Jena und die anderen starrten mit klopfenden Herzen auf seinen breiten, ruhigen Rücken. Trotz der überwältigenden Angst, die sie alle empfanden, verspürten sie irgendwie einen Funken Vertrauen. Er war ihr Anführer.
Die Vampyros griffen an.
Tausende von Blutsplittern schossen wie ein blutroter Sturm mit unmöglicher Geschwindigkeit auf Atticus zu.
Aber Atticus blieb regungslos stehen.
Menschen hatten gegen die Vampyros nie eine Chance. Das lag daran, dass die Blutkräfte der Vampyros für Menschen absolut waren, da die Menschheit keine wirkliche Gegenkraft gegen sie hatte.
Nicht einmal die Enigmalnk mit ihrem starken Willen konnten solche Fähigkeiten aufheben. Atticus‘ Einsatz seiner Willenskraft war in Eldoralth noch beispiellos, und nur er konnte auf diese Weise von ihrer Fähigkeit unbeeindruckt bleiben.
Aus diesem Grund konnte Atticus seinen Geist auf ein Element konzentrieren, das der Fähigkeit der Vampyros entgegenwirken konnte.
Sie waren nicht die Einzigen, die ein Reich erschaffen konnten.
Atticus öffnete die Lippen und seine Stimme dröhnte wie Donner.
„Wasserreich.“
Die Welt bebte.
Ein blendend blaues Licht brach hervor und durchdrang den purpurroten Nebel. Im nächsten Augenblick entstand eine blaue Welt, die alles umfasste.
Der Sturm aus Blutsplittern erstarrte in der Luft. Er schwebte regungslos.
Die Vampyros erstarrten. Ihre purpurroten Blicke zitterten, und völlige Verwirrung spiegelte sich in ihren Gesichtern wider.
„Was …?“, murmelte Draeven, unfähig zu verstehen. Egal, wie sehr er es auch versuchte, er konnte keine der Blutsplitter bewegen. Es war, als würde eine unsichtbare Kraft sie daran hindern, sich zu bewegen.
Die Erkenntnis traf sie wie eine Flutwelle.
Ihre Herrschaft über das Blut war gebrochen. Die absolute Kontrolle, die sie ausgeübt hatten, war verschwunden.
Atticus hatte sie ihnen genommen.
Wasser. Es war das Wasser.
Sie hatten absolute Herrschaft über das Blut. Aber Atticus hatte die Herrschaft über das Wasser. Das Wasser im Blut, er hatte die Kontrolle darüber übernommen.
Es war schwer zu begreifen. Draeven, Kaelith und Serila hatten schon gegen mehrere Wasserelementarmagier gekämpft. Die meisten hielten nicht einmal lange genug durch, um auf so etwas zu kommen. Und selbst wenn sie es geschafft hätten, hätten sie noch mit ihnen um die Kontrolle über das Blut kämpfen müssen. Es war unvorstellbar.
Sie waren zu dritt, und er war allein. Und trotzdem hatte er die Kontrolle über jeden einzelnen Splitter übernommen.
Draevens Augen weiteten sich, sein Herz schlug ihm bis zum Hals. „Wir können nicht gewinnen.“
Der gleiche Gedanke ging Serila und Kaelith durch den Kopf, und sie kamen zu dem gleichen Schluss. Sie hatten Hunderte von Schlachten geschlagen und wussten sofort, wann eine Situation ihre Kräfte überstieg.
Sie mussten fliehen.
Draeven drehte sich um, bereit, im Nebel zu verschwinden.
Aber er konnte sich nicht bewegen.
Keiner von ihnen konnte sich bewegen.
Ihre Blicke richteten sich auf Atticus, der ruhig unter ihnen stand und seinen Arm erhoben hatte. Sein Wille umfasste das Wasser um sie herum und hielt sie wie Marionetten an ihrem Platz.
Panik blitzte in Draevens Augen auf, als er sich wehrte.
Aber Atticus‘ Stimme war ruhig und eiskalt.
„Komm.“
Die Vampyros wurden aus dem Himmel gezogen und stürzten wie Meteore herab.
BOOM!
Der Boden zerbrach, als sie aufschlugen, und ihre gepanzerten Körper schlugen mit gewaltiger Wucht auf die Erde. Staub und Trümmer stiegen in die Luft und verdeckten für einen Moment alles.
Als sich der Staub legte, stand Atticus vor ihren zerbrochenen Körpern.
Ihre Herzen setzten einen Schlag aus, als sie merkten, dass sie sich nicht bewegen konnten.
Egal, wie sehr sie ihren Körper dazu zwangen, sie waren komplett bewegungsunfähig.
Drei Großmeister+ Vampyros. Mit einem einzigen Gedanken bewegungsunfähig gemacht.
Draevens Herz pochte. Seine Gedanken rasten. Er verstand das nicht. Was für ein Monster war dieser Mensch?
Atticus‘ Stimme durchbrach die Stille. Kalt. Direkt.
„Wer hat euch geschickt?“
Die Vampyros kniffen die Augen zusammen.
Ihre zitternden Blicke trafen auf Atticus‘ unnachgiebigen Blick, und für einen kurzen Moment herrschte Stille.
Dann –
Serila lachte.
Zuerst war es leise, ein leises Kichern, das in der Stille widerhallte.
Aber es wurde lauter. Unkontrollierter.
Ihre Stimme war voller Spott und Verachtung, als sie ihren Blick auf ihn richtete. „Du glaubst, du kannst uns etwas antun?“
Ihr Lachen wurde lauter, als wäre sie verrückt geworden. „Tötet uns, und die Vampyros werden eure erbärmliche Rasse bekriegen! Die gesamte Menschheit wird ausgelöscht werden. Jeder Mensch wird abgeschlachtet werden. Eure Art ist nichts weiter als Ungeziefer, das zerquetscht werden muss.“
Jena, Mira und Crescendo erstarrten.
Ihre Worte trafen sie wie Hammerschläge. Die Realität war unbestreitbar.
Die Vampyros waren ein Albtraum. Einer, den die Menschheit mit aller Kraft zu vermeiden versucht hatte. Wenn ein Krieg ausbrach …
Jenas Fäuste ballten sich. Ihr Körper zitterte, als ihr die Wahrheit der Situation bewusst wurde. Sie wandte sich Atticus zu, ihr Blick verdunkelte sich. Würde er sie gehen lassen?
Er musste es tun.
Oder etwa nicht?
Eine Welle der Wut durchflutete Mira. Sie waren immer noch schockiert von Atticus‘ Fähigkeiten, aber der Gedanke, die Vampyros entkommen zu lassen, brachte sie zum Kochen. Sie hatten sie töten wollen!
Draeven merkte sofort die Stimmung und wurde selbstbewusster. Er schaute zu Serila, die immer noch wie verrückt lachte und deren Lachen durch den Wald hallte.
Dann schaute er zu Atticus.
Und erstarrte.
Diese Augen.
Ruhig.
Unbeeindruckt.
Das waren nicht die Augen von jemandem, der keine Optionen hatte.
Das waren nicht die Augen von jemandem, der sich um die Konsequenzen sorgte.
„W…“
SHINK.
Ein silberner Streifen zerschnitt die Luft.
Das Lachen verstummte.
THUD.
Serilas Kopf schlug auf den Boden und rollte leblos über den Dreck.
Draeven stockte der Atem. Kaeliths Augen weiteten sich vor Schock.
Atticus hatte es getan.
Er hatte sie getötet.
Die Luft wurde kälter. Der metallische Geruch von Blut wurde stärker und erstickte den Wald in Stille.
Jena schnappte hörbar nach Luft, ihr Körper war steif. Selbst Mira, die von Anfang an nicht wollte, dass die Vampyros entkommen, machte einen Schritt zurück.
Krieg.
Zerstörung. Tod. Gemetzel. All das schoss ihnen durch den Kopf. Atticus hatte gerade einen Vampyros getötet. Nicht irgendeinen, sondern einen Großmeister+. Wenn das die Vampyros erfahren würden, wagten sie nicht, sich die Folgen vorzustellen.
Aber Atticus‘ Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.
Ruhig. Gelassen.
Gleichgültig.
Er wandte sich an die verbliebenen Vampyros, seine Stimme zerschnitt die angespannte Luft.
„Wer hat euch geschickt?“
Draeven und Kaeliths Blicke schossen zu ihm und sie begriffen.
Sie wussten es.
Sie würden hier nicht lebend herauskommen.
„Du … du weißt nicht, was du getan hast. Der Blutrat …“
Atticus trat einen Schritt vor.
Kaeliths Worte erstickten in seiner Kehle.
„Der Blutrat ist nicht hier.“
Er hob sein Schwert, dessen silberne Klinge unheilvoll im purpurroten Dunst glänzte.
„Das wirst du bereuen … Du wirst …“
„Falsche Antwort.“
SCHNITT!
Kaeliths Kopf schlug mit einem widerlichen Geräusch auf den Boden, Blut sammelte sich unter ihm.
Draeven erstarrte und starrte mit seinen blutroten Augen ruhig auf Kaeliths leblosen Kopf.
Er war der Letzte, der noch stand. Und doch war er plötzlich ruhig und gelassen geworden.
Atticus drehte sich zu ihm um, seine Klinge tropfte noch immer von Blut.
„Wer hat dich geschickt?“
Draeven hielt Atticus‘ Blick einen Moment lang stand, bevor er ruhig antwortete.
„Es war der Blutrat.“
Atticus neigte leicht den Kopf. Sein Blick bohrte sich kalt und berechnend in Draevens Augen.
„Wir hatten den Befehl, deine Stärke zu beurteilen. Wir hatten nie vor, dir etwas anzutun.“
Atticus antwortete nicht.
Die Stille zog sich hin, erstickend.
„Glaubt er mir das?“, fragte sich Draeven.
Dann sprach Atticus endlich, mit tonloser Stimme. „Du hast gelogen.“
Draevens Augen weiteten sich. „Nein, ich …“
SCHLAG!
Der letzte Hieb war schnell.
Draevens Körper sackte leblos zu Boden.
Atticus steckte ruhig sein Katana weg und wandte seinen Blick wieder den erstarrten Spähern zu.
„Ihr solltet alle zurückkehren.“