Ändere deine Denkweise.
Seraphina hatte mir das schon so oft gesagt, wie ein Mantra, wie eine Warnung. Ich hatte es immer abgetan und in den hintersten Winkel meines Gedächtnisses verbannt, wie eine Notiz auf einem Zettel. Aber dieses Mal traf es mich anders. Ihre Worte hallten nicht nur nach, sie wurden immer lauter, bis ich sie nicht mehr ignorieren konnte.
Mein Stuhl kratzte über den Boden, als ich abrupt aufstand. Das schrille Geräusch schien durch den murmelnden Saal zu schneiden und alle Köpfe zu drehen. Rachel rief mir mit großen Augen hinterher. „Arthur“, sagte sie, ihre Gesichtszüge von Verwirrung und Sorge gezeichnet. „Wir haben Nachmittagsunterricht – ist alles in Ordnung?“
Knack.
Mit diesem einen Wort zerbrach etwas in meinem Kopf.
Ich kann das Geräusch nicht genau beschreiben – ob es von innen oder außen kam –, aber es hallte in meinen Ohren wie eine Glasscherbe, die unter unerträglichem Druck zerbrach. Es folgte ein Schwindelgefühl, als würde der ganze Saal aus dem Fokus geraten. Mein Atem stockte, und für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob ich meine eigenen Gedanken in meinem Kopf widerhallen hörte oder ob die Welt um mich herum buchstäblich auseinanderbrach.
„Mir geht es nicht gut“, brachte ich hervor, meine Stimme klang fremd in meinen Ohren. Ich griff nach der Luft, als könnte sie mir Halt geben, aber sie war nicht greifbar und glitt mir durch die Finger. Ich wandte mich von Rachel ab und ignorierte ihre ausgestreckte Hand. Mein Körper drehte sich wie von selbst, und ich verließ mit unsicheren Schritten den Studienraum.
Aus Gehen wurde Laufen. In einem Moment ging ich noch zügig einen Flur entlang, im nächsten sprintete ich an erschrockenen Klassenkameraden vorbei. Die verzierten Wände der Akademie, die mit Holo-Displays mit bevorstehenden Veranstaltungen gesäumt waren, schienen sich nach innen zu verdrehen und zu einem Labyrinth zu verengen, aus dem es kein Entkommen gab. Jeder Schritt hallte wider, ein hämmerndes Geräusch, das meinen pochenden Herzschlag widerspiegelte.
Ich hatte keinen Plan – nur den Urinstinkt zu fliehen, dem Tumult in meinem Kopf zu entkommen. Türen und Fenster flitzten vorbei, flackernde Illusionen oder raffinierte Dekorationen, die ich normalerweise bewundert hätte. Aber jetzt wirkten sie wie bedrohliche Gestalten, imposant und erdrückend. Meine Lungen brannten, aber ich rannte weiter, angetrieben von dem Knacken, das ich in meinem Kopf hörte. Es war, als hätte sich eine Verwerfungslinie in meiner Psyche aufgetan, die mit jedem neuen Schritt weiter aufbrach.
Ich erreichte mein Zimmer, ohne mich daran zu erinnern, wie ich durch das Labyrinth gekommen war. In einem Moment war ich noch in diesem endlosen Flur, im nächsten stolperte ich durch meine Tür, und eine erstickende Stille umhüllte mich, als sie hinter mir ins Schloss fiel. Meine Knie gaben nach, und ich sank zu einem Haufen auf den Boden, dessen polierte Oberfläche sich kühl auf meiner verschwitzten Haut anfühlte.
Knacken.
Wieder. Lauter, schärfer, als würde eine riesige Hand von innen zartes Glas zerdrücken. Ich zischte vor Schmerz, schlug die Hände an den Kopf und versuchte vergeblich, das Geräusch auszublenden. Mein Puls hämmerte in meinen Ohren. Meine Gedanken zerfaserten und verstreuten sich über die Oberflächen meiner Erinnerungen. Ich spürte, wie sich die Realität wieder verschob, oder vielleicht war es meine Wahrnehmung, die ins Wanken geriet. Der daraus resultierende Schwindel brachte mich dazu, schreien zu wollen.
Die Zeit verlor ihren Halt. Ich konnte nicht sagen, ob nur Sekunden oder ganze Stunden vergingen. Mein Atem ging stoßweise, jeder Ausatemzug zitterte, während ich versuchte, nicht zu schluchzen. Der Schmerz in meiner Brust und meinem Kopf verschmolz zu einem engen Knäuel der Verzweiflung. Eine unsichtbare Barriere – die, die ich um mein Herz, meinen Verstand, mein ganzes Leben errichtet hatte – begann zu bröckeln, und das war erschreckend.
Knack!
Der letzte Schlag war wie ein Geräusch, als würden tausend Spiegel auf einen Marmorboden fallen. Ich war total angespannt. Ich rollte mich zusammen und drückte meine Stirn auf den Boden. Mein Körper zitterte. Die Illusionen, die Geschichten, die ich mir erzählt hatte, lösten sich alle in Luft auf.
Ich erinnerte mich vage daran, wie ich früher alle um mich herum als Figuren in einer großen Geschichte betrachtet hatte. Ihre Rollen, ihre Handlungsbögen, die Unvermeidbarkeiten – nichts davon war real, oder? Das war die Ausrede, die ich mir selbst erzählt hatte. Dass die Welt ein Roman, ein Drehbuch war und ich, der Beobachter, von den wahren Konsequenzen losgelöst war. Wenn etwas Tragisches passierte, war es „nur Teil der Handlung“.
Wenn jemand Erfolg hatte oder scheiterte, war das „so vorgesehen“. Sie waren für mich nicht real. Sie waren … Platzhalter. Oder schlimmer noch, Objekte, die man manipulieren konnte.
Und jetzt waren diese Illusionen, diese mentalen Konstrukte, zerbrochen. Das Gefühl der Kontrolle, das daraus resultierte, dass ich glaubte, über der Erzählung zu stehen, dass die Menschen um mich herum keine spielbaren Rollen waren, löste sich auf wie Zucker in Wasser.
Ich schnappte nach Luft, hustete und zwang meine Augen auf. Die Realität meines kleinen Zimmers wirkte bedrückend. Keine Illusionen milderten die Ecken, keine weise Erzählerstimme erklärte das nächste Kapitel. Stattdessen war ich nur ein Mensch, der auf einem kalten Boden festsaß und unter der Last tausender Reuegefühle litt, die in meinem Kopf hämmerten.
„Was … habe ich getan?“, murmelte ich mit heiserer Stimme. Meine Stimme zitterte und war nicht wiederzuerkennen. Erinnerungen kamen mit schmerzhafter Klarheit zurück: die Momente, in denen ich Cecilias Versuche, Kontakt aufzunehmen, abgewiesen und ihre manipulative Art verspottet hatte, ohne ihre wahren Gefühle anzuerkennen. Die Momente, in denen ich Rachels unerschütterliche Freundlichkeit ignoriert und als selbstverständlichen Teil ihres „Charakters“ abgetan hatte.
Die Momente, in denen Seraphina mir die Wahrheit sagte und mich drängte, die Welt so zu sehen, wie sie war, und ich ihre Worte als Nebensächlichkeiten in einem Roman abtat.
Sie waren keine Nebenfiguren. Sie waren lebende, atmende Menschen mit Gefühlen, Motivationen und Verletzlichkeit. Und ich hatte sie alle wie Requisiten behandelt. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag und ich krümmte mich und umklammerte meine Knie. Meine Fingernägel gruben sich in meine Arme, während ich mit einer Welle der Scham kämpfte.
Der nächste Tag verging wie im Nebel. Ich verließ kaum den Boden. Ich driftete in einen flachen Schlaf, in dem sich Albträume mit halb bewussten Reuegefühlen vermischten. Der Hunger knurrte in meinem Magen, aber ich konnte mich nicht dazu bringen, etwas zu essen. Mein Handy piepste gelegentlich mit Nachrichten oder Erinnerungen an den Unterricht. Ich ignorierte sie.
Das Einzige, was real schien, war der Zusammenbruch meines Verstandes, als müsste ich die Konsequenzen erst auf mich wirken lassen, bevor ich wieder auftauchen konnte.
Während dieser Zeit erinnerte ich mich an Bruchstücke: Rachels sanfte Fürsorge, als ich krank war, Cecilias neckische Kommentare, hinter denen sich manchmal echte Sorge verbarg, sogar Luzifers stoische Präsenz, die mich vielleicht ein- oder zweimal beschützt hatte. Jede Erinnerung war nicht mehr nur ein Ausschnitt aus einer Geschichte.
Sie fühlte sich herzzerreißend menschlich an, unverfälscht, als wäre ich farbenblind gewesen und sähe jetzt zum ersten Mal Farben. Mir wurde klar, wie leer die emotionale Distanz war, die ich geschaffen hatte. War ich wirklich so blind für ihre Kämpfe, ihre Freuden, ihre Schmerzen gewesen? Die Frage hallte in mir nach.
Am dritten Tag veränderte sich etwas in mir. Vielleicht war es der Überlebensinstinkt. Vielleicht war es ein Funken Trotz. Auf dem Boden zu liegen, in Schuldgefühlen und Trauer zu versinken, brachte nichts. Langsam rappelte ich mich auf. Meine Glieder fühlten sich schwach an, ein dumpfer Schmerz strahlte in meinen Muskeln aus. Mein Spiegelbild auf der anderen Seite des Raumes sah ausgezehrt aus, meine Augen waren von dunklen Ringen umrandet, meine Haare zerzaust.
Ich atmete zittrig ein, legte eine Hand auf meine Brust und spürte mein Herz schlagen. Gleichmäßig, beständig, echt. Ich starrte mein Spiegelbild an und ließ die letzten Reste meiner Verleugnung verschwinden. Es gab keine Kapitel, keinen schlauen Autor, der meine Fäden zog. Es gab nur mich, die sich durch eine komplizierte, reale Welt stolperte. Die Frage war: Konnte ich stehen, im wörtlichen und im übertragenen Sinne?
Ich zwang mich aufzustehen. Mein Kopf drehte sich. Meine Knie wackelten. Ich stützte mich an einem Regal und suchte nach einer Flasche Wasser.
Ich trank die Hälfte davon und merkte, wie dehydriert ich war. Das ist echt. So ist dein Leben, wenn du nicht so tust, als wäre alles nur ein Spiel. Ich erinnerte mich daran. Die Trockenheit in meiner Kehle, die Hungerattacken in meinem Magen, das Zittern meiner Hände – das waren unbestreitbare Tatsachen, nicht nur Details aus einem Drehbuch.
Das war echt.
Ich war echt.