Das Feuer war über Nacht zu einem sanften Glühen erloschen und hinterließ nur noch eine schwache Wärme im Kamin. Mikhailis spürte diese leichte Kühle, gerade als die ersten Strahlen des Morgenlichts durch die dicken Seidenvorhänge fielen und verstreute Schatten auf den Steinboden warfen. Er merkte, dass er nicht allein war – Elowen schlief an seine Brust gekuschelt, ihr silbernes Haar war ein wirrer Vorhang, der sein Kinn streifte.
Ihre Beine waren noch immer unter einer einzigen Decke verschlungen, die gemeinsame Körperwärme hielt die Kühle des Raumes fern. Ausnahmsweise verspürte er kein drängendes Bedürfnis, sich zu entwirren. Er atmete langsam aus und gönnte sich einen seltenen Moment der Ruhe.
Sein kurzzeitiger Frieden war jedoch nur von kurzer Dauer.
„Es ist schon spät für die Reise. Ich habe dich gewarnt, dass Romantik dich pünktlich kosten kann.“
Rodions körperlose Stimme erklang mit subtiler Herablassung, wie so oft zu ungünstigen Zeiten.
Mikhailis stieß einen langen, theatralischen Seufzer aus. „Rodion, ich schwöre, eines Tages werde ich deinen Code alchemistisch in einen Waschschwamm verwandeln.“ Er sprach leise, um Elowen nicht vollständig zu wecken, obwohl er vermutete, dass sie kurz vor dem Aufwachen stand.
„Ich bin nicht wasserdicht. Das wäre ineffizient. Außerdem hängt dein Hemd gerade über der östlichen Fensterbank.“
Die flache, effiziente Stimme der KI verriet keine Spur von Entschuldigung.
Bevor Mikhailis eine Erwiderung herausbringen konnte, hallte ein leises Klopfen an der Tür. Der Riegel klickte, und die Tür öffnete sich gerade so weit, dass eine ruhige Frauenstimme hereinkam.
„Eure Majestät, Ihr Hemd liegt auf der Fensterbank.“ Es folgte eine kurze Pause, dann ein zweiter, leicht genervter Satz: „Außerdem bist du zu spät.“
Mikhailis stöhnte erneut und schmiegte Elowens Haare an seine Wange. „Haben sich alle über Nacht verschworen, Frühaufsteher zu werden?“, murmelte er. Der Gedanke, das warme Nest zu verlassen, das sie sich auf dem Sofa gebaut hatten, kam ihm fast wie Verrat vor.
Elowen lachte leise an seiner Brust, ihr Atem kitzelte seinen Kragen. Sie war offensichtlich nicht so tief eingeschlafen, wie er gedacht hatte. „Nur die Verantwortungsbewussten“, neckte sie ihn, ihre Stimme noch immer von der rauen Sanftheit halb vergessener Träume.
Er drehte den Kopf zu ihr und schmollte, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. „Aua.“
Ihr Gesichtsausdruck verriet jedoch keine echte Reue.
„Stimmt“, fügte sie hinzu und stützte sich auf einen Ellbogen. Eine zarte rosa Röte breitete sich auf ihren Wangen aus und verriet die Wärme unter ihrer sorgfältig gepflegten Gelassenheit. „Jetzt hol dein Hemd, Schornsteinfeger.“
Er seufzte theatralisch. „Ich werde extra für dich ein neues Pulver herstellen – glitzernd, unmöglich zu entfernen und mit dem köstlichen Duft von eingelegten Zwiebeln.“
Sie strich sich eine silberne Strähne aus dem Gesicht und schenkte ihm ein süßes Lächeln, das ganze Armeen hätte entwaffnen können. „Ich werde es wie Parfüm tragen“, antwortete sie. Dann, als würde sie sich ihrer königlichen Stellung wieder bewusst werden, versuchte sie, sich aufzurichten, obwohl die Röte noch nicht ganz aus ihren Wangen gewichen war.
Sie trennten sich langsam. Mikhailis musste den Drang bekämpfen, noch zu bleiben, aber Liras Erinnerung daran, dass sie zu spät dran waren, schwebte noch immer am Rande seines Bewusstseins. Er stand auf und ging barfuß durch den Raum, um sein Hemd zu holen – ein einst makelloses Kleidungsstück, das jetzt schlampig über der Fensterbank hing. Er rechnete fast damit, dass es in den Innenhof gefallen war.
Zum Glück lag es noch da, wo es hingeworfen worden war, auch wenn es aussah, als hätte es eine Schlägerei hinter sich. Ein Ärmel war fast aufgeknöpft, der Stoff war völlig zerknittert.
Lira stand mit verschränkten Armen in der offenen Tür, ihr Pferdeschwanz wie immer makellos. Sie war das Bild von ruhiger Effizienz, und ein leichtes Zucken um ihren Mund verriet ihre Mischung aus Belustigung und Missbilligung. „Ich habe deine formelle Weste gebügelt“, sagte sie mit gleichmäßiger Stimme, „aber ich nehme an, du wirst die experimentelle Version mit dem halb geschmolzenen Knopf tragen?“
Mikhailis schob sich an ihr vorbei in den Flur und grinste schief. „Ich mag meine Knöpfe verkohlt. Das gibt ihnen Charakter. Zeigt Geschichte.“
Sie hob eine Augenbraue. „Zeigt Chaos. Außerdem könnte das als Verstoß gegen die Brandschutzvorschriften gelten.“
Er lachte leise. „Dann eben historisch korrektes Chaos.“
Als Elowen aus der Suite kam, hatte sie einen polierten Reisemantel mit dem Wappen von Silvarion angezogen. Der Stoff, der um ihre Schultern wirbelte, verlieh ihr eine ruhige, geübte Würde. Mikhailis bemerkte mit einem Anflug von Bewunderung, wie sie es schaffte, die Spuren der vergangenen Nacht mit der von einer Königin erwarteten Haltung in Einklang zu bringen. Die Suite war unterdessen durch die stille Kompetenz des Personals auf magische Weise verwandelt worden.
Alle Gerichte des Abendessens waren verschwunden, die zerknitterten Decken auf dem Sofa waren ordentlich gefaltet, und ein leichter Lavendelduft lag in der Luft, wo zuvor noch die Glut der Feuerstellen zu riechen gewesen war.
An der Tür warteten Vyrelda und Cerys. Beide trugen ihre Rüstungen, die sie mit der selbstbewussten Sicherheit erfahrener Krieger angelegt hatten.
Ihre Stiefel glänzten, und ihre Mienen strahlten eine Bereitschaft aus, die Mikhailis im Vergleich dazu wie einen schlurfenden, halb angezogenen blinden Passagier fühlen ließ.
„Ihr seid spät“, verkündete Vyrelda mit monotoner Stimme und verschränkte die Arme. Die Platten ihrer Rüstung reflektierten das Morgenlicht, als wollten sie ihre Worte unterstreichen.
„Guten Morgen auch dir“, antwortete Mikhailis fröhlich, ohne sich von ihrer Strenge beeindrucken zu lassen.
Cerys musterte sie mit dem gleichen emotionslosen Blick, den sie oft an den Tag legte. „Romantische Verspätung?“, fragte sie, ihr Tonfall so farblos wie der Stahl an ihrer Hüfte.
Elowen öffnete hastig den Mund. „Nein, natürlich nicht …“
„Doch“, unterbrach Mikhailis sie. Es war impulsiv, aber er fühlte keine Schuld. Die Mundwinkel zuckten zu einem leichten Lächeln.
Zwei Paar Augen richteten sich auf ihn, beide Frauen mit einem Ausdruck, der eine Erklärung verlangte. Er zuckte leicht mit den Schultern und machte eine Geste mit der offenen Handfläche. „Sie hat gefragt, und ich schätze Ehrlichkeit.“
Vyrelda atmete aus und drehte sich auf dem Absatz um. „Serewyns ganze königliche Familie wartet im Hof.“
Mikhailis schloss sich ihr an und zog mit einem verschwörerischen Grinsen sein leicht zerknittertes Hemd zurecht. „Ich bin sicher, sie lieben ein bisschen Spannung“, murmelte er, während er ihr folgte.
Das Schloss der zehnfachen Schleier schimmerte in der frühen Morgensonne.
Hohe Türme, die zuvor in bunte nächtliche Illusionen gehüllt waren, ragten nun in ihrer ganzen polierten Pracht empor. Leuchtende Schutzzauber umgaben noch immer die höchsten Türme und waren als schwankende Linien in blassem Lavendel und Gold zu erkennen. Im Hof darunter bildete Serewyns königlicher Hofstaat ein beeindruckendes Bild – Adlige, Berater und Wachen standen in ordentlichen Reihen versammelt.
Über ihnen flatterten Fahnen an den Spitzen hoher Fahnenmasten, jede mit komplizierten Mustern, die verschiedene Zweige der Alchemie darstellten. Selbst aus der Entfernung konnte Mikhailis das Summen vieler Augen spüren, die auf sie gerichtet waren. Dieses Summen war eine Mischung aus Stolz und Erleichterung, als würde das ganze Schloss aufatmen, weil es wusste, dass friedliche Bündnisse ihr Land jetzt sicherer denn je verbanden.
Elowen hielt sich ruhig und gelassen, als sie den Hof der Alchemistischen Flamme betraten. Feine Linien aus eingravierten Symbolen leuchteten schwach auf dem Steinboden – ein Beweis für Serewyns Vorliebe, Zaubersprüche in die Architektur einzuflechten. König Haradon, immer noch eine majestätische Gestalt, wirkte entspannter, als Mikhailis ihn je gesehen hatte. Ein fast unmerkbares Nicken diente ihm als stiller Gruß.
An Haradons Seite strahlte Königin Melisara eine sanfte Wärme aus, ihre sonst so zurückhaltenden Gesichtszüge waren weicher geworden. Ihr Blick traf den von Elowen, und ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen deutete auf eine Zuneigung hin, die über reine Höflichkeit hinausging.
Am Fuße der breiten Treppe, die von den Burgtoren hinunterführte, warteten Estella und Rhea.
Estella trug ein formelles Gewand, das mit neu gestickten Wappen verziert war – eine Hommage an ihre Rolle als Leiterin des neu gegründeten Silbernen Schleier-Ateliers. Trotz ihrer selbstbewussten Haltung bemerkte Mikhailis, wie ihre Finger nervös an den Ärmeln herumspielten, ein Zeichen ihrer Nervosität. Rhea hingegen hatte ihre gewohnt ruhige, gelassene Haltung – ihr Kinn war leicht angehoben, ihr Blick wachsam.
Mikhailis breitete seine Arme einladend aus. „Komm her, Regisseurin“, rief er mit warmer, ermutigender Stimme. Estella atmete zittrig aus und ging halb rennend auf ihn zu. Sie war nie jemand, der sich gerne öffentlich zeigte, daher fiel ihre Umarmung etwas unbeholfen aus. Trotzdem erwiderte Mikhailis sie mit echter Herzlichkeit und wuschelte ihr wie ein Bruder durch die Haare.
„Du schaffst das“, flüsterte er, sodass nur sie ihn hören konnte. „Direktorin steht dir besser, als du denkst.“
Sie errötete, ihre Wangen färbten sich rosa, und ein leises Lachen entrang sich ihr. Er konnte sehen, wie ein Funken Selbstvertrauen in ihren Augen aufblitzte. Schon jetzt schien sie sich ihrer weiteren Wege sicherer zu sein.
Elowen trat einen Schritt näher und holte eine kleine Schriftrolle hervor, die mit dem unverwechselbaren Wappen von Silvarion Thalor versiegelt war. Mit ihrer gewohnt energischen Stimme wandte sie sich an Rhea. „Erstatte direkt mir Bericht, nicht dem Rat. Die werden die Angelegenheit nur verkomplizieren, wenn sie zu viele Details erfahren. Vertrau mir.“
Rhea nahm die Schriftrolle entgegen und hob anerkennend das Kinn. „Verstanden“, antwortete sie mit fester Stimme. Zwischen den beiden herrschte gegenseitiger Respekt, der seit ihrer Zusammenarbeit bei der Rettung von Serewyn aus dem giftigen Nebel noch tiefer geworden war.
Nun standen Estella und Rhea offiziell unter der Obhut von Elowen und Silvarion Thalor.
Der anschließende Abschied von Haradon und Melisara verlief in feierlicher Stille.
Diesmal gab es keine Hörner oder lauten Verkündigungen – nur leise Schritte und gesenkte Blicke der Umstehenden. Elowen trat als Erste vor, ihr Umhang fiel sanft um ihre Knöchel. Melisara streckte die Hand aus und legte sie sanft auf die von Elowen. Einen Moment lang sprachen beide nicht. Die Augen der Königin glänzten vor Emotionen, die teils Erleichterung, teils bittersüße Erinnerungen waren.
„Dein Vater wäre stolz gewesen“, sagte Melisara mit kaum hörbarer Stimme.
Elowen neigte den Kopf, unfähig, Worte zu formen. Stattdessen verbeugte sie sich tief – eine Geste, die ihre Dankbarkeit und die Bedeutung dieses Erbes zum Ausdruck brachte. In der Nähe veränderte Haradon seine Haltung und wandte sich mit einem schwachen, aber aufrichtigen Lächeln an Mikhailis.
„Pass auf sie auf“, sagte der König schlicht.
Mikhailis nickte kurz und selbstbewusst. „Immer“, versprach er.
Außerhalb der Hofmauern warteten Reihen von Silvarion-Rittern. Jeder trug einen glänzenden silbernen Umhang, der an der Schulter festgesteckt war, und seine Rüstung war so poliert, dass sie das Morgenlicht reflektierte. Dutzende von Pferden standen in perfekter Formation – Pferde mit geflochtenen Mähnen und Zaumzeug, das mit filigranen Mustern verziert war, die von subtilen Verzauberungen widerhallten.
Die durch den Nebel gefilterte Sonne tauchte alles in ein traumhaftes Licht, als wolle das Reich selbst sie für die hier geschlossenen Bündnisse loben. Jubelrufe erhoben sich am Rande der Stadt und verwoben sich zu einem Klangteppich. Von den Balkonen oben warfen die Menschen Blütenblätter, die träge im Wind schwebten, und irgendwo in den Gassen erklang leise Musik, als wolle sie ihnen zum Abschied ein Ständchen bringen.
Mikhailis ging hin, um den Sattel seines seltsamen Reittiers zu richten, das ziemlich viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Das Tier war eine unwahrscheinliche Mischung aus einer Gleit-Echse und einem Dschungelhirsch, mit langen Gliedmaßen und einer geriffelten Panzerung entlang des Rückens. An den Seiten lagen gefaltete Flügel, die wie transparente Vorhänge aussahen, die der Einfachheit halber zurückgesteckt worden waren. Seine großen, neugierigen Augen blinzelten ihn an, als würden sie fragen, warum dieser Mensch wieder einmal an seinem Geschirr herumfummelte.
„Alles klar, Bob“, murmelte er und zog einen Riemen zurecht. „Diesmal bitte keine Wutanfälle.“
Als Mikhailis hinüberblickte, sah er Elowen auf einer neu geschenkten Stute namens Aralis sitzen. Das Pferd hatte ein glänzendes, hellcremefarbenes Fell und eine Mähne, die in seidigen Strähnen herabfiel.
Jeder seiner Schritte war gemessen und würdevoll, als wüsste es genau, wen es trug. Aralis wedelte sanft mit dem Schwanz, und das leise Klirren ihres Zaumzeugs vermischte sich mit dem Gemurmel der Leute um sie herum.
Von ihrem Sattel aus betrachtete Elowen Mikhailis und sein seltsames Tier mit leichter Skepsis. „Ich finde immer noch, dass du einen fragwürdigen Sinn für Namen hast“, sagte sie.