Nachdem alles geklärt war, waren Raven und seine Leute endlich bereit, Elenaris zu verlassen, aber bevor sie loszogen, sagte Mono ihnen, sie sollten erst mal zu Elenarias Kirche gehen. Die Göttin hatte anscheinend ein kleines Geschenk für sie, aber sie hatten noch keine Ahnung, was das sein könnte.
Ihr letzter Besuch in Elenarias Kirche war nicht gerade freundlich gewesen, und da die meisten Bürger sie für Monos Diener hielten, rechnete die Gruppe nicht mit einer besseren Behandlung. Zu ihrer Überraschung war die Kirche jedoch leer. Seit Mono ausgewählt worden war, hatten die Diener Elenarias statt reiner Verehrung strenge Arbeitsdisziplin eingeführt.
Nur an wenigen Tagen in der Woche waren sie in der Kirche zu sehen, und auch dann nur für ein paar Stunden, bevor sie sich wieder auf die Jagd nach Abweichlern und Kriminellen in der Stadt begaben.
Als die Gruppe durch die offenen Türen der Kirche trat, fiel ihr Blick wieder auf die absurde Statue. Viele Hände, die alle etwas anderes hielten, und statt Augen einen Halbmond, der das Leuchten von Stellaris, dem Reich, in dem sie lebte, widerspiegelte, sowie das Arsenal an Toten, das sie an ihren langen, herabhängenden Ärmeln trug.
Die Göttin öffnete die Lippen ihrer steinernen Statue und begrüßte die Auserwählten mit einem Lachen. Sie hatte nicht viel von ihnen erwartet, aber nachdem sie so früh auf ihrer Reise gesehen hatte, wozu sie fähig waren, war auch sie begierig darauf geworden, mit ihrer Hilfe die Herrschaft über das Land der anderen Götter zu erlangen.
Athenia hatte ihr bereits einen Anteil an allen Gläubigen versprochen, die sie gefangen nahm, aber je länger sie wartete, desto mehr Götter könnten sich anschließen, wodurch ihr Anteil zu gering würde, um noch etwas davon zu haben.
„Kommt, ich werde euch von diesem Fluch befreien …“ Wie eine Sirene, die Seeleute anlockt, lockte die Göttin die Gruppe näher an sich heran.
Sie beobachtete sie wie ein Falke, als sie näher kamen, schnippte mit dem Finger in die Luft und zerschmetterte die Ringe, die sie vor dem Gift schützten. Dann holte sie tief Luft, beugte sich näher zu ihnen hin und blies ihnen eine sanfte Brise entgegen, die den Fluch von ihnen nahm und seine Ursache aus ihren Seelen riss.
Libyans Fluch war gebrochen, und obwohl seine blendende Wirkung noch eine Weile anhielt, dauerte sie für die Gruppe nicht länger als ein paar Sekunden. In dieser Zeit, bevor Elenaria sich wieder als Idol aufrichtete und ihre Gedanken zurück in ihren Körper im Himmel gleiten ließ, hatte sie noch ein weiteres Versprechen zu erfüllen.
„Ist es weg?“, brach Aria als Erste das Schweigen, nicht nur wegen ihrer höheren Immunität als physische Kämpferin, sondern auch, weil sich mit dem Fluch auch der Griff des Bluthandschuhs um ihre Arme lockerte.
„Ja…“, murmelte Mel, die sich noch etwas benommen fühlte.
„Ehrlich gesagt hatte ich den Fluch komplett vergessen“, fügte Erika hinzu, die sich fühlte, als wäre eine schwere Last von ihren Schultern genommen worden.
Raven und Amedith ging es ähnlich, obwohl Raven durch den regelmäßigen Sex mit Maine ohnehin eine ziemliche Immunität gegen Gift entwickelt hatte. Allerdings waren nicht alle so glücklich darüber, dass der Fluch verschwunden war. Für die Tochter von Libyan war es ein etwas bittersüßer Moment.
„Ich weiß, dass ich mich darüber freuen sollte, aber irgendwie kann ich es nicht …“, dachte Maine, während sie mit den anderen Monster-Mädchen im Armband herumhing. Ihre Mutter war eine Tyrannin, ebenso wie ihre Schwestern, aber sie war nie ein Monster gewesen, das es liebte, andere zu quälen. Sogar ihr damaliger Sklave war ihr Liebhaber gewesen, bis er starb, weil ihre Schwester den Verstand verloren hatte.
„Vielleicht sollte ich einfach ausschlafen?“
Arche, die nicht nur auf Bewegungen, sondern auch auf Gedankenreaktionen reagierte, rollte sich auf dem Boden und drehte sich zu Maine um, die trübselig herumstand. Als Mutter von Tausenden toten Kindern verspürte sie einen leichten Anflug von Mitgefühl. Dieses Mitgefühl beschränkte sich allerdings auf die Monster-Mädchen und nicht auf den Rest der Gruppe.
„Maine, heißt du nicht so?“, fragte sie unvermittelt.
Überrascht von der plötzlichen murmelnden Stimme neben sich, sprang Maine in die Luft, verwandelte ihren Schwanz in ein Paar Beine und versuchte zu rennen, als hätte sie ein Geist erschreckt. Aber Arche packte die Lamia an ihrer Kleidung und ließ sie auf den Boden fallen.
„W-was?“, stammelte Maine und drehte sich langsam zu der riesigen Spinne um.
Als sich ihre Blicke trafen, erstarrte ihr Herz erneut, denn sie fühlte sich wie eine Ameise, die von einem Riesen beobachtet wurde.
„Was geht in deinem Kopf vor?“ Arche tippte leicht auf Maines Hörner, seufzte und sah sie erneut an. Wie zu Eis erstarrt starrte sie sie mit großen Augen an, obwohl ihre Augenlider zufielen.
„Dieses Mädchen … Wie hat sie es bisher überlebt?“, fragte sie sich und schüttelte den Kopf.
„Kopf hoch, Mädchen, du bist noch am Leben und gesund, wir haben noch genug Zeit, um andere Monster in der Hölle zu vermissen“, sagte Arche, drehte ihren Kopf zur Oberfläche des roten Rubins und beschloss, ihre erste Forderung zu stellen, um ebenfalls aus dem Armband zu kommen. „Hey! Ich will jetzt raus! Ich will in einen Fluss tauchen oder so! Ich habe genug Tage in einem Loch verbracht, ich werde nicht den Rest in diesem verdammten Raum verbringen!“
Sie schaute wieder nach unten, richtete ihre Aufmerksamkeit für einen Moment auf Maine und blickte dann schnell wieder nach oben.
„Und warum wollt ihr immer arbeiten?! Was ist mit der Freiheit, Dinge zu genießen, wenn man frei ist?“ Arche forderte etwas Interessantes, etwas, das sie von dem Stress befreien würde, den sie mit sich herumtrugen, und hoffte, dass es nicht nur ihr, sondern auch Maine und den anderen Monster-Mädchen helfen würde, sich besser zu fühlen.
Oberflächlich betrachtet dachte Raven dasselbe, zumal ihr nächstes Ziel Athenia war, bevor sie sich auf den Weg zum Meer machen würden.
„Ich werde Linkle bitten, dir einen dieser Schrumpftränke zu brauen, aber erwarte nicht, dass er lange wirkt“, hatte Linkle ihm bereits gesagt, dass Arche’s Körper für immer verändert war, egal was sie versuchten, was als Warnung diente, den Riesentrank nicht zu missbrauchen.
Er schüttelte diese Gedanken jedoch ab und wandte sich mit einem müden Lächeln an seine Begleiter.
„Noch eine Nacht, dann sind wir für eine Weile zu Hause“, und diese Nachricht brachte jeden von ihnen zum Lächeln.
