Der Mond hing tief am Himmel und sein blasses Licht spiegelte sich an den polierten Obsidianwänden des Schlosses von Velrunian. Das Schloss war ein imposanter Monolith, dessen Türme wie anklagende Finger in den Himmel ragten. Große Banner mit dem Wappen des Königs – ein goldener Löwe, der eine Schlange verschlingt – hingen über den Türmen. Die Luft war kalt und roch leicht nach Tau und Stahl.
Agent X stand bereit auf einer nahe gelegenen Eiche, seine Silhouette verschmolz mit den Schatten. Sein schlanker Körper war in schwarzes Leder gehüllt, das eng anlag, aber flexibel war und sowohl Bewegungsfreiheit als auch Tarnung bot. Seine Fersen, die aus auffälligen purpurroten Stiefeln mit Stilettoabsätzen ragten, glänzten schwach. Für einen Außenstehenden mögen sie unpraktisch erscheinen, aber für ihn waren sie Präzisionswerkzeuge. Jeder Schritt war ausgewogen und kalkuliert, jede Bewegung absichtlich.
Er zog seine Handschuhe zurecht, die aus glattem schwarzem Satin waren und sich eng an seine Hände schmiegten. Sein Gesicht war ruhig, porzellanartig im schwachen Licht, und ein leichtes Grinsen umspielte seine Lippen. Er flüsterte leise vor sich hin, seine Stimme war sanft, aber voller Gift.
„Heute Nacht fällt der Löwe.“
—
Durch die Linse eines kompakten Monokulars beobachtete Agent X die Umgebung. Das Haupttor der Burg war eine Festung für sich, bewacht von vier Soldaten in Plattenrüstungen, die Hellebarden schwangen. Zwei Patrouillen umkreisten in regelmäßigen Abständen die innere Mauer. Auf der Ostseite ragte ein einzelner Wachturm empor, dessen Wachen mit Armbrüsten bewaffnet waren und das Gelände absuchten.
„Vorhersehbar“, murmelte er und steckte das Monokular wieder in seinen Gürtel.
Die Außenmauer war mit Efeu bewachsen. Bei seiner früheren Erkundung hatte er bemerkt, dass dieser Efeu direkt zum Balkon im dritten Stock führte – den Unterkünften der Bediensteten, wie er anhand des leisen Summens eines Schlafliedes schließen konnte, das zuvor herübergeweht war. Die Gemächer des Königs lagen jedoch tiefer im Inneren, im vierten Stock im Herzen der Burg.
—
Betreten des Geländes
Agent X rutschte an der Eiche hinunter und landete mit katzenhafter Anmut. Seine Absätze klackerten leise auf dem Boden, aber er dämpfte das Geräusch mit einer dünnen Stoffschicht, die seine Sohlen bedeckte. Er huschte durch die Schatten und schlängelte sich durch tote Winkel, die er sich zuvor eingeprägt hatte.
Zwei Wachen standen plaudernd am Dienstboteneingang, ihre Fackeln warfen flackerndes Licht auf ihre Gesichter.
„Ich sag dir, der König ist paranoid geworden. Ein Dutzend Wachen nur für das Festmahl morgen? Wer soll uns in Velrunia angreifen?“, spottete einer.
„Ist egal. Wenn wir nachlässig sind und jemand reinkommt, rollen unsere Köpfe“, antwortete der andere.
Agent X duckte sich hinter einem Fass.
Aus seinem Ärmel zog er einen schlanken Dolch, dessen Klinge nicht länger als ein Stift war. Mit einer schnellen Bewegung seines Handgelenks flog er durch die Luft und bohrte sich in den Hals des ersten Wachen. Der Mann sackte lautlos zusammen, seine Fackel fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden. Bevor der zweite Wachmann reagieren konnte, war Agent X schon bei ihm, seine Bewegungen flüssig und präzise. Die Klinge schnitt in einem sauberen Bogen über die Kehle des Mannes.
„Still“, flüsterte er, als der Wachmann gurgelnd zusammenbrach.
—
Der Efeu fühlte sich feucht und kalt an seinen behandschuhten Händen, als er hinaufkletterte und seine Fersen in kleinen Tritten festkrallte. Er bewegte sich schnell, seine Muskeln angespannt von jahrelangem Training. Aus einem nahe gelegenen Fenster drang leises Gelächter und das Klirren von Gläsern. Er spähte hinein und sah einen kleinen Speisesaal, in dem dienstfreie Wachleute Karten spielten.
„Perfekt“, murmelte er und holte eine kleine Tasche aus seinem Gürtel. Darin befanden sich mehrere Fläschchen mit Schlafpulver. Vorsichtig warf er ein Fläschchen durch einen Spalt im Fenster in den Raum. Innerhalb weniger Augenblicke verwandelte sich das Lachen in Gähnen, dann herrschte Stille, als die Wachen über den Tisch sackten.
—
Die Unterkünfte der Bediensteten waren schwach beleuchtet, das schwache Licht einer Öllampe warf lange Schatten.
Der Geruch von altbackenem Brot und Lavendelseife hing in der Luft. Agent X bewegte sich lautlos, seine Absätze machten kein Geräusch auf dem Steinboden. Er kam an Reihen von Etagenbetten vorbei, in denen schnarchende Gestalten lagen.
Die Treppe zum vierten Stock wurde, wie erwartet, bewacht. Zwei Wachen standen mit gekreuzten Speeren am Fuß der Treppe. Agent X zog eine kleine Glaskugel aus seinem Gürtel – eine Rauchbombe, die mit einem milden Halluzinogen versetzt war. Er rollte sie in Richtung der Wachen.
„Was zum …“, begann einer, bevor die Kugel in einer silbernen Nebelwolke explodierte. Die Wachen taumelten, husteten und rieben sich die Augen. Agent X nutzte den Moment, stürmte vor und zog seine Dolche. Ein schneller Stich in die Rippen setzte einen Wachmann außer Gefecht, während ein Schnitt in das Bein und den Hals den anderen zu Boden streckte.
—
Der vierte Stock war ein Labyrinth aus Opulenz. Dicke rote Teppiche dämpften seine Schritte, als er durch die Hallen ging, deren Wände mit vergoldeten Rahmen und verzierten Wandleuchtern geschmückt waren. Er blieb vor einem großen Buntglasfenster stehen, das die Krönung des Königs darstellte. Sein Spiegelbild starrte ihn an, ein Schatten inmitten des prunkvollen Glanzes.
Stimmen hallten durch den Korridor.
„Ich überprüfe den Westflügel, du bleibst hier“, sagte einer der Wachen.
Agent X duckte sich in eine Nische und drückte sich flach gegen die Wand, als der Wachmann vorbeiging. Die Schritte des Mannes verstummten, und Agent X atmete leise aus, während seine Finger beruhigend über den Griff seines Dolches strichen.
Vor ihm lag die Kammer des Königs, deren schwere Doppeltüren mit aufwendigen Schnitzereien von Löwen und Schlangen verziert waren. Agent X lächelte leicht, wie ein Raubtier, das sich auf die Jagd freut.
Mit einem letzten Blick hinter sich presste er sein Ohr an die Tür und lauschte auf Geräusche im Inneren.
Es war Zeit.
Agent X öffnete leise die Tür zum Zimmer des Königs, so leise wie ein Schatten. Der Raum war riesig und super luxuriös, mit einem riesigen Himmelbett aus rotem Samt. Ein leichter Duft von Sandelholz lag in der Luft, gemischt mit dem Wachsgeruch einer halb abgebrannten Kerze. Der König saß an einem großen Eichenschreibtisch am anderen Ende des Raumes, mit dem breiten Rücken zum Attentäter.
Seine goldene Krone lag auf dem Tisch neben einem Weinkelch.
X verzog die Lippen zu einem zufriedenen Grinsen, als er vorwärts schlich, jeder Schritt gemessen und bedächtig, seine purpurroten Absätze gedämpft auf dem weichen Teppich. In der Stille des Raumes konnte er fast das Rasen des Herzschlags des Königs hören.
„Schachmatt“, flüsterte er und hob seinen Dolch, um zuzuschlagen.
Doch bevor er die Klinge in sein Ziel stoßen konnte, versteifte sich der König. Sein Kopf schnellte hoch, als hätte er Gefahr gespürt, und sein Körper drehte sich, um aus dem Stuhl zu springen.
Der scharfe Knall eines Schusses durchbrach die Stille. Eine Kugel durchschlug mit einem heftigen Knall das Fenster, ihre Flugbahn war perfekt. Sie traf den König an der Schläfe und schleuderte ihn leblos zu Boden, wo sich schnell eine Blutlache bildete.
Agent X erstarrte, sein Dolch noch in der Luft, sein Verstand raste, um zu begreifen, was gerade passiert war. Sein Opfer – sein sorgfältig geplanter Mord – war ihm in einem Augenblick genommen worden. Er drehte sich zu dem zerbrochenen Fenster und suchte mit scharfem Blick die Dunkelheit dahinter ab.
Dort, auf einem entfernten Hügel, sah er die schemenhafte Silhouette einer Gestalt, die sich zurückzog, ihr Scharfschützengewehr glänzte im Mondlicht, bevor sie in den Schatten verschwand.
Wut flammte heiß und hell in X‘ Brust auf. Sein Grinsen verschwand und machte einem kalten, wütenden finsteren Blick Platz.
„Inakzeptabel“, zischte er.
Bevor er handeln konnte, brach im Schloss Chaos aus. Alarmsignale ertönten, schrill und ohrenbetäubend, und hallten durch die Hallen. Schwere Schritte donnerten, als Wachen in die Kammer stürmten.
Agent X bewegte sich schnell, sein Verstand war ein Sturm aus Wut und Berechnungen.
Er schoss zur Tür und spähte in den Flur. Zwei Wachen rannten mit gezogenen Waffen vorbei. Sobald sie außer Sichtweite waren, schlüpfte er in den Korridor und duckte sich tief zu Boden.
Er navigierte mit der Präzision eines Raubtiers durch die labyrinthartigen Gänge, wich Patrouillen aus und verschwand in den Schatten. Aber je näher er der Außenmauer kam, desto dichter wurde die Wachenpräsenz.
—
Draußen sprintete Agent X über den offenen Hof, den Blick auf den entfernten Hügel gerichtet. Der Alarm wurde lauter, und von den Mauern oben schrien Wachen und schossen mit Armbrüsten.
Ein Bolzen streifte seinen Arm und hinterließ eine dünne Blutspur, aber er ignorierte den Schmerz und rannte weiter, bis er den Fuß des Hügels erreichte.
Dort standen mehrere Wachen und versperrten ihm den Weg. Das waren keine Anfänger – sie bewegten sich in koordinierter Formation, ihre Schwerter glänzten im Mondlicht.
„Geben Sie auf, oder Sie werden es bereuen“, bellte einer von ihnen.
Agent X grinste und wirbelte seine Dolche herum. „Bereuen? Liebling, ich habe das erfunden.“
Der Kampf war brutal und schnell. X tanzte zwischen den Wachen hin und her, seine Bewegungen waren trotz des unebenen Geländes elegant und präzise. Seine Dolche blitzten im Mondlicht, durchschnitten Rüstungen und fanden weiches Fleisch darunter. Ein Wachmann stürzte sich auf ihn, aber X wich zur Seite aus, rammte ihm seinen Stilettoabsatz in die Brust und erledigte ihn mit einem Stich in den Hals.
Ein weiterer Wachmann schlug nach ihm, aber X duckte sich tief, schlug dem Mann in die Achillessehne und sah zu, wie er mit einem Schrei zusammenbrach. Blut färbte das Gras rot, als der letzte Wachmann zu Boden fiel, seine Schreie von einem Dolchstoß ins Herz erstickt.
Agent X atmete schwer, war aber unerschütterlich. Er wischte seine Klingen sauber und blickte den Hügel hinauf.
Der Scharfschütze hatte deutlich an Boden gewonnen, aber X war unerbittlich. Mit eiserner Entschlossenheit kletterte er den Hügel hinauf, seine Fersen gruben sich in die weiche Erde. Die entfernte Gestalt war jetzt nur noch ein Schatten am Horizont, aber X spürte, wie seine Wut ihn antrieb, sein Körper wurde von dem Verlangen nach Rache angetrieben.
Wer auch immer sie waren, sie hatten einen schweren Fehler begangen. Es ging nicht mehr nur um den Mord. Das war jetzt persönlich.
Und gerade als er einen weiteren Schritt machen wollte, erhielt er einen Alarm vom Hauptquartier der Attentäter.
Alarm: Platz eins der Attentäterrangliste jetzt eingenommen.
Auftrag: König Radnock Der vierte.
Attentäter: Lenny Tales…
Agent X sank zu Boden, als ihm klar wurde, dass ihm der Rang, für den er so hart gearbeitet hatte, gestohlen worden war.
(Anmerkung des Autors: Kurzer Rückblick auf die alte Welt)