Wenn jemand die Situation in Lex‘ Meditationsraum gesehen hätte, hätte er gedacht, er wäre in eine Szene aus einem Horrorfilm geraten. Ein Drache saß auf dem Bauch, seine reptilienartigen Augen schienen auf einen fleischigen Mann gerichtet zu sein, der in einer immer größer werdenden Lache seines eigenen Blutes stand, während der Blick des Mannes auf einen Holzring in seiner Handfläche fixiert war.
Wenn man die spirituelle Energie im Raum beobachtet hätte, hätte man gesehen, dass ein Strom spiritueller Energie ununterbrochen von dem Mann in den Ring floss. Die Energiemenge hatte längst das übertroffen, was ein normaler menschlicher Golden Core-Kultivierender besitzen sollte, aber der Mann wurde nicht langsamer und der Ring zeigte auch keine Anzeichen, dass er voll war.
Nachdem noch ein paar Minuten so vergangen waren, runzelte Lex die Stirn, als ihm klar wurde, dass dies schwieriger war, als er gedacht hatte.
Was auch immer dieser Ring war, sein Niveau lag weit über seinem.
Um einen Schatz zu binden, brauchte man normalerweise eine bestimmte Menge an spiritueller Energie, um die Verbindung herzustellen, und diese Menge hing von der Kraft des Schatzes ab. Es war klar, dass je höher das Niveau des Schatzes war, desto mehr Energie benötigt wurde. Aber wenn die Qualität der Energie ausreichend war, konnte das auch die benötigte Energiemenge reduzieren.
Lex hatte gedacht, dass seine einzigartige Affinität den Bedarf senken könnte. Aber jetzt war klar, dass selbst wenn der Bedarf geringer war, er weit über seine derzeitigen Fähigkeiten hinausging. Um fair zu sein, sollte man keinen Schatz unterschätzen, der von einem Drachen bewacht wird, geschweige denn einen, der die zerbrochene Seele eines Drachen absorbieren kann.
Aber er war noch nicht bereit aufzugeben. Ohne den Vorgang zu unterbrechen, teleportierte sich Lex über den Drachen und setzte sich auf seinen Platz auf dessen Stirn. Er begann zu kultivieren und leitete die gewonnene spirituelle Energie direkt in den Ring. Die Übertragungsgeschwindigkeit hatte sich verlangsamt, aber so konnte er viel länger durchhalten.
Ein paar Minuten vergingen, dann ein Dutzend. Da Lex den Prozess nicht unterbrechen wollte, machte er weiter, auch als Stunden vergingen. Schließlich geriet Lex in eine Art Trance, während er sich ganz auf den Ring konzentrierte, und bemerkte, dass sich ein winziger, fast nicht wahrnehmbarer Punkt darauf gebildet hatte. Dieser Punkt war ein Teil seines Zeichens, das seine Verbindung herstellen würde.
Da er diese Gelegenheit nicht aufgeben wollte, machte er weiter, während Stunden zu Tagen und dann zu Wochen wurden.
Obwohl es nicht seine Haut war, hatte sein Körper auf seinen „hautlosen“ Zustand reagiert, indem er eine Art Kruste über den größten Teil seines Körpers bildete, sodass er zumindest kein Blut mehr verlor. Irgendwann wurde der Abdruck einer Lotusblume auf der Kruste auf seinem Rücken sichtbar, aber weder Lex noch der Lotus schenkten dem ganzen Vorgang Beachtung.
Lex hatte das Zeitgefühl verloren, aber schließlich war der Prozess abgeschlossen. In der Mitte seines Bindungsprozesses bemerkte Lex, dass sich sein Zeichen in Form eines Schlüssels bildete. Das ergab Sinn, wenn man bedenkt, wie wichtig der goldene Schlüssel für das Gasthaus war, aber Lex war damit nicht zufrieden.
Er leitete zwar das Gasthaus, aber es war ihm vom System gegeben worden und nicht etwas, das er selbst aufgebaut hatte. Er wollte nicht, dass seine Abhängigkeit davon zu stark wurde. Deshalb änderte er bewusst die Form des Zeichens. Jetzt sah es aus wie der Umriss einer Person, die mit gekreuzten Beinen auf einem Drachen saß.
In dem Moment, als die Verbindung endlich hergestellt war, spürte er eine Verbindung zu dem Ring und wurde sich dessen bewusst, ähnlich wie er sich der Inn bewusst war, wenn er die Gastgeberkleidung trug. Tatsächlich war die Verbindung sogar völlig identisch.
Er starrte auf den Holzring und fragte sich, was dessen ursprünglicher Zweck gewesen war. War er einmal ein System gewesen?
Ob es ein System gewesen war oder nicht, spielte keine Rolle mehr, denn jetzt war es definitiv keines mehr.
Im Moment konnte er nur noch knapp als Behälter für den Schatzgeist dienen, der in ihm wohnte. Da der Geist viel stärker war als der Schatz selbst, hinderte die Belastung den Ring daran, tatsächlich irgendeine Funktion zu erfüllen.
Zum Glück konnte der kleine Pelvailin automatisch Dinge absorbieren, um den Ring zu stärken, solange sie geeignet waren.
„Kleiner Pel, wie fühlst du dich?“
Während der ganzen Zeit, die es dauerte, den Ring zu verbinden, redete der kleine Pel ständig mit Lex, motivierte ihn und unterhielt ihn. Dadurch fühlte sich Lex dem Geist ein wenig näher, obwohl er ihm gegenüber weiterhin angemessen vorsichtig blieb. Selbst jetzt vertraute er ihm noch nicht ganz.
„Viel besser!“, antwortete die quietschende Stimme! „Es ist, als ob jetzt, wo eine Verbindung zwischen uns besteht, mein Körper mehr Energie hat, um sich selbst zu versorgen.“
„Das ist gut, das ist gut. Kleiner Pel, ich habe viel Zeit damit verbracht, den Ring zu verbinden, deshalb habe ich jetzt noch ein paar andere Dinge zu erledigen. Aber zuerst möchte ich dich ein paar Dinge fragen. Hast du Zugang zu all deinen Erinnerungen aus deinem früheren Leben oder nur zu einigen davon?“
„Nein, nein, ich erinnere mich kaum an etwas. All diese Erinnerungen wären im Moment zu viel für mich. Aber wenn ich etwas sehe, löst das die damit verbundene Erinnerung aus und es ist, als hätte ich es schon immer gewusst. Wenn ich jedoch versuche, mich selbst an diese Erinnerung zu erinnern, schaffe ich es nicht.“
„Okay, dann werde ich dir ein Bild zeigen. Sag mir, ob du es erkennst. Es ist ein Schwert, das du in deinem früheren Leben hattest.“
Ohne weitere Umstände schickte Lex ein Bild des zerbrochenen Schwertes an den Ring, in der Hoffnung, dass er es erkennen würde, und er hatte Glück. Der Ring reagierte sofort.
„Oh ja, das Schwert von Aizlo. Es ist Teil eines Schwert- und Schild-Sets.
Es war ein normales Eisenschwert, das ich in meinem früheren Leben in das Blut einer lebenden Gottheit getaucht habe. Ich wollte sehen, was passiert. Das Schwert und der Schild wurden zu heiligen Artefakten der Religion der Gottheiten und erlangten große Macht. Aber später, nachdem ich die Gottheit verspeist hatte, verloren beide einen Großteil ihrer Kraft.
Jetzt haben sie nur noch einen Hauch ihrer früheren Pracht.“
Lex widerstand dem Drang, mit den Lippen zu zucken. Der Drache hatte einfach so eine Gottheit gefressen, nachdem er ihr Blut benutzt hatte? Oder gab es noch andere Schritte? So oder so war er froh, dass er sich nicht mit einem lebenden Drachen auseinandersetzen musste. Schließlich war er sich jetzt der Persönlichkeit von Pelvailin sicher, und die war extrem schüchtern und unterwürfig. Er konnte sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn der Ring die volle Seele des Drachen behalten hätte.
„Also, die Sache ist die: Das Schwert ist zerbrochen, als ich es benutzt habe, und diese Aura wurde von meinem Körper absorbiert und will nicht mehr weggehen.“
Er projizierte ein Bild des Schwertes, das in seiner Seele verborgen war, und versuchte sein Bestes, um gleichzeitig das Gefühl zu vermitteln, das es ausstrahlte.
„Weißt du, wie man das loswerden kann? Ich glaube, es beeinflusst mich ein wenig.“
„Oh, es wäre logisch, wenn seine Aura einen Einfluss auf dich hat. Schließlich wurde es in das Blut des Kriegsgottes getaucht. Er war ein sehr wütender und aggressiver Kerl, aber nicht besonders schlau. Es loszuwerden sollte ziemlich einfach sein. Du musst nur die Schwertkunst beherrschen und sie die Schwert-Aura absorbieren lassen.
Pass aber auf, dass du die Aura nicht mit deiner Schwert-Intention fütterst, denn das würde sie nur noch stärker machen.
Wenn du die Chance hast, absorbier auch die Schild-Aura. Die wurde in das Blut des Gottes der Unbezwingbarkeit getaucht. Auch hier musst du nur eine Schild-Intention entwickeln und sie die Aura absorbieren lassen. Das sollte nicht allzu schwer sein.“
„Ja, klingt einfach“, sagte Lex, obwohl Pelvailin zu jung war, um den Sarkasmus in seiner Stimme zu verstehen. Wie einfach war es wirklich, eine Absicht zu entwickeln, die mit der einer Gottheit mithalten konnte?
Während Lex sich Gedanken darüber machte, wie er diese Situation lösen könnte, war ihm nicht bewusst, dass er nicht nur in einer einzigen Galaxie, sondern im gesamten bekannten Reich über Nacht zu einer Sensation geworden war!
In der Geschichte des Ursprungsreichs war Lex der erste, der auf einen lebenden Drachen geklettert war und auf dessen Stirn meditierte, und es gab eine Aufnahme, die das bewies. Die Aufnahme hatte sich im ganzen Reich verbreitet, und über 100 Drachen aus dem ganzen Reich hatten ein Kopfgeld auf „Lex William“ ausgesetzt. Seltsamerweise sollte das Kopfgeld allerdings nur gezahlt werden, wenn Lex lebendig gebracht wurde.
Zum Glück hatten die Drachen in ihrer Wut nicht die Menschen ins Visier genommen, obwohl niemand ihre Motive verstand oder sich darum scherte. Alle konzentrierten sich auf Lex, den Drachenbändiger, und darauf, seine Herkunft herauszufinden.
