Kälte.
Die Art von Kälte, die bis in die Knochen drang und sich durch Fleisch und Haut krallte, als hätte sie nur darauf gewartet, hereinzukommen.
Es war mehr als nur körperlich; es war eine Kälte, die Gedanken einfror, Instinkte lähmte und selbst die mutigsten Kreaturen vergessen ließ, wie man atmet.
Das war nicht normal.
Das war nicht von dieser Welt.
Der Wind, der einst frei durch den Wald getanzt war, war verschwunden. Der Wald war zu einem Friedhof der Geräusche geworden, eine Stille so vollkommen, dass es sich anfühlte, als hätte die Welt selbst vergessen, wie man sich bewegt.
Sogar der Boden schien seine Wärme zu verlieren, als würde das Leben selbst unter Yorowins erstickender Blutgier zurückweichen und eine gefrorene, metallische Leere hinterlassen.
Der metallische Geruch von Blut wurde stärker, bedrückender, als hätte sich die Blutgier selbst zu Tröpfchen verdichtet, die in der Luft hingen und darauf warteten, jeden zu ertränken, der dumm genug war, sie einzuatmen.
Die Welt verstummte.
Und doch, trotz der überwältigenden Kälte, trotz der Blutgier, die alles in ihrem Weg zu verschlingen drohte, tat sie nichts.
Absolut nichts, was Atticus erschüttern konnte.
Er stand still wie ein Berg, unnachgiebig, unbeeindruckt von dem Sturm um ihn herum. Sein Blick blieb auf Yorowin gerichtet, unerschütterlich, als wären die Jahrhunderte der Macht, die auf ihn drückten, nichts weiter als eine vorübergehende Brise.
Und während es sich für alle so anfühlte, als hätte sich die Zeit verlangsamt und den Moment zu einer Ewigkeit gedehnt, war die Wahrheit weitaus beunruhigender:
Es war keine Zeit vergangen. Keine Sekunde, nicht einmal ein Bruchteil davon.
Sobald Yorowin sprach, antwortete Atticus, und seine Stimme durchschnitten die erstickende Stille wie ein Messer.
„Nicht nötig.“
Die Welt erstarrte.
Atticus‘ Katana zitterte, die Vibrationen waren so stark, dass sie sich in der Erde ausbreiteten und sie unter dem Gewicht einer unsichtbaren Kraft zerbrachen und zerbarsten.
Mit einer Ruhe, die das bevorstehende Chaos nicht erahnen ließ, griff seine Hand nach dem Griff.
Dann brach eine Windexplosion aus seinem Körper hervor und riss den Boden in einem gewaltsamen Ausbruch roher Kraft auseinander. Die Luft selbst wich zurück, als hätte sie Angst, zu nahe zu kommen.
Er bewegte sich.
Nicht durch die Luft. Nicht wie ein Lichtstrahl. Nein.
Das hätte bedeutet, dass man ihm folgen, ihn aufspüren oder sogar sehen könnte.
Für die Blutschatten, für Cadence, für alle anwesenden Resonara verschwand Atticus einfach.
Aber für Großältesten Yorowin verlangsamte sich die Welt bis zum Stillstand. Seine jahrhundertealten Instinkte konnten kaum mithalten, während sein Blick flackerte und sich bemühte, die Bewegung des Jungen zu verfolgen.
Dann ertönte Atticus‘ Stimme, hallend wie ein göttliches Gebot:
„Vorpal Nova.“
Die dritte Kunst des Katana war eine Technik, bei der unzählige Hiebe zu einem einzigen, verheerenden Halbkreis verschmolzen.
Um sie auszuführen, war eine unvorstellbare Geschwindigkeit erforderlich, wobei jeder Hieb nahtlos in den nächsten überging, bevor man ihn überhaupt sehen konnte.
Aber Atticus hatte sogar das noch übertroffen.
In seinen Bewegungen gab es keine Nachbilder, keine Spuren. Sein Katana stieg und fiel in einer einzigen fließenden Bewegung und bildete einen Bogen, der wie die Sense eines rachsüchtigen Gottes auf Yorowin zuraste.
Der Wald bebte.
Die Erde spaltete sich. Der Himmel schien sich zu verdunkeln, als der Halbmond vorwärts schoss und seine Kanten die Struktur der Existenz durchschnitten.
Bäume wurden zu Splittern zermalmt, bevor sie überhaupt zu Boden fallen konnten. Der Boden unter dem Bogen teilte sich, als wäre er von den Händen einer Gottheit gespalten worden.
Yorowins Augen flogen auf, sein ganzes Wesen zuckte alarmiert zusammen. Seine über Jahrhunderte geschärften Instinkte schrien nur eines: Gefahr.
Der Schock, der ihn durchfuhr, war von planetarem Ausmaß. Ein 17-jähriger Junge? Unmöglich.
Aber Überleben war seit Jahrhunderten Yorowins Credo, und seine Instinkte hatten ihn noch nie im Stich gelassen. Sie würden ihn auch jetzt nicht im Stich lassen.
Er hob den Arm und beschwor einen Blutschild herbei, der augenblicklich Gestalt annahm.
Das war nicht irgendein Schild. Es war eine Festung aus purpurroter Energie, so dicht, dass sie der vereinten Kraft ganzer Armeen hätte standhalten können.
Die Luft um ihn herum verzerrte sich und zitterte unter ihrem immensen Gewicht, als würde die Realität selbst darum kämpfen, ihre Existenz zu akzeptieren.
Die Welt bereitete sich auf den Aufprall vor und wartete auf eine blendende, erderschütternde Kollision, die alles in ihrem Weg vernichten würde.
Aber sie kam nicht.
Atticus‘ Blick flackerte. Dann passierte es.
Als der Lichtbogen den Blutschild erreichte, verzerrte sich der Raum um ihn herum auf unnatürliche Weise. Die Realität faltete sich in sich selbst zusammen, und der Angriff verschwand, als wäre er verschlungen worden.
Yorowins Blick schwankte, Ungläubigkeit kroch in seinen Gesichtsausdruck. Selbst seine jahrhundertelange Erfahrung hatte ihn nicht darauf vorbereitet.
Es teleportierte sich.
Der Lichtbogen tauchte augenblicklich wieder auf, umging seinen undurchdringlichen Schild und war nun nur noch wenige Zentimeter von seiner Brust entfernt.
Seine Augen weiteten sich vor Schock, und er konnte es einfach nicht glauben, was selbst ein Vorbild kaum begreifen konnte.
Die Zeit schien für ihn langsamer zu vergehen, und jeder Bruchteil einer Sekunde zog sich wie eine Ewigkeit hin.
Dann schlug es zu.
Der Lichtbogen durchdrang Yorowins Körper und teilte ihn sauber in zwei Hälften, als hätte eine göttliche Klinge ihn für unwürdig befunden, weiterzuleben.
Aber der Lichtbogen hielt nicht an.
Er schoss weiter, durchschnitten den Wald und alles darüber hinaus. Berge in der Ferne zerbröckelten, als wären sie aus Sand. Der Horizont selbst spaltete sich, und die Erde bebte von Nachbeben, die so heftig waren, dass sie wie der Herzschlag einer sterbenden Welt über das Land rollten.
Für einen Moment war es still.
Dann brach die Stille.
Die Zeit nahm ihren Lauf wieder auf.
Candence, die Resonara-Krieger und die Blut Schatten spürten alles auf einmal, eine überwältigende Empfindung nach der anderen, jede verheerender als die vorherige.
Zuerst brach eine Explosion roher Kraft aus der Stelle hervor, an der Atticus gestanden hatte, eine Schockwelle, die so heftig war, dass sie Bäume entwurzelte, die Erde auseinanderriss und die Blut Schatten wie Stoffpuppen durch die Luft schleuderte.
Ihre Körper schlugen auf den zertrümmerten Boden, zerschlagen und gebrochen, ihre Schmerzensschreie übertönt vom Chaos.
Dann kam das Geräusch.
Das Kreischen des Lichtbogens, der durch die Luft riss, ein Heulen, das so durchdringend war, dass es in ihren Seelen zu widerhallen schien und eine Spur der Verzweiflung und Ehrfurcht hinterließ.
Schließlich traf die Nachbebenwelle ein.
Der Horizont, gespalten, als wäre ein himmlisches Schwert herabgestürzt, sandte Wellen der Erschütterung zurück zu ihnen. Der Boden hob sich heftig und barst mit einem ohrenbetäubenden Dröhnen auf, als die vom Lichtbogen freigesetzte Energie wie der unerbittliche Schlag einer Kriegstrommel durch das Land pulsierte.
Und dann passierte etwas Unerwartetes.
Candence und die anderen Resonara spürten es: Der eiserne Griff, der ihr Blut und ihre Körper festhielt, wurde plötzlich schwächer. Die erstickende Kraft, die Yorowin befehligt hatte, war verschwunden.
Der Lichtbogen war durch sie hindurchgegangen.
Und doch … war nichts passiert.
„Wo sind wir?“, murmelte Candence und sah sich um. Das war nicht der Ort, an dem sie zuvor gewesen waren. Das Schlachtfeld war verschwunden und von endlosem Himmel ersetzt worden.
Und dann wurde ihm klar, dass sie fielen.
Für einen Moment packte sie Panik, bevor starke Hände ihre fallenden Körper auffingen und ihren Abstieg abbremsten. Candence blickte nach oben und hielt vor Schreck den Atem an.
Es war nicht nur ein Atticus, der sie festhielt, es waren Hunderte.
Jeder Resonara wurde von einem Atticus festgehalten, der ihn sanft zur Erde hinunterführte.
Aber trotz seiner Ehrfurcht bemerkte Candence etwas Seltsames.
Das waren nicht die echten Atticus. Ihnen fehlte seine Präsenz, seine überwältigende Ausstrahlung. Sie schimmerten schwach, durchscheinend, wie Echos des Mannes selbst.
Als ihre Füße den Boden berührten, lösten sich die Klone auf und verschwanden in Nichts.
Candence stand regungslos da, sein Herz pochte. Er war nicht allein. Alle Resonara, blutüberströmt und erschüttert, starrten ungläubig auf das Schlachtfeld.
„Er hat uns gerettet“, flüsterte Candence.
Aber ihre Aufmerksamkeit wurde schnell wieder auf das Zentrum der Verwüstung gelenkt.
Die blutigen Schatten, zitternd und zerschlagen, richteten ebenfalls ihren Blick auf denselben Punkt.
Dort, in der Luft schwebend, war Atticus.
Seine Gestalt war ruhig und still und strahlte eine beunruhigende Stille aus.
Vor ihm stand ein riesiger Blutschild, der schwach pulsierte, und darin schien Yorowins Gestalt zu schweben.
Doch Atticus‘ eisiger Blick war nicht auf den Schild gerichtet. Er schaute daran vorbei, als hätte er bereits seine wahre Natur erkannt.
Plötzlich zitterte der Schild.
Er begann sich zu verflüssigen und zerfiel in einen Strom aus purpurrotem Regen, der vom Himmel fiel und den zerbrochenen Boden rot färbte.
Atticus‘ Blick blieb auf einen einzigen Punkt in der Ferne gerichtet. Er bewegte sich nicht, sprach nicht. Das musste er nicht.
Er wusste es.
Paragons starben nicht so einfach.
Einen Herzschlag später zuckte die Blutlache auf dem Boden heftig, als würde sie von einer unsichtbaren Kraft angezogen. Sie sammelte sich an einem Punkt, wirbelte mit erschreckender Geschwindigkeit und explodierte dann in einem purpurroten Feuerball.
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Aus der Explosion formte sich Yorowins Körper neu.
Der Großälteste materialisierte sich, seine Gestalt verdichtete sich, während das purpurrote Leuchten um ihn herum pulsierte.
Sein Atem ging stoßweise, sein Blick war weit aufgerissen, als ihm klar wurde, dass er dem Tod näher gekommen war als je zuvor.
Und doch schien die Welt erneut zu erstarren, als seine durchdringenden purpurroten Augen sich auf Atticus‘ eisigen Blick hefteten.
Die Spannung war erdrückend, die Luft so dick, dass sie unter dem Gewicht ihrer Blicke zu zerbrechen schien.
Yorowins Stimme donnerte, vibrierte durch den Boden unter ihnen und war voller Wut und einer so mörderischen Absicht, dass die Welt erzitterte.
„Du bist tot.“