Anders als beim letzten Waffensimulator war dieser Gegner unbewaffnet. Aber Atticus konnte es spüren.
Tödlichkeit. Präzision. Kalkulierte Bewegungen.
Seine Haltung war anders als alles, was er je gesehen hatte. Es war, als würde allein diese Haltung alle seine Schwachstellen abdecken.
„Das ist ein Nahkampfspezialist, der mit dem Wissen aller bekannten Kampfsportler, Krieger und Meister in der Geschichte Eldoralths programmiert wurde“, erklärte Viktor, bevor er wieder etwas Abstand zwischen sich und den Simulator brachte.
Dieser nahm eine neutrale Haltung ein, der Körper entspannt, aber perfekt ausbalanciert.
Atticus stand ihm gegenüber, die Hände an den Seiten, seine Haltung völlig unauffällig.
Als Viktor weit genug weg war, sagte er:
„Fang an.“
Die Luft zischte, und die Maschine setzte sich in Bewegung.
In einer verschwommenen Bewegung schlug ihr rechtes Bein mit einem präzisen, blitzschnellen Roundhouse-Kick durch die Luft und zielte auf Atticus‘ Schläfe.
Atticus rührte sich nicht.
Der Tritt ging knapp vorbei, verfehlte sein Ziel um Haaresbreite, aber Atticus hatte ihn bereits kommen sehen.
„Eine kontrollierte Finte. Die Hüftdrehung deutet auf eine Fortsetzung hin …“
Der zweite Tritt folgte sofort und ging nahtlos in einen tiefen Schwung über, der seine Beine wegfegen sollte.
Atticus hob einfach seinen Fuß und ließ den Angriff harmlos unter sich hindurchgehen.
Die Maschine zögerte nicht.
Ein Handflächenschlag gegen die Rippen. Ein plötzlicher Ellbogenstoß gegen seinen Kiefer. Ein schwungvoller Kniestoß gegen seinen Oberkörper.
Jeder Schlag war schnell. Unerbittlich.
Doch keiner davon traf.
Atticus wich den Angriffen aus, als würden sie sich in Zeitlupe abspielen. Jeder Schlag verfehlte ihn knapp, streifte seine Kleidung, traf aber nie seinen Körper.
Für Viktor war das wieder einmal absurd.
Dies war eine der fortschrittlichsten Kampftrainingssimulationen, die je entwickelt worden waren. Sie war darauf ausgelegt, sich anzupassen, zu kontern und zu überwältigen.
Und doch –
Atticus hatte nicht einmal seine Hände erhoben.
Er kämpfte nicht.
Er beobachtete.
Die Maschine wechselte plötzlich ihren Stil und passte sich mitten im Kampf an.
Ihre Bewegungen wurden lockerer, flüssiger, eine völlig andere Kampfkunst.
Atticus kniff die Augen zusammen.
„Sie lernt auch“, dachte er.
Der Gegner verkürzte plötzlich mit einer schnellen Fußbewegung den Abstand und zielte auf eine komplizierte Kombination aus Gelenkhebeln und Nervenschlägen.
Atticus ließ ihn kommen.
Er ließ ihn nach ihm greifen.
Dann –
bewegte er sich.
Ein einziger Schritt.
Eine Gewichtsverlagerung.
Er lenkte den Schwung der Maschine um und drehte sich im letzten Moment weg.
Der Angriff des Gegners brach zusammen.
Und bevor er sich erholen konnte, schoss Atticus‘ Faust nach vorne.
Ein sauberer, präziser Schlag auf das Kinn.
Der Aufprall klang wie ein Donnerschlag.
BOOM!
Die Maschine flog nach hinten, rutschte über die Trainingsplattform und hinterließ mit ihren metallenen Gliedmaßen tiefe Furchen im Boden.
Sie hob langsam den Kopf. Aber in dem Moment, als sie das tat, veränderte sich die Luft.
Atticus rollte mit den Schultern.
Dann hob er zum ersten Mal seit Beginn des Kampfes die Hände.
Dann –
Ende.
„Der Nächste“, rief Atticus.
Viktor schreckte aus seinen Gedanken auf und tippte erneut auf sein Gerät.
Die Insel veränderte sich.
Ausdauertraining ohne Mana
Atticus stand am Rand eines Überlebensparcours, vor ihm erstreckte sich eine endlose Fläche feindseligen Terrains.
Zackige Klippen. Instabile Felsformationen. Dichte Wälder voller versteckter Gefahren.
In der Ferne schwebten mechanische Drohnen, die auf seine Wärmesignatur fixiert waren und bereit waren, bei der kleinsten Bewegung Betäubungsgeschosse abzufeuern.
Dieser Test sollte die Rekruten brechen. Er sollte Körper und Geist bis an ihre absoluten Grenzen bringen.
Eine laute Sirene heulte auf.
Viktors Stimme ertönte aus den Lautsprechern.
„Fangt an.“
Atticus machte einen Schritt nach vorne.
Der Parcours wurde sofort aktiviert.
Die Drohnen feuerten.
Eine Flut von Projektilen prasselte nieder, mit einer Geschwindigkeit, die unmöglich auszuweichen schien.
Aber Atticus war schon weg.
Sein Körper drehte sich und schlängelte sich durch das Sperrfeuer wie ein Schatten, der durch Risse in der Realität schlüpft.
Der Boden unter ihm brach zusammen und verwandelte sich in unebenes Gelände.
Atticus hielt nicht inne.
Wo Viktor erwartet hatte, dass er stolpern oder zögern würde, passte sich Atticus einfach an.
Er verschwendete keine Energie.
Er geriet nicht in Panik.
Seine Atmung blieb kontrolliert, seine Haltung effizient. Er glitt durch den Parcours.
Viktor blieb still und sah zu, wie Atticus mühelos das Gelände überquerte, ohne auch nur einmal aus dem Rhythmus zu kommen.
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Als er sich dem letzten Hindernis näherte, einer massiven Felswand, hätten andere Rekruten ihre letzten Kraftreserven aufgebraucht.
Aber Atticus –
Er sah kaum außer Atem aus.
Er kletterte in Sekundenschnelle die Klippe hinauf, seine Finger krallten sich in die rauen Kanten, seine Bewegungen waren so flüssig wie die eines Raubtiers, das einen Berg erklimmt.
Er erreichte den Gipfel. Und als er landete, klopfte er sich einfach den Staub von den Händen.
Als wäre der gesamte Ausdauerparcours nichts weiter als ein Aufwärmtraining gewesen.
„Der Nächste“, rief Atticus ruhig.
„J-ja“, murmelte Viktor, schloss seinen offenen Mund und tippte auf weitere Knöpfe des tabletähnlichen Geräts.
Angst- und Stresstraining
Atticus stand in der Mitte einer großen Kammer, seine Haltung ruhig und gelassen.
Viktors Stimme hallte über ihm wider. Er wirkte nervös, versuchte aber dennoch, seine letzte Fassung zu bewahren.
„Dieses Training soll dich brechen.“
„Angst ist der Feind aller Krieger. In dem Moment, in dem du sie zulässt, hast du verloren. Diese Simulation zielt auf deinen Verstand ab, holt deine tiefsten Ängste hervor und zwingt dich, dich ihnen zu stellen.“
Ein leiser Piepton ertönte.
Die Wände des Raumes verschoben sich und pulsierten mit einem seltsamen Licht. Die Atmosphäre verdichtete sich, die Luft wurde kalt.
Dann –
brach die Welt zusammen.
Die Luft verdunkelte sich, der Raum dehnte sich aus und verwandelte sich in eine albtraumhafte Realität.
Atticus spürte sofort die Veränderung.
Es war keine Illusion.
Es war eine vollständige mentale Simulation.
Ein direkter Angriff auf die Psyche.
Aber Atticus?
Er stand regungslos da.
Die Welt verdrehte sich um ihn herum, das Bild seiner Familie erschien, jeder einzelne wurde niedergestreckt, getötet.
Seine Augen zuckten jedoch nicht einmal.
Er hatte das schon einmal gesehen. Er hatte es akzeptiert. Und er hatte geschworen, dafür zu sorgen, dass es nie wieder passieren würde.
Deshalb würde es auch nicht passieren.
Sein Wille war viel zu stark, als dass dies irgendeine Wirkung auf ihn haben könnte.
Es war nicht real.
Und was noch wichtiger war:
Es funktionierte nicht.
Der Raum drückte stärker.
Plötzlich tauchte eine Gestalt vor ihm auf.
Eine Frau.
Ihr Gesicht war teilweise verdeckt, aber die Teile, die zu sehen waren, kamen ihm nur allzu bekannt vor.
Sie streckte die Hand nach ihm aus, ihr Gesichtsausdruck war unlesbar.
Und zum ersten Mal seit Beginn des Trainings –
Atticus blinzelte.
„Mom.“
Seine Mutter von der Erde.
Die Simulation nutzte diesen Moment.
Sie drang in seinen Geist ein, verzerrte ihn, veränderte ihn und versuchte, etwas zu erschaffen.
Sie versuchte, tief zu graben.
Aber Atticus‘ Blick verdunkelte sich langsam.
Das gefiel ihm nicht.
Sein Geist verhärtete sich.
Und dann –
Mit einem einzigen, bewussten Gedanken schwoll sein Wille an.
Die Simulation brach zusammen.
Der Raum kehrte in die Realität zurück. Die Albtraumwelt verschwand, die erstickende Aura löste sich auf, das furchterregende Flüstern verstummte.
„Sind wir fertig?“
Von allen Tests, die Atticus gerade durchgeführt hatte, war dieser bei weitem derjenige, der Viktor am meisten schockierte.
„Was zum Teufel macht ein Kind mit einem so festen Willen?“
