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Kapitel 65: Nicht loslassen

Kapitel 65: Nicht loslassen

Für Jesse ging es in letzter Zeit wieder bergauf.

Endlich hatte sie einen Ort gefunden, an dem sie sie selbst sein konnte, nachdem sie so lange in diesem verdammten Haushalt gelebt hatte.

Der Weg dorthin war zwar nicht einfach gewesen, aber irgendwie hatte sie es geschafft.

„Und das habe ich alles Lucavion zu verdanken.“
Jesse ging langsam durch das Zelt und streifte mit den Fingern leicht die Gegenstände, die Spuren von Lucavion trugen. Seine Habseligkeiten waren einfach, aber sie strahlten eine Wärme aus, die ihr ein Gefühl der Geborgenheit gab – ein krasser Gegensatz zu der kalten und gefühllosen Atmosphäre im Anwesen ihrer Familie.

Das Zelt war nicht nur eine vorübergehende Unterkunft, es war zu einem Zufluchtsort geworden, an dem sie sich entspannen und einfach nur sein konnte.
Als sie den Rand seiner Schlafrolle berührte, lächelte sie sanft. Lucavions Duft hing noch in der Luft, eine Mischung aus Erde und einem Hauch von Metall von seinen Waffen. Es war ein Duft, der für sie Stabilität und Schutz bedeutete, etwas, wonach sie sich so lange gesehnt hatte. Jesse konnte sich noch genau an den Moment erinnern, als sie zum ersten Mal dieses Zelt betreten hatte, erschöpft und kurz davor, aufzugeben.

Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit.
Sie kniete sich neben die kleine Truhe, in der er seine persönlichen Sachen aufbewahrte, und strich mit der Hand über die raue Oberfläche. Alles hier erinnerte sie an ihn – an seine Stärke, seine Widerstandsfähigkeit und die Freundlichkeit, die er ihr entgegengebracht hatte, als sie sie am meisten gebraucht hatte.

Eine Freundlichkeit, die sie zuvor nie erfahren hatte. Ihre Gedanken schweiften zurück zu diesem ersten Tag auf dem Schlachtfeld, als sie gebrochen und hoffnungslos angekommen war, bereit, den Tod als Befreiung von den Schmerzen zu begrüßen, die ihr Leben zerstört hatten.
An diesem Tag war sie nichts weiter als eine Hülle gewesen, kaum in der Lage, unter der Last ihrer Verzweiflung zu stehen. Sie war von ihrer eigenen Familie an die Front geschickt worden, wie Müll weggeworfen, und sie hatte mit jeder Faser ihres Wesens geglaubt, dass sie wertlos war.

Ihr Selbstwertgefühl war zerstört, durch Jahre der Vernachlässigung und Verachtung zu Staub zermahlen. Der Hass, den sie für die Welt – und für sich selbst – empfand, war allumfassend.
Doch dann traf sie Lucavion.

Sie schloss die Augen und ließ die Erinnerungen auf sich wirken, erinnerte sich an die Worte, die er zu ihr gesagt hatte, als sie am Boden zerstört war. Seine Stimme war ruhig, fest und bestimmt gewesen und hatte mit einer fast schmerzhaften Klarheit den Nebel ihrer Verzweiflung durchdrungen.
„Du bist nicht das, was andere von dir denken, Jesse. Du bist nicht schwach, nur weil sie das sagen. Stärke ist etwas, das man aufbaut, nicht etwas, mit dem man geboren wird.

Auf dem Schlachtfeld interessiert sich niemand für deine Abstammung oder deine Vergangenheit. Hier draußen zählt nur dein Wille zu überleben und weiterzukämpfen.

Mein Meister hat einmal etwas Ähnliches gesagt.
Die Stärke … Sie ist immer in dir, ob du daran glaubst oder nicht. Am Ende ist es immer so: Entweder du kriegst dein Leben auf die Reihe oder du verschwindest wie Staub in den Seiten der Geschichte.

Also sag ich es dir noch einmal: Entweder du nutzt deine eigene Stärke, um dein Schicksal in die Hand zu nehmen, oder du wirst vergessen sein, bis du stirbst.“
Diese Worte trafen sie tief in ihrem Innersten, etwas, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass es noch in ihr lebte. Ein Funken Hoffnung, begraben unter Schichten von Angst und Selbsthass.
Lucavion hatte in ihr etwas gesehen, was sie selbst nicht sehen konnte – das Potenzial für Stärke, für Überleben. Er hatte ihr etwas gegeben, an dem sie sich festhalten konnte, als sie nichts mehr hatte.

Deshalb fühlte sie diese Ruhe.

Und war das der Grund, warum sie, wann immer sie in seiner Nähe war, seine Wärme spüren wollte? Das war doch nicht zu viel verlangt, oder?

Jesse zögerte einen Moment, dann ließ sie sich langsam auf Lucavions Bett fallen. Der raue Stoff fühlte sich kühl auf ihrer Haut an, und sie konnte die zurückgebliebene Wärme spüren, die er zuvor dort hinterlassen hatte.

Sie schloss die Augen, vergrub ihr Gesicht in der Bettrolle und atmete tief ein. Sein Duft war da, schwach, aber unverkennbar – eine Mischung aus Erde, einem Hauch von Metall und etwas, das einzig und allein ihm gehörte.
Es war beruhigend und gab ihr ein Gefühl der Geborgenheit, wie nichts anderes es konnte.

Sie wusste, dass diese seltsame Zuneigung, die sie entwickelt hatte, irgendwie gruselig war. Aber es war ja nicht so, als gäbe es da draußen nicht noch andere gruselige Typen, die weitaus schlimmere Dinge taten. Außerdem roch Lucavion viel besser als die anderen Soldaten, von denen sich die meisten nach langen Kampftagen nicht um ihre Körperpflege kümmerten.
Zumindest achtete Lucavion immer auf sich und sorgte so dafür, dass die Umgebung in dieser rauen Umgebung etwas erträglicher wurde.

Während sie so dalag, überkam sie eine Ruhe, die sie nur in seiner Gegenwart empfand. Es war eine Gelassenheit, nach der sie sich sehnte, etwas, das ihr half, an den letzten Resten ihrer Hoffnung und Kraft festzuhalten.
„Ich kann dir alles geben, was du willst, dafür, dass du mich aus den Tiefen der Hölle gerettet hast“, dachte sie, und ihr Herz schwoll vor Dankbarkeit an. Sie war sich nicht sicher, wohin diese Gefühle führen würden, aber eines wusste sie mit Sicherheit: Sie würde alles tun, um das zu schützen, was sie hatten.
Doch dann hörte sie plötzlich Schritte vor dem Zelt. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und sie hob sofort den Kopf, ihre Sinne schärften sich. Das Geräusch war unverkennbar – mehrere Leute kamen auf das Zelt zu.

Panik machte sich breit. Was, wenn sie sie so erwischten? Was würden sie denken? Schnell krabbelte sie vom Bett, glättete die Falten in ihrer Schlafrolle und strich sich die Haare zurück.
Sie stand aufrecht da und versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen, wobei sie sich zwang, eine gelassene Haltung einzunehmen.

Gerade als sie sich fertig zurechtgezupft hatte, wurde die Zeltklappe beiseite geschoben und mehrere Gestalten traten ein. Ihr stockte der Atem, als sie niemanden von den Anwesenden erkannte. Aber als sie auf die Abzeichen an ihren Uniformen blickte, wurde ihr klar, wer sie waren.

„Oberste und ein General!“
Ihr wurde klar, dass sie sich in der Gegenwart eines Generals befand.

Die Spannung in der Luft war greifbar, als die Obersten und der General das Zelt betraten und ihre Blicke sofort auf sie fielen. Sie spürte, wie sie musterten, wie ihre Autorität auf ihr lastete, während sie sie allein im Zelt stehen sahen. Ihr stockte der Atem, und für einen kurzen Moment befürchtete sie, dass sie ihr schnelles Herzklopfen hören könnten.
Einer der Obersten, ein Mann mit strengem Gesicht, markanter Kinnpartie und durchdringenden Augen, trat einen Schritt vor. Sein Blick war scharf und durchdrang ihre Fassung wie ein Messer. „Wo ist Soldat Lucavion?“, fragte er mit befehlender Stimme, die von Misstrauen geprägt war. „Und was machst du in seinem Zelt?“
Sie schluckte schwer und versuchte, ihre Stimme ruhig zu halten. „Oberst, Lucavion wurde von Oberst Morgan gerufen“, erklärte sie in respektvollem Ton, der jedoch von einer Nervosität geprägt war, die sie nicht ganz unterdrücken konnte. „Ich habe auf seine Rückkehr gewartet.“

Die Obersten tauschten kurze, stille Blicke aus, ihre Mienen waren unlesbar. Der General, eine imposante Gestalt mit silbernem Haar und ernstem Gesichtsausdruck, schwieg und musterte sie mit festem Blick.
Sie spürte die Unruhe in der Luft und zögerte, bevor sie fragte: „Ist … ist etwas mit Lucavion passiert?“

Der Colonel mit dem strengen Gesicht presste die Kiefer aufeinander und kniff die Augen leicht zusammen. „Er steht unter Verdacht“, begann er mit leiser, aber fester Stimme, „ein schweres Verbrechen begangen zu haben.“

Bei diesen Worten sank ihr das Herz, und ihr Verstand raste, um die Situation zu begreifen. „Verdacht?
Was für ein Verbrechen?“, fragte sie mit kaum mehr als einem Flüstern, wobei sich trotz ihrer Bemühungen, ruhig zu bleiben, Angst in ihrer Stimme bemerkbar machte.

Der Blick des Obersts blieb unerschütterlich, als er antwortete: „Mord und Desertion. Lucavion wird verdächtigt, Rykard, einen der an der Grenze stationierten Wachen, während seiner Flucht aus der Armee getötet zu haben. Man hält ihn für weitaus gefährlicher, als wir ursprünglich angenommen hatten.“
Eine kalte Welle der Schockstarre überkam sie, ihre Beine gaben fast nach. Lucavion? Mord, Desertion? Das ergab keinen Sinn. Er war zwar ein fähiger Soldat, aber ein Mörder?

Und er ist geflohen? Aus dem Kampf entkommen?

„Colonel“, stammelte sie und versuchte, sich zu beruhigen, „das muss ein Irrtum sein. Lucavion … er würde niemals …“

Der Colonel unterbrach sie mit unnachgiebigem Tonfall. „Die Beweise deuten auf ihn hin, und wir können das nicht ignorieren. Wir haben Informationen erhalten, dass er möglicherweise seine wahre Stärke verbirgt, und unter den gegebenen Umständen ist es unerlässlich, dass wir ihn sofort finden.“
Jesse stand wie erstarrt da, die Welt um sie herum schrumpfte auf die Worte, die in ihrem Kopf widerhallten – Mord, Desertion, Flucht vom Schlachtfeld. Es war, als wäre die Luft aus dem Zelt gesaugt worden und hätte sie in einer erstickenden Stille zurückgelassen, ihre Gedanken ein Wirbelwind aus Unglauben und Verwirrung.
Der Oberst redete weiter und stellte ihr Fragen – wo Lucavion hingegangen sein könnte, ob er irgendwas Ungewöhnliches gesagt hatte, ob sie irgendwelche Veränderungen in seinem Verhalten bemerkt hatte. Aber die Worte drangen kaum zu ihr durch. Sie konnte nur daran denken, dass Lucavion, der sie gerettet hatte, der ihr einen Grund zum Weiterkämpfen gegeben hatte, jetzt solcher schrecklichen Taten beschuldigt wurde.
Das kann nicht sein, dachte sie verzweifelt. Lucavion würde so etwas niemals tun. Er würde mich nicht im Stich lassen. Nicht nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben.

Die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit schossen ihr durch den Kopf – seine aufmunternden Worte, seine beständige Präsenz an ihrer Seite auf dem Schlachtfeld, die Art, wie er ihr beigebracht hatte, an sich selbst zu glauben, als niemand sonst es tat. Er war immer für sie da gewesen, eine konstante, unerschütterliche Kraft in ihrem Leben.
Wie konnte er einfach so gehen, ohne ein Wort zu sagen? Wie konnte er sie so hintergehen?

Die Stimme des Obersts durchbrach ihre Gedanken und verlangte ihre Aufmerksamkeit. „Jesse Burns, hat er dir irgendetwas von seinen Plänen erzählt? Hat er etwas davon gesagt, dass er gehen oder … fliehen will?“
Sie blinzelte, ihr Herz pochte, während sie nach ihrer Stimme suchte. „N-nein, Colonel“, stammelte sie, ihre Stimme kaum zu hören. „Er hat nichts gesagt … Er würde so etwas nicht tun. Er würde nicht gehen … nicht einfach so.“

Doch während sie die Worte aussprach, schlich sich Zweifel in ihren Kopf. Es war spät – viel zu spät.
Lucavion hätte längst zurück sein müssen. Wo war er? Hatte er sie wirklich verlassen? Die Möglichkeit drehte ihr den Magen um, und die Erkenntnis dämmerte ihr langsam wie ein kaltes, grelles Licht.

„Was, wenn … was, wenn er wirklich weg ist?“ Der Gedanke quälte sie und zerriss die zerbrechliche Hoffnung, an die sie sich geklammert hatte. „Was, wenn er mich verlassen hat, genau wie alle anderen?“
Ihr stockte der Atem, als sie ihre letzte Unterhaltung Revue passieren ließ, die Art, wie er mit ihr gesprochen hatte, fast so, als würde er sich verabschieden, ohne es wirklich auszusprechen. Die Teile fügten sich zusammen, jedes einzelne schnitt ihr mit der Schärfe des Verrats ins Herz.

„Er ist gegangen“, dachte sie, die Worte schwer und bitter. „Er hat mich verlassen. Genau wie alle anderen auch.“
Der Schmerz war ihr vertraut, eine tiefe, schmerzende Wunde, die nie ganz verheilt war. Aber diesmal war es anders. Diesmal war es nicht nur der Schmerz, verlassen worden zu sein – es war der Schmerz, von dem einzigen Menschen betrogen worden zu sein, dem sie vertraut hatte.

Ihre Hände zitterten, ihre Gedanken drehten sich im Kreis, als die Wahrheit zu ihr durchdrang.
Lucavion war weg. Er hatte sie verlassen, genau wie alle anderen, ohne ein Wort, ohne eine Warnung. Das kalte, leere Gefühl der Verlassenheit überkam sie, aber diesmal brach es sie nicht. Stattdessen entfachte es etwas Dunkles und Verdrehtes in ihr.

„Nein“, dachte sie und krallte sich an der Kante der Schlafrolle fest. „Ich werde ihn nicht gehen lassen. Ich werde nicht wieder verlassen werden. Nicht von ihm.“
Ihr Herz wurde hart, ihre Gedanken konzentrierten sich auf ein einziges Ziel. Lucavion war derjenige gewesen, der sie gerettet hatte, der ihrem Leben einen Sinn gegeben hatte, als sie nichts mehr hatte. Sie würde ihn nicht verschwinden lassen, würde ihn nicht entkommen lassen. Wenn er glaubte, er könne sie zurücklassen, irrte er sich.
„Ich werde dich finden, Lucavion“, schwor sie sich im Stillen, während ihre Augen sich mit einer wilden, besessenen Entschlossenheit verdunkelten. „Ich werde dich finden und dir die Augen öffnen. Du kannst mich nicht verlassen, nicht nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben.
Du gehörst zu mir.“

„Du bist mein.“

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Ihr könnt gerne auf meinem Discord vorbeischauen. Der Link ist in der Beschreibung.

Ich bin offen für jede Kritik; ihr könnt gerne kommentieren, was ihr euch für die Geschichte wünscht.

Und wenn euch meine Geschichte gefallen hat, gebt mir bitte einen Power Stone. Das hilft mir sehr.

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Score 10
Author: Artist: Released: 2024 Native Language: German
Auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, konnte er nur noch die Hölle ertragen. Er hatte keine Familie, auf die er sich verlassen konnte, da sie ihm den Rücken zugekehrt hatten. Eine Seele vom Schlachtfeld: Lucavion Thorne. Aber anscheinend war er viel mehr als nur ein einfacher Soldat, denn das Schicksal hatte noch einiges für ihn auf Lager. Eine Seele von der Erde ... Als sie verschmolzen, wurde ihm klar: Er war ein Bösewicht aus einem Kapitel, dessen einziger Zweck darin bestand, als Kulisse für die Tragödie des Protagonisten zu dienen. Aber war er wirklich nur ein Bösewicht aus einem Kapitel, oder hatte das Schicksal noch ein paar Asse im Ärmel? Verfolge die Geschichte von Lucavion Thorne, wie er den Sinn seiner Seelenwanderung findet und sein eigenes Schicksal entdeckt. ---------- Ein oder zwei Kapitel täglich. Kapitellänge 1500-2000 Wenn du möchtest, kannst du bei mir auf Discord vorbeischauen. Dort kannst du die Illustrationen sehen und mit mir chatten, wenn ich verfügbar bin. https://discord.gg/BQRMhDxZr8 ---------------------------0------------------------------ Geschäftliche E-Mail-Adresse: [email protected] Discord: _yty_ Shattered Innocence: Transmigrated Into a Novel as an Extra ist ein beliebter Light Novel, der die Genres Action, Abenteuer, Drama, Fantasy, Harem, Romantik und Tragödie abdeckt. Geschrieben vom Autor Darkness_Enjoyer geschrieben. Lies "Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt" kostenlos online.

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