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Kapitel 634: Lebt er noch (2)

Kapitel 634: Lebt er noch (2)

Elara erstarrte.

Es war kaum zu bemerken – nur ein leichtes Zucken der Finger um ihre Tasse, eine winzige Veränderung in ihrer Atmung –, aber für jemanden wie Selphine, die darauf trainiert war, Spannungen am Hof so leicht zu lesen wie Runen, war es so auffällig wie ein Donnerschlag in einem Schneefeld.

„Elowyn?“, fragte Selphine, immer noch in einem lockeren Ton, aber jetzt mit einer Spur von Neugier. Ihre scharfen Augen verengten sich leicht. „Was ist los?“
Elaras Blick war in die Ferne gewandert, ihre Pupillen waren geweitet – nicht vor Angst, sondern vor etwas viel Tieferem. Erkennen.

„Eine weiße Katze?“, wiederholte sie mit leiserer Stimme als zuvor. „Auf seiner Schulter?

Aurelian blinzelte und nickte. „Ja. Eine ziemlich arrogante. Sie sah aus, als gehöre ihr die Stadt. Du kennst ja solche Typen.“
„Und der Junge?“, fragte Elara, ohne weiter zu essen. „Schwarze Augen?“

„Schwarz wie Tinte“, bestätigte Selphine, die Elara jetzt mehr ansah als ihre Erinnerung. „Er trug kein Wappen. Er sah aus, als gehöre er nicht dorthin – bis er alle anderen fehl am Platz wirken ließ.“

Elara antwortete nicht sofort.

Das musste sie nicht.
Ihr Gesicht, das sonst so gefasst war – elegant, zurückhaltend, undurchschaubar – war ins Wanken geraten. Nur ein flüchtiges Zucken, ein Zittern hinter den Augen. Aber das reichte.

Cedric hatte es auch gesehen. Seine Gabel blieb mitten im Schnitt stehen, sein ganzer Körper spannte sich in subtiler Abwehr an, sein Blick glitt zu Elara, als wäre er bereit, auf alles zu reagieren, was als Nächstes kommen würde.

„Elowyn“, sagte Selphine langsam, ihre Stimme jetzt leiser.
„Kennst du ihn?“

Elaras Hände krallten sich leicht in ihren Schoß. Die Geräusche des Gartens – Vogelgezwitscher, raschelnde Blätter, fernes Lachen – schienen plötzlich viel zu weit weg.

„Vielleicht“, sagte sie schließlich, doch das Wort war kaum mehr als ein Flüstern.

Aurelian und Selphine tauschten einen Blick, zwischen ihnen entstand eine stille Verständigung. Ein flüchtiges Zeichen des Verstehens. Oder vielleicht war es Instinkt.
Aurelian beugte sich vor und sprach leise. „Er ist verschwunden, bevor wir mit ihm sprechen konnten. Die Wachen haben versucht, ihn zu fangen, nachdem der Crane-Junge versucht hatte, sich zu wehren. Aber der Typ ist einfach … verschwunden.“

„Verschwunden“, wiederholte Elara.

„Er ist durch eine Raumverzerrung entschwunden, als wäre es seine Haustür“, murmelte Selphine mit nachdenklicher Miene. „Das war kein gewöhnlicher Blinzelsprung. Das war etwas Älteres. Etwas Tieferes.“
Elara schnürte sich die Kehle zu. Ihre Gedanken rasten schneller als ihr Herz.

Das kann nicht sein.

Das darf nicht sein.

Und doch … diese Beschreibung. Dieses Lächeln. Diese Ausstrahlung.

Ein Junge mit pechschwarzen Augen und einer weißen Katze auf der Schulter – der sich in die Gefahr stürzte, als wäre es ein Spiel. Der lächelte, als wäre das Chaos der Welt nichts weiter als ein Tanzschritt, den er bereits auswendig gelernt hatte.
Elara hob langsam den Kopf, als würde ihr diese Bewegung mehr Kraft kosten, als sie sollte. Ihre Finger umklammerten einmal kurz ihre Teetasse, dann öffneten sie sich wieder – anmutig, vorsichtig, als würde ihr Körper sich daran erinnern, wie er das verbergen konnte, was ihre Seele nicht verbergen konnte.

Ihre Stimme kam einen Takt zu spät, begleitet vom Gewicht ihres angehaltenen Atems.

„Wie hieß er?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort schon fürchtete.
Aurelian sah Selphine unsicher an. „Er hat es nicht gesagt. Er ist einfach aufgetaucht, hat den ganzen Garten in einen Sturm von Gerüchten versetzt und ist verschwunden, bevor jemand ihn festhalten konnte.“

Elara rang um einen Ton. Sie versuchte es erneut.

„Hatte er … eine Narbe? Über seinem rechten Auge?“
Selphine schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich gesehen hätte. Sein Gesicht war makellos. Fast zu makellos. Die Art von Gesicht, die man vergisst, weil es einem nichts bietet, woran man sich festhalten kann.“

Eine Anspannung löste sich in Elaras Brust – keine Erleichterung. Keine Enttäuschung. Etwas Seltsameres. Wie ein Faden, der aus einem alten Wandteppich gerissen wurde, von dem sie nicht wusste, dass er noch in ihrem Kopf hing.
„Und eine Waffe?“, hakte sie etwas schärfer nach. „Hatte er eine dabei?“

Aurelian runzelte nachdenklich die Stirn. „Ja, tatsächlich. Eine lange, dünne Klinge – sah kaum so aus, als würde sie etwas wiegen. Vielleicht eine dieser Duellschwerter. Elegant, aber seltsam.“

„Wie ein Estoc?“, fragte Elara leise, fast zu sich selbst. „Eine lange Klinge ohne Schneide, zum Stechen?“
Selphines Augen leuchteten auf. „Ja, genau das ist es. Jetzt, wo ich darüber nachdenke – es war ein Estoc. Heutzutage nicht mehr sehr verbreitet. Es sei denn, man wurde irgendwo altmodisch ausgebildet. Oder im Ausland.“

Elaras Lippen öffneten sich leicht, dann presste sie sie wieder zusammen. Ihr Puls pochte wie Eiszapfen, die von einem Fensterbrett tropfen. Alle Teile passten zusammen, aber nicht ganz.
Der Junge, an den sie sich erinnerte, war genauso wild gewesen – aber gezeichnet, vernarbt, laut, ganz anders als dieser hier.

„Aber sie verändern sich immer, nicht wahr? Wenn man sie zurücklässt. Wenn sie sich entscheiden, einen zurückzulassen.“

Selphines Stimme erklang erneut, diesmal leiser – weniger neugierig, eher bedächtig.

„Elowyn“, sagte sie und neigte leicht den Kopf, den Blick scharf auf Elara gerichtet. „Kennst du ihn?“
Elara antwortete zunächst nicht.

Ihr Blick war wieder abgeschweift – diesmal nicht in den Garten oder zum Horizont, sondern irgendwohin, viel weiter weg. Irgendwo in ihr Inneres.

Aurelian beugte sich ein wenig vor, sein lässiges Grinsen war verschwunden und hatte etwas Nachdenkliches Platz gemacht. Cedrics Augen hatten sie nicht einen Moment lang verlassen, seine Haltung war ruhig und fest, aber aufmerksam.

Schließlich öffnete Elara die Lippen.
„Ich bin mir nicht sicher“, sagte sie langsam und vorsichtig. „Aber … er könnte jemand sein, den ich einmal kannte.“

Selphine kniff die Augen zusammen. „Wirklich?“

Elara zuckte nicht zusammen, als sie die Bedeutung hinter dieser Frage erkannte.

„Er erinnert mich an jemanden“, gab sie zu und strich mit den Fingern über den Rand ihrer Tasse. „Von vor langer Zeit. Oder … eigentlich nicht so lange. Es fühlt sich nur so an.“

Aurelian und Selphine sahen sich an, hoben die Augenbrauen, unterbrachen sie aber nicht.
Elaras Finger glitten von der Porzellantasse und legten sich sanft in ihren Schoß, ihr Blick war immer noch in dieser unnahbaren Ferne verloren – als wäre ein Faden gerissen oder vielleicht an einer Stelle wieder verbunden worden, an der sie ihn vor langer Zeit vergraben hatte.

„Luca.“

Der Name kam nicht als Gedanke, sondern wie ein Geist.
Er schlug wie eine Glocke in ihrem Kopf und hallte in ihren Knochen wider. Der Klang hatte etwas Gefährliches an sich – Vertrautheit, gemischt mit Schmerz, Erinnerungen, die zu Messern geschliffen waren. Ihr stockte der Atem, bevor sie den Namen zu Ende aussprechen konnte.

Sie hatte gedacht –

Er ist tot.

Sie hatte sich dessen sicher gewesen. Der Strudel, der Kraken, die Stille, die darauf folgte. Niemand überlebte so ein Verschwinden. Es sei denn –
Ihre Augen flackerten, nicht vor Tränen, sondern vor Unglauben.

Ist er wirklich hier? Dieses verrückte Grinsen, diese unmögliche Katze, diese Klinge, die wie ein Scherz aussah, bis sie es nicht mehr war …

„Bist du wirklich hier?“, flüsterte sie. Nicht zu ihnen. Nicht zum Garten.

Zu sich selbst.

Und vielleicht – zu einem Schatten.

Dann stupste eine Hand sanft ihren Arm an.
Sie zuckte zusammen – nur ein bisschen. Aber genug. Genug, dass ihre Maske zerbrach und sie in die Gegenwart zurückkehrte. Cedric.

Er sagte nichts.

Das musste er nicht.

Seine Hand war warm und ruhig. Aber seine Augen – diese ozeanblauen Augen – verbargen einen kaum unterdrückten Sturm. Sein Kiefer war angespannt. Seine Augenbrauen zusammengezogen. Aber seine Berührung war nicht wütend.

Nur warnend.
Nur Erinnerung.

Und Schmerz.

Sie drehte sich langsam zu ihm um, und der Blick, den sie austauschten, war nicht der einer Überraschung.

Es war Anerkennung.

Sie hatten darüber gestritten. Über ihn. Darüber, dass sie immer wieder Geistern nachjagte, alte Wunden wieder aufriss, als wären sie Seiten in einer Geschichte, die sie nicht zu Ende schreiben konnte. Cedric hatte ihr nie gesagt, sie solle vergessen – nur, dass sie sich in dem verlor, was sein könnte, statt in dem, was war.
Die Stille war angespannt.

Dann, wie ein zweites Flüstern hinter ihren Gedanken, erhob sich eine andere Stimme.

Eveline.

Scharf. Abgemessen. Gnadenlos wie Sternenlicht auf Stahl.

„Du bist nicht dort, um einen Abschluss zu finden. Oder Schuld. Oder Antworten. Du bist dort, um zu lernen. Um zu wachsen. Und um sie daran zu erinnern, was genau sie weggeworfen haben.“
Die Worte ihres Meisters brannten in ihrer Brust, ebenso wie der Schmerz, den Lucas Name wieder in ihr ausgelöst hatte.

„Du darfst nicht zurückblicken, noch nicht.“

Elara blinzelte langsam und zog sich in sich zurück. Der Wind im Garten wehte ihr durch die Haare und zerzauste die dunklen kastanienbraunen Wellen ihrer Illusion.

Sie musste sich erinnern.

Was sie hier tat.

Warum sie gekommen war.
Als sie aufblickte, hatte sich ihr Gesicht verändert. Die flüchtige Verletzlichkeit war noch da, aber darunter lag Stahl. Gehärtet. Kalt. Echt.

„Ich weiß nicht, ob er es ist“, sagte sie laut, sodass alle drei es hören konnten.

„Aber es wäre schön, ihn wiederzusehen, denke ich?“

Eine Pause entstand zwischen ihnen, leicht wie die Brise im Garten, aber schwer von unausgesprochenen Worten.
Elara ließ die Anspannung in ihrer Brust noch einen letzten Moment lang wirken, bevor sie sich auflöste – nur ein wenig. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Nicht ganz. Nicht genug, um von jemandem, der sie nicht kannte, als Lächeln bezeichnet zu werden – aber für jemanden wie Cedric war es unverkennbar.

Ein sanftes, privates Zucken ihrer Mundwinkel. Ein Hauch von Wärme in der Kälte ihrer Zurückhaltung.

Sie lächelte sich selbst an.

Kaum merklich.

Aber dennoch.
„Ich dachte, du wärst weg. Aber wenn du nicht weg bist … ist das dann nicht eine Art Gnade?“

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Score 10
Author: Artist: Released: 2024 Native Language: German
Auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, konnte er nur noch die Hölle ertragen. Er hatte keine Familie, auf die er sich verlassen konnte, da sie ihm den Rücken zugekehrt hatten. Eine Seele vom Schlachtfeld: Lucavion Thorne. Aber anscheinend war er viel mehr als nur ein einfacher Soldat, denn das Schicksal hatte noch einiges für ihn auf Lager. Eine Seele von der Erde ... Als sie verschmolzen, wurde ihm klar: Er war ein Bösewicht aus einem Kapitel, dessen einziger Zweck darin bestand, als Kulisse für die Tragödie des Protagonisten zu dienen. Aber war er wirklich nur ein Bösewicht aus einem Kapitel, oder hatte das Schicksal noch ein paar Asse im Ärmel? Verfolge die Geschichte von Lucavion Thorne, wie er den Sinn seiner Seelenwanderung findet und sein eigenes Schicksal entdeckt. ---------- Ein oder zwei Kapitel täglich. Kapitellänge 1500-2000 Wenn du möchtest, kannst du bei mir auf Discord vorbeischauen. Dort kannst du die Illustrationen sehen und mit mir chatten, wenn ich verfügbar bin. https://discord.gg/BQRMhDxZr8 ---------------------------0------------------------------ Geschäftliche E-Mail-Adresse: [email protected] Discord: _yty_ Shattered Innocence: Transmigrated Into a Novel as an Extra ist ein beliebter Light Novel, der die Genres Action, Abenteuer, Drama, Fantasy, Harem, Romantik und Tragödie abdeckt. Geschrieben vom Autor Darkness_Enjoyer geschrieben. Lies "Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt" kostenlos online.

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