Lucavion spürte, wie der Strudel ihn an sich riss, eine Kraft, die so stark war, dass sie die Realität um ihn herum zu verzerren schien. Die kalte, bedrückende Energie des brodelnden Abgrunds drang in seinen Körper ein und zog ihn hinab in seine chaotischen Tiefen. Sein Verstand war klar, aber sein Körper fühlte sich an, als würde er sich durch Sirup bewegen, und die überwältigende Anziehungskraft raubte ihm seine gewohnte Beweglichkeit.
Für einen Moment spulte er seine Gedanken zurück und spielte die Szene, die ihn an diesen Punkt gebracht hatte, noch einmal ab.
Er hatte den wild um sich schlagenden Gliedmaßen des Kraken gegenübergestanden und mit chirurgischer Präzision mit seiner Klinge durch das Chaos geschnitten, als er es spürte – ein scharfes, unerklärliches Kribbeln in seinen Sinnen. Er drehte ruckartig den Kopf und sah sie. Elara.
Sie hielt sich nur noch mit Mühe aufrecht, ihre mit Eis bedeckte Plattform zerbrach unter ihren Füßen, als der Wirbel alles um sie herum zu verschlingen begann. Ihr erschöpfter Körper schwankte gefährlich nahe am Rand, ihre Hände suchten verzweifelt nach Halt.
Es war keine Zeit zum Nachdenken, keine Zeit zum Planen.
Er handelte.
Ein einziger Schub Mana schoss durch seine Beine und trieb ihn mit rasender Geschwindigkeit auf sie zu. Er erreichte sie gerade in dem Moment, als sie das Gleichgewicht verlor, seine Hand traf ihre Schulter und schleuderte sie rückwärts, weg von der Anziehungskraft des Strudels.
Aber die Wucht seines eigenen Schwungs, kombiniert mit der unerbittlichen Sogkraft des Strudels, besiegelte sein Schicksal.
Jetzt, als Lucavion fiel und die dunklen Strömungen um ihn herum wirbelten und brodelten, spürte er, wie eine seltsame Ruhe seinen Geist überkam. Seine scharfen Instinkte registrierten jedes Detail – die Art, wie der Strudel das Licht verzerrte, das kränkliche blaue Leuchten, das schwach in seiner Mitte pulsierte, die bedrückende Energie, die wie ein unsichtbares Gewicht auf ihn drückte.
„Das ist gefährlich“, dachte er, während ein leichtes Grinsen um seine Lippen spielte, „aber nicht unerwartet.“
Vitaliaras Stimme drang scharf und eindringlich in seinen Kopf. „Warum hast du das getan?!“
Lucavions Grinsen vertiefte sich leicht, während sein Körper sich in dem unerbittlichen Griff des Wirbels drehte. „Was getan?“, antwortete er innerlich, sein Tonfall trotz der Ernsthaftigkeit der Situation leicht.
„Das weißt du genau!“, fauchte Vitaliara, ihre Stimme zitterte vor Frustration. „Warum hast du dein Leben für sie riskiert?“
Sein Grinsen wurde sanfter, fast wehmütig. „Ich wollte eine bestimmte Tochter retten“, sagte er, und in seiner Stimme lag ein Unterton von etwas Unausgesprochenem. „Und außerdem, wer sagt, dass ich mein Leben riskiere?“
Es gab eine Pause, als würde Vitaliara nach einer Antwort suchen. Schließlich seufzte sie, und in ihrem Tonfall lag Verzweiflung und etwas, das verdächtig nach Zuneigung klang.
„Du bist wirklich hoffnungslos, Lucavion …“
Er lachte leise und kniff die dunklen Augen zusammen, während er sich auf den verzerrten Raum um ihn herum konzentrierte. „Das hast du schon mal gesagt“, antwortete er mit leicht neckendem Tonfall. „Ich fange an zu glauben, dass das deine Art ist, mir zu sagen, dass ich dir wichtig bin.“
Bevor Vitaliara etwas erwidern konnte, begann ihre Stimme zu summen, und die Verbindung zwischen ihnen flackerte wie ein schwaches Signal.
[Lucavion –] Ihre Stimme schwankte, [ich kann nicht –] und dann verstummte sie, und ihre Anwesenheit verschwand vollständig.
Lucavions Gesichtsausdruck veränderte sich, sein Grinsen verschwand und machte einem nachdenklichen Stirnrunzeln Platz. „Räumliche Verzerrungen …“, dachte er, während sein scharfer Verstand die Situation zusammenfügte. „Der Wirbel zieht mich nicht nur nach unten – er zieht mich woanders hin.“
Der Raum um ihn herum wellte sich unnatürlich, als würde die Luft von einer unsichtbaren Kraft verbogen und verdreht. Die Strömungen waren nicht zufällig, sie hatten einen seltsamen Rhythmus, ein Pulsieren, das die schwache Resonanz seines [Sternenfresser]-Kerns widerspiegelte.
Als die räumlichen Verzerrungen stärker wurden und die Welt um ihn herum in einen unerkennbaren Wirbel aus Schatten und gebrochenem Licht verwandelten, spürte Lucavion es – eine seltsame, tiefe Stille. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit war das ständige Summen von Vitaliaras Stimme in seinem Kopf verstummt. Die Wärme ihrer Gegenwart, die Schärfe ihrer Bemerkungen, der stille Trost ihrer Gesellschaft – alles war verschwunden.
Er war ganz allein.
Diese Erkenntnis lastete schwer auf ihm, doch sie erdrückte ihn nicht. Stattdessen fühlte es sich seltsam an. Anders.
„So ist das also“, dachte er, und sein Grinsen verschwand und wich einem nachdenklichen Ausdruck. „Keine Witze, kein Geärger, keine Vitaliara, die mich darauf hinweist, wie leichtsinnig ich bin. Nur ich und meine Gedanken. Ich hätte fast vergessen, wie lange das schon so ist.“
Das wirbelnde Chaos um ihn herum schien näher zu kommen, der verzerrte Raum umhüllte ihn mit seiner unheimlichen Umarmung. Das leise Summen seines [Sternenfressers] pulsierte in der Stille, ein gleichmäßiger Rhythmus, der tief in seiner Brust widerhallte. Die Energie des Wirbels brodelte wie ein Lebewesen, fremd und unerbittlich, und doch fühlte sich Lucavion ruhig, sogar neugierig.
„Nun“, murmelte er laut, seine Stimme von der wirbelnden Leere verschluckt, „das ist irgendwie erfrischend.“
Er lachte leise, der Klang ging fast in der sich verändernden Kakophonie um ihn herum unter. Es war niemand da, der ihn hören konnte, niemand, der ihn verurteilen oder verspotten konnte, weil er in dieser prekären Situation Spaß fand. Nur die leere, verzerrte Welt und seine eigenen stillen Gedanken.
„Wie lange ist es her, dass ich wirklich allein war?“, fragte er sich und kniff die dunklen Augen zusammen, als die Energie des Wirbels immer unberechenbarer wurde. Die meisten seiner letzten Tage, seine Kämpfe, seine Gedanken – all das hatte er mit Vitaliara geteilt. Ihre Anwesenheit war so tief in seinem Geist verwurzelt, dass er fast vergessen hatte, wie sich Einsamkeit anfühlte.
„Komischerweise“, dachte er mit einem leichten Lächeln, „fühlt es sich gar nicht so schlecht an. Keine Ablenkungen. Nur Konzentration.“
Die Welt um ihn herum wellte sich erneut, der verzerrte Raum verwandelte sich in etwas Dunkleres, Tieferes und Instabileres. Sein Grinsen kehrte zurück, schwach, aber deutlich, als das Unbekannte mit zunehmender Dringlichkeit an ihm zerrte.
„Heh …“, murmelte er mit leiser, erwartungsvoller Stimme.
„Sieht so aus, als würde der zweite Akt beginnen.“
Lucavion umklammerte seinen Degen fester, und das schwache Leuchten seiner [Flamme der Tagundnachtgleiche] funkelte an seiner Klinge, als würde sie auf seine steigende Energie reagieren. Sein [Sternenfresser]-Kern vibrierte im Einklang mit dem Wirbel, ein rhythmischer Schlag, der ihm fremd und doch vertraut vorkam, als würden die beiden Kräfte eine Sprache sprechen, die nur sie verstanden.
Was auch immer vor ihm lag, Lucavion war bereit. Ob allein oder nicht, das war einer der Gründe, warum er hierher gekommen war. Um sich dem Unbekannten zu stellen. Um es herauszufordern. Um es zu besiegen.
Und gleichzeitig natürlich noch etwas anderes.
„Bist du auch diesmal hierher gefallen, kleine Lady Aeliana?“
Es war an der Zeit, eine bestimmte Tochter zu retten.
Und als der Wirbel ihn vollständig verschlang und sein chaotischer Sog einer überwältigenden Stille wich, blieb Lucavions schwaches Lächeln zurück.
„Mal sehen, wohin das führt.“
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Auf der anderen Seite, in einem anderen Wirbel, riss die Luft an Aeliana vorbei, während sie stürzte, und das Dröhnen des Strudels wurde ohrenbetäubend.
„Du hättest niemals so lange überleben dürfen. Deine Existenz … ist eine Kette. Für ihn. Für alle. Du hättest schon vor Jahren sterben sollen.“
Dieselben Arme, die sie gestoßen hatten …
„Junge Dame … bitte, stirb einfach still, damit er endlich weitermachen kann.“
Diese Szene … eine ständige Wiederholung davon, wie sie gestoßen wurde.
Ihr Schleier, vom Wind losgerissen, flatterte kurz über ihr, bevor er in den chaotischen Fluten verschwand. Die eisige Gischt brannte auf ihrer nackten Haut und stand in scharfem Kontrast zu dem brennenden Gefühl, das durch ihre Adern strömte.
Die Strömung tobte heftig und riss sie nach unten, sobald ihr Körper auf das Wasser traf.
Der Aufprall drückte ihr die Luft aus den Lungen. Wasser schoss ihr in Nase und Mund, während sie instinktiv um Luft rang und mit den Gliedmaßen gegen die erdrückende Sogkraft des Strudels ankämpfte. Ihre Lungen schrien nach Sauerstoff, aber das verdorbene Mana im Wasser schlug wie eine lebendige Kraft gegen sie und verstärkte die Schmerzen ihrer Krankheit.
Ihre Sicht verschwamm, das wirbelnde Chaos um sie herum war ein Durcheinander aus Schatten und Licht. Zerbrochenes Holz, Überreste von zerbrochenen Plattformen und die Leichen von Abenteurern waren im Strudel gefangen und drehten sich neben ihr. Jede Welle schlug gegen ihren zerbrechlichen Körper, und jeder Mana-Stoß, der sie traf, fühlte sich an wie Glasscherben, die ihre Adern aufschlitzten.
„Atme.“
Der Gedanke war weit weg, übertönt vom ohrenbetäubenden Rauschen des Wassers. Ihre Brust hob sich, aber der erdrückende Druck der Tiefe machte es unmöglich zu atmen. Dunkelheit umhüllte ihren Blick, der Schmerz in ihrem Körper drohte sie vollständig zu verschlingen.
„Ist es überhaupt wichtig?“
Und ein Gedanke kam ihr in den Sinn.
Ein Gedanke, der so gefährlich war, dass sie wusste, dass er sie innerlich aufwühlen würde.
„Wäre es nicht besser, wenn alles vorbei wäre?“