Als Lenny und Victor sich dem Zentrum der Stadt näherten, bot sich ihnen ein unheimlicher Anblick.
In der Ferne ragte eine riesige dunkle Burg empor, deren Silhouette ein deutliches Zeichen für das Böse war, das sich an diesem Ort eingenistet hatte. Die Burg war anders als alles, was Lenny bisher gesehen hatte; nicht nur wegen ihrer Größe, sondern auch wegen der Aura der Angst, die sie ausstrahlte.
Je näher sie kamen, desto mehr schien die Burg zu pulsieren, als würde sie die Verzweiflung, die sie umgab, einatmen.
Die von Schatten verhüllten Mauern schienen von sich windenden Gestalten belebt zu sein. Aus der Ferne hatten sie wie architektonische Verzierungen gewirkt, aber jetzt war erschreckend klar, dass es sich nicht um Verzierungen handelte, sondern um Darstellungen von Qualen.
In den Stein gemeißelte Gesichter schienen lautlos zu schreien, ihre Mienen waren zu ewiger Qual verzerrt und flehten diejenigen, die es wagten, sich zu nähern, zur Flucht an.
Die Luft um die Burg war dick und voller Energie, die Lenny die Haare im Nacken zu Berge stehen ließ.
Lenny war ein sehr starker Mann, aber selbst er reagierte so auf diesen Ort.
Sie hatten tatsächlich das Zuhause der Baronin erreicht, das Herzstück ihres Reiches.
Ein eisiger Wind flüsterte durch die Luft und trug leise Echos von Schreien und Wehklagen mit sich, als würde die Burg selbst von den Schrecken erzählen, die sie erlebt und verursacht hatte.
Als sie ankamen, bemerkten Lenny und Victor, dass die Unterebene sie zurück zur Erde zog.
Aus irgendeinem Grund war das Fliegen in diesem Gebiet nicht erlaubt, und selbst wenn sie es könnten, wäre es nicht von langer Dauer gewesen.
Eine weitere Regel der Unterebene.
Sogar der Boden schien ihre Anwesenheit abzulehnen, der Weg zur Burg war ein gewundener Pfad der Verzweiflung, den nur wenige betreten hatten und von dem niemand zurückgekehrt war, um davon zu berichten.
Jeder Schritt fiel ihnen schwer, nicht nur wegen ihrer Entschlossenheit, sondern auch wegen der bedrückenden Kraft, die von der Burg ausging, als wäre sie sich ihrer Annäherung bewusst und genoss die Angst, die sie auslöste.
Dies war ein Ort, der von Licht und Hoffnung verlassen war, an dem die Dunkelheit herrschte und jeder Stein und jeder Schatten eine Geschichte des Leidens barg.
Während sie vorwärtsgingen, konnte Lenny das Gefühl nicht abschütteln, dass sie nicht nur einen physischen Bereich betraten, sondern in ein Reich eintraten, in dem Angst und Dunkelheit herrschten und sie unwillkommene Eindringlinge waren.
Der Anblick, der Lenny und Victor empfing, übertraf ihre dunkelsten Vorstellungen.
Als sie durch eine Art Schwelle zwischen zwei Welten traten, fanden sie sich vor einem Anblick wieder, der den Gesetzen der Natur und der Magie zu trotzen schien.
Die riesige Burg, die ohnehin schon ein Symbol des Schreckens war, bildete nun die Kulisse für etwas weitaus Unheimlicheres. Vor ihr standen zwei gigantische Kugeln, deren bloße Präsenz eine spürbare Kraft und Vorahnung ausstrahlte.
Die erste Kugel, umhüllt von Schatten und einer brodelnden roten Aura, schien von innerem Leben zu pulsieren.
In ihrer dunklen Tiefe schlug ein riesiges Herz, dessen jeder Schlag Wellen dunkler Energie durch die Luft schickte.
Der Anblick dieses Herzens, das an kein Lebewesen gebunden und doch lebendig war, war in seiner Unmöglichkeit beunruhigend.
Das Herz war von 666 Stäben durchbohrt, jeder so dick wie eine Säule und mit Runen beschriftet, die in einem unheimlichen roten Licht leuchteten und sich um die Stäbe schlängelten, als wären sie kleine Lebewesen, die ihr eigenes stilles Leben führten.
Diese Stäbe durchbohrten das Herz nicht nur, sie schienen es auch auszutrocknen, die Chaosmagie in ihm zu entziehen und in den Boden darunter zu verteilen.
Die Anordnung der Stäbe, ihre Anzahl und die dunkle Energie, die sie kanalisierten, deuteten auf ein Ritual oder einen Zweck hin, der jenseits aller Vorstellungskraft lag.
Im Zentrum dieses Herzens starrten drei umgekehrte Augen, die in einem Dreieck angeordnet waren, zurück auf sie, stille Zeugen der Dunkelheit, die in den Boden dieses Reiches eingespeist wurde.
Die Augen, die nicht blinzelten und alles zu sehen schienen, schienen direkt in ihre Seelen zu blicken und hinterließen ein Gefühl der Unruhe, das sie nur schwer abschütteln konnten.
Trotz all ihrer Erfahrungen und der Kämpfe, die sie schon erlebt hatten, konnten Lenny und Victor nicht anders, als bei diesem Anblick einen Schauer über den Rücken laufen zu spüren.
Es war klar, dass sie am Rande von etwas Uraltem und Bösem standen, einer Macht, die schon lange vor ihrer Ankunft in Gang gesetzt worden war.
Dies war keine bloße Dekoration oder Machtdemonstration, sondern eine Botschaft, ein Zeichen der dunklen Absichten der Baronin selbst.
Das Herz mit seinen rhythmischen Schlägen und den Stäben, die seine Magie kanalisierten, war nicht nur ein Artefakt der Macht, sondern ein Schlüssel oder ein Schloss zu etwas, das selbst sie noch nicht verstehen konnten.
Als sie dort standen und die Größe dessen, was vor ihnen lag, auf sich wirken ließen, lastete die Realität ihrer Mission schwer auf ihnen. Dies war mehr als ein Kampf um Territorium oder Rache, es war ein Kampf gegen Kräfte, die die Struktur ihrer Welt neu gestalten wollten.
Schließlich stand die nächste Sphäre in krassem Gegensatz zur ersten.
Die zweite Sphäre, die sich deutlich von der dunklen Boshaftigkeit der ersten unterschied, beherbergte ein Wesen von solch ätherischer Schönheit und Gelassenheit, dass es selbst in seinem offensichtlichen Zustand der Qual ein Licht der Reinheit und Anmut ausstrahlte.
Diese humanoide Gestalt mit ihren majestätischen, gefalteten und festgesteckten Flügeln schaffte es, trotz ihres offensichtlichen Leidens ein Gefühl göttlicher Ruhe zu vermitteln.
Die Augen des Engels, tiefblau und von einem inneren Licht durchstrahlt, schienen Galaxien in sich zu bergen, ihre Schönheit ging über das Physische hinaus.
Diese Augen, obwohl von Erschöpfung und unaussprechlichem Leid gezeichnet, bewahrten noch einen Hauch der himmlischen Macht, die dieses Wesen einst frei ausgeübt hatte.
Lenny verlor sich für einen Moment in ihrer Tiefe und verspürte eine unerklärliche Anziehungskraft, die von dem Frieden ausging, den sie versprachen.
Die Haut des Engels, die fein gemahlenem weißem Sand oder vielleicht dem zarten Staub der Sterne ähnelte, schimmerte subtil und umgab seine Gestalt mit einem sanften Glanz. Dies war ein Wesen, das nicht von dieser Erde stammte, sondern aus den Himmeln, niedergestreckt von grausamen und unerbittlichen Mächten.
Die sieben dicken weißen Stäbe, die den Engel durchbohrten und ihn an dieser Kugel festhielten, waren mit Runen beschriftet, die unheimlich rot leuchteten. Dunkelblaues Blut schien aus den Kontaktstellen zu sickern und bildete einen krassen Kontrast zum reinen Weiß der Engelsgestalt. Diese Stäbe, insbesondere derjenige, der durch seine Stirn und seinen Bauch getrieben war, zeugten von einem bewussten Versuch, die göttliche Essenz des Engels zu unterdrücken und einzuschränken.
Die zusätzlichen Stäbe, die durch die Flügel des Engels getrieben waren und sie am Boden festhielten, waren ebenso eine symbolische Geste wie eine physische Fesselung, die dem Engel seine Freiheit und seine Verbindung zum Göttlichen nahmen.
Die blutigen Runen auf diesen Stäben deuteten auf eine Entweihung von etwas Heiligem hin, auf eine Perversion der dem Engel innewohnenden Reinheit.
Lenny, der vor dieser Kugel stand, verspürte unbewusst eine Mischung aus Ehrfurcht und tiefer Traurigkeit. Dieser Engel, ein Wesen aus Licht und göttlicher Gnade, war unvorstellbaren Qualen ausgesetzt worden. Die Gegenüberstellung der beiden Kugeln, die eine mit einem Herzen der Finsternis, die andere mit einem Wesen des Lichts, beide gefesselt und gefangen, zeichnete ein Bild von Gleichgewicht und Konflikt von kosmischem Ausmaß.
Lenny war klar, dass diese Kugeln und ihre Gefangenen eine zentrale Rolle in den Plänen der Baronin spielten und die Dualität von Chaos und Ordnung, Dunkelheit und Licht verkörperten.
Sie waren offensichtlich die Quelle der Magie, die er unter der Erde gespürt hatte, als sie an diesem Ort angekommen waren.
Irgendwie hatte es die Familie Asmodeus geschafft, solche Extreme miteinander zu vermischen, um ihre Kräfte für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.
Der Engel stellte, selbst in seinem geschwächten Zustand, ein Teil des Puzzles dar, das Lenny verstehen, begreifen und verinnerlichen musste, um sich dem zu stellen, was vor ihm lag.
Als er den Engel ansah, empfand er jedoch nur Frieden und eine Abneigung gegen Gewalt.
Er verspürte sogar das Bedürfnis, ihn zu beschützen. Das waren unnatürliche Gefühle, die er nicht haben sollte.
Als Lenny und Victor diesen Anblick sahen, wurde ihnen die Schwere ihrer Aufgabe noch deutlicher bewusst.
Sie kämpften nicht nur um ihr Leben oder um Rache, sie waren in einen Kampf verwickelt, der die Struktur der Schöpfung selbst berührte. Der Engel mit seinen traurigen, aber schönen Augen schien still um Befreiung, um Gerechtigkeit zu flehen.
Überraschenderweise hatte man den Eindruck, dass sein Herz um noch mehr Strafe flehte.
In diesem Moment tätschelte Victor Lenny und lenkte seine Aufmerksamkeit auf einen dunklen Thron aus lebenden, verbogenen und umgeformten Menschen, der genau zwischen den beiden Sphären und der auf dem Boden liegenden Gestalt von Coco mit den tiefen Wunden am ganzen Körper stand.
Auf dem Thron saß die verhängnisvoll schöne Baronin.
Jede ihrer Bewegungen sprach Bände über ihre Zärtlichkeit und Sanftheit.
Sie sah fast zerbrechlich aus. Aber irgendwie verspürten beide Männer ein Verlangen nach ihr.
Es war, als würde ihr Blut in Wallung geraten, um sie zu besteigen und zu nehmen.
In dem Moment, als dieses Gefühl in ihm aufkam, formte Lenny eine Klinge und stach sie sich in den Bauch …
(Anmerkung des Autors: Endlich stehen wir ihr gegenüber. Also bitte goldene Tickets.)