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Kapitel 624: Tage

Kapitel 624: Tage

In den Straßen der Hauptstadt war noch der Restlärm des Festes zu hören – fernes Lachen, Glockengeläut und das Rascheln von Seide, die über Kopfsteinpflaster streifte. Lucavion ging gemächlich voran, warf aber alle paar Schritte einen Blick über die Schulter.

Nichts.

Kein Rascheln von gepanzerten Stiefeln. Kein Schatten, der zu lange am Rand einer Gasse verharrte.

Keine Wachen.
Nur das übliche Durcheinander einer Stadt, die zu sehr an Spektakel gewöhnt war.

Er atmete langsam und leise aus, das Geräusch streifte kaum die kühle Nachtluft. Ein kleines Grinsen huschte über seine Lippen, erreichte jedoch nicht ganz seine Augen.

„Es scheint funktioniert zu haben.“

Die weiße Katze auf seiner Schulter bewegte sich leicht und streifte mit ihrem Schwanz genervt seinen Nacken.
„Geklappt?“ Vitaliaras Stimme klang leise, scharf und nicht besonders amüsiert. „Du bist direkt in die Höhle des Löwen gegangen und hast ihm statt einer Antwort ein Rätsel aufgegeben. Warum um alles in der Welt hast du eine Prinzessin so provoziert? Bist du verrückt?“

Lucavion neigte leicht den Kopf, als würde er über den Vorschlag nachdenken.

„Nun ja … nicht ganz.“
[Vitality, hilf mir –] Sie kniff die Augen zusammen und legte die Ohren an. [Du hast mit ihr gespielt. Nicht mit irgendeiner Königstochter. Mit ihr. Du hast sie mit Halbwahrheiten geködert und ihr Verschwörungstheorien eingeflüstert, als wäre das eine Theateraufführung.]

Er brummte nachdenklich. „Mm. Ja. Ich gebe zu, es war ein bisschen theatralisch.“

[Ein bisschen –?]
Er warf ihr einen Blick zu, seine Augen funkelten im sanften Lampenlicht. „Und doch sind wir hier. Keine Klingen in unserem Rücken. Keine Fahndung. Keine bindenden Schriftrollen, die mir den Mund verschließen.“

[Doch.]

Lucavions Grinsen kehrte zurück. „Details.“

Die Katze schnaubte leise und kuschelte sich enger an seine Schulter, aber ihre Stimme wurde sanfter. [Du hast da drin viel riskiert.]
„Ein kalkuliertes Risiko.“ Sein Tonfall wurde etwas leiser, jetzt nachdenklich. „Eine Falle wie diese lässt sich nicht mit roher Gewalt oder edlen Dekreten aufdecken. Man muss sie zuerst erkennen. Sie ist nicht dumm. Aber sie ist – war – ahnungslos.“

„Das“, murmelte Vitaliara, „kann sie jetzt sehen. Aber das beantwortet immer noch nicht die Frage, warum.“
Ihre Stimme war von einer seltenen Härte geprägt, die sie nur dann zeigte, wenn ihr etwas zu nahe kam.

„Warum hast du das getan?“

Lucavion antwortete nicht sofort. Er ging weiter, und die Stille zwischen seinen Schritten war so lang, dass es nach Ausflüchten klang. Aber nicht ganz.

Nicht bei ihm.
„Du hättest dich nicht in diese Angelegenheit einmischen sollen“, fuhr sie fort und schlug einmal mit dem Schwanz gegen seine Schulter. „Du hast es selbst gesagt. Diese Falle war nicht für dich bestimmt. Sie war nicht einmal für den Baron bestimmt. Das war ihre Schlinge. Ihre Demütigung. Und trotzdem hast du dich mitten hinein gestürzt.“
Sie beugte sich nun vor, ihr geringes Gewicht drückte sich gegen seinen Hals wie ein zweiter Herzschlag. [Und wenn die Dinge so kompliziert sind, wie du sie darstellst – wenn der Kronprinz wirklich hinter all dem steckt –, dann wird ihm das nicht gefallen. Er wird es nicht mögen, dass du dich einmischst.]

Lucavion blieb stehen.

Direkt unter einer alten schmiedeeisernen Straßenlaterne, deren Licht wie verschüttete Tinte zu seinen Füßen lag.

Dann zuckte er mit den Schultern.
„Na und?“

Vitaliara spitzte die Ohren. „Na und?“, wiederholte sie mit ungläubiger Stimme. „Na und? Lucavion, der Kronprinz von Arcanis ist keine Gassenratte, die du mit einem Schulterzucken abtun kannst. Er wird dich suchen. Er wird dich aufspüren.“

Lucavion lächelte, aber nicht mit seiner üblichen Verschmitztheit. Dieses Lächeln war dünner. Schärfer.
„Das wird er höchstwahrscheinlich auch.“

[Dann hast du dir unnötigen Ärger eingehandelt. Schon wieder.]

Er drehte sich leicht zur Seite, sodass seine Augen gerade so das Licht der Lampe einfingen, dass sie schwach glänzten wie die Kante einer Münze, die in der Luft geworfen wurde.

„Was ist denn unnötig, meine liebe Vitaliara?“

Sie blinzelte, für einen Moment von der Sanftheit seines Tons überrascht. [Was?]
„Hättest du das auch gesagt, als ich die Höhle des Flüsterers betreten habe?“, fragte er mit leiser Stimme, in der Erinnerungen mitschwangen. „Oder als ich mich in die Ketten von Riken und Sena eingemischt habe? Als ich einem Jungen, den ich nicht kannte, ein Mal aus der Haut gebrannt habe?“
Er hielt inne. „Hätte ich dich an diesem Tag im Dickicht auch verlassen sollen?“

Sie schwieg. Nicht, weil sie keine Antwort wusste, sondern weil sie sie nicht geben wollte.

Lucavions Schritte wurden wieder langsamer, seine Stiefel kratzten leicht an der Kante eines unebenen Kopfsteinpflasters. Die Straße bog nach vorne ab – leer, bis auf ein paar herumwirbelnde Blütenblätter von den übrig gebliebenen Festgirlanden, die zu hoch aufgehängt waren, als dass sich jemand die Mühe gemacht hätte, sie abzunehmen. Die Luft war hier schwerer, stiller. Man konnte leichter reden, ohne belauscht zu werden.
Er blieb im Schatten eines alten, mit Weinreben bewachsenen Bogens stehen, fuhr sich mit den Fingern über den Saum seines Mantels und starrte vor sich hin, ohne wirklich etwas zu sehen.

„Oder hätte ich Aeliana verlassen sollen?“, sagte er leise, fast zu sich selbst. „Hätte ich sie in diesem einsamen kleinen Gefängnis, das sie ihr Zuhause nennt, schmoren lassen sollen, in dem Glauben, dass niemand jemals zurückkommen würde, um sie zu holen?“
Seine Stimme klang nicht scharf, nur leise und beharrlich. Müde. Vertraut.

„Diese Dinge … man kann sie alle in Frage stellen, nicht wahr?“

Er warf einen Blick auf Vitaliara, deren Gesicht von Mondlicht durch die Blätter beleuchtet wurde.
„Für manche mag die Antwort ja lauten. Ich hätte gehen sollen. Für andere ist es vielleicht nur ein Achselzucken. Ein ‚Na und?‘ Sie werden sagen, ich sei dumm, arrogant, mische mich unnötig ein.“

Sein Lächeln kehrte zurück, schwach und scharf, wie die Erinnerung an eine Wunde, die nicht mehr schmerzte.

„Aber genau darum geht es.“
„Du denkst nicht, dass es unnötig war“, sagte Vitaliara leise und kniff die Augen zusammen.

„Nein“, antwortete Lucavion. „Das denke ich nicht.“

Er blickte zum Nachthimmel hinauf, wo der Rauch der Laternen die Sterne wie Flecken auf Pergament verschwimmen ließ.

„Vor mir spielte sich ein Spektakel ab. Eine Inszenierung aus Blut und Flüstern. Ich bin einfach … dazwischen gegangen.“
Er senkte den Blick wieder. Seine Augen waren ruhig. Nicht freundlich. Nicht grausam. Einfach nur gelassen.

„Ich habe mich darum gekümmert.“

Vitaliaras Schwanz zuckte einmal, ihr goldener Blick war scharf auf ihn gerichtet. Dann –

„Das habe ich gesehen“, sagte sie mit leiserer Stimme. „Dieser Baron … er hat nur gespielt.“

Lucavion nickte nicht. Das brauchte er nicht. Sie hatte es auch bemerkt.
„Seine Angst war echt – aber nicht frisch. Sie war zu kultiviert. Als hätte jemand sie ihm eingeübt. Die Stolperer in seiner Bitte waren absichtlich. Und seine Schwester hat dich beobachtet, obwohl sie auf den Erben hätte achten sollen.“
Es herrschte einen Moment lang Stille.

[Sie wusste, dass du die eigentliche Variable warst.]

Lucavions Augen blitzten auf.

„Mm. Sie waren beide Köder. Gut ausgebildet, wenn schon sonst nichts.“

Er atmete aus, diesmal langsamer, und ging schließlich weiter, die Hände in seinen Mantel gesteckt.
„Wie man es von einem Kronprinzen mit einer Vorliebe für Präzision erwartet“, murmelte er. „Er mochte schon immer symmetrisches Chaos. Ein Faden ist verrutscht und die ganze Falle fällt auseinander.“

[Und dieser Faden warst du.]

Er lächelte, und für einen Moment – nur einen Augenblick – war es das Grinsen des Mannes, der einst die Schatzkammer eines Sklavenhändlers in Brand gesteckt hatte, nur um zu testen, wie schnell eine verzauberte Tür schmelzen konnte.
„Nun, ich bin sehr gut darin, Dinge zu entwirren.“

Vitaliaras Stille blieb noch einige Schritte hinter ihm zurück, bis das leise Klacken ihrer Krallen an seinem Schulterfell näher kam und ihre Stimme folgte, jetzt leiser – aber nachdenklich.

[Du bist besser darin geworden.]

Lucavion hielt nicht inne, aber der Mundwinkel hob sich – nicht amüsiert. In Anerkennung.
„Mm. Das bin ich.“

[Es ist nicht mehr nur die Art, wie du die Situation einschätzt. Es ist etwas Tieferes.] Ihr Schwanz schlang sich leicht um seinen Kragen. [Du fühlst mehr, als du siehst. Du erkennst die Bedeutung, noch bevor sie sich offenbart.]

Lucavions Blick huschte zu einer Seitenstraße, wo durch ein geschlossenes Papierfenster schwach Feuerlicht schimmerte. „Ich habe … geübt.“
„Nicht nur Übung“, flüsterte sie. „Kultivierung.“

Sie hatte recht.

In den Monaten seit seiner Abreise aus dem Süden hatte er keinen einzigen Tag mit Nichtstun verschwendet. Die Reise war nur eine Tarnung gewesen, aber unter der Oberfläche der langsamen Karawanen und schlammigen Straßen hatte Lucavion gearbeitet. Nächte, die er mit der Jagd in nebelverhangenen Wäldern verbrachte.
Die Tage verbrachte er meditierend in verfluchten Ruinen, wo die Welt selbst den Atem anhielt. Monster waren gefallen – zwanzig, dreißig, mehr. Jedes einzelne war eine Lektion. Jedes einzelne war Treibstoff.

Die [Flamme der Tagundnachtgleiche] hatte sich durch all das weiterentwickelt – sie war nicht mehr nur ein Funke des Gleichgewichts zwischen Leben und Tod, sondern ein Rhythmus. Ein Puls. Eine atmende Kraft, die sich mit Hunger und Entschlossenheit in seinen Adern zusammenrollte.
Während sein Kern – der [Verschlinger der Sterne] – versiegelt blieb, unbeweglich wie ein Mond hinter Wolken, war seine Flamme wild geworden. Konzentriert.

Doch durch seine [Flamme der Tagundnachtgleiche] hatte er eine neue Fähigkeit erworben.

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Score 10
Author: Artist: Released: 2024 Native Language: German
Auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, konnte er nur noch die Hölle ertragen. Er hatte keine Familie, auf die er sich verlassen konnte, da sie ihm den Rücken zugekehrt hatten. Eine Seele vom Schlachtfeld: Lucavion Thorne. Aber anscheinend war er viel mehr als nur ein einfacher Soldat, denn das Schicksal hatte noch einiges für ihn auf Lager. Eine Seele von der Erde ... Als sie verschmolzen, wurde ihm klar: Er war ein Bösewicht aus einem Kapitel, dessen einziger Zweck darin bestand, als Kulisse für die Tragödie des Protagonisten zu dienen. Aber war er wirklich nur ein Bösewicht aus einem Kapitel, oder hatte das Schicksal noch ein paar Asse im Ärmel? Verfolge die Geschichte von Lucavion Thorne, wie er den Sinn seiner Seelenwanderung findet und sein eigenes Schicksal entdeckt. ---------- Ein oder zwei Kapitel täglich. Kapitellänge 1500-2000 Wenn du möchtest, kannst du bei mir auf Discord vorbeischauen. Dort kannst du die Illustrationen sehen und mit mir chatten, wenn ich verfügbar bin. https://discord.gg/BQRMhDxZr8 ---------------------------0------------------------------ Geschäftliche E-Mail-Adresse: [email protected] Discord: _yty_ Shattered Innocence: Transmigrated Into a Novel as an Extra ist ein beliebter Light Novel, der die Genres Action, Abenteuer, Drama, Fantasy, Harem, Romantik und Tragödie abdeckt. Geschrieben vom Autor Darkness_Enjoyer geschrieben. Lies "Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt" kostenlos online.

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