinnerung schwankte und flackerte wie ein Spiegelbild auf einem unruhigen Teich. Schatten dehnten sich unnatürlich aus, die blutroten Erde barst auf, als könne das Gewicht der Vergangenheit ihre eigene Existenz nicht länger ertragen.

Und dann –

zerbrach alles.

Das Schlachtfeld stürzte ein, die Gestalten der Toten lösten sich in Nichts auf. Das Grinsen des Ritters des Windes verschwand, sein Körper flackerte wie die Flamme einer erlöschenden Kerze.
Das grünliche Leuchten seiner Mana verschwamm und verwandelte sich in Lichtstreifen – bevor sich die Welt selbst veränderte.

Lucavion hatte kaum Zeit zu reagieren, bevor sich sein Blickfeld völlig veränderte.

– Steinmauern, gesäumt von alten Fahnen.

– Ein massiver Holztisch, dessen Oberfläche mit verstreuten Dokumenten und einer einzigen, komplizierten Karte bedeckt war.
Flackernde Laternen warfen wankende Schatten an die Wände.

Und dort, im trüben Licht, stand

ein Mann.

Groß, breitschultrig, mit einer Aura der Autorität, die ihn wie eine zweite Haut umgab. Seine Präsenz war so scharf wie die Klinge an seiner Hüfte, seine Bewegungen langsam und methodisch. Sein dunkelgrüner Umhang lag über seiner polierten Rüstung, das schwache Abzeichen an seiner Schulter war unter dem abgenutzten Stoff kaum zu erkennen.
Er stand mit dem Rücken zu Lucavion.

Er studierte die Karte vor sich und fuhr mit den Fingern mit ruhiger Intensität über Frontlinien, Städtenamen und Routen.

Lucavion stockte der Atem.

Er musste das Gesicht des Mannes nicht sehen, um zu wissen, wer es war.

Es war er.

Der Ritter des Windes.

Älter. Verändert. Aber unverkennbar.

Die Sicht verschob sich – zog sich nach außen.
Eine verschwommene Bewegung, als würde man durch eine schnell fließende Strömung treiben.

Lucavion wurde aus dem schwach beleuchteten Raum gerissen und wirbelte rückwärts, während sich die Szene hinter den Wänden entfaltete.

Eine Festung. Verwitterte Steine, verstärkte Zinnen.
Dahinter wogten Felder, die sich bis zu weit entfernten, gewundenen Straßen erstreckten.

Und noch weiter entfernt ragte eine Bergkette empor, deren Gipfel wie gezackte Klingen den Horizont durchbohrten.

Die Vision zog sich immer weiter zurück, wobei sich jede Ebene mit quälender Klarheit entfaltete.

Bis –

es ihm wieder einfiel.

Lucavions dunkle Augen fixierten das Bild seines älteren Feindes –

und in dem Moment, als sich ihre Blicke trafen –
wurde Lucavion wach.

„Haaaah … Haaaaah …“

Er war zurück.

Zurück im schwachen Schein seines eigenen Zimmers, wo flackernde Laternen gezackte Schatten an die Wände warfen. Seine Finger umklammerten immer noch das Artefakt, dessen kristalliner Kern schwach pulsierte, als hätte er seine ganze Kraft aufgebraucht, um ihm dies zu zeigen.
Lucavions Kopf schwirrte, sein Körper zitterte noch immer von den Nachwirkungen des Ganzen.

Aber durch den Nebel seines eigenen Atems –

ein Grinsen huschte über seine Lippen.

„Ich habe dich gefunden.“

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Score 10
Author: Artist: Released: 2024 Native Language: German
Auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, konnte er nur noch die Hölle ertragen. Er hatte keine Familie, auf die er sich verlassen konnte, da sie ihm den Rücken zugekehrt hatten. Eine Seele vom Schlachtfeld: Lucavion Thorne. Aber anscheinend war er viel mehr als nur ein einfacher Soldat, denn das Schicksal hatte noch einiges für ihn auf Lager. Eine Seele von der Erde ... Als sie verschmolzen, wurde ihm klar: Er war ein Bösewicht aus einem Kapitel, dessen einziger Zweck darin bestand, als Kulisse für die Tragödie des Protagonisten zu dienen. Aber war er wirklich nur ein Bösewicht aus einem Kapitel, oder hatte das Schicksal noch ein paar Asse im Ärmel? Verfolge die Geschichte von Lucavion Thorne, wie er den Sinn seiner Seelenwanderung findet und sein eigenes Schicksal entdeckt. ---------- Ein oder zwei Kapitel täglich. Kapitellänge 1500-2000 Wenn du möchtest, kannst du bei mir auf Discord vorbeischauen. Dort kannst du die Illustrationen sehen und mit mir chatten, wenn ich verfügbar bin. https://discord.gg/BQRMhDxZr8 ---------------------------0------------------------------ Geschäftliche E-Mail-Adresse: [email protected] Discord: _yty_ Shattered Innocence: Transmigrated Into a Novel as an Extra ist ein beliebter Light Novel, der die Genres Action, Abenteuer, Drama, Fantasy, Harem, Romantik und Tragödie abdeckt. Geschrieben vom Autor Darkness_Enjoyer geschrieben. Lies "Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt" kostenlos online.

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