Das Zimmer war, gelinde gesagt, bescheiden und spiegelte ihre schwierigen Zeiten wider. Die Regale waren voll mit gebrauchten Büchern, deren Einbände zerbrochen und verblasst waren, einige hatten fehlende Seiten, die hastig ersetzt oder geflickt worden waren. Er erinnerte sich daran, wie Amberine mit ihren älteren Kommilitonen verhandelt hatte, um sie dazu zu bringen, ihr ihre alten Lehrbücher zu überlassen, damit sie keine neuen kaufen musste.
Das tat sie nicht aus Faulheit oder mangelnder Lernbereitschaft – nein, sie musste es tun. Sie hatte einfach kein Geld.
Ifrits Blick wanderte zu dem kleinen Schreibtisch, der an die Wand geschoben war und dessen eines Bein kürzer war als die anderen, sodass er wackelte, wenn sie Notizen machte. Der Stuhl passte nicht dazu, ein grobes Holzgestell, dem eine Armlehne fehlte.
Die wenigen Möbelstücke im Zimmer waren entweder Geschenke von älteren Kommilitonen, die sie nicht mehr brauchten, oder Dinge, die sie aus den Lagerräumen der Universität mitgenommen hatte.
Einige der Schubladen ließen sich nicht richtig schließen, andere waren so zerkratzt, dass sie fast unbrauchbar waren, aber sie hatte sich damit abgefunden.
Das Bett, in dem sie jetzt schlief, war nicht besser. Die Matratze war dünn, an einigen Stellen durchgelegen und viel zu alt, um noch wirklich bequem zu sein. Ihre Decke, die sie fest um sich gewickelt hatte, war an den Rändern ausgefranst und hatte ein kleines Loch in der Ecke. Sie war gebraucht, wie fast alles andere in dem Zimmer, und so gut es ging geflickt.
Ifrit wusste, dass Amberine sich keine neue leisten konnte, egal wie sehr sie eine gebraucht hätte.
Im flackernden Licht des Kamins spiegelte sich in dem ganzen Zimmer ihr Kampf wider, ihr stiller Kampf gegen den Bankrott. Sie lebte in einer Welt voller Adliger und wohlhabender Studenten, die alle ohne einen Gedanken an ihre Ausgaben die renommierte Magieturm-Universität besuchten. Sie hatten den Luxus neuer Lehrbücher, verzauberter Roben und Zimmer mit bequemen Möbeln.
Aber Amberine … Amberine hatte nichts außer ihrer hartnäckigen Entschlossenheit.
Ifrit, der immer an ihrer Seite gewesen war, hatte miterlebt, wie sie sich in einer Welt, die nur für Reiche gemacht war, mit ihrer harten Realität als Arme zurechtkommen musste. Er hatte gesehen, wie sie jeden Cent gespart und Mahlzeiten ausgelassen hatte, um sich die Materialien für ihr Studium leisten zu können. Es war ein Leben voller ständiger Überlegungen, voller Opfer, in dem sie mit weit weniger auskommen musste als ihre Kommilitonen.
Sie war mit einem einzigen brennenden Ziel an die Universität gekommen: ihren Vater zu rächen und Gerechtigkeit für seinen Tod zu finden.
Doch nun war dieses Ziel zerschlagen. Draven hatte ihr mit seiner kalten, emotionslosen Aussage das Letzte genommen, woran sie sich noch festhalten konnte. Es war mehr als nur ein gebrochenes Herz – es war der Zusammenbruch von allem, was sie sich aufgebaut hatte.
Der Professor, der Mann, den sie für ihren Feind hielt, war auch derjenige gewesen, der ihr Leben gerettet hatte. Er hatte seine eigene Hand für sie geopfert, und diese eine Tat hatte Zweifel in ihrem Herzen gesät.
Konnte jemand, der ihrem Vater das Leben genommen hatte, auch zu einer so selbstlosen Tat fähig sein?
Ifrit sah Amberine schlafen und seine Augen wurden weich. Er wusste, dass sie glauben wollte, dass Draven nicht für den Tod ihres Vaters verantwortlich war, dass sie vielleicht alles falsch verstanden hatte, dass mehr hinter der Geschichte steckte. Aber jetzt, da Draven es bestätigt hatte, war dieser Funken Hoffnung erloschen. Sie hatte sich an diese Hoffnung geklammert, weil sie das Einzige war, was sie davon abhielt, in Verzweiflung zu versinken.
Und jetzt war sogar das weg.
Das Mädchen, das mit nichts als ihrer Wut und ihrem unbändigen Wunsch nach Rache an die Universität gekommen war, hatte jetzt noch weniger. Sie hatte ihren Vater verloren, ihren Lebenssinn und jetzt auch noch ihre Hoffnung.
Ifrit seufzte leise. Seine feurigen Augen, die schwach in der Dunkelheit glühten, wanderten zurück zu Amberine.
Trotz allem hatte sie ihre Flamme am Leben erhalten, wenn auch nur knapp, aber immerhin. Sie hatte Adligen gegenüber gestanden, die sie wegen ihres Mangels an Reichtum verspotteten, Professoren, die sie ignorierten, Studenten, die auf sie herabblickten – und dennoch hatte sie ihren Kopf hoch gehalten.
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Aber jetzt bröckelte diese Stärke, und Ifrit konnte spüren, wie das Gewicht davon auf ihr lastete, selbst während sie schlief.
Aber da war noch etwas anderes … etwas, das Ifrit in Draven gesehen hatte, das niemand sonst zu bemerken schien. Als Geist konnte Ifrit das Flackern der Seelen durch ihre Mana sehen, die Essenz dessen, wer sie wirklich waren. Und in Draven, trotz seines kalten Auftretens, trotz des Geruchs von Blut, der an ihm haftete, hatte Ifrit etwas anderes gesehen.
Hinter den scharfen Worten und dem emotionslosen Blick des Professors verbarg sich eine tiefe, unerschütterliche Entschlossenheit. Der Wunsch, zu beschützen.
Ifrit kannte diese Art von Seele. Sie war selten, aber unverkennbar. Es war die Seele von jemandem, der die Last der Welt auf seinen Schultern trug, jemand, der sich für andere opferte, ohne jemals Dank oder Anerkennung zu verlangen. Draven war kein skrupelloser Mörder.
Es war die Seele von jemandem, der Lasten trug, die niemand sonst sehen konnte, von jemandem, der die Menschen um sich herum beschützte, selbst wenn er dafür in ihren Augen zum Bösewicht wurde.
Ifrit hatte eine solche Seele bisher nur einmal gesehen. Sie gehörte jemandem, der verehrt wurde, jemandem, der uralt und mächtig war – Ihrer Majestät, der Geisterkönigin Sylfira Luminous. Die Königin der Geister, deren einziger Wunsch es war, das Gleichgewicht der Welt zu schützen und sie vor dem Chaos zu bewahren.
Ihre Stärke lag in ihrer Selbstlosigkeit, ihrer Fähigkeit, die Lasten anderer zu tragen, ohne sich zu beklagen und ohne dass jemand davon wusste.
Dravens Seele hatte denselben Glanz, dieselbe Reinheit der Absicht.
Er war nicht der herzlose Mann, für den Amberine ihn hielt.
Ifrits Blick wurde weicher, als er zu Amberine zurückblickte. Auch sie hatte gelitten.
Sie hatte alles verloren, und jetzt war sogar der Sinn, der sie so lange angetrieben hatte, verschwunden. Aber vielleicht, dachte Ifrit, war es an der Zeit, dass sie verstand, dass die Welt nicht so einfach war wie Rache und Hass. Vielleicht war es an der Zeit, dass sie die Wahrheit hinter der Maske sah, die Draven so gut trug.
Die Wahrheit, dass er sie trotz seiner Kälte die ganze Zeit beschützt hatte.
Die Ironie des Ganzen lastete schwer auf Ifrit. Hier war ein Mädchen, das alles verloren hatte und sich an die Hoffnung auf Gerechtigkeit klammerte, nur um festzustellen, dass der Mann, den sie am meisten hasste, vielleicht nicht das Monster war, für das sie ihn gehalten hatte. Und da war Draven, der die Last tausender Geheimnisse trug und alle um ihn herum beschützte, ohne jemals Anerkennung oder Dank zu verlangen. Die beiden, so unterschiedlich und doch so schmerzlich ähnlich.
Beide trugen Lasten, die zu schwer waren, als dass sie sie alleine tragen konnten.
Ifrits Gedanken wanderten zu der Geisterkönigin Sylfira. Er schloss kurz die Augen und schickte ihr still ein Gebet.
„Oh, Eure Majestät, Geisterkönigin Sylfira Luminous“, flüsterte er in die Stille des Raumes. „Bitte segne dieses Kind mit deinem Schutz. Sie hat viel gelitten, und ihre Flammen flackern schwach. Führe sie zur Wahrheit und lass sie die Kraft finden, wieder aufrecht zu stehen.“
Damit näherte sich Ifrit Amberines schlafender Gestalt. Das Loch in ihrer Decke fiel ihm ins Auge, die ausgefransten Ränder eine deutliche Erinnerung an die Strapazen, die sie durchgemacht hatte. Langsam und vorsichtig legte Ifrit seine kleine Hand auf das Loch, und eine sanfte, zarte Flamme flackerte aus seiner Handfläche.
Die Flamme brannte nicht – sie war warm und beruhigend, und als sie die Decke berührte, begann der Stoff sich von selbst zu reparieren, das Loch schloss sich, die Fäden verbanden sich nahtlos miteinander.
Zumindest für den Moment, dachte Ifrit, konnte er ihr diesen kleinen Trost bieten. Eine Wärme, die sie durch die Nacht schützen würde. Er konnte die Vergangenheit nicht ändern, konnte ihren Schmerz und ihre Wut nicht auslöschen, aber er konnte ihr seine Wärme schenken. Bis sie die Kraft finden würde, sich der Welt wieder zu stellen und ihren Weg zu finden, würde er an ihrer Seite sein.
Der Feuergeist rollte sich neben ihr zusammen, seine kleine Gestalt leuchtete schwach in dem dunklen Raum. Er beobachtete sie, während sie schlief, ihr Atem war jetzt ruhig, die Anspannung in ihrem Körper ließ endlich nach. Er würde ihr Beschützer sein, ihr Wächter, solange sie ihn brauchte. Bis der Tag kam, an dem Amberine wieder auf eigenen Beinen stehen konnte, an dem sie die Familie und die Freunde finden konnte, nach denen sie sich so sehr sehnte.
„Bis dahin“, flüsterte Ifrit leise, seine Stimme kaum hörbar über dem Knistern des erlöschenden Feuers, „werde ich dir meine Wärme schenken.“
Und so versank der Raum in einer tiefen, friedlichen Stille. Die Nacht zog sich hin, und zum ersten Mal seit langer Zeit schlief Amberine tief und fest, ihr Herz ein wenig leichter, die Wärme von Ifrits Gegenwart umhüllte sie wie ein schützender Schild.