„Was für eine lächerliche Art, ein Meisterwerk zu ruinieren.“
Ich scrollte durch das neueste Kapitel auf meinem Handy und sah in Echtzeit, wie „Saga of the Divine Swordsman“ einen literarischen Absturz erlebte.
Es gab mal eine Zeit – eine glorreiche Zeit –, in der dieser Roman der unangefochtene Goldstandard der modernen Fantasy war. Eine meisterhafte Mischung aus Murim-Kriegern, hochrangigen Zauberern und einer futuristischen Dystopie, die am Rande des Zusammenbruchs stand.
Jede Schlacht war eine sorgfältig komponierte Symphonie, jede Wendung durchdacht und mit cleveren Andeutungen gespickt.
Und jetzt?
Jetzt klammerte sich der Protagonist kaum noch an seinen Verstand, und die Erzählung hing am seidenen Faden.
Die Charaktere starben schneller als Statisten in einem Kriegsfilm. Die Konsistenz der Handlung war wie ein kaputtes Schwebefahrzeug am Straßenrand zurückgelassen worden. Und Vampire. Blutige Vampire.
Seit über 160 Jahren ausgestorben, hatte der Autor gesagt. Ausgestorben wie die Dinosaurier, wie der gesunde Menschenverstand, wie mein Glaube an diesen Roman. Und doch waren sie hier und stolzierten aus einer unterirdischen Stadt, von der noch nie jemand zuvor gesprochen hatte, angeführt von einem sogenannten Vampir-Monarchen, der es offenbar geschafft hatte, sich der Geschichte, den Historikern und den Grundregeln des Geschichtenerzählens zu entziehen.
Die Kommentarspalte war bereits ein Schlachtfeld, ein Kriegsgebiet voller enttäuschter Fans, wütender Theoretiker und verzweifelter Apologeten, die versuchten, die zerbrochenen Überreste der Handlung wieder zusammenzuflicken. Ein Leser hatte einen ganzen Aufsatz geschrieben, in dem er darlegte, wie diese neueste Entwicklung im Widerspruch zu Kapitel 141 stand. Ein anderer hatte völlig aufgegeben und postete nun KI-generierte Memes von Lucifer Windward, der in eine Schüssel Instant-Nudeln weinte.
Ich musste zustimmen. Das war nicht nur ein Niedergang. Es war eine literarische Katastrophe, ein Massenunfall, bei dem jedes der beteiligten Fahrzeuge Feuerwerkskörper und einen zutiefst verwirrten Zirkuselefanten geladen hatte.
Und dabei hatte alles so gut angefangen.
Die Menschheit, die unter der Knute mächtiger nichtmenschlicher Rassen stand, hatte sich mit purer Willenskraft, technologischem Einfallsreichtum und genau der richtigen Portion rücksichtsloser Arroganz zurückgekämpft. Elfen und Zwerge hatten sich in die Gesellschaft integriert. Magische Wesen lauerten in den Bergen und beobachteten mit stiller Belustigung, wie die Zivilisation sich selbst zerfleischte. Die Dämonen waren verbannt worden. Die Vampire waren vernichtet worden. Zumindest hatte man uns das glauben lassen.
Und im Zentrum des Geschehens stand Lucifer Windward.
Ein Wunderkind. Eine Naturgewalt. Die Art von Protagonist, die Kriegsherren dazu brachte, ihre Lebensentscheidungen zu überdenken. Er besaß einen Yin-Yang-Körper, absurde Elementaraffinitäten und Sehfähigkeiten, die minderwertigen Kriegern ihre Würde, ihre Kniescheiben und in extremen Fällen sogar ihren Lebenswillen rauben konnten. Er war unantastbar. Unaufhaltsam. Er war auf dem Weg nach oben.
Und dann entschied der Autor, dass Lucifer wirklich Leid brauchte.
Also bekam er Leid.
Die Familie Windward ging unter. Sein Vater starb. Seine Verbündeten zerfielen. Die Kagu-Familie – einst eine unerschütterliche Kriegsdynastie – wurde zerschlagen, unter den Füßen von etwas zertreten, das weit schlimmer war als alles, was die ursprüngliche Handlung jemals vorgesehen hatte.
Und gerade als es schien, als könnte es nicht mehr schlimmer kommen, wurde es noch schlimmer.
Luzifer – ein Krieger von unsterblicher Macht – wurde gegen Gegner geworfen, die noch gar nicht existieren sollten. Das Tempo war völlig durcheinander, die Einsätze wurden absurd, und das sorgfältig ausgewogene Kräfteverhältnis, das den Roman einst geprägt hatte, war nun nur noch eine ferne Erinnerung.
Ich atmete tief aus und schloss die Augen.
Ich sollte mich nicht so über einen Roman aufregen.
Aber diese Geschichte war eine Flucht gewesen. Eine Welt voller spannender Unvorhersehbarkeit, großer Pläne und hoher Einsätze. Etwas, das mich für eine Weile die völlige Monotonie meines eigenen Lebens vergessen ließ.
Aufwachen. Die Routine abspulen. Abspülen. Wiederholen.
Im Vergleich dazu war selbst eine katastrophal misslungene Handlung noch etwas.
Ich gähnte, und die Erschöpfung gewann schließlich die Oberhand über die Frustration.
Und dann passierte etwas Seltsames.
Die Welt um mich herum verdunkelte sich – nicht nur so, wie ein Raum dunkler wird, wenn man die Augen schließt, sondern als wäre das Licht selbst verschwunden. Aus der Existenz gerissen. Eine tiefe, endlose Leere breitete sich unter mir aus, unermesslich und unergründlich, und zog mich in etwas anderes hinein.
Dann eine Stimme. Leise. Fern. Sie durchdrang die Leere wie ein Flüstern an einem Ort, an dem es noch nie ein Flüstern gegeben hatte.
„Es tut mir leid“, flüsterte sie, schwer von etwas Endgültigem. „Es war der einzige Weg.“
Ich versuchte, mich zu bewegen. Zu sprechen. Eine Erklärung zu verlangen. Aber meine Gedanken zerfaserten wie lose Fäden und lösten sich in der Tiefe auf.
Dann –
Nichts.