Nyssara nickt steif und senkt den Blick zu Boden. „Ich verstehe, Meister. Ich würde es nicht wagen, ungehorsam zu sein.“
„Perfekt“, sagt Alix mit ruhiger Stimme, die aber einen autoritären Unterton hat. Er dreht sich auf dem Absatz um, sein Mantel schwingt, als er zum Höhleneingang geht. „An die Arbeit. Wenn ich zurückkomme, erwarte ich Fortschritte.“
Alix wirft ihr einen letzten langen Blick zu, als wolle er ihre Entschlossenheit prüfen, bevor er sich umdreht und aus der Höhle schreitet. Das Geräusch seiner Schritte verhallt in der Ferne und lässt Nyssara allein mit ihren Gedanken und ihren Spinnenkreaturen zurück.
Als sie sicher ist, dass er weg ist, stößt Nyssara ein leises Zischen aus und krallt ihre Klauen in den Boden.
„Das ist Unsinn“, murmelt sie leise.
„Wie können seine Untergebenen stärker sein als ich? Ich beherrsche diese Höhlen seit Jahrzehnten. Niemand hat mich je besiegt … bis auf ihn.“
Sie klickt genervt mit den Mandibeln und wirft einen Blick auf ihre Spinnen-Schergen, die bereits eifrig daran arbeiten, die Mineraladern abzutragen.
„Schneller!“, bellte sie, ihre Frustration deutlich spürbar. „Wir brauchen Ergebnisse, bevor seine sogenannten ‚Soldaten‘ eintreffen.“
Die Spinnenmonster huschen los und schlagen mit ihren pickelhaften Gliedmaßen mit geübter Präzision auf die Mineraladern ein. Die Höhle füllt sich mit dem rhythmischen Klirren von Metall auf Stein, während Nyssara zusieht und ihre Gedanken rasen. Sie ist es nicht gewohnt, Befehle zu befolgen, und der Gedanke, zu einer einfachen Bergarbeiterin degradiert zu sein, ärgert sie. Aber die Erinnerung an Alix‘ überwältigende Macht hält sie vorerst in Schach.
Eine Stunde vergeht, und die Spinnen haben bereits einen kleinen Haufen Gold und andere wertvolle Mineralien angehäuft. Nyssara inspiziert ihre Arbeit und kneift ihre blutroten Augen zusammen, während sie berechnet, wie viel sie noch brauchen, um Alix‘ Forderungen zu erfüllen. Doch gerade als sie neue Befehle erteilen will, spürt sie eine leichte Unruhe in der Luft.
Dann vibriert plötzlich der fast unsichtbare Faden, den Nyssara am Eingang der Höhle angebracht hat, und signalisiert einen Eindringling. Ihre Augen verengen sich, sie richtet sich auf und wischt Staub von ihren chitinhaltigen Armen.
„Das müssen die Soldaten sein, von denen er gesprochen hat“, murmelt sie mit leiser Stimme. „Mal sehen, was für Idioten er geschickt hat, um mich zu bewachen.“
Voller Selbstvertrauen schreitet Nyssara auf den Eingang zu, ihre acht Beine bewegen sich fließend und anmutig. Sie bereitet sich darauf vor, die Neuankömmlinge mit derselben Arroganz zu empfangen, die sie einst als Herrscherin dieser Höhlen an den Tag gelegt hatte. Doch als sie um die Ecke biegt und die Gestalten am Eingang sieht, verschwindet ihr Grinsen und macht einem tiefen, bedrückenden Gefühl Platz.
Vor ihr stehen drei Soldaten, von denen jeder eine Aura der Macht ausstrahlt, die ihre chitinhaltige Haut kribbeln lässt. Links steht ein Kobold, dessen reptilienartige Augen vor Gerissenheit glänzen und dessen geschmeidiger Körper wie eine gespannte Feder ist.
Rechts steht ein Gnoll, dessen massiger Körper vor Muskeln strotzt und dessen gezackte Zähne in einem räuberischen Grinsen entblößt sind.
Aber es ist die Gestalt in der Mitte, die Nyssara einen Schauer über den Rücken jagt – ein hoch aufragender Troglodyt, dessen schuppige Haut unnatürlich glänzt und dessen kalter Blick auf sie gerichtet ist.
Seine Schuppen schimmern schwach im trüben Licht, und seine durchdringenden gelben Augen scheinen sie zu durchbohren. Er trägt eine Rüstung, die sowohl uralt als auch tödlich wirkt, und die Aura, die er ausstrahlt, ist erdrückend – eine erschreckende Erinnerung an die Angst, die sie empfand, als sie Alix zum ersten Mal begegnete.
Für einen Moment kann Nyssara nicht sprechen. Das Gewicht der Präsenz des Troglodyten drückt auf sie, und ihre zuvor noch so große Zuversicht bröckelt. Selbst die Bezeichnung „Bergarbeiterin“ weckt nicht ihren üblichen stolzen Zorn. Stattdessen senkt sie leicht den Kopf und spricht mit fester, aber unterwürfiger Stimme.
„Ja, das bin ich. Ich… ich habe schon etwas Gold und andere Rohstoffe für ihn abgebaut.“
Der Troglodyt tritt vor und fixiert Nyssara mit seinem durchdringenden Blick.
„Was ist damit?“, fragt er mit rauer Stimme und deutet auf den Haufen Mineralien hinter ihr. „Bring das selbst in die Stadt. Seine Majestät möchte dich sehen.“
Nyssara blinzelt überrascht. Mit so einer Bitte hatte sie nicht gerechnet, und ihre Kiefer zucken nervös. Eine Frage steigt ihr in die Kehle, aber sie schluckt sie schnell herunter, aus Angst, das einschüchternde Wesen vor ihr zu verärgern.
Der Troglodyt bemerkt ihr Zögern und fügt hinzu: „Es ist ganz einfach. Folge den Markierungen an den Bäumen draußen. Sie führen dich direkt in die Stadt. Du wirst dich nicht verlaufen.“
„Verstanden. Ich werde sofort aufbrechen.“
Der Troglodyte nickt kurz. „Gut. Verschwende keine Zeit. Seine Majestät mag keine Verzögerungen.“
Nyssara macht eine flache Verbeugung, ihre Stimme ist leise, aber fest. „Das werde ich nicht.“
Ohne weitere Worte dreht sie sich um und beginnt, die Mineralien zu sortieren, wobei sie ihren Spinnen-Dienern Anweisungen gibt, sie effizient zu bündeln. Als sie sich zum Gehen bereitmacht, wirft sie einen kurzen Blick auf den Troglodyten und seine Begleiter. Der Gnoll grinst sie an, während der Kobold sie nur mit scharfen Augen beobachtet.
Sobald sie fertig ist, packt Nyssara die Mineralien in einen Netzbeutel auf ihrem Rücken und macht sich auf den Weg zum Ausgang der Höhle.
Nyssara zieht die Seidenfäden, mit denen ihr Rucksack befestigt ist, fester an. Ihre acht Beine tragen sie schnell über den Waldboden, während ihre Augen die Bäume nach den Markierungen absuchen, die der Troglodyte erwähnt hat. Jedes Symbol ist tief in die Rinde geritzt und leitet sie wie ein stiller Kompass.
Während sie geht, schwirren Nyssaras Gedanken durcheinander.
„Wer ist er?“, murmelt sie, ihre Stimme kaum hörbar über dem Rascheln der Blätter. „Wie kann er Kreaturen wie diese drei befehligen? Dieser Troglodyte allein … es fühlte sich an, als stünde ich ihm wieder gegenüber.“
Ihre Krallen krallen sich instinktiv fest, als sie sich an die erdrückende Aura der Soldaten erinnert, von denen jeder einzelne mindestens so furchterregend war wie sie selbst, wenn nicht sogar noch furchterregender. Der Wald wird dichter, während sie den Markierungen folgt, und mit jedem Schritt wächst ihre Unruhe.
Es dauert nicht lange, bis sie eine Lichtung erreicht, und ihre Beine geben nach. Nyssaras Augen weiten sich, und für einen Moment kann sie sich nicht bewegen.
Vor ihr steht eine Stadt, aber sie ist anders als alles, was sie sich vorgestellt hat. Sie hatte eine junge Siedlung erwartet, bestenfalls eine hastig errichtete Festung. Stattdessen ragen vor ihr hoch aufragende Mauern empor, deren schiere Größe und Kunstfertigkeit eine uralte, fast göttliche Majestät ausstrahlen.
Der Stein glänzt schwach im Sonnenlicht und ist mit komplizierten Schnitzereien verziert, die Geschichten einer längst vergangenen Zivilisation zu erzählen scheinen.
„Allein schon die Mauern …“, flüstert Nyssara mit zitternder Stimme. „Diese Stadt – es ist, als stünde sie schon seit hunderttausend Jahren hier.“