In dem Moment, als die Maske herunterfiel, stockte Liora der Atem.
Die goldenen Augen, die ihn anstarrten, wild und doch unverkennbar vertraut, trafen ihn härter als jede Klinge. Sein Griff verstärkte sich, seine Muskeln spannten sich für den Bruchteil einer Sekunde an, während sein Verstand verzweifelt versuchte, das Gesehene zu verarbeiten. Das konnte nicht sein. Das war unmöglich.
Und doch –
Die Attentäterin bewegte sich.
Ohne zu zögern stürmte sie vorwärts und nutzte diesen kurzen Moment der Unentschlossenheit aus. Liora konnte sich gerade noch rechtzeitig zurückreißen, bevor ihre Klinge die Luft durchschnitten, in der noch einen Augenblick zuvor seine Kehle gewesen war. Er taumelte, seine Gedanken kämpften noch immer gegen das, was seine Augen ihm sagten.
Kael fluchte neben ihm, als er mit einem anderen Attentäter, der aus dem Nebel aufgetaucht war, mit seinen Waffen aufeinanderprallte.
Das Geräusch ihres Kampfes hallte von den bröckelnden Steinmauern wider, Metall klang scharf und heftig in der erstickenden Stille der Nacht. Liora zwang seinen Verstand, sich wieder auf den Kampf zu konzentrieren, aber seine Bewegungen waren schlampig, eine halbe Sekunde zu langsam. Seine Reaktionen, normalerweise präzise und instinktiv, waren getrübt durch das Gewicht, das auf seiner Brust lastete, durch die wachsende Erkenntnis, die sich in seinem Hinterkopf festsetzte.
Er wehrte einen weiteren Schlag ab, seine Klinge fing das schwache Licht ein, bevor er ihn zur Seite ablenkte. Er hätte kontern können – hätte kontern müssen –, aber stattdessen trat er zurück, sein Atem ging schneller. Seine Augen ließen sie nicht los.
Die Attentäterin blieb standhaft. Der Nebel umhüllte sie, bewegte sich mit jeder ihrer Bewegungen, dicht und unnatürlich. Die Spannung in der Luft war greifbar, als würde die Nacht selbst den Atem anhalten und darauf warten, dass etwas passierte.
„Du …“
Die Attentäterin ließ ihn nicht ausreden. Sie stürzte sich erneut auf ihn und schloss die Lücke zwischen ihnen in einem Herzschlag. Liora schaffte es gerade noch, sich zur Seite zu drehen, die Spitze ihrer Klinge strich nur knapp an seinen Rippen vorbei, so nah, dass er die verdrängte Luft auf seiner Haut spürte. Seine Muskeln spannten sich an, sein Instinkt übernahm die Kontrolle und er schlug reflexartig zurück.
Sie blockte den Schlag mühelos ab, ihre Klinge fing seine in einer sauberen, präzisen Bewegung ab.
Der Aufprall ließ Lioras Arm erzittern, nicht wegen der Wucht des Schlags, sondern weil er ihr so vertraut war. Die Art, wie sie sich bewegte – der nahtlose Übergang zwischen Angriff und Verteidigung, die Ökonomie ihrer Bewegungen, die keinen einzigen Schritt verschwendete – das war nicht nur Können. Das war sein Können.
Liora biss die Zähne zusammen und zwang sich, sich zu konzentrieren. Er stürmte mit einem plötzlichen Sprint vorwärts, testete ihre Verteidigung mit einer Finte, bevor er sich scharf drehte und einen echten Schlag auf ihre Seite ausführte. Aber sie durchschaute ihn. Sie kam ihm zuvor. Sie bewegte sich, bevor seine Klinge sie erreichen konnte, und ihre eigene Waffe blitzte in perfekter Gegenwehr auf ihn zu.
Liora musste sich zurückwerfen, um ihr auszuweichen, und stolperte leicht, als seine Füße auf unebenen Stein traten. Er hatte kaum Zeit, sich wieder zu sammeln, da war sie schon wieder über ihm und setzte ihren Angriff mit einer unerbittlichen Präzision fort, die ihn alle Kraft kosten ließ, um mitzuhalten.
Seine Gedanken rasten, sein Körper bewegte sich wie im Autopilot, während er parierte und auswich und darum kämpfte, die Kontrolle über den Kampf zurückzugewinnen. Die Schläge der Attentäterin waren präzise und wohlüberlegt. Sie griff nicht einfach nur an – sie testete ihn.
Und sie war am Gewinnen.
Kaels Kampf tobte direkt neben ihm, aber Liora konnte ihm keinen Blick schenken. Nicht, wenn jeder Atemzug, jeder Herzschlag darauf ausgerichtet war, diesen Moment zu überleben.
Eine schnelle Drehung ihres Handgelenks, eine flüchtige Bewegung, und plötzlich war sie zu nah. Liora reagierte gerade noch rechtzeitig, seine Klinge schnappte nach oben, als ihre herabfiel, und ihre Waffen verhakteten sich in einem Patt. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, nah genug, dass er an den Schatten ihrer Kapuze vorbei und an der Maske, die ihren unteren Gesichtsbereich verdeckte, sehen konnte.
Goldene Augen.
Vertraute Augen.
Sein Atem stockte.
Der Moment dehnte sich, zerbrechlich und drohend, unter dem Gewicht der Erkenntnis zu zerbrechen.
Ihre Augen flackerten – nur für eine Sekunde. Ein Zögern, eine kurze Pause in ihrer sonst so gnadenlosen Effizienz. Und in diesem Augenblick wusste Liora Bescheid.
Sie kannte ihn auch.
Er taumelte zurück und brach die Pattsituation. Sein Griff um seine Waffe war zu fest, sein Puls dröhnte in seinen Ohren. Er hatte viele Schlachten geschlagen, unzählige Feinde bekämpft, aber nichts – nichts – hatte sich jemals so angefühlt.
Sie machte einen Schritt nach vorne, ihre Waffe immer noch erhoben, ihre Haltung unlesbar.
Lioras Kehle war trocken. Er schluckte schwer und rang sich Worte ab, die ihm unmöglich erschienen.
„Du kämpfst wie ich.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, seine Brust hob und senkte sich mit jedem Wort.
Die Attentäterin blieb still und umklammerte ihre Klinge etwas fester.
Lioras Herz hämmerte gegen seine Rippen, jeder Schlag eine hämmernde Gewissheit.
„Wer hat dir das beigebracht?“
Keine Antwort.
Die einzige Antwort war das Blitzen ihrer Klinge, die schnell und präzise durch die kalte Nachtluft schnitt. Der Moment dehnte sich, die Welt verengte sich auf die beiden. Der Nebel waberte um ihre Füße und bewegte sich mit jeder Bewegung, jedem Schritt, jedem Aufeinandertreffen der Klingen. Lioras Herz pochte, aber nicht vor Anstrengung. Es war etwas Tieferes, etwas Schwereres – eine Emotion, die er sich im Moment nicht leisten konnte.
Sie drängte vorwärts, ihre Schläge waren unerbittlich. Jeder Hieb, jede Abwehr – es war, als würde er gegen sich selbst kämpfen, als würden sich seine eigenen Techniken gegen ihn wenden. Aber sie ahmte nicht einfach nur seine Bewegungen nach. Nein, das war keine Imitation. Das war Meisterschaft. Ein Stil, der so perfekt in ihr Wesen eingebunden war, dass er nur durch jahrelange Disziplin erworben werden konnte.
Liora hatte zwischen ihren Angriffen kaum Zeit zum Atmen. Seine Klinge traf in rascher Folge auf ihre, Funken sprühten zwischen ihnen. Er hatte noch nie gegen jemanden wie sie gekämpft. Jemanden, der genau wusste, wie er reagieren würde, noch bevor er einen Zug machte. Es war, als würde er in einen Spiegel schauen – aber nicht in irgendeinen Spiegel. Ein verzerrtes Spiegelbild, das er schon lange nicht mehr gesehen hatte.
Kael, der immer noch in seinen eigenen Kampf vertieft war, warf ihm kaum einen Blick zu, während er einen heftigen Schlag über seinen Kopf abwehrte. Er biss die Zähne zusammen, seine Frustration war deutlich zu spüren. „Liora, ich will dich nicht drängen, aber wenn du eine Idee hast, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt.“
Liora hörte ihn kaum. Seine Welt war auf den tödlichen Tanz vor ihm geschrumpft, auf den Geist, der vertraute Bewegungen wie eine zweite Haut trug. Er wich einem Schlag aus, der ihn entwaffnen sollte, und nur sein Instinkt hielt ihn gerade noch unter Kontrolle. Die Winkel, die Fußarbeit, die Art, wie sie ihr Gewicht verlagerte – das war nicht nur vertraut. Das war er.
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube.
Eine Erinnerung flackerte am Rande seines Bewusstseins auf. Das Training mitten in der Nacht. Die blauen Flecken, die nie richtig verblassen konnten, bevor neue entstanden. Eine Stimme, scharf und befehlend. Beweg deine Füße. Achte auf dein Gleichgewicht. Erwarte den Schlag, bevor er kommt.
Die gleiche gnadenlose Effizienz, die ihm seitdem eingetrichtert worden war –
Sie war es.
Liora stockte der Atem. Sein Griff um seine Waffe schwankte, nur für den Bruchteil einer Sekunde. Ein Fehler. Und sie sah es.
Sie nutzte sein Zögern aus. Eine scharfe Finte – seine eigene Spezialtechnik, mit der er seine Gegner dazu brachte, ihre Deckung zu senken – gefolgt von einem schwungvollen Hieb, der sie außer Gefecht setzen sollte.
Aber diesmal war er bereit.
Er wich dem Angriff aus, ließ ihre Klinge seinen Arm streifen und spürte das Kratzen von Metall auf seiner Haut. Ein oberflächlicher Schnitt, nicht tief genug, um ihn aufzuhalten, aber tief genug, um ihn zu spüren. Der Schmerz schärfte seinen Blick. Und dann, bevor sie ihre Klinge zurückziehen konnte, schlug er zu.
Seine Hand schoss hervor und umklammerte ihr Handgelenk mit eisernem Griff.
Sie reagierte sofort und drehte ihren Körper, um sich zu befreien, ihre Bewegungen waren flüssig wie Wasser. Aber Liora war stärker. Sein Griff wurde fester, seine Muskeln spannten sich an, als er sie in einen Nahkampf zwang.
Sie wehrte sich. Er konnte die Kraft in ihren Gliedern spüren, die Anspannung in ihren Muskeln, als sie versuchte, ihre Position zu verändern. Sie geriet nicht in Panik – nein, sie kalkulierte immer noch, suchte immer noch nach einem Weg, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden.
Aber Liora hatte nicht vor, sie gehen zu lassen.
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Mit einer schnellen Bewegung drückte er sie nach vorne und nutzte sein Gewicht, um sie zurückzudrängen. Ihre Stiefel kratzten über den unebenen Stein, während sie sich gegen ihn wehrte und einen Moment lang Widerstand leistete, bevor sie zurückgedrängt wurde – bis ihr Rücken mit einem dumpfen Schlag gegen die zerstörte Mauer prallte.
Liora atmete schnell, seine Finger umklammerten immer noch ihr Handgelenk und hielten sie fest.
Der Nebel wirbelte um sie herum, dicht und erstickend. Die Geräusche von Kaels Kampf verschwanden in den Hintergrund, übertönt von dem Pochen in seinen Ohren.
Die Wucht ihres Kampfes hatte ihre Maske verschoben.
Nicht genug, um ihr ganzes Gesicht zu enthüllen.
Aber genug davon.
Genug, um die Rundung ihrer Wange und die Linie ihres Kinns zu sehen –
Sie war es.
Tausend Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf, einer chaotischer als der andere. Sie war tot. Sie war tot gewesen. Er hatte zugesehen –
Die Erinnerung drohte ihn zu verschlingen, ein gespenstisches Echo der Vergangenheit, das sich seinen Weg an die Oberfläche bahnte. Er erinnerte sich an das Blut. An die Stille. Daran, wie an diesem Tag die Welt um ihn herum zusammengebrochen war. Und doch stand sie hier vor ihm, so real wie der Atem, der in seiner Lunge brannte.
Der Moment schien unendlich lang, zerbrechlich wie Glas.
Dann stieß sie ihn weg.
Es war kein einfacher Stoß – es war kraftvoll, berechnend, eine Bewegung, die Distanz schaffen sollte, anstatt sich einfach nur loszureißen. Die Kraft dahinter ließ Liora taumeln, und er konnte sich gerade noch auffangen, bevor er auf den Boden fiel. Er biss die Zähne zusammen, der scharfe Schmerz in seinem Arm erinnerte ihn daran, wie real das alles war.
Sie bewegte sich mit kontrollierter Präzision, ihr Atem war trotz der Intensität ihres Zusammenpralls ruhig. Aber irgendetwas war jetzt anders. Die Art, wie sie zurücktrat, die leichte Veränderung ihrer Haltung – das war nicht nur eine Anpassung ihrer Strategie. Es war ein Zögern. Ein Funken Zweifel, der zuvor nicht da gewesen war.
Zum ersten Mal schätzte sie ihn neu ein.
Liora stand da und keuchte, den zerrissenen Stoff ihrer Maske immer noch in seiner zitternden Hand. Sein Griff wurde fester, der Stoff grub sich wie ein Anker in seine Handfläche, etwas Greifbares, das ihn auf dem Boden hielt, während seine Gedanken rasten.
Das konnte nicht wahr sein.
Seine goldenen Augen fixierten ihre, auf der Suche nach Antworten, die nicht kommen wollten.
Sie bewegte sich nicht.
Sie starrte ihn nur an, ihr Blick unlesbar, distanziert und doch unverkennbar präsent. Hinter der kalten Präzision ihres Gesichtsausdrucks verbarg sich etwas, das er nicht deuten konnte. Es war kein Schock. Es war keine Erleichterung. Es war tiefer, schärfer – als stünde sie am Rande von etwas ebenso Ungewissem wie er.
Kael, der endlich seinen Gegner besiegt hatte, drehte sich gerade rechtzeitig um, um Liora dort stehen zu sehen, wie erstarrt.
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, Verwirrung huschte über sein Gesicht, als er die Szene in sich aufnahm – den Attentäter, die zerfetzte Maske, Lioras Blick, als hätte er gerade einen Geist gesehen.
Sein Blick huschte schnell zwischen ihnen hin und her, abschätzend, sein Verstand nahm Details auf wie Puzzleteile, die an ihren Platz fielen. Lioras zitternde Hände. Die Haltung des Attentäters. Die Art, wie sich die Spannung zwischen ihnen in etwas Schwereres, etwas Rohes verwandelt hatte.
„Liora?“, fragte Kael mit vorsichtiger Stimme, in der Verwirrung mitschwang.
Liora antwortete nicht.
Er konnte nicht.
Er versuchte immer noch zu atmen, immer noch, das Unmögliche zu begreifen.
Auch der Atem des Attentäters hatte sich verändert, wenn auch nur geringfügig. Kaum wahrnehmbar für jemanden, der nicht genau hinhörte.
Aber Liora achtete darauf.
Er hatte Jahre damit verbracht, die Kunst zu meistern, Menschen zu lesen, ihre Körpersprache zu analysieren und die subtilen Hinweise zu deuten, die mehr verrieten als Worte jemals könnten. Und jetzt, trotz allem – trotz der tödlichen Stille zwischen ihnen, trotz der Last der unausgesprochenen Worte, die in der Luft hingen – sah er es.
Ein flüchtiger Anflug von etwas Vertrautem.
Erkennung.