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Kapitel 635: Lebt er noch (3)

Kapitel 635: Lebt er noch (3)

„Ich dachte, du wärst weg. Aber wenn du nicht weg bist … ist das dann nicht irgendwie eine Gnade?“

Sie streckte gedankenverloren die Hand aus, um sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen, eine sanfte, unbewusste Bewegung. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme leiser. Nicht zerbrechlich – nur weniger gepanzert.
„Es wäre schön“, murmelte sie und ließ ihren Blick auf den entfernten Weg im Garten schweifen, wo die Sonne in zitternden Flecken durch das Gitter schien. „Ihn wiederzusehen.“

Sie sah niemanden an, als sie das sagte. Das musste sie auch nicht.

Selphine neigte leicht den Kopf, sagte aber nichts. Ihr Gesichtsausdruck war unlesbar – aber ihre Finger, die sie im Schoß gefaltet hatte, waren völlig regungslos.
Aurelian musterte sie, in seinen Augen blitzte ein Echo alter Trauer auf. Er verstand diese Sehnsucht. Die Art, die eher nach Rost als nach Süße schmeckte. Aber er drängte nicht. Er drängte nie, wenn es darauf ankam.

Und Cedric …

Cedric war still.

Sein Blick blieb auf sie gerichtet, aber er enthielt keinen Vorwurf. Nur das Gewicht einer gemeinsamen Vergangenheit. Von tausend Momenten, die sie nie benannt hatten.
Elara atmete langsam aus.

„Er war … unmöglich“, sagte sie, jetzt mehr zu sich selbst. „Wild. Arrogant. Scharf wie zerbrochenes Glas und doppelt so gefährlich, wenn man nicht aufpasste. Aber …“

Ihre Finger umklammerten die Tasse wieder leicht, diesmal nicht aus Anspannung, sondern aus Erinnerung.

„… er hat zugehört. Selbst wenn ich es nicht wollte.“

Eine Pause.
Ein Atemzug.

„Ich habe ihm noch viel zu sagen“, beendete sie leise. „Dinge, zu denen ich nie die Gelegenheit hatte.“

Der Wind drehte.

Und für einen Moment fühlte sich der Garten nicht mehr so weit weg von der Vergangenheit an.

Aber dann straffte sie ihre Schultern. Ihr Rücken richtete sich auf. Die Illusion mochte ihr Gesicht, ihre Stimme, sogar ihre ganze Ausstrahlung verändert haben – aber das hier? Das war ganz und gar Elara.
Sie drehte sich mit demselben schwachen, amüsierten Ausdruck, der immer das Ende ihrer Verletzlichkeit kennzeichnete, zu den anderen um.

„Aber er schuldet mir wahrscheinlich immer noch ein Duell“, fügte sie trocken hinzu.

Cedric blinzelte.

Aurelian grinste.

Selphines Augen verengten sich vor leichter, neugieriger Freude. „Das klingt nach einer Geschichte.“

Elara leugnete es nicht.
Aber sie erzählte sie auch nicht.

Manche Dinge sollte man sich für den Moment aufheben, in dem Geister Wirklichkeit wurden.

Und wenn er hier war – wenn Luca wirklich zurückgekommen war –

wollte sie auf jeden Fall dafür sorgen, dass er nicht verschwand, bevor er alles gehört hatte, was sie in sich trug.

So oder so.

******

Es war still im Raum.

Zu still für Valerias Geschmack.
Nicht die angespannte Stille eines Kriegslagers nach einer Schlacht oder die konzentrierte Stille einer Ritterkaserne vor einem Duell – sondern die Art von kuratierter Stille, die von teuren Materialien und Dienern herrührte, die darauf trainiert waren, sich geräuschlos zu bewegen. Polierte Steinböden. Mit Mana durchzogene Vorhänge, die je nach Tageszeit ihre Opazität veränderten. Ein Bett, das viel zu weich war für jemanden, der an Zelte, Feldbetten oder – manchmal – den Boden gewöhnt war.
Sie stand am Fenster, eine Hand auf dem geschnitzten Rahmen, den Blick über die Stadt schweifen lassend. Selbst von hier aus konnte sie den Spiral Nexus sehen, der sich wie ein Monument der Ambitionen und der arkanen Macht erhob. In seinem Schatten schimmerte der Platz vor Bewegung – ankommende Studenten, Vorratswagen, die über die Gleise summten, und schimmernde Siegel, die schwach über den Torbögen pulsierten.

Die Hauptstadt pulsierte vor Magie und Design.
Aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass hier jede Wand lauschte. Jeder Flur flüsterte.

Es klopfte an der Tür. Nicht zu laut. Gemessen.

Auf ihr Zeichen hin trat ihr Diener ein.

„Ihre Sachen sind bereitgestellt“, begann er. „Die Garderobe wie gewünscht. Ihre Rüstung wurde gereinigt und in den zweiten Schrank gelegt. Und das Bad ist bereits vorbereitet, falls Sie es wünschen.“
Valeria nickte kurz. „Und mein Terminplan?“

Er trat weiter in den Raum und hielt ein dünnes Folio in der Hand. „Du bist in den nächsten sechs Tagen zu drei Teegesellschaften offiziell eingeladen. Die Einladungen kamen mit unterschiedlichen Siegeln, aber alle tragen bekannte Namen.“

Valeria hob eine Augenbraue und sagte mit trockener Stimme: „Marquis Vendor?“
„Nicht direkt“, antwortete er mit einem leichten Lächeln. „Aber die Gastgeber wissen seine jüngsten Allianzen zu schätzen. Und sind natürlich neugierig auf dich.“

Sie wandte sich vom Fenster ab.

„Drei“, wiederholte sie. „Nicht viele.“

„Nein“, stimmte er zu. „Aber auch nicht wenige. Für jemanden, der das letzte Jahr auf dem Pferderücken verbracht hat, um Barone aus ihren Festungen zu holen? Das ist fast schon eine Menschenmenge.“
Valeria erwiderte sein Grinsen nicht, aber ihre Augen verengten sich leicht.

Sie wusste, wie das lief. Sie hatte lange genug unter Adligen gelebt, um die Arithmetik des Status zu erkennen. Vor einem Jahr hätte sie niemand zu etwas anderem als auf ein Schlachtfeld eingeladen. Und jetzt?
Jetzt war sie Vendors auserwähltes Schwert. Und die Tochter des Hauses Olarion – des Hauses, das sich durch die richtige Verbindung zur Macht wieder zurück an die Spitze gekämpft hatte.

Wäre sie nur mit ihrem alten Namen gekommen, hätte sie weniger Einladungen bekommen. Vielleicht sogar gar keine.

„Die Kandidatenprüfungen?“, fragte sie.
„Sie beginnen in sieben Tagen“, antwortete ihre Begleiterin. „Aufgrund deines Status wird von dir erwartet, dass du als offizieller Gast der Akademie an der Eröffnungszeremonie teilnimmst. Die Teepartys finden parallel zu den Vorrunden statt. In privaten Beobachtungslounges wird es wahrscheinlich zu Spekulationen, subtilen Wetten und als Komplimente getarnten Annäherungsversuchen kommen.“

Valeria atmete scharf durch die Nase aus. „Reizend.“
„Bis dahin kannst du machen, was du willst“, fügte er hinzu. „Erkunde die Stadt. Oder ruh dich vielleicht einfach mal aus.“

Sie warf ihm einen Blick zu, der deutlich sagte: „Fordere dein Glück nicht heraus.“

„Verstanden“, sagte sie knapp.

Er verbeugte sich leicht. „Ich lege die Einladungen auf deinen Schreibtisch. Du kannst antworten, wie du willst.“

Er blieb an der Tür stehen und fügte hinzu: „Sie erwarten, dass du kommst. Auch wenn du den Wein nicht magst.“

Dann ließ er sie allein im Raum zurück.
Valeria ging zum Schreibtisch, wo die drei versiegelten Briefe ordentlich gestapelt lagen. Ein Siegel erkannte sie sofort – ein stilisierter Sonnenstrahl, gold auf schwarzem Grund. Dezent, aber unverkennbar das Zeichen von Vendor.

Sie rührte die Briefe nicht an.

Stattdessen wandte sie ihren Blick wieder dem Fenster zu.
Drei Teepartys. Nicht viele, aber bedeutungsvoll. Jede einzelne eine Prüfung, verpackt in Seide und Höflichkeiten. Jede Tasse Tee ein weiteres Gespräch mit versteckten Absichten.

Aber sie würde hingehen.

Denn das war ihre Aufgabe.

Und vielleicht, nur vielleicht, würde sie etwas Nützliches erfahren.

Über die anderen Schüler.

Über die Prüfungen.

Und über die Welt, in die sie eintrat – nicht mit einem Schwert, sondern mit ihrem Namen.
Dennoch sehnte sich ein Teil von ihr nach etwas anderem.

Etwas Unerwartetem.

Etwas mit einem Grinsen und einer gewissen Leichtsinnigkeit und –

Sie unterbrach den Gedanken mit einem scharfen Ausatmen.

Es hatte keinen Sinn, sich damit aufzuhalten.

Der Raum, makellos und perfekt eingerichtet, fühlte sich bereits an, als würde er sie einengen. Zu sauber. Zu poliert. Als sollte er sie zu etwas Zartem machen. Dekorativ. Eingeschränkt.
Valeria wandte sich vom Fenster ab und griff nach ihrem Mantel – dunkel, vom Reisen abgenutzt, am Kragen noch mit den Spuren der windgepeitschten Straßen. Nicht der Seidenschal, den ihre Familie ihr eingepackt hatte. Nicht der eng anliegende, bestickte Umhang, den die Zofe über den Stuhl gelegt hatte.

Sie knöpfte den Mantel selbst zu.

Dann legte sie sich den Schwertgürtel über die Schulter.

Nicht ihre volle Ausrüstung – nicht die zeremonielle Klinge.
Nur das, das sie immer versteckt hielt, diskret unter den Falten ihres Mantels am Rücken festgeschnallt. Kürzer als die Standardwaffe eines Ritters. Aber schneller. Bösartiger. Es wich nie von ihrer Seite, nicht einmal bei diplomatischen Besuchen.

Denn die Welt klopfte nicht immer an, bevor sie ihre Zähne fletschte.
Sie ging zur Tür und blieb gerade lange genug stehen, um eine Notiz neben den Stapel Einladungen zu schreiben: Bin weg. Komme vor Einbruch der Dunkelheit zurück. Wartet nicht.

Dann schlüpfte sie hinaus und ließ die Stille hinter sich.

****

Die Stadt entfaltete sich langsam.

Arcania war kein Ort, den man auf einen Blick erfassen konnte. Sie hatte viele Schichten – wie ein Zauber, der über Jahrhunderte gewirkt worden war.
Einige Teile waren so alt wie das Imperium selbst: Steinbrücken wölbten sich über kristallklare Flüsse, und Statuen längst verstorbener Erzmagier ragten unter efeubewachsenen Türmen empor. Andere Teile waren neu und strahlten Ehrgeiz aus – durchsichtige Straßen, die vor Ley-Linien-Energie pulsierten, schwebende Treppen, die ihre Höhe je nach Rang und Passwort anpassten.

Und dann waren da noch die Menschen.

So viele.
Gelehrte und Straßenkünstler. Ausländische Gesandte in schimmernden Roben, die im Nachmittagslicht funkelten. Ein Bäcker, der Brote mit Konservierungsglyphen verzauberte, während ein Kind versuchte, heimlich eines zu klauen. Zwei Zauberingenieure, die sich hitzig über die Farbe einer beschworenen Flamme stritten. Turmwächter, deren Helme leise mit Erkennungsrunen summten.

Valeria ging nicht wie eine Touristin.

Sie ging wie eine Ritterin ohne Begleitschutz.
Was sie ja auch war.

Und doch hielt sie niemand auf.

Einige warfen ihr einen Blick zu – angezogen von ihrer Haltung, vielleicht ihrem Gang. Oder vielleicht von dem Hinweis auf einen Schwertgriff unter ihrem Mantel. Aber sie gingen weiter.

Erst als sie durch eine der älteren Händlergassen kam – Kopfsteinpflasterwege, gesäumt von mit Runen graviertem Glas –, ließ sie sich langsamer werden.
Das fühlt sich echt an, dachte sie und strich mit ihrer behandschuhten Hand über die Kante eines Steinbalkons.

Die oberen Kreise von Arcania waren wunderschön. Elegant. Und falsch.

Hier jedoch – zwischen dem Gemurmel der Händler, dem scharfen Geruch von Eisenstaub aus der Schmiede zwei Stände weiter und dem Duft von gerösteten Wurzeln, der aus einer Seitenstraße herüberwehte – herrschte eine andere Stimmung.

Etwas Bodenständigeres.
Sie blieb an einem Straßenstand stehen. Nicht weil sie etwas brauchte, sondern weil der Duft ihre Aufmerksamkeit erregte.

Ihr Blick fiel auf die über einer Ätherflamme langsam drehenden, über dem Feuer gebratenen Spieße. Die Verkäuferin, eine breitschultrige Frau mit Tätowierungen auf den Armen, nickte ihr zu.

„Das Beste in der Stadt, Reisende“, sagte sie. „Verkohlter Manafisch. Günstig.“
Valeria zog eine Augenbraue hoch. „Wie billig?“

„Zwei Halbmondstücke.“

Valeria gab ihr drei.

Die Frau blinzelte und grinste dann. „Eine Adlige?“

Valeria nahm den Spieß mit ausdruckslosem Gesicht. „Reisende.“

Eine Pause. Dann ein leises, amüsiertes Grunzen der Verkäuferin. „Na dann. Willkommen im echten Arcania.“

Das war in der Tat eine Begrüßung.

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Score 10
Author: Artist: Released: 2024 Native Language: German
Auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, konnte er nur noch die Hölle ertragen. Er hatte keine Familie, auf die er sich verlassen konnte, da sie ihm den Rücken zugekehrt hatten. Eine Seele vom Schlachtfeld: Lucavion Thorne. Aber anscheinend war er viel mehr als nur ein einfacher Soldat, denn das Schicksal hatte noch einiges für ihn auf Lager. Eine Seele von der Erde ... Als sie verschmolzen, wurde ihm klar: Er war ein Bösewicht aus einem Kapitel, dessen einziger Zweck darin bestand, als Kulisse für die Tragödie des Protagonisten zu dienen. Aber war er wirklich nur ein Bösewicht aus einem Kapitel, oder hatte das Schicksal noch ein paar Asse im Ärmel? Verfolge die Geschichte von Lucavion Thorne, wie er den Sinn seiner Seelenwanderung findet und sein eigenes Schicksal entdeckt. ---------- Ein oder zwei Kapitel täglich. Kapitellänge 1500-2000 Wenn du möchtest, kannst du bei mir auf Discord vorbeischauen. Dort kannst du die Illustrationen sehen und mit mir chatten, wenn ich verfügbar bin. https://discord.gg/BQRMhDxZr8 ---------------------------0------------------------------ Geschäftliche E-Mail-Adresse: [email protected] Discord: _yty_ Shattered Innocence: Transmigrated Into a Novel as an Extra ist ein beliebter Light Novel, der die Genres Action, Abenteuer, Drama, Fantasy, Harem, Romantik und Tragödie abdeckt. Geschrieben vom Autor Darkness_Enjoyer geschrieben. Lies "Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt" kostenlos online.

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