Karlia holte tief Luft, während die Last des feierlichen Schwurs, den sie gerade geleistet hatte, noch auf ihr lastete.
„Ich, Karlia, die Erste ihres Namens und aus dem wahren Geschlecht des Stammes der Kriegsflame-Dämonen, schwöre auf den Geist meiner Vorfahren, dass ich das Geheimnis von Lin Mu in meinem Herzen bewahren und nicht preisgeben werde. Sollte ich diesen Schwur brechen, möge meine Seele von den Flammen der neun Höllen verschlungen werden!“
Ihre Stimme klang voller Entschlossenheit.
Lin Mu hielt ihren Blick fest und suchte mit seinen klaren Augen nach dem kleinsten Anzeichen von Täuschung. Aber er fand nichts. Um sich zu vergewissern, rief er das Sutra des zerreißenden Herzens an, eine Technik, die seine Gefühle beruhigte und seine Wahrnehmung anderer schärfte. Als er tiefer in ihre Gedanken blickte – nicht aufdringlich, aber genug, um ihre Aufrichtigkeit zu spüren –, fand er keine Hinterhältigkeit. Nur Entschlossenheit und Ehrlichkeit strahlten von ihr aus.
„So sei es“, sagte er mit fester Stimme.
„So sei es“, wiederholte Karlia.
Plötzlich verband eine unsichtbare Kraft ihren Schwur. Ein flackerndes Phantomfeuer tanzte in ihren Augen, nur für einen flüchtigen Moment sichtbar, als Zeichen der göttlichen Anerkennung ihres Pakts. Die Luft schien von der Energie ihres unzerbrechlichen Versprechens zu summen.
Nachdem der Schwur besiegelt war, sah Lin Mu keinen Grund mehr, sein Geheimnis länger für sich zu behalten.
„Ich werde es dir jetzt zeigen“, sagte er feierlich, seine Stimme klang ernst und vorsichtig. „Aber ich warne dich, es ist anders als alle dämonischen Techniken, die du bisher gesehen hast. Selbst Ziran hat nur einen flüchtigen Blick darauf werfen können und konnte nicht begreifen, was er gesehen hat.“
Karlia verschränkte die Arme und beugte sich vor, ihre Neugierde geweckt. „Mein Mann hat es also gesehen? Das macht mich noch neugieriger, es selbst zu erleben.“
Lin Mu nickte leicht, bevor er die Augen schloss und sich nach innen konzentrierte. Seine Aura, die noch vor wenigen Augenblicken ruhig und zurückhaltend gewesen war, begann sich dramatisch zu verändern. Eine plötzliche Welle der Wut und Raserei durchflutete ihn, kraftvoll und ungezügelt, doch innerhalb einer unsichtbaren Grenze, die nicht größer war als drei Meter um ihn herum.
Karlia spürte es sofort. Die Kraft, die von ihm ausging, war unverkennbar dämonisch, doch sie unterschied sich von der Aura ihrer Art. Sie war reiner, wilder und trug eine Unterströmung feuriger Wut in sich, die sie instinktiv anspannte. Ihre dämonischen Instinkte schrien nach Gefahr und warnten sie, sich auf einen Angriff vorzubereiten – obwohl sie rational wusste, dass Lin Mu ihr nichts antun würde.
Die Verwandlung begann zunächst subtil, eskalierte jedoch schnell. Lin Mus Muskeln schwollen an, sein Körper dehnte sich mit immenser Kraft aus. Fell spross in dicken Wellen aus seiner Haut und bedeckte seinen Körper mit einem dunklen Schimmer. Ein umgekehrtes dreieckiges Symbol erschien auf seiner Brust, leuchtete schwach und pulsierte mit einer bedrohlichen Energie. Zwei massive Hörner wuchsen aus den Seiten seines Kopfes und krümmten sich nach oben, als wollten sie dem Himmel selbst trotzen.
Seine Hände verwandelten sich in Klauen, jede über fünfzig Zentimeter lang, scharf wie Klingen und voller tödlicher Absicht. Seine Zähne verlängerten sich zu dolchartigen Reißzähnen, sein Kiefer verbreiterte sich, um ihrer Wildheit Platz zu machen.
Als die Verwandlung abgeschlossen war, stand Lin Mu über sechs Meter groß da, ein riesiges Monster mit dämonischer Kraft. Seine Aura glich nun einem Sturm feuriger Wut, der in bedrückenden Wellen um ihn herumwirbelte.
Die Luft knisterte vor Spannung, und der Boden unter seinen Füßen schien unter dem Gewicht seiner Präsenz zu beben.
Karlia stockte der Atem. Sie hatte an blutgetränkten Schlachtfeldern an der Seite unzähliger Dämonen gekämpft, aber das Wesen vor ihr war anders als alles, was sie je gesehen hatte.
Er sah aus wie ein riesiger Bär, aber die dämonischen Züge – die Hörner, die Klauen, die Augen, die vor unerbittlicher Wut rot glühten – waren unverkennbar. Der Instinkt ihrer Blutlinie schrie sie an, wegzulaufen, diesem Raubtier zu entkommen, das sie in einem Augenblick zerreißen konnte.
Doch sie blieb stehen, ihr Herz pochte gegen ihren Brustkorb.
„Lin Mu … du …“, stammelte sie mit kaum hörbarer Stimme.
Lin Mu, dessen dämonische Gestalt sie überragte, blickte mit Augen, die wie zwei Infernos flackerten, auf sie herab.
Er konnte den Schock in ihrem Gesicht deutlich sehen, aber das hatte er erwartet. Langsam begann er, die Verwandlung zu unterdrücken, und sang in Gedanken das Sutra zur Beruhigung des Herzens. Nach und nach verschwanden die monströsen Züge. Sein Fell verschwand, die Hörner zogen sich zurück und seine blutroten Augen wurden trüb und nahmen wieder ihre braune Farbe an. Innerhalb weniger Augenblicke stand Lin Mu wieder als Mensch vor ihr, sein Atem ruhig, sein Auftreten gelassen.
Karlia sagte mehrere Minuten lang kein Wort. Sie starrte ihn an, während ihr Verstand versuchte, das gerade Erlebte zu verarbeiten. Lin Mu wartete geduldig, da er wusste, dass es eine Menge zu verdauen war.
Schließlich brach sie das Schweigen. „Das war … eine dämonische Verwandlung.“ Ihre Stimme klang voller Ehrfurcht und Ungläubigkeit. „Aber wie ist das möglich? Du hast doch nicht einen Tropfen Dämonenblut in dir.“
Lin Mu schwieg und ließ sie ihre eigenen Schlüsse ziehen.
Karlia runzelte die Stirn, während sie versuchte, einen Sinn in dem zu finden, was sie gesehen hatte. Sie erinnerte sich an ihre unzähligen Kämpfe und die Merkmale dämonischer Verwandlungen, aber nichts passte zu dem, was Lin Mu gezeigt hatte.
„Es ist einfach eine Technik, die ich beherrsche“, sagte Lin Mu schließlich mit ruhiger Stimme. „Du kannst es dir als ein Erbe vorstellen, das ich erhalten habe.“
Karlia wurde ernst. Sie sah ihm tief in die Augen und suchte nach Anzeichen einer Lüge. „Du hast wirklich keine dämonische Abstammung?“, fragte sie ein letztes Mal.
„Keine“, bestätigte Lin Mu.
Karlia veränderte plötzlich ihre Haltung. Sie trat näher und sprach mit ernster Stimme. „Dann musst du behaupten, dass du eine hast.“
Lin Mu runzelte verwirrt die Stirn. „Was meinst du?“
„Wenn bekannt wird, dass du dich in eine Dämonengestalt verwandeln kannst, ohne Dämonenblut zu besitzen, wird das für Aufruhr sorgen. Sowohl die Dämonenstämme als auch die menschlichen Mächte werden dich jagen.“
Lin Mu riss die Augen auf. „Ist es wirklich so schlimm?“
Karlia nickte mit ernster Miene. „Du verstehst die Tragweite nicht. Was du gerade gezeigt hast, hebt die Grenze zwischen Menschen und Dämonen auf. Es beweist, dass Menschen zu Dämonen werden können und vielleicht sogar umgekehrt. Beide Seiten sind zu stolz, um eine solche Wahrheit zu akzeptieren.“