Damon konnte sich noch an jedes Detail dieser schrecklichen Tage erinnern, an die Last, die sein Überleben auf ihm lastete. Die Nacht, in der er sich entschloss zu gehen, hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt, und in der Woche davor achtete er darauf, dass seine kleine Schwester Luna immer bei ihm war.
Er wartete geduldig und beobachtete das Kommen und Gehen im Dorf, bis eine Karawane von reisenden Händlern eintraf. In dieser Nacht, als das Dorf still war und die Karawane ihr Lager aufschlug, schlug Damon zu.
Er schlich sich im Schutz der Dunkelheit in sein Haus, sein Herz pochte vor Angst und Entschlossenheit. Er suchte nach allem, was von Wert war – einen kleinen Beutel mit Zeni, der in einem Schrank versteckt war, ein paar Schmuckstücke, die seine Wächter nicht mitgenommen hatten, und schließlich das Medaillon seiner Mutter. Das Medaillon war unter einer losen Diele in ihrem alten Zimmer vergraben gewesen, versteckt, um es vor gierigen Händen zu schützen.
Das war Damons erster Kontakt mit Diebstahl.
Die Erinnerung war lebhaft, jede Empfindung hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Seine Hände zitterten, als er das Medaillon ausgrub, dessen Metall sich kühl an seinen Fingerspitzen anfühlte. Luna, verwirrt, aber vertrauensvoll, klammerte sich an ihn, während er ihre wenigen Habseligkeiten zusammenpackte. Sie verstand nicht, was vor sich ging, aber solange sie bei ihrem Bruder war, fühlte sie sich sicher.
In den frühen Morgenstunden näherte sich Damon dem Anführer der Karawane, nachdem er alles vorbereitet hatte, was er konnte. Er bot dem Mann alles, was er hatte, wurde jedoch betrogen – er musste doppelt so viel bezahlen wie den fairen Preis für ihre Überfahrt. Das war Damons erste Begegnung mit Betrug.
Die Reise in die Hauptstadt war gefährlich. Aetherus war eine Welt, in der Monster frei umherstreiften und aus Dungeons auftauchten, die über das ganze Land verstreut waren.
Die Straßen waren gefährlich, und das Reisen mit einer Karawane bot nur ein trügerisches Gefühl von Sicherheit.
Damon und Luna kamen mehrmals dem Tod nahe. Einmal wurde ihre Karawane von einem Rudel wilder Wölfe angegriffen, und Damon klammerte sich fest an Luna, bereit, sein Leben zu opfern, um sie zu beschützen. Ein anderes Mal versuchte jemand aus der Karawane, Luna in die Prostitution zu verkaufen, und Damon musste mit aller Kraft kämpfen, um sie zu beschützen.
Aus jeder Prüfung lernte Damon und passte sich an. Jeder Verrat, jeder Kampf machte ihn härter. Als sie die Hauptstadt erreichten, war der naive Junge, der einst unter einem alten Baum sterben wollte, verschwunden und durch jemanden ersetzt worden, der kälter, schärfer und weitaus verbitterter war.
Carmen hörte Damon aufmerksam zu, sein Gesichtsausdruck war ernst. Er konnte den Schmerz des Jungen und die durch das Leiden geschmiedete Widerstandsfähigkeit sehen.
„Du hast viel durchgemacht, Junge“, sagte Carmen leise. „Aber es ist besser geworden, oder? Die Zukunft, die du gesucht hast, war nicht schlimmer als die Vergangenheit.“
Damons Schatten flackerte unruhig im Schein des Feuers, als er mit leiser, schmerzerfüllter Stimme antwortete.
„Nein … das ist sie nicht. Sie ist schlimmer geworden.“
Die Hauptstadt war kein sicherer Hafen, sondern eine andere Art von Hölle.
Damon hatte die Papiere für das Haus seines Vaters, ein kleines Haus in einem Armenviertel. Aber als er es beanspruchen wollte, stieß er auf endlose Bürokratie. Er musste sich mit den Kriegsbanken herumschlagen, die nun, da sein Vater tot war, einen Eigentumsnachweis verlangten.
Zu allem Übel kreuzte Damon in dieser Zeit den Weg eines Adligen, und der daraus resultierende Konflikt zwang ihn, das Haus für einen Bruchteil seines Wertes zu verkaufen, nur um weiteren Ärger zu vermeiden.
Doch Damon war einfallsreich. Mit den Tricks, die er von den Karawanen gelernt hatte, überzeugte er die Bank, ihm ein anderes Haus zu verkaufen. Während der Verhandlungen fand er heraus, dass sein Vater eine Einlage bei der Bank gemacht hatte. In der Hoffnung, dass es sich um Geld handelte, löste Damon die Einlage ein – und fand stattdessen eine goldene Eintrittskarte für die Aether-Akademie, die renommierte Ausbildungsstätte für Begabte.
Obwohl er enttäuscht war, behielt Damon die Eintrittskarte, da er sie als das letzte Vermächtnis seines Vaters betrachtete. Als er und Luna in ihr neues, bescheidenes Zuhause einzogen, traf Damon eine Entscheidung. Luna war die Begabtere von beiden, also plante er, dass sie die goldene Eintrittskarte nutzen sollte, um sich an der Akademie einzuschreiben.
Außerdem gab er ihr das Medaillon ihrer Mutter, da er sie für die geeignetste Person hielt, es zu tragen.
Für einen Moment dachte Damon, dass ihre Schwierigkeiten endlich vorbei sein könnten. Aber ohne Geld und ohne jemanden, der ihm einen Job geben wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich der Unterwelt zuzuwenden.
Er schloss sich einer lokalen Gang an und begann als Taschendieb, bevor er sich einen Ruf als zuverlässiger Handlanger für einen Schmugglerring erwarb. Die Arbeit war gefährlich, aber sie gab ihm die Möglichkeit, zu überleben und für Luna zu sorgen.
Durch unzählige Prüfungen und Schwierigkeiten kämpfte sich Damon zu einer Art Stabilität. Jede Notlage hinterließ ihre Spuren und formte ihn zu jemandem, der sich in der grausamen Realität ihrer Welt zurechtfinden konnte.
In diesen wenigen Jahren war Damon stärker und härter geworden, aber sein Weg war alles andere als einfach gewesen. Es war ein Leben voller Kämpfe und Opfer, und seine Verbindung zu seiner Schwester Luna war sein einziger Halt.
Doch selbst diese Verbindung wurde auf eine harte Probe gestellt, als Luna zusammenbrach und ihr Körper einer seltenen und verheerenden Krankheit erlag: Magie-Krebs.
Die Diagnose erschütterte Damon zutiefst. Er konnte sich keinen Heiler leisten, der eine solche chronische Krankheit behandeln konnte, also nahm er immer gefährlichere Jobs innerhalb des Schmugglerrings an. Das Risiko stieg, aber das Geld, das er verdiente, reichte nie aus.
Verzweifelt und ohne Optionen brachte Damon das ultimative Opfer – er nutzte das goldene Ticket der Akademie, die einzige Hoffnung auf eine bessere Zukunft, um Zugang zum Stipendienfonds zu erhalten.
Mit dem Geld konnte er Luna zu einem guten Heiler bringen, jemandem, dem er vertrauen konnte. Die Entscheidung fiel ihm schwer, denn sie bedeutete, die Chance aufzugeben, dem Elend seines Daseins zu entkommen.
Aber sie hatte seiner Schwester das Leben gerettet, und das war alles, was für ihn zählte.
Als er seine Geschichte erzählte, stockte Damons Stimme. Sein Blick war abwesend und auf seinen unruhigen Schatten gerichtet, der über den Boden flackerte. Carmen saß ihm gegenüber und hörte ihm mit tiefem Mitgefühl zu.
„Du bist stark, Damon … wirklich stark“, sagte Carmen leise, und seine Stimme klang voller Bewunderung.
Damons Lippen zitterten, und Tränen glänzten in seinen Augen. „Es tut mir leid …“
Carmen neigte den Kopf, sein freundliches Lächeln unerschütterlich. „Es gibt nichts, was du dir entschuldigen musst.“
Aber Damon schüttelte den Kopf, seine Stimme brach, als Tränen über seine Wangen liefen.
„Es tut mir leid …“ Seine zitternden Hände ballten sich zu Fäusten. „Es tut mir leid, aber … ich kann noch nicht sterben. Ich kann mich nicht sterben lassen. Es tut mir leid.“
Carmen’s Gesichtsausdruck veränderte sich, Besorgnis ersetzte sein Lächeln. Damon’s Tonfall klang eindringlich und endgültig, als ob seine Entschuldigung nicht für die Worte galt, die er gerade gesprochen hatte, sondern für etwas Dunkleres.
Der Junge hob den Blick und sah Carmen mit fast flehendem Blick an.
„Es tut mir so leid. Bitte vergib mir. Es tut mir leid …“
Die Atmosphäre wurde bedrückend, eine unnatürliche Schwere lastete auf der Lichtung. Carmen spürte, wie sich die Luft veränderte, als Damons Schatten zu zucken begann, sich unnatürlich erhob und sich wie lebende Ranken um ihn schlang.
[Ding]
[Schattenhunger: 90 %]
[Der Schatten ist ausgehungert.]
[Alle Werte sind drastisch erhöht.]
Vor Carmens Augen verwandelte sich Damon. Sein Körper wurde von einer Wesenheit aus purer Dunkelheit verschlungen, deren Gestalt monströs und furchterregend war. Lange Klauen ragten aus Damons Händen hervor, und sein Mund war voller scharfer, glänzender Reißzähne. Die Präsenz der Kreatur war überwältigend, und ihre bösartige Aura ließ Carmen einen Schauer über den Rücken laufen.
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Doch selbst in dieser verdrehten Gestalt sprach das Monster mit verzerrter, verzweifelter Stimme.
„Ich … ich … es tut mir leid …“
Carmen umklammerte seinen Bogen fester, seine Knöchel wurden weiß. Er hob die Waffe und zielte auf die schemenhafte Gestalt vor ihm. Aber seine Hände zitterten. Irgendwo in diesem abscheulichen Wesen war noch immer der Junge, der ihm gerade noch sein Herz ausgeschüttet hatte.
„Dieses Ding … es ist nur ein Kind …“, flüsterte Carmen vor sich hin, während Zweifel in ihm aufkamen.
Dieser Zweifel kostete ihn teuer. Im Handumdrehen rissen die schattenhaften Klauen seine Brust auf und durchbohrten Fleisch und Knochen mit vernichtender Kraft.
Carmen schnappte nach Luft, Blut strömte aus seinem Mund, als er zurücktaumelte und sein Bogen aus seiner Hand glitt.
Der Schmerz war unerträglich, aber sein Blick blieb auf Damon gerichtet – oder auf das, was aus Damon geworden war.
Durch den Schleier der Qual hörte Carmen noch einmal die Stimme des Monsters, zitternd und gebrochen.
„Es tut mir leid …“
Trotz der tödlichen Wunde verzog Carmen seine Lippen zu einem schwachen Lächeln. Blut tropfte von seinem Kinn, tränkte seinen Bart und verschmierte seine Sicht.
„Du bist … stark … Junge …“, krächzte Carmen, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Du bist … ein Überlebenskünstler …“
Seine Worte hingen in der Luft, während seine Augen trüb wurden und das Licht aus ihnen verschwand. Selbst im Tod zeigte sein Gesicht ein sanftes Lächeln – ein letzter Akt der Mitgefühls für den Jungen, der zu einem Monster geworden war.