War das die richtige Entscheidung? Hätte ich es besser machen können?
Er sprach die Fragen leise, fast unbewusst.
Rodion antwortete sofort, mit klinischer Präzision und vielleicht einem Hauch von Bitterkeit in seiner mechanischen Stimme.
<Analyse. Modellierung des Ergebnisverlaufs: Durch Ihr Eingreifen wurde ein regionaler Zusammenbruch der Stufe III verhindert. Verhinderte humanitäre Verluste: 83 %. Rettungsrate der Infrastruktur: 57 %.
Emotionale Belastung: für Optimierungskennzahlen irrelevant.>
Die Antwort war so logisch und emotionslos wie immer, aber sie half kaum, den Schmerz zu lindern, der in seiner Brust nagte. Mikhailis atmete langsam aus und schüttelte leise den Kopf.
„Aber es ist wichtig“, murmelte er mit emotionsgeladener Stimme, „auch wenn die Zahlen etwas anderes sagen.“
Er schloss kurz die Augen und verdrängte den kalten Stich der Selbstvorwürfe, weil er wusste, dass er sich damit nicht aufhalten durfte. So sehr Rodion auch Gleichungen und Daten bevorzugte, menschliche Seelen ließen sich selten so einfach in eine Waagschale legen.
Dann spürte er es plötzlich – einen subtilen, aber unverkennbaren Druck im Hinterkopf, wie eine Brise, die in der Stille die Blätter rascheln lässt, oder Schritte, die leise durch den Nebel näher kommen. Das Gefühl war ihm vertraut, und ein leichtes Grinsen huschte über seine Lippen.
„Ich habe gewartet“, sagte er laut, ohne sich umzudrehen, seine Stimme leise, aber klar und von ruhiger Vorfreude gefärbt.
Das Geräusch von Stiefeln hallte leise hinter ihm in der steinernen Treppe wider, langsam und schwer, als würde jeder Schritt eine unerträgliche Last tragen. Einen Moment später trat Prinz Laethor ins Morgenlicht, flankiert von zwei engen Vertrauten, deren Blicke ängstlich zwischen ihrem Prinzen und Mikhailis hin und her huschten, vorsichtig und wachsam.
Laethor sah müde aus, älter als sein Alter. Die makellos weiße Tunika, die er trug, hatte etwas von ihrer Eleganz verloren und war von schlaflosen Nächten und angespannten Ratssitzungen zerknittert. Heute war er nicht nur ein Prinz oder Herrscher, sondern einfach ein Mann, der die unerträgliche Last einer zerbrochenen Stadt trug, deren Hoffnungen und Verzweiflung sichtbar auf seinen Schultern lasteten.
„Du hast uns geholfen, unser Land zurückzugewinnen“, begann Laethor mit sorgfältig beherrschter Stimme, in der jedoch unverkennbar Müdigkeit und Aufrichtigkeit mitschwangen. „Jetzt erfüllen wir unseren Teil.“
Rodions visuelle Schnittstelle sprang an und überlagerte Mikhailis‘ Linsen mit lebhaften Informationsströmen – Text, Diagramme und Schemata, die sich mit makelloser Präzision entfalteten. Jedes Detail blitzte schnell auf, brillant und doch übersichtlich angeordnet, während die KI schnell und methodisch die wahre Bedeutung von Laethors Angebot skizzierte.
Heiltränke: Auf Nebelbasis, können innere Blutungen innerhalb von 23 Sekunden stoppen. Kampfseren: Erhöhen die magische Reaktionsgeschwindigkeit um 37 %, Wirkung dauert 12 Minuten. Stimulanzien: Lösen einen Adrenalinstoß und eine Steigerung der Sinneswahrnehmung aus, wirksam in intensiven Kampfsituationen. Wahrheitselixiere: Fast schon nekromantisch in ihrer Wirkung, können normale mentale Schutzschilde umgehen; Vorsicht geboten. Weitere bemerkenswerte Produkte:
Regenerative Paste (Restaurierung von Gliedmaßen und schweren Verletzungen innerhalb von 48 Stunden), Atem des Glases (vorübergehende Bildung von Kiemen zum Atmen unter Wasser, Wirkungsdauer 1 Stunde pro Dosis), Nachtschatten-Duft (verbessert die Tarnung durch Maskierung der Aura und Präsenz für 3 Stunden), Lichtbogen-Ampullen (kurzfristige Manaverbrennung, erhöht die Zauberkraft erheblich, birgt jedoch die Gefahr von Selbstverletzung).
Rodion machte eine kurze, fast theatralische Pause, bevor er zum Schluss kam:
„Status: Streng kontrollierte Handelsgüter. Strategischer Wert: Außergewöhnlich. Sofortige Annahme empfohlen.“
Mikhailis gelang es, sein Gesicht neutral zu halten, obwohl es innerlich brodelte. Das waren nicht einfach nur Tränke – sie waren strategisches Kapital, Macht und Schutz, den Silvarion Thalor allein kaum erreichen konnte.
Laethor streckte seine Hand aus und reichte ihm ein versiegeltes Dokument, das mit dem königlichen Siegel von Serewyn verziert war. Das Wachs war noch frisch und das Pergament unter seinen Fingern noch warm. „Wir werden unsere westlichen Handelsrouten öffnen. Und eine Forschungsgenehmigung erteilen – nur für dich.“
Mikhailis nahm es lässig entgegen, als hätte er das Angebot erwartet, und warf kaum einen Blick darauf, obwohl er die Bedeutung des Dokuments spürte. Er konnte ein verschmitztes Grinsen nicht unterdrücken, das sich sanft auf seinem Gesicht abzeichnete.
„Ich dachte schon, du hättest es vergessen“, neckte er ihn leicht und beobachtete Laethor aufmerksam, um eine Reaktion zu sehen.
Der Ausdruck des Prinzen blieb unverändert, aber seine müden Augen strahlten Aufrichtigkeit aus.
„Ich breche meine Versprechen nicht.“
Sie gingen gemeinsam zu einem Steintisch, der seit Jahrzehnten dort stand, verwittert und robust, ein stummer Zeuge unzähliger diplomatischer Verhandlungen. Sie setzten sich einander gegenüber, mit ruhiger Förmlichkeit, doch keiner von beiden hatte das Bedürfnis, sich in Pose zu werfen. Für einen Moment herrschte angenehme Stille zwischen ihnen, die nur vom Rascheln des Pergaments und dem leisen Kratzen der Federn unterbrochen wurde, die vorbereitet wurden.
Während sie die Vereinbarung durchgingen, wanderte Laethors Blick immer wieder zu Mikhailis, nachdenklich und neugierig. Schließlich brach er das Schweigen mit leiser, aber offener Stimme.
„Du bist heute … passiv. Keine Forderungen. Keine Druckmittel. Nur Wiedergutmachung.“
Mikhailis zuckte leicht mit den Schultern und hob den Blick, um dem fragenden Blick des Prinzen direkt zu begegnen. „Manchmal braucht man kein Schwert, um eine zerbrochene Vase zu reparieren.“
Laethor schüttelte langsam den Kopf, eine seltsame Mischung aus Belustigung und Verwirrung in seinem Gesicht. „Du bist seltsam.“
„Das habe ich schon öfter gehört“, antwortete Mikhailis mit einem leichten Lächeln, während er seine Feder in die Tinte tauchte. Er hielt inne und ließ den Moment der stillen Reflexion wirken. „Verhandlungsmacht ist etwas für Verhandlungen, nicht für den Wiederaufbau von Vertrauen. Heute geht es um die Wiederherstellung – das Leben und die Zukunft deines Volkes.
Wenn das Vertrauen zurückkehrt, wird auch die Stärke zurückkehren.“
Laethor beobachtete ihn aufmerksam, wägte offensichtlich seine Worte ab, dann nickte er mit stiller Achtung. Jetzt lag Aufrichtigkeit in seinen Augen, die zurückhaltende Misstrauen verschwand und machte vorsichtiger Bewunderung Platz. Zum ersten Mal seit ihrer Begegnung spürte Mikhailis, dass sich zwischen ihnen eine echte Brücke des Verständnisses bildete.
Mikhailis schaute noch mal runter in den Hof und sah ein kleines Kind, das ein leuchtendes Stück verzaubertes Brot bekam. Es guckte ganz erstaunt und vergaß für einen Moment all die Not. Ein Gefühl von stiller Zufriedenheit erfüllte ihn, weil er wusste, dass das, was sie heute taten, echt wichtig war.
Mit einer letzten, entschlossenen Bewegung drückten beide Männer ihre Siegel auf das Pergament. Das Wachs kühlte schnell in der Morgensonne ab und war ein Zeichen für neues Verständnis und vorsichtige Hoffnung, die inmitten der Ruinen entstanden waren.
Sie unterschrieben schweigend.
Dann bemerkte Laethor seinen Blick.
Mikhailis stand an der Steinbrüstung und starrte auf die Szene unter ihm. Die Stadt Serewyn breitete sich aus, ein Teppich aus Leid, Widerstandskraft und verblassender Pracht. Kleine Rauchsäulen stiegen spiralförmig von verschiedenen Punkten der Stadt auf und schlängelten sich träge nach oben, als wollten sie den zerstörten Straßen entfliehen.
Ein umgestürzter Karren lag verlassen am Rande eines Marktplatzes, seine Holzräder waren zerbrochen und zersplittert, die Waren verstreut und zertrampelt. Weiter entfernt schwelten die Überreste einer Scheune, verkohlte Balken ragten wie gebrochene Knochen aus der Erde.
„Es ist nicht deine Schuld“, sagte Laethor leise und brach damit sanft das Schweigen. Seine Stimme war gedämpft und klang schwer, was deutlich machte, dass er die Last der Verantwortung tief in sich spürte. „Es war meine Schuld. Meine Unachtsamkeit.“
Mikhailis antwortete nicht sofort. Er blieb regungslos stehen und ließ seinen Blick über die zerstörte Stadt schweifen, als versuche er, in den Ruinen eine versteckte Botschaft zu lesen.
Die Worte des Prinzen umspülten ihn und legten sich wie Staub, der von einer sanften Brise aufgewirbelt wurde, auf ihn nieder. In Laethors Stimme lag keine Schuld oder Vorwurf – nur ehrliche Selbstvorwürfe, das Eingeständnis eines Mannes, der sich den harten Konsequenzen seiner Entscheidungen stellen musste.
Schließlich seufzte Mikhailis, ein Atemzug, der so leise war, dass er in den Geräuschen der entfernten Unruhen und leisen Schluchzern, die von den Straßen unter ihnen heraufdrangen, fast unterging.
„Dein Bruder“, murmelte er schließlich, den Blick immer noch auf den unruhigen Horizont gerichtet. „Standet ihr euch nahe?“
Laethors Haltung versteifte sich augenblicklich, sein Rücken wurde steif, als hätte Mikhailis unabsichtlich auf eine Wunde gedrückt, die unter den Schichten seiner sorgfältig konstruierten Gelassenheit noch frisch und schmerzhaft war.
Ein leichtes Zucken durchlief seine Kiefermuskeln, seine Augen verdunkelten sich, und die Wärme wich wie Sonnenlicht, das hinter aufziehenden Wolken verschwindet. Die Veränderung in der Atmosphäre war spürbar, unmittelbar – ein unsichtbarer Schleier, der plötzlich über den vertrauten Raum zwischen ihnen gezogen wurde. Die beiden Adjutanten des Prinzen nahmen dies deutlich wahr, traten leise zurück, senkten leicht den Kopf, um diskret anzuerkennen, dass eine Grenze überschritten worden war, und ließen nur das leise Echo ihrer Schritte auf dem Stein zurück, das in respektvoller Stille verhallte.
Laethor atmete langsam aus, eine bewusste Handlung, um seine rasenden Gedanken zu beruhigen, obwohl sein Atem leicht zitterte, als würde er versuchen, sich aus seiner Fessel zu befreien. Die ruhige Fassade, die er so sorgfältig aufrechterhalten hatte, barst subtil und gab den Blick frei auf die Unruhe, die sich direkt unter der Oberfläche zusammenbraute – ein Sturm, der in einer edlen Glasflasche gefangen war und verzweifelt gegen seine Fesseln ankämpfte.
Mikhailis bemerkte diese winzigen, fast unmerklichen Risse und verspürte sofort ein Gefühl der Schuld, gemischt mit Neugier. Es war nicht Grausamkeit, die ihn zu seiner Frage trieb, sondern vielmehr das instinktive Verlangen nach Verständnis, nach einer gemeinsamen Menschlichkeit in einer Welt, in der Macht so oft Zärtlichkeit verdrängte und nur scharfe Kanten und kalte, harte Pflichten zurückließ.
Die Stille zwischen den beiden Männern dehnte sich aus und wurde immer bedrückender.
Es war nicht nur Stille, es war eine Leere, eine Kluft, gefüllt mit all den unausgesprochenen Worten des Bedauerns, der Sehnsucht und des Verlusts. Unter ihnen setzte die ferne Stadt ihren langsamen, schmerzhaften Kampf um Normalität fort, ohne etwas von dem stillen Austausch zu ahnen, der sich auf dieser abgenutzten Terrasse abspielte. Die Schreie der erschöpften Bürger drangen leise an ihre Ohren, begleitet vom gelegentlichen Knarren eines beschädigten Wagens oder den gedämpften Stimmen von Familien, die inmitten der Trümmer nach Trost suchten.
Diese Geräusche schwebten wie Geisterflüstern nach oben – eine sanfte, traurige Kulisse für ihre unruhigen Gedanken.
Laethor sprach endlich, die Worte kamen wie ein widerwilliges Geständnis aus ihm heraus, jede Silbe sorgfältig und schmerzhaft ausgesprochen. „Ja“, gab er zu, seine Stimme angespannt von den lange unterdrückten Emotionen. „Das waren wir. Das sind wir.“