Sophie sah zu, wie Draven kurz ihren Blick traf, und ihr stockte der Atem. In seinen Augen war keine Wärme, nur die gleiche undurchdringliche Eismauer, die sie mittlerweile mit ihm verband. Doch trotz seiner distanzierten Art spürte sie eine seltsame Verbindung – das Gefühl, dass sie mehr als nur Pflicht miteinander verband.
Aber dieser flüchtige Moment verging, als sein Blick wieder zu den Goblins wanderte und seine Konzentration nun messerscharf war. Die Spannung in der Luft verdichtete sich und war in ihrer Intensität fast erdrückend.
Neben Draven stand ihr Bruder Lancefroz, Herzog von Icevern, dessen sonst so ruhiges und gelassenes Gesicht sich in einer seltenen Geste der Verärgerung verzerrte. Sophie wurde ganz nervös, als sie ihn ansah. War er enttäuscht von ihr? Hatte sie ihn im Stich gelassen, weil sie die Festung nicht alleine verteidigen konnte?
Ihre Gedanken kreisten, als sie daran dachte, wie oft sie zu ihrem Bruder aufgeschaut hatte, um sich des Namens Icevern würdig zu erweisen.
Doch dann, als hätte er ihre Unruhe gespürt, wandte Lancefroz seinen Blick zu ihr. Zu ihrer Überraschung wurde sein Gesichtsausdruck weicher. Ein kleiner, fast unmerklicher Seufzer der Erleichterung entrang sich seinen Lippen, als er ihr ein beruhigendes Lächeln schenkte. Es war kein Lächeln der Enttäuschung, sondern eines des Verständnisses, des Stolzes auf ihre Bemühungen trotz der überwältigenden Widrigkeiten.
Es war, als würde er ihr still sagen, dass jetzt alles in Ordnung sei, dass sie alles getan habe, was sie konnte, und dass sie sich um den Rest kümmern würden.
Die surreale Szene vor ihr kam ihr wie ein Traum vor – ihr gefürchteter und distanzierter Verlobter stand neben ihrem Bruder, dem Menschen, den sie am meisten bewunderte.
Der Kontrast zwischen den beiden Männern war auffällig: Draven, kalt und berechnend, ein Mann der Strategie und Präzision; und Lancefroz, ein Leuchtturm der Stärke und Wärme, dessen bloße Anwesenheit alle um ihn herum inspirierte.
Sophie fühlte sich zwischen den beiden hin- und hergerissen, gefangen in einem Strudel von Emotionen, die um sie herumwirbelten.
Der Moment war jedoch nur von kurzer Dauer, denn die Realität der Situation traf sie wie eine Flutwelle. Die riesige und furchterregende Goblinhorde rückte immer näher. Es war keine Zeit für Selbstreflexion, keine Zeit, sich mit den komplizierten Gefühlen auseinanderzusetzen, die in ihr brodelten. Sie hatte einen Kampf zu führen, und jetzt, mit Draven und Lancefroz an ihrer Seite, musste sie sich auf das vorbereiten, was noch kommen würde.
Die Schlacht begann mit einer Heftigkeit, die Sophie den Atem raubte. Draven, der nun die volle Kontrolle über die Streitkräfte von Drakhan und Icevern hatte, bewegte sich mit einer kalten Effizienz, die sowohl furchterregend als auch beeindruckend war. Er bellte präzise Befehle und stellte die Ritter beider Häuser in perfekten Formationen auf.
Die Magier und Bogenschützen von Drakhan waren an strategischen Punkten auf dem Schlachtfeld positioniert und ließen ihre Zauber und Pfeile mit vernichtender Genauigkeit auf die Goblins niederprasseln.
„Bogenschützen, feuert erst auf mein Signal! Magier, bereitet eure Zaubersprüche vor!
Auf mein Zeichen – los!“ Dravens Stimme schnitt wie ein Messer durch das Chaos, und die Antwort kam sofort. Die Bogenschützen schossen ihre Pfeile in perfekter Übereinstimmung ab, ihre Pfeile zerschnitten die Luft wie ein tödlicher Hagelsturm.
Die Magier folgten ihrem Beispiel und entfesselten Ströme aus Feuer, Eis und Blitzen, die die Reihen der Goblins durchschlugen und verkohlte und gefrorene Leichen hinterließen.
Sophie konnte kaum glauben, was sie sah. Noch vor wenigen Augenblicken schien die Schlacht hoffnungslos, die schiere Anzahl der Goblins drohte sie zu überwältigen. Doch nun, unter Dravens Kommando, wendete sich das Blatt. Die einst undurchdringliche Horde wurde mit einer Gnadenlosigkeit dezimiert, die ihr den Atem raubte.
Es war, als würde Draven eine Symphonie der Zerstörung dirigieren, jeder Zug darauf ausgelegt, mit minimalem Aufwand maximalen Schaden anzurichten.
Die Abenteurer und Soldaten, die kurz vor der Verzweiflung gestanden hatten, waren nun durch die plötzliche Wende wieder voller Energie. „Seht euch das an!“, rief ein Abenteurer mit ehrfürchtiger Stimme. „Er mäht sie nieder, als wären sie nichts!“
„Hast du gesehen, wie er die Bogenschützen positioniert hat? Es ist, als hätte er genau gewusst, wo die Goblins sein würden!“, fügte ein anderer hinzu, die Augen vor Bewunderung weit aufgerissen.
„Und der Herzog von Icevern“, fügte ein Soldat hinzu, seine Stimme voller Ehrfurcht und Ungläubigkeit. „Er ist ein Tier! Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so viele Goblins mit einem einzigen Schlag erledigt hat!“
Sophies Herz schwoll vor Stolz an, als sie ihren Bruder in Aktion sah. Lancefroz war ein Wirbelwind der Kraft, sein Großschwert durchschlug die Reihen der Goblins mit erschreckender Leichtigkeit. Er bewegte sich mit einer Geschwindigkeit und Anmut, die seinem massigen Körperbau widersprachen, jeder Schlag war perfekt getimt und ausgeführt. Die Goblins, die einst so unaufhaltsam schienen, fielen nun vor ihm wie Weizen vor einer Sense.
„Das ist unser Herzog!“, jubelte ein Soldat mit voller Begeisterung. „Er ist nicht aufzuhalten!“
Trotz des Chaos um sie herum musste Sophie lächeln. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit verspürte sie einen Funken Hoffnung.
Die Schlacht, die so hoffnungslos schien, war nun in greifbarer Nähe. Doch selbst als diese Hoffnung aufkeimte, konnte ein Teil von ihr die nagende Angst nicht abschütteln, dass dieser Sieg nur vorübergehend sein würde.
Die Goblins waren zahlenmäßig überlegen, und sie wusste, dass die eigentliche Schlacht noch bevorstand.
Gerade als ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoss, hallte ein kehliges Brüllen über das Schlachtfeld. Der Goblin-König, der das Gemetzel von einem primitiven Podest aus beobachtet hatte, auf dem ihn seine dämonisierten Goblin-Sklaven trugen, stieß einen wütenden Schrei aus. Seine Augen glühten vor bösartiger Wut und waren auf Draven gerichtet, der gerade dabei war, einen weiteren Befehl zu erteilen.
Die Wut des Goblin-Königs war greifbar, sein riesiger Körper zitterte vor kaum unterdrückter Wut. Mit einem wilden Schrei sprang er von seinem Podest und stürmte mit einer Geschwindigkeit, die seiner massigen Statur widersprach, auf Draven zu. Seine dämonischen Wachen folgten ihm dicht auf den Fersen, ihre verdrehten Gestalten strahlten eine Aura der Dunkelheit aus, die die Luft um sie herum mit bösartiger Energie flimmern ließ.
„Draven!“, schrie Sophie mit panischer Stimme. Sie sah, was passieren würde, und die schreckliche Erkenntnis traf sie wie eine Welle. Sie war dumm gewesen zu glauben, dass sie das alleine schaffen könnten. In der Hitze des Gefechts hatte sie vergessen, dass Draven sich erst kürzlich von seinen Verletzungen beim königlichen Bankett erholt hatte.
Er war immer noch verwundbar und musste sich nun dem ganzen Zorn des Goblin-Königs stellen.
Doch noch während sie die Worte aussprach, passierte etwas Seltsames. Der Goblin-König, der mit mörderischer Absicht auf Draven zugestürmt war, blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Seine Augen weiteten sich vor Schock und Verwirrung, sein massiger Körper zitterte, als hätte ihn eine unsichtbare Kraft aufgehalten.
Die dämonisierten Goblins hinter ihm kamen ebenfalls abrupt zum Stehen, ihre Wildheit durch dieselbe unerklärliche Kraft gezügelt.
Sophies Herz pochte in ihrer Brust, während sie versuchte, einen Sinn in dem zu finden, was sie sah. Wie war der Goblin-König aufgehalten worden? Was geschah hier? Sie suchte verzweifelt das Schlachtfeld nach Anzeichen für diese plötzliche Wendung ab.
Und dann sah sie es. Eine flüchtige Bewegung im Schatten, direkt hinter Draven. Ihr stockte der Atem, als sie erkannte, was es war. Der Schamane des Goblin-Königs, der sich im Hintergrund versteckt hatte, hatte ein Teleportationsportal aktiviert. Der Goblin-König, der auf Draven zugestürmt war, war an einen anderen Ort versetzt worden.
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als ihr die Erkenntnis wie ein Schlag traf. Der Goblin-König war direkt hinter Draven wieder aufgetaucht. Er war sich der Gefahr, die ihm drohte, überhaupt nicht bewusst, seine Aufmerksamkeit war immer noch auf den Kampf vor ihm gerichtet.
„Draven, hinter dir!“, schrie Sophie mit verzweifelter Stimme. Aber es war zu spät. Der Koboldkönig hob bereits seine mächtige Waffe, und die dunkle Energie, die ihn umgab, knisterte vor böser Absicht. Er wollte zuschlagen, um Dravens Leben mit einem einzigen vernichtenden Schlag zu beenden.
Die Zeit schien still zu stehen, als Sophie entsetzt zusah, während ihr tausend Gedanken durch den Kopf schossen. Sie hatte ihn im Stich gelassen. Sie hatte ihre Wachsamkeit aufgegeben, und jetzt würde der Mann, den sie gerade erst zu verstehen begonnen hatte, den sie zu beschützen geschworen hatte, sterben. Die Angst, die ihr Herz umklammerte, war anders als alles, was sie jemals zuvor empfunden hatte, eine kalte, erstickende Angst, die sie völlig zu verschlingen drohte.
Doch dann, gerade als die Waffe des Goblin-Königs auf Draven niedersausen wollte, passierte etwas Wunderbares. Die Luft um sie herum schien zu flimmern, ein schwaches, fast unmerkbares Leuchten umhüllte Draven. Die Waffe des Goblin-Königs blieb in der Luft stehen, nur wenige Zentimeter von Dravens Rücken entfernt, als hätte eine unsichtbare Barriere den Angriff abgeblockt.
Sophie sah ungläubig zu, wie der Goblin-König gegen die unsichtbare Kraft ankämpfte, sein Gesicht vor Wut und Verwirrung verzerrt. Die dämonischen Goblins hinter ihm zischten und knurrten, aber auch sie konnten sich nicht bewegen, ihre verdrehten Körper waren wie gelähmt, als würden sie von einer unsichtbaren Kraft festgehalten.
„Was ist hier los?“