Varens Atem stockte, als Lucavions Worte den chaotischen Flammensturm um sie herum durchdrangen.
„Feuer mag sicher sein, wenn man es kontrolliert“, sagte Lucavion mit fester Stimme, die jedoch von einer wahnsinnigen Respektlosigkeit durchzogen war. „Aber dafür ist Feuer nicht da.“
Etwas veränderte sich.
Varen spürte es – nicht nur das bedrückende Gewicht von Lucavions schwarzen Flammen, sondern etwas Tieferes, Heimtückischeres. Es war, als hätten die chaotischen Zungen der Flammen die Hitze des Kampfes überwunden, seine Abwehr umgangen und sich um die Gedanken gewickelt, die er so lange vergraben hatte.
„Was ist das?“, fragte er sich und umklammerte sein Großschwert fester. Er war sich seines Weges immer sicher gewesen, der Disziplin, die ihm von der Sekte der Silbernen Flamme eingeimpft worden war. Kontrolle war seine Stärke. Kontrolle war sein Schutzschild.
Und doch, als er Lucavion, der Verkörperung des Chaos, gegenüberstand, schlich sich Zweifel in seinen Geist.
Die schwarzen Flammen schlugen erneut wild und unerbittlich auf, ihre Bewegungen verspotteten die strenge Disziplin seines eigenen Feuers. Zum ersten Mal geriet Varen ins Wanken – nicht in seiner Haltung, sondern in seiner Überzeugung.
„Hat er recht?“ Der Gedanke war unwillkommen, fremd und doch hartnäckig. „Habe ich meine Flammen, meine Emotionen so lange eingesperrt, dass ich ihre wahre Natur vergessen habe?“
Die Erinnerung traf ihn wie ein Blitz.
Lira.
Ihr Verrat war nicht nur ein Moment gewesen – er war ein Bruch, ein Zerbrechen von allem, woran er geglaubt hatte. Er hatte sich eingeredet, dass er darüber hinweg war, dass er es unter Schichten von Disziplin und Kontrolle begraben hatte. Aber hatte er das wirklich? Oder hatte er nur einen Damm gebaut, der nun unter dem Gewicht der Gefühle, die er nicht wahrhaben wollte, zu bröckeln begann?
Die Nacht in der Herberge der Eisernen Matrone kam ihm wieder in den Sinn. Lira zu sehen, ihre Stimme zu hören – das war zu viel gewesen. Er hatte es nicht wahrhaben wollen, aber sein Ausbruch hatte die Wahrheit offenbart. Er hatte sich nicht unter Kontrolle gehabt, nicht damals. Die Wut, die Bitterkeit – sie waren durch die Risse geschlüpft, hatten die Mauern überwunden, die er so mühsam aufgebaut hatte.
„Und jetzt“, dachte er und starrte Lucavion an, „dieser Mann, dieses Chaos … er zwingt mich, mich damit auseinanderzusetzen.“
Die schwarzen Flammen schlugen höher, ihre chaotische Energie prallte gegen sein diszipliniertes Inferno. Varens silbrig-rote Flammen flackerten, ihre Struktur brach unter dem unerbittlichen Angriff zusammen. Und immer noch hallte Lucavions Stimme in seinem Kopf wider.
„Feuer kann man nicht einsperren, Varen.“
Varens Brust zog sich zusammen, während seine Gedanken kreisten. Er hatte immer geglaubt, dass Kontrolle Stärke sei. Er hatte seine Emotionen und seine Kraft trainiert, um sie seinem Willen zu unterwerfen. Er hatte sich unerschütterlich gemacht.
Aber jetzt … jetzt war er sich nicht mehr sicher.
„Damals, als Lira …“ Die Erinnerung kam unaufgefordert zurück, und mit ihr der Schmerz. Der Verrat war wie ein Feuersturm gewesen, der alles verbrannt hatte, worauf er vertraut hatte, und seine Antwort darauf war gewesen, die Flammen zu löschen, sie einzudämmen. Aber war das die richtige Entscheidung gewesen? Oder hatte er dabei etwas Lebenswichtiges ausgelöscht?
Lucavion trat näher, die schwarzen Flammen schlängelten sich enger um seinen Degen. Sein Grinsen blieb, aber seine Augen – diese durchdringenden Augen – schienen sich in Varens Seele zu bohren.
„Du hältst dich zurück“, sagte Lucavion mit leiser, fast sanfter Stimme. „Nicht nur deine Flammen, sondern dich selbst. Weißt du überhaupt noch, warum?“
Die Worte trafen ihn wie Hammerschläge.
Varen spürte, wie sein Griff um sein Großschwert für den Bruchteil einer Sekunde nachließ. Die silbrig-roten Flammen um ihn herum flackerten, als würden sie auf die Zweifel reagieren, die sich in seinem Herzen ausbreiteten.
„Habe ich mich geirrt?“, dachte er, während in seinem Kopf ein Sturm widersprüchlicher Gefühle tobte. „Habe ich die ganze Zeit gegen mich selbst gekämpft?“
Doch noch während die Frage in ihm Wurzeln schlug, entflammte in ihm ein Funken Trotz.
„Nein.“ Er biss die Zähne zusammen und umklammerte sein Schwert fester. „Kontrolle ist meine Stärke. Disziplin ist das, was mich vom Chaos unterscheidet. Ich habe mich nicht geirrt.“
Doch während dieser Gedanke Gestalt annahm, flüsterte eine andere Stimme in seinem Hinterkopf – eine Stimme, die beunruhigend nach Lucavion klang.
„Oder hast du einfach nur Angst, loszulassen?“
Das Aufeinandertreffen der Flammen um sie herum wurde heftiger, aber der wahre Kampf fand in ihrem Inneren statt. Varens silbrig-rotes Feuer loderte erneut auf, seine disziplinierte Helligkeit erwachte zum Leben. Doch trotz all seiner Kraft konnte er das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas fehlte – etwas Entscheidendes.
Ihm gegenüber breitete sich Lucavions Grinsen aus, als könne er den Konflikt sehen, der in ihm tobte.
„Lass es brennen, Varen“, sagte Lucavion, und seine Stimme hallte in der aufgeladenen Luft wider. „Zeig mir dein wahres Feuer.“
Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Die Arena, die Menge, die tosenden Flammen – alles verschwand in den Hintergrund. Varens Welt verengte sich auf den Mann vor ihm und die Wahrheit, der er sich nicht stellen wollte.
Und in diesem Moment wusste Varen: In diesem Kampf ging es nicht nur um Stärke. Es ging um Überzeugung. Darum, wer er war – und wer er sein wollte.
„Wie?“, hallte Varens Stimme in seinem Kopf, leiser als die tosenden Flammen, leiser als die Jubelrufe der Menge, aber laut genug, um alles andere zu übertönen. „Wie kann ich mein Feuer loslassen?“
Die Frage blieb hängen, wie ein Dorn tief in seinen Gedanken. Loslassen – das hatte ihm niemand beigebracht, und er hatte es nie gewagt, darüber nachzudenken. Kontrolle war sein Fundament, der Grundstein seiner Stärke. Ohne sie, was war er dann? Was würde aus ihm werden?
Er umklammerte sein Großschwert fester, die Hitze seiner Flammen umschlang ihn wie ein Schutzschild. Doch zum ersten Mal fühlte sich dieser Schild erstickend an.
„Was bedeutet es, es brennen zu lassen?“, flüsterte er leise, die Worte eine Bitte an das Chaos vor ihm.
Lucavion sagte nichts. Das musste er auch nicht. Die schwarzen Flammen, die wild und ungezügelt um ihn herum tanzten, gaben die Antwort – eine instinktive, unausgesprochene Wahrheit. Es war keine Antwort, die Varen hören konnte; er musste sie einfach spüren.
Und so ließ er los.
Die silbrig-roten Flammen, die ihn umgaben, schossen nach außen, nicht mehr gezügelt oder gezähmt. Sie erwachten zum Leben und brachen aus der Struktur aus, die er ihnen auferlegt hatte. Zum ersten Mal war sein Feuer wild, chaotisch und absolut ehrlich. Die Menge schnappte nach Luft, als sich die Flammen drehten und schlugen und ihre Helligkeit sogar Lucavions schwarzem Inferno Konkurrenz machte.
Varens Brust hob und senkte sich, sein Atem ging stoßweise, während er alles in die Flammen steckte. Die Hitze verzehrte ihn, aber es tat nicht weh – es war befreiend. Doch selbst als sein Feuer wütete, blieb sein Blick auf Lucavion gerichtet.
Und dann sah er es.
Inmitten des wirbelnden Chaos aus schwarzen Flammen traf ihn etwas. Es war nicht die rohe Kraft von Lucavions Angriff oder der erstickende Druck seines Manas. Es war sein Schwert. Dieser Estoc, der in reinem schwarzen Feuer gehüllt war, war nicht nur eine Waffe – er war ein Fenster.
Ein Fenster in Lucavions Seele.
Varen stockte der Atem, als er begriff, was er da sah. Die schwarzen Flammen waren kein Zufall. Sie waren keine sinnlosen Kräfte der Zerstörung. Sie waren chaotisch, ja, aber sie trugen etwas Tieferes in sich – etwas Rohes und Ungefiltertes. Emotionen. Wut, Trauer, Freude, Entschlossenheit – alles lag offen da, ohne Vorbehalte, ohne Verstellung.
Lucavions Schwert, umhüllt von diesem chaotischen Feuer …
Es war ehrlich.
„Wie?“, dachte Varen, während seine Gedanken rasten. „Wie macht er das? Wie kann er sich so in seine Klinge stürzen?“
Das Chaos war unbegreiflich. Varen konnte den Sturm der Emotionen, der Lucavions Flammen anfachte, nicht fassen. Er konnte die Turbulenzen, die ihnen Gestalt gaben, nicht verstehen.
Aber das musste er auch nicht.
Er musste nur eines verstehen.
Eine Sache, die absolut klar war.
In diesem Moment, als er vor ihm stand, war Lucavion völlig entblößt. Keine Masken. Keine Schilde. Nur rohe, ungefilterte Existenz.
„Er ist nackt“, flüsterte Varen mit zitternder Stimme. „Er ist … alles, völlig entblößt.“
Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Blitzschlag. Er, Varen Drakov, hatte immer eine Maske getragen. Sein stoisches Auftreten, seine disziplinierten Bewegungen, sein Streben nach dem „Richtigen“ – alles war nur Fassade gewesen. Ein Käfig, den er sich selbst gebaut hatte, um die Narbe zu verbergen. Die Narbe, die der Verrat hinterlassen hatte.
„Lira.“ Ihr Name tauchte wieder auf, unaufgefordert. Ihr Verrat war nicht nur eine Wunde – er war ein Bruch, ein Zerbrechen von etwas Grundlegendem in ihm. Und als Reaktion darauf hatte er es begraben. Er hatte sich selbst begraben. Disziplin, Kontrolle, Ordnung – das waren nicht nur Prinzipien, das war eine Rüstung. Eine Rüstung, die ihn vor dem Chaos in seinem Inneren schützte.
Aber jetzt, wo er vor Lucavion stand, konnte er es nicht mehr leugnen. Seine Rüstung schützte ihn nicht – sie hielt ihn zurück. Er war nicht vor dem Chaos geflohen, sondern vor dem Schmerz. Vor der Narbe.
„Lass es brennen“, hallte Lucavions Stimme in seinem Kopf, eine Herausforderung und eine Wahrheit zugleich.
Varens Flammen schlugen höher, ihr silbrig-roter Glanz vermischte sich mit dem schwarzen Feuer, das sie beide umgab. Er holte tief Luft und umklammerte sein Großschwert fester.
„Alles offenbaren …“, murmelte er mit leiser, aber entschlossener Stimme. „Bedeutet das, es brennen zu lassen?“
Zum ersten Mal seit Jahren erlaubte Varen sich, zu fühlen. Die Wut. Die Trauer. Die Sehnsucht. Den Verrat. Er hielt es nicht zurück. Er unterdrückte es nicht. Er ließ es durch sich hindurchströmen, in seine Flammen, seine Klinge, sein ganzes Wesen.
Die Flammen um ihn herum veränderten sich. Sie brannten heißer, wilder, lebendiger. Und in diesem Moment verstand Varen. Bei Kontrolle ging es nicht um Unterdrückung – es ging um Balance. Darum, das Chaos zu beherrschen, ohne es zu leugnen. Darum, das Feuer anzunehmen, statt es zu zähmen.
Und dieser Mann vor ihm.
Varen wusste, dass Lucavion dem standhalten konnte.
„Wenn er es ist … wenn dieser Mann es ist … dann kann er es schaffen.“
Also ließ er sein Feuer fließen …
Selbst wenn er diesen Kampf verlieren würde, wusste Varen:
Er hatte etwas viel Wichtigeres gewonnen.
„Ah …“
Endlich konnte er die unterdrückte Wut spüren, die sich nun entlud.
„Das reicht.“
Und es reichte.