„Ist das dein Zimmer?“, fragte Everbee. Cuban nickte: „Ja, ist es. Es ist nicht das beste, aber ich komme zurecht.“
„Nicht das beste!?“, dachte Everbee bei sich. „Auf keinen Fall! Dieser Ort war sogar noch schlimmer als die Zimmer, die für die Niedrigen und Reinigungskräfte reserviert waren.“
Und dabei sollte Cuban doch ein Sohn von Asmodeus sein. Everbee musste daran denken, wie schlecht er behandelt wurde. Cuban arbeitete an dem fetten Wurm in der Ecke, aber er legte seine Arbeit beiseite und reichte Everbee eine Schale mit Nektarblutkristallen. „Du hast heute zu viel Kraft aufgewendet. Nimm etwas davon! Das ist gut für den Körper.“
Cuban reichte sie ihr. Aber anders als sonst schob sie die Schale nicht beiseite. Stattdessen nahm sie sie in die Hand. Schließlich wusste sie jetzt, wie er den Inhalt erbeutet hatte. Außerdem brauchte sie ihre Kraft. Der Nektarblutkristall war langsam zu einer flüssigen Masse zerschlagen worden, und etwas zögernd nahm sie den ersten Löffel davon. Der Geschmack war unglaublicher, als sie erwartet hatte.
Sofort schüttete sie den Inhalt in ihren Mund. Wie der Name schon sagte, war es Nektar. Während sie ihr Essen genoss, beobachtete sie Cuban bei seiner Arbeit. Vor ihren Augen sah sie, wie er die Gene mehrerer Kreaturen extrahierte, ihre DNA miteinander verband und sie dann der Chimärename fütterte. Sie erinnerte sich daran, dass Kudus gesagt hatte, Cuban habe Talente, aber nicht im Kampf. Jetzt sah sie diese Talente in Aktion.
Schließlich war diese Familie eine Familie, die Blutmagie einsetzte. Aber soweit sie sehen konnte, tat Cuban mehr als das: Er übertrug bekannte Eigenschaften eines Organismus aktiv auf einen anderen, ohne das ursprüngliche Genom zu zerstören. Stattdessen verschmolzen die Gene und wurden Teil der Chimärenameise. Als Cuban fertig war, befahl er dem fetten Wurm: „Nimm die Gestalt einer Steineidechse an!“ Sofort verwandelte er sich, als hätte er seine Worte verstanden.
Sein Körper wurde steinig und er entwickelte Gliedmaßen. Es war zwar nicht wirklich eine Steigechse, da er einige seiner Eigenschaften behalten hatte, wie zum Beispiel seinen wurmartigen Kopf, aber er hatte sich dennoch verwandelt. „Jetzt verwandle dich in einen Stacheladler!“, befahl Cuban erneut. Wieder verwandelte sich die Kreatur und ihr Körper war nun mit Metallstacheln übersät. Allerdings sollten es zwei Flügel sein, einer auf jeder Seite, aber es bildeten sich nur Flügel auf einer Seite.
Cuban bemerkte das und schrieb es mit einem scharfen Stein an die Wand. „Ich habe wohl die Gene zu stark vermischt. Verwandle dich zurück. Ich muss ein paar Reparaturen vornehmen.“ Die Chimäre gehorchte und verwandelte sich zurück.
Everbee konnte ihre Überraschung nicht länger zurückhalten und stand auf. Sie hatte noch nie etwas so Unglaubliches gesehen.
Schließlich war das Einzige, was in den Aufzeichnungen erwähnt wurde, das die funktionale Erscheinung einer Kreatur auf eine andere übertragen konnte, das Buch des Todes.
Und doch konnte Cuban so etwas in so jungen Jahren tun. Sie eilte zu ihm und packte ihn an der Schulter: „Du … du bist … Du bist ein Genie!“ Cuban war davon überrascht, schüttelte aber den Kopf: „Nein! Das bin ich nicht. Ich bin kein so geschickter Kämpfer wie du.
Und ich kann ganz sicher nicht wie die anderen die Arkane Säule erschaffen. Ich bin kein Genie.“ Er wandte seinen Blick von ihr ab und senkte beschämt den Kopf. „Aber … Aber ich habe dich gesehen. Du hast die Blutform. Das ist selbst unter uns Royals eine seltene Blutlinienfähigkeit. Mit ihr wirst du es sicher weit bringen.“
Cuban sah sie an und schüttelte den Kopf. „Das hat meine Mutter zuerst auch gedacht, aber es ist anders gekommen. Obwohl ich so gute Fähigkeiten habe, wurde ich unter einem niedrigen Dämon geboren. Mein Schicksal ist besiegelt, ich bin ganz unten in der Hierarchie. Es dauert zu lange, bis man die Machtstufen erklimmt, und es kann immer was passieren.
Wir wissen beide, dass nicht jeder Dämon es bis zum Rang eines tiefen Dämons oder noch höher schaffen kann. Außerdem wird es umso schwieriger, die Machtleiter zu erklimmen, je höher man steigt.“ Everbee hörte seine Worte und runzelte die Stirn. Sie wusste, dass er die Wahrheit sagte. Dennoch musste sie an das Feuer denken, das sie heute in ihm gesehen hatte. Er wirkte nicht wie jemand, der sein Leben aufgegeben oder sein Schicksal akzeptiert hatte.
Da er immer wieder versucht hatte, sie zu erreichen, konnte man mit Sicherheit sagen, dass er nicht der Typ war, der so schnell aufgab. Everbee hatte gedacht, dass ihr Leben schrecklich war, weil sie keine arkane Säule bilden konnte, aber jetzt hatte sie jemanden getroffen, der vielleicht ein noch schlimmeres Schicksal hatte als sie. Sie versank in Gedanken und suchte nach einem Weg, ihm aus seiner Traurigkeit zu helfen.
Zu ihrer Überraschung nahm er jedoch plötzlich ihre Hand und sagte: „Komm, ich muss dir etwas zeigen.“
Diese plötzliche Berührung überraschte sie, aber sie hielt ihn nicht auf und ließ ihn gewähren. Er nahm ihre Hand und führte sie weiter.
Cuban zog sie an eine Seite des Raumes und gab der Chimärenameise den Befehl: „Verwandle dich in eine Felsameise.“ Sofort verwandelte sie sich in eine Ameise mit einem kristallinen Körper.
Die Chimärenameise ging auf die schimmlige Kristallwand zu und sobald sie sie berührte, schmolz dieser Teil der Wand weg. Cuban zog Everbee mit sich. Gemeinsam gingen sie in die Kristallwand hinein, die sich hinter ihnen schloss. Die Chimärenameise ging voran und sie folgten ihr. Bald konnten sie Stimmen unter sich hören.
Everbee schaute nach unten und sah einige Soldaten, die lachten und jubelten. Sie geriet ein wenig in Panik, aber Cuban drehte sich zu ihr um und sagte: „Keine Sorge, sie können uns nicht sehen. Felsameisen haben die Fähigkeit, Vibrationen aus den Felsen um sie herum aufzunehmen und in Bilder umzuwandeln. Wir sind nicht einmal in ihrer Nähe, also mach dir keine Sorgen.“
Während er das sagte, zeigte er auf einen anderen Kristall neben sich. Dieser zeigte die Tyrannen von vorhin, wie sie die Wunden versorgten, die Everbee ihnen zugefügt hatte. Everbee war davon beeindruckt und wollte mehr sehen, also drehte sie sich weiter in diesem Labyrinth aus Kristallen. Wie es aussah, kamen die Vibrationen aus verschiedenen Richtungen, und je nach Seite änderten sich die Bilder. In diesem Moment fiel ihr ein bestimmtes Bild auf.
Schließlich waren es hochrangige Dämonen wie Kudus und einige andere, die einen bestimmten gefallenen Engel folterten. In dem Moment, als sie sein Gesicht sah, wusste sie, dass er es war. Es war das erste Mal, dass sie den gefallenen Uriel sah, denjenigen, der für den Tod ihrer Mutter verantwortlich war …
