In einem dunklen Raum spielte sich eine außergewöhnliche Szene ab.
Der obsidianfarbene Boden erstreckte sich endlos, glatt wie Glas, und schimmerte schwach unter einem Himmel, der mit unzähligen Sternen übersät war.
Jeder Stern leuchtete hell, sein Licht fiel wie silberne Splitter herab und spiegelte sich auf der glatten Oberfläche darunter. Die Weite verwischte die Grenze zwischen Himmel und Erde und schuf eine jenseitige Welt von unendlicher Tiefe.
In der Mitte dieser zeitlosen Leere standen zwei Gestalten, gefangen in einem Moment gewalttätiger Perfektion.
Die erste, ein wildes Wesen in voller Bewegung, hatte seinen rechten Arm in einer Bewegung eingefroren. Krallen rissen durch die ruhige Luft und streckten sich nach seinem Gegner aus. Sein Gesichtsausdruck war verzerrt von einem raubtierhaften Glanz, seine Augen brannten mit einem ursprünglichen, tödlichen Schimmer.
Ihm gegenüber stand Atticus, die Augen geschlossen, den Körper vollkommen still. Obwohl seine Aura eine unnatürliche Ruhe ausstrahlte, wusste nur er allein um den heftigen Kampf, der in ihm tobte.
Die Welt hielt den Atem an.
Absolute Stille erfüllte den Raum, kein Geräusch, keine Bewegung, nur das ruhige Spiegelbild der Sterne über und unter ihnen.
Doch in dieser Stille blieben die blutroten Augen der wilden Gestalt wach und fixierten Atticus mit einer Intensität, die Stahl zu durchbohren schien.
„Was ist das?“
Die Gedanken der Gestalt rasten, sein Verstand war von etwas Unbekanntem getrübt: Verwirrung.
Sein Bewusstsein war aktiv, seine Wahrnehmung geschärft, aber sein Körper war wie gelähmt. Die Zeit war stehen geblieben.
„Wie …?“
Für dieses Wesen war die Situation unvorstellbar. Zeitstoppende Fähigkeiten dieser Größenordnung waren außerhalb der Intervention mächtiger Wesen aus einer mittleren oder höheren Welt unbekannt.
Und doch war er hier, eingefroren von einem bloßen Kind.
Das lag nicht an seiner unterdrückten Kraft. Er konnte es spüren, egal, was er versuchte, er konnte sich nicht bewegen.
Als der Blick der Gestalt durch die Leere huschte, raste sein Verstand vor Unglauben. Dann sah er es.
Das glänzende Katana in Atticus‘ Hand.
Es reflektierte das Silber und fing das Licht der Sterne ein, begann dann aber, ein intensives blaues Leuchten auszustrahlen.
Seine blutroten Augen weiteten sich.
„Eine Lebenswaffe.“
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz. Selbst für ein Wesen mit großer Macht war es fast unmöglich, eine Lebenswaffe von einer gewöhnlichen Klinge zu unterscheiden, ohne darauf hingewiesen zu werden. Aber in diesem Moment deutete alles darauf hin.
Die Gedanken der wilden Gestalt drehten sich im Kreis. Er hatte Atticus‘ Fähigkeiten mit eigenen Augen gesehen, aber nie gedacht, dass er eine Lebenswaffe führen könnte.
Wie war sie nach Eldoralth gelangt?
Die Auswirkungen waren erschütternd. Ein Verwandter des gefallenen Sterns, der eine Lebenswaffe führte? Das konnte nur Verwüstung bedeuten.
Bevor er die Folgen begreifen konnte, erregte eine Unruhe in der Stille seine Aufmerksamkeit.
Atticus‘ Körper begann zu zittern.
Zuerst war es nur ein leichtes Zittern, eine leichte Störung in der Leere.
Dann riss er die Augen auf.
Ein überwältigendes, strahlendes blaues Licht wirbelte in seinem Blick und erhellte die dunkle Weite mit einer Intensität, die alles in ihrem Weg verschlang.
Blendendes azurblaues Licht traf auf wildes Purpurrot.
In diesem Augenblick existierte nichts anderes mehr.
Atticus hielt den Blick der Gestalt fest, sein Körper war starr, sein Geist wirbelte durcheinander. Seine Sinne kämpften darum, sich anzupassen, und rangen mit der chaotischen, surrealen Realität.
Vor wenigen Augenblicken hatte er noch auf dem Gipfel des Berges gestanden und Rache an seinem Führer gefordert. Jetzt war er hier.
Der Älteste Schleier.
Diese dunkle Welt war von einer unheimlichen Stille erfüllt, die wie ein erdrückendes Gewicht auf allem lastete.
Die Ruhe besänftigte den Sturm, der in ihm tobte, und zwang seinen Geist zur Klarheit.
Die Realität traf ihn mit voller Wucht.
Er kämpfte um sein Leben.
Sein Leben.
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Hammerschlag, und mit ihr brachen alle Dämme.
Er spürte es.
Den Raum, den er aktiviert hatte, um aufzusteigen und in das Reich des Katana einzutreten.
Die überwältigende Welle von Mana, die durch ihn hindurchströmte und seine gesamte Existenz neu formte.
Der Rang eines Großmeisters.
Sein Körper war aufgestiegen und hatte seine bisherigen Grenzen gesprengt.
Eine Flutwelle der Erleuchtung strömte in seinen Geist. Die Vierte Kunst prägte sich in seine Seele ein, das Wissen schlug wie eine Flutwelle auf ihn ein.
Dann kamen die Erinnerungen.
Doranders Erinnerungen.
Seine Triumphe. Seine Verluste. Seine Meisterschaft. Sein unerbittlicher Wille. Alles strömte in Atticus, überwältigend und messerscharf.
Für einen kurzen Moment spürte Atticus es, die Macht.
Überwältigend. Vernichtend. Absolut.
Die Verletzungen, die seinen Körper entstellt hatten, verschwanden spurlos. Die Müdigkeit, die ihn während des Kampfes erfasst hatte, löste sich auf wie Rauch im Wind.
Seine Zweifel. Sein Zögern. Seine Angst.
Verschwunden.
Die Mana, die Erleuchtung, die Erfahrungen – alles prallte aufeinander und formte sein Wesen mit einer Geschwindigkeit um, die jeder Vernunft widersprach.
Atticus‘ Blick verengte sich, das blendend blaue Licht in seinen Augen wurde intensiver, bis es fast unerträglich war.
„Katana-Serie: Vierte Kunst; …“
Die erste Kunst der Katana konzentrierte sich auf Präzision und Geschwindigkeit. Es war ein beunruhigender einzelner Hieb, der so schnell war, dass selbst die schärfsten Augen Mühe hatten, seine Bahn zu verfolgen.
Er schlug mit solcher Geschwindigkeit und Genauigkeit zu, dass es in dem Moment, in dem er landete, so schien, als wäre nichts geschehen, bis die Welt in seinem Gefolge auseinanderbrach. Die Kunst verkörperte Einfachheit, und doch war ihre Kraft absolut. Ein Schnitt. Ein Ende.
Die zweite Kunst griff dieses Konzept auf und zerschmetterte es in unzählige Fragmente. Es war das Chaos in Person, ein unerbittlicher Hagel von Hieben, die so zahlreich waren, dass sie unendlich schienen.
Jeder Schnitt zerriss die Luft, unberechenbar und scharf.
Es war eine Bewegung der Klingen, überwältigend und alles verschlingend, die keinen Raum zur Flucht ließ.
Die dritte Kunst verfeinerte dieses Chaos zu einem einzigen Bogen der Verwüstung. Jeder Hieb der zweiten Kunst lief in einem einzigen kolossalen Schlag zusammen, einem Schlag, der so gewaltig war, dass er das Schlachtfeld wie die Sense eines Gottes durchschnitten hat. Es war die Verkörperung überwältigender Kraft, die Kulmination jeder Unze Kraft, die in einen einzigen, unerbittlichen Angriff gelenkt wurde.
Aber die vierte Kunst …
Das war etwas ganz anderes. Sie war nicht mehr auf einen einzigen Hieb oder gar eine Abfolge beschränkt, sondern wurde zu einer Naturgewalt.
Die vierte Kunst war ein Sturm.
Hiebe wirbelten wie ein Zyklon durcheinander, endlos, unaufhaltsam, und zerfetzten alles, was sich in ihrer Wut verfing.
Die Winde trugen eine tödliche Schärfe in sich, jede Klinge war in der Lage, Stahl, Stein und Fleisch gleichermaßen zu zerreißen. Der Sturm selbst gehorchte dem Willen seines Meisters und konnte in jeder von ihm gewünschten Form herbeigerufen, kontrolliert und entfesselt werden.
Atticus konnte ihn wie einen tosenden Sturm lenken, der eine Spur der Verwüstung hinterließ, oder ihn zu einem unvorstellbaren Crescendo anwachsen lassen, zu einem Sturm, der so gewaltig war, dass er alles in seinem Weg zerfetzte.
Auf seinem Höhepunkt konnte der Sturm explodieren und seine Verwüstung in einer chaotischen, alles verschlingenden Explosion über das Schlachtfeld verbreiten.
Er war die Zerstörung selbst.
In dieser dunklen Welt öffnete Atticus die Lippen und seine Stimme hallte wie das Donnern einer Kriegstrommel.
„… Zerstörerischer Sturm.“
Die Zeit nahm ihren Lauf.
Die Welt zerbrach.