Der Fluss schäumte wild und rollte wie ein wütender Drache. Die Strömung stieg langsam an und näherte sich Dragnars regungslosem Körper. Erst als seine Fußspitze das fließende Wasser berührte, zuckte Dragnar zusammen.
Ein brennender Schmerz durchzuckte seine Knochen. Sein Fleisch bildete augenblicklich Blasen und verbreitete einen verbrannten Geruch, der die Luft erfüllte. Er knurrte und versuchte, seinen Fuß wegzuziehen, aber die Strömung ließ ihn nicht los.
Der Fluss stieg weiter an und zog ihn tiefer hinein. Wie unsichtbare Hände, die ihn fest umklammerten, zog er seinen Körper weiter in den Strudel der Zeit.
Oben beobachtete Lein gelassen, wie sich die Szene abspielte. Ein schwaches Grinsen umspielte seine Lippen, seine Augen glänzten vor grausamer Freude.
Mit einer einfachen Handbewegung verstärkte sich die Strömung des Flusses. Er beobachtete, wie Dragnar sich endlos wand, sein Körper schien von einer unentrinnbaren Kraft gezogen zu werden.
Dieses Gefängnis war nicht nur eine Falle. Es war ein Traum ohne Ende, in dem Zeit nicht mehr nur eine Zahl war, sondern eine unerträgliche Qual.
„Du wirst Milliarden von Jahren hier verbringen …“, flüsterte Lein mit leiser Stimme, die jedoch eine Drohung enthielt, die weitaus schrecklicher war als der Tod selbst. „Bis Zahlen für dich jede Bedeutung verlieren.“
Leins Hand umklammerte den Fluss der Zeit und er konnte ihn nach Belieben beschleunigen.
Je breiter sein Lächeln wurde, desto schneller zehrte der Lauf der Zeit an der darin gefangenen Seele.
„Versuchen wir es mit tausend Jahren.“
„100.000 Jahre.“
„1 Million Jahre.“
Jedes Wort, das Leins Lippen verließ, brachte eine unvorstellbare Veränderung in Dragnars Existenz mit sich. Innerhalb des Flusses begann sein Körper zu verschwimmen. Nein, nicht sein Körper – seine Seele. Sie wurde ihm entrissen, verschlungen von der endlosen Flut der Zeit.
Lein kniff die Augen zusammen. „Eine Milliarde Jahre.“
Seine Augen verdunkelten sich. „Eine Billion Jahre.“
In der Außenwelt waren nur fünf Minuten vergangen. Aber für Dragnar? Es war eine endlose Reise. Er wand sich, kämpfte, aber es war zwecklos. Sein Bewusstsein zerfiel Stück für Stück.
Lein stand weiterhin in der Leere und genoss jede Sekunde des Leidens vor ihm.
Schließlich hob der Mann den Kopf. Sein Blick war leer, sein Körper fast durchsichtig – ein Zeichen dafür, dass sein Geist und seine Seele am Rande der Zerstörung standen.
„100 Billionen Jahre.“
„4.000 Billiarden Jahre.“
Leins Grinsen wurde breiter. Er beobachtete Dragnar, der nun nur noch ein durchsichtiges Skelett war. Sein Mund bewegte sich und formte lautlose Worte.
Argh …
„Ich … gebe auf …“
Lein bemerkte die Bewegung. Sein Körper beugte sich leicht vor und wartete.
Schnapp.
Mit einer einzigen Bewegung seines Fingers verschwand der Fluss der Zeit augenblicklich. Das Gefängnis des ewigen Traums barst und brach zusammen.
Lein kehrte in die Realität zurück. In der realen Welt waren nur zehn Minuten vergangen.
Dragnar lag immer noch auf dem Boden und atmete schwer. Kalter Schweiß bedeckte seinen Körper, sein Gesicht war blass wie das eines Leichnams. In seinen Augen war etwas zu sehen – nicht nur Angst, sondern ein tiefsitzendes Trauma, das sich nicht vertreiben ließ.
Lein trat näher, die Hände in den Taschen. „Hallo …“ Seine Stimme klang leicht, fast freundlich. „Bist du jetzt bereit zu reden?“
Hust…
Dragnar zuckte zusammen. Er versuchte sich zu bewegen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Als er es endlich schaffte, sich ein wenig aufzurichten, spuckte er blutig.
Seine Hände zitterten, sein Atem ging unregelmäßig. Er hob seinen müden Blick und traf auf Leins zufriedenen Ausdruck.
Die Welt um ihn herum kam ihm seltsam vor, als wäre er immer noch in diesem Albtraum gefangen. Oder … war das nur ein weiterer Teil davon?
Dragnar schluckte schwer und zwang sich dann mit heiserer Stimme zu sprechen.
„Ich gebe auf, Meister … Ich werde reden …“ Seine Stimme war schwach, kaum zu hören, aber voller Angst, die noch nicht verschwunden war.
Lein grinste. „Ausgezeichnet. Endlich bist du zur Vernunft gekommen“, sagte er leichthin, obwohl seine Augen immer noch einen scharfen, herrischen Glanz hatten.
Lässig warf er Dragnar eine Flasche zu. Sie war groß und mit einer Flüssigkeit gefüllt, die sanft darin schwappte. Dragnar griff danach, aber seine geschwächten Finger konnten sie nicht richtig greifen. Die Flasche rutschte ihm aus der Hand, schlug gegen seinen Körper und rollte dann auf den Boden.
Dragnar biss die Zähne zusammen und sammelte seine letzten Kräfte, um sie wieder aufzuheben. Seine zitternde Hand streckte sich mühsam nach vorne, doch mit aller Kraft gelang es ihm, sie zu ergreifen. Ohne zu zögern drehte er den Verschluss auf und trank gierig die Flüssigkeit in großen Schlucken.
In dem Moment, als sie seine Kehle hinunterfloss, breitete sich ein erfrischendes Gefühl in seinem ganzen Körper aus. Seine angespannten Muskeln entspannten sich, der Schmerz ließ nach und sein schweres Atmen wurde gleichmäßiger.
„Hahh…“, stieß er tief aus, als wäre er gerade nach Tagen ohne Wasser aus einer glühend heißen Wüste entkommen.
Lein beobachtete ihn schweigend. „Wie fühlst du dich?“, fragte er beiläufig und sah zu, wie Dragnars Körper langsam wieder zu Kräften kam.
Dragnar atmete scharf ein, bevor er den Kopf hob. „Mir geht es besser, Meister“, antwortete er knapp. Seine Augen, die von der enormen mentalen Anstrengung blutunterlaufen waren, spiegelten eine Mischung aus Angst und neuem Respekt für Lein wider.
Lein schwieg und musterte ihn aufmerksam. Dragnars einst muskulöser Körper wirkte nun leicht verschrumpelt – eine Folge der Milliarden Jahre Folter, die er im Ewigen Traumgefängnis erlitten hatte.
„Das hat er davon, wenn er so stur ist“, dachte Lein leicht genervt.
Er hatte keine Lust, noch mehr Zeit zu verschwenden. „Beantworte meine Frage. Kannst du mir helfen, den Samen des Gesetzes zu absorbieren?“, fragte er direkt.
Dragnar versteifte sich. Seine Augen flackerten, bevor er schnell nickte. „Ich kann es, Meister.“
Lein grinste zufrieden. „Gut. Dann gehen wir jetzt.“
Ohne auf eine weitere Antwort zu warten, hob Lein die Hand. Ein dünner violetter Nebel umhüllte Dragnar und hüllte ihn in sein Traumelement. Im nächsten Moment waren sie verschwunden – auf dem Weg zur Zone der Manifestation des Gesetzes.
***
Währenddessen …
„Sein Lebenskristall leuchtet wieder, mein Herr.“
Die Stimme eines älteren Mannes in einem weißen Anzug hallte durch den riesigen offenen Saal. Vor ihm saß ruhig ein Mann mittleren Alters, geschmückt mit einer goldenen Krone, die im Sonnenlicht glänzte.
Sein Blick wanderte nicht sofort zu seinem Untergebenen. Seine Augen blieben auf die ferne Landschaft gerichtet – einen hoch aufragenden Berg, der die Wolken durchbohrte.
Eine sanfte Brise wehte vorbei, doch seine Roben blieben unbewegt, als wage selbst der Wind nicht, seine Präsenz zu stören.
Der Mann saß gemächlich im Innenhof des Palastes und lehnte sich in einem aufwendig geschnitzten Stuhl zurück. Vor ihm stand eine Tasse Tee, aus der ein dünner Dampf aufstieg, dessen Aroma sich mit der frischen Luft vermischte.
Es folgte ein Moment der Stille. Der ältere Mann wartete geduldig und wagte nicht, die Gedanken seines Meisters zu unterbrechen.
Schließlich lächelte der Mann mittleren Alters leicht und griff nach der Teetasse. Mit einer langsamen, aber entschlossenen Bewegung nahm er einen Schluck.
„Was für ein glücklicher Zufall“, murmelte er leise, doch seine Stimme klang viel bedeutungsvoller als die Worte vermuten ließen.