Die Nacht war vorbei und die Party ging weiter. Der Ring, der sie vor Gift schützte, schien zu funktionieren und sie vor Schwäche zu bewahren, aber sie mussten trotzdem einen Weg finden, den Fluch komplett loszuwerden. Jetzt war es aber erst mal Zeit, sich nach Elenaris zu wagen, besser bekannt als das Königreich der Absurditäten.
„Was glaubst du, wie es hier so ist?“, fragte Mel und hielt sich fest an Raven, während sie gingen.
Der Anblick nervte Amedith, aber er ignorierte es und folgte ihrem Anführer mit Liliyana und Will-O direkt neben sich. Aria und Erika folgten ihnen ebenfalls in einer Gruppe, während die beiden Monster-Mädchen in Ravens Armband blieben.
„Ich weiß nur, dass Athenia und Elenaris Handel betrieben haben, bevor das Land der Verderbnis zwischen den beiden entstanden ist“, antwortete Raven Mel, ohne jedoch ihre Frage zu beantworten.
„Wenn das so ist, warum haben wir dann nie etwas von diesem Königreich gesehen?“, fragte Aria, aber natürlich hatte niemand eine Antwort darauf.
Als behütete Kinder in Athenia kannten sie nur das, was ihnen in Geschichten erzählt worden war. Und obwohl Elenaris in ihrer Vorstellung ein Ort von großer Schönheit war, mussten sie noch sehen, wie es dort wirklich aussah. Das änderte sich, als sie aus dem Sumpf traten und auf eine steile Klippe stießen.
Vor ihnen erstreckte sich nichts als ein Meer aus Wolken bis zum Horizont, und selbst als sie in die Tiefe blickten, sahen sie nur trübe Wolken.
„Wir waren die ganze Zeit auf einem verdammten Plateau?“ Raven war der Erste, der das bemerkte, und seine Worte versetzten alle in Schock.
Ihr Zuhause war ein Plateau, das sich durch die Wolken zog, und doch wusste keiner davon, keiner hatte auch nur den geringsten Verdacht. Und doch lebten sie hier auf dem höchsten Gipfel von ganz Atlaria, dem Ort, der den Sternen am nächsten und dem Ozean und der Hölle am weitesten entfernt war. Als der erste Schock langsam nachließ, stellte Erika schließlich die Frage, die alle sprachlos machte.
„Wie kommen wir da runter?“ Als sie die Klippe hinunterblickte, konnte sie nicht einmal den Boden sehen, sodass ein Abstieg mit bloßen Händen für alle völlig ausgeschlossen war.
„Mir ist schon schwindelig, wenn ich nur nach unten schaue, wage es ja nicht, mich mit bloßen Händen hinunterklettern zu lassen!“ Aria, die Höhenangst hatte, warf einen ängstlichen Blick die Klippe hinunter, bevor sie schnell zurückwich. „NEIN! NEIN! NEIN! VERDAMMT NEIN!“
„Mhmm?“ Liliyana trat vor, um die Höhe zu schätzen, und überlegte, ob sie groß genug werden könnte, um alle herunterzutragen. Aber ein Blick auf ihre Lage genügte ihr, um zu erkennen, dass das unmöglich war. „Vielleicht können wir runterfliegen?“
Sie warf einen Blick auf Will-O, der neben ihr schwebte, streichelte sanft seinen leuchtenden Körper, und der Lichtgeist flog über Liliyanas Kopf und blähte sich auf die Größe des Feenkindes auf. Er flatterte mit seinen fast durchsichtigen Flügeln, und seine Stimme klang wie ein Zwitschern, bis Liliyana nach ihm griff und ihre Hand sicher in seinem flauschigen Körper verschwand.
„Vielleicht kann ich euch einen nach dem anderen runterholen?“, schlug sie vor und schaute in alle Gesichter.
Da Raven nichts mit den Feen zu tun haben wollte, zauberte er sich ein Paar fleischige Flügel aus Dunkelheit und hob ab. Amedith machte es ihm nach, nur dass er statt dunkler Magie helle Magie benutzte, um seine Engelsflügel zu beschwören. Er flatterte los und sah zu den Mädchen hinüber, die noch keine Möglichkeit hatten, herunterzukommen.
„Mel kann mit ihrer Waldmagie in der Luft schweben, ich trage Aria, und was Erika angeht …“ Raven unterbrach ihn, doch Erika verwandelte sich in einen durchsichtigen purpurroten Nebel.
Ohne ein Wort zu sagen, machte sie deutlich, dass sie ihre eigene Methode hatte, hinunterzukommen. Aria hingegen hatte nicht nur keine Möglichkeit, hinunterzukommen, sondern schien auch zu zögern, Ravens Hand zu ergreifen, damit er sie hinunterfliegen konnte.
„Das ist viel zu hoch! Was ist, wenn du ausrutschst!“, schrie sie und legte sich auf den Hintern, die Hände vor dem Rücken verschränkt, damit niemand sie packen konnte.
Raven flog schnell zu ihr hinüber, sah ihr in die Augen und griff dann vorsichtig nach ihrem Arm. Mit einem Hauch seines Charmes programmierte er ihr Gehirn so um, dass sie ihre Höhenangst vergaß.
„Das hätte sowieso Probleme verursacht, also ist es wahrscheinlich das Beste so.“ Aria war verwirrt, warum sie wegen der Höhe so ausgeflippt war, starrte Raven einen Moment lang an und reichte ihm dann ihre Hand.
Die Gruppe hob wieder ab und begann ihren Abstieg. Raven mit seinen dunklen Flügeln, Liliyana mit ihrem vertrauten Will-O, Amedith mit seinen beschworenen Flügeln, Mel mit ihrer Magie und Erika mit Asmodias Fähigkeiten. Der Anblick der Gruppe, die sich den Weg hinunterstürzte, besonders mit dem Lichtball und dem spiralförmigen Purpur von Erikas ätherischem Körper, war einfach faszinierend.
Der Abstieg selbst verlief jedoch alles andere als reibungslos, da die starken Winde, die ermüdenden Flügel und der Mangel an Mana sie alle schnell erschöpften. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als in Höhlen an den Rändern der Plateauwände Pausen einzulegen. Selbst als sie dort versuchten, sich auszuruhen, stürzten sich verstümmelte Monster aus dem Inneren auf sie.
Eine Kreatur, die wie ein Mann aussah, aus dessen Gesicht mehrere andere Tiergesichter wuchsen, war das erste Wesen, das sie niederschlugen, und die Abnormität ihrer Begegnungen nahm immer mehr zu.
Aber nichts hätte sie auf das vorbereiten können, was ihnen als Nächstes begegnete. Es war kein Monster, keine Abscheulichkeit und nicht einmal etwas Grauenvolles, sondern eine gut gekleidete humanoide Taube. Mit einer kleinen blauen Mütze auf dem Kopf hielt sie die Gruppe in der Luft an und suchte weiter in ihrem Notizblock nach ihren Namen.
„Haben Sie eine Reservierung?“, fragte sie, aber niemand hatte eine Ahnung, wovon sie redete.
Bis plötzlich ein fliegender Zug aus dem Nichts an ihren Gesichtern vorbeirauschte. Der Zug verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war, und obwohl sie noch nie ein solches Fahrzeug gesehen hatten, nahmen alle an, dass es sich um ein Monster handelte.
„SCHNAPPT IHN!“, schrie Raven und zeigte mit dem Finger auf die Zugführer-Taube.
„WARTET! WARTET! WARTET!“, schrie er, weil er sofort wusste, dass er oder zumindest der Zug ihn verarscht hatte.
