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Kapitel 611: Die erste Flamme

Kapitel 611: Die erste Flamme

Die Kutsche kam langsam zum Stehen, und die Schwebe-Runen wurden leiser, als sie im Herzen der Oberstadt ankamen.

Aurelian stieg in die Mitte des Platzes, den die Einheimischen Virelan-Platz nannten – ein riesiger, offener Platz, gepflastert mit blasssilbernem Stein, der unter dem mit Mana erfüllten Himmel leicht schimmerte. Hohe Kristallspitzen umgaben den Platz und warfen gebrochene Farbtöne in sanftem Gold und Lila auf das Kopfsteinpflaster.
Der Platz pulsierte vor Energie, und die Menschenmenge ließ die Luft lebendig werden.

Um sie herum wogten Menschenmassen – junge Männer und Frauen in den unterschiedlichsten Gewändern, von edlen Roben bis hin zu verwitterten Reisemänteln. Eltern hielten ihre Kinder mit großen Augen fest an sich gedrückt. Straßenhändler schwenkten leuchtende Banner von verzauberten Karren und verkauften alles Mögliche, von schwebenden Süßigkeiten bis hin zu Talismanen aus Illusionsseide, die wie Glühwürmchen in der Luft tanzten.
Gelächter vermischte sich mit Zaubersprüchen. Der Duft von Gewürzbrot und kandierten Früchten erfüllte die Luft zwischen den Elementarvorführungen der Straßenmagier, die um Geld oder Bewunderung buhlten.

Aurelians Augen weiteten sich, und ihm stockte der Atem. „Das ist … unglaublich.“
„Zu dieser Jahreszeit ist hier das Herz der Hauptstadt“, sagte sein Begleiter, der neben ihm stand. „Der Virelan-Platz ist für die meisten Studenten der erste Ort, den sie betreten, bevor die Akademie beginnt.“

Und das nicht ohne Grund.

Über dem Platz schwebten auf einer großen, erhöhten Tafel aus gewebtem Manakristall leuchtende Siegel und riesige Banner mit vergoldeter Schrift, auf denen stand:
„Das Fest der ersten Flamme – zu Ehren von Kaiserin Lysandra.“

Aurelian blickte nach oben und hob die Augenbrauen.

„Es ist also schon so weit …“

„In der Tat“, antwortete sein Begleiter. „Noch drei Tage. Das Fest beginnt kurz vor der offiziellen Aufnahmezeremonie der Akademie.“
Um sie herum hatten die Feierlichkeiten bereits in kleinerem Rahmen begonnen – Tanzgruppen übten in den Seitenhöfen, Musiker stimmten ihre aus Holunderholz und Windknochen geschnitzten Instrumente, und am anderen Ende des Platzes, wo bald die Bühne für das Tableau des Gründers stehen würde, wurden aufwendige Konstruktionen vorbereitet.

„Kennst du die Geschichte, junger Herr?“, fragte der Begleiter.

Aurelian drehte sich neugierig um. „Die echte? Oder die geschönte Version?“
Der ältere Mann lächelte leicht. „Fangen wir mit der an, über die sich die Geschichtsbücher einig sind.“

Er deutete auf ein hohes Denkmal am Rand des Platzes – eine aus Marmor gehauene, von Sternenlicht umspielte Gestalt, die in ihrer ausgestreckten Hand eine Fackel mit ewigem Feuer hielt.

„Das ist Lysandra die Erste, Gründerin des Arcanis-Reiches. Magierkönigin. Fackelträgerin.“
Das Feuer in ihrer Hand flackerte golden und strahlte einen sanften Schein aus, der von uralter Magie pulsierte. Die Leute gingen ehrfürchtig darunter hindurch und neigten kurz den Kopf in Anerkennung.

„Bevor Arcania eine Stadt war“, fuhr der Begleiter fort, „war dieser Ort eine zerstörte Ruine, gefangen zwischen den zerfallenen Königreichen der alten Zeit. Kriegsherren, Bestien und rivalisierende Magier kämpften um die Herrschaft.“
„Und sie hat sie aufgehalten?“, fragte Aurelian, obwohl er die Antwort bereits kannte – aber er musste sie noch einmal hören.

„Sie hat sie vereint. Mit nichts als ihrer Flamme, ihrer Zauberei und einer Vision. Sie schloss den Imperialen Pakt und gründete hier – auf diesem Platz – die Imperiale Akademie als einen Ort, an dem Blutlinien nicht länger der einzige Weg zur Macht sein sollten. An dem Magie studiert, verfeinert und perfektioniert werden sollte … und dazu genutzt werden sollte, die Zivilisation zu fördern, nicht zu zerstören.“
Aurelian blickte zurück auf das Denkmal und für einen Moment konnte er sie fast vor sich sehen – Lysandra die Erste, ihr Umhang wehte wie Sturmwinde, das Feuer in ihrer Hand war nicht nur ein Symbol, sondern eine Warnung: Magie war nicht dazu da, gehortet zu werden. Sie sollte weise eingesetzt werden.
„Das Fest der Ersten Flamme feiert diese Gründung“, sagte der Begleiter mit leiserer Stimme. „Jedes Jahr wird ihre Ankunft, ihre Rede und das Entzünden der Fackel nachgestellt – unmittelbar gefolgt von der Öffnung der Tore der Akademie für eine neue Generation.“
Aurelian schaute wieder zu den Menschenmassen. Junge Hoffnungsvolle. Träumer mit leuchtenden Augen. Und irgendwo in dieser Menge ein paar wie er.

Und ein paar wie Selphine.

„Ich frage mich“, sagte er leise, „was Lysandra sagen würde, wenn sie diesen Ort jetzt sehen könnte.“

Der Begleiter sagte nichts. Aber sein Schweigen hatte Gewicht.

Nicht alle Träume altern gut.
In der Nähe ertönte lautes Gelächter – jemand hatte einen Illusionsdrachen aus glitzerndem Glasfeuer gezaubert, und Kinder jagten ihn, während er zwischen den Ständen hin und her flitzte.

Dann –

„Aurelian!“

Die Stimme war unverkennbar.

Er drehte sich um.

Da stand sie – Selphine Elowen, am Fuße der Statue des Gründers, die Arme verschränkt, lange silber-rotbraune Locken fielen ihr über die Schulter. Sie trug einen mit königlichem Violett gegürteten Reisemantel, ihre Augen waren vor gespielter Verärgerung zusammengekniffen.

„Ich wusste, dass du anhalten würdest, um etwas zu bewundern, bevor du direkt zum Platz kommst“, schnaufte sie.
Aurelian grinste und hob die Hand zum Gruß. „Komm schon, Selphine. Erwartest du etwa, dass ich am Vermächtnis eines Imperiums vorbeigehe, ohne ein bisschen zu staunen?“

„Hm.“

„Hm“, wiederholte Selphine und stemmte die Hände in die Hüften. „Du hast versprochen, dass du um 12 Uhr hier sein würdest. Du bist immer zu spät, Aurelian.
Weißt du, wie nervig es ist, hier herumzustehen und zu warten wie die verlorene Tochter eines Adligen?“

Aurelian hob seine Hände in einer gespielten Geste der Kapitulation und grinste mit dem Charme, der ihn normalerweise aus jeder Situation herausholte. „Schon gut, schon gut. Es tut mir leid. Aber dieses Mal schwöre ich, dass es keine Absicht war. Der Verkehr an der Kontrollstelle war ein Albtraum. Du weißt ja, wie es während der Festwoche ist.“
Selphine kniff die Augen zusammen und war nicht überzeugt.

„Das reicht mir nicht“, erklärte sie. „Du hast mich hier stehen lassen und einem drittklassigen Barden zuhören müssen, der davon erzählt hat, wie Lysandra einmal einen Drachen in einen Kronleuchter verwandelt hat.“
Aurelian blinzelte. „Moment mal, was? Das ist nicht einmal annähernd die wahre …“

Aber sie war schon in Bewegung.

„Komm schon“, unterbrach Selphine ihn, griff nach vorne und packte sein Handgelenk mit plötzlicher, heftiger Begeisterung. „Du bist mir was schuldig, weil du mich warten lassen hast. Wir gehen auf Entdeckungsreise.“
„Was, jetzt?“

„Ja, jetzt! Es gibt so viel zu sehen, bevor das Fest richtig losgeht – Straßenshows, Imbissstände, Zauberer, die ihre Künste vorführen – einfach alles.“

Aurelian warf einen hilflosen Blick auf seinen Begleiter, der ihm nur resigniert zunickte. Hinter Selphine trat ihre eigene Zofe einfach zurück in die Menge wie ein Schatten und verschwand mit dem stillen Verständnis, dass dies kein Kampf war, der es wert war, geführt zu werden.
Mit einem wehmütigen Lächeln schüttelte Aurelian den Kopf und ließ sich mitziehen. „Na gut, na gut. Ich weiß, dass ich dir was schuldig bin.“

„Das bist du“, sagte Selphine, ohne sich umzudrehen, während sie mit schnellen, entschlossenen Schritten voranging. „Also guck nicht jede Manalampe an, an der wir vorbeikommen.“

Aurelian lachte leise, als sie tiefer in den Platz eintauchten. „Ich verspreche nichts. Du weißt doch, dass ich genauso neugierig bin wie du.“
„Genau das macht mir Sorgen.“

Um sie herum erstreckte sich der Virelan-Platz wie ein Traum aus Farben und Licht. Schwebende Stoffbahnen säumten die Gehwege und warfen wechselnde Farbtöne auf die Menge aus herumstreunenden Studenten, Familien, Händlern und Straßenkünstlern. Über ihnen schimmerten weiterhin Projektionskristalle mit Werbung für das Fest der Ersten Flamme, begleitet von leisen Glockentönen und aufgezeichneter Fanfarenmusik.
In diesen wenigen Tagen, bevor sich die Tore der Akademie öffneten, gehörte die Stadt ihnen allein.

Und die Studenten – frisch aus allen Teilen des Kontinents angereist – waren noch nicht an Disziplin oder die Wände ihrer Schlafsäle gebunden. Es war eine lang gehegte Tradition, die ebenso sehr der Genusssucht wie der Wirtschaft diente. Die örtlichen Gasthäuser und Landgüter profitierten davon, während das Reich in einer Welle von Handel, Tourismus und Spektakel badete.
„Das ist wirklich clever“, sinnierte Aurelian laut, während er sich neben ihr durch die Menge schlängelte. „Man verschiebt die Zimmerverteilung in den Wohnheimen bis nach dem Fest, und schon hat die Stadt zwei Wochen lang ununterbrochen Geld in die Kassen fließen.“

Selphine warf ihm einen Blick zu. „Das ist das Erste, was du heute gesagt hast, das intelligent ist.“

Er sah sie von der Seite an, ein Grinsen umspielte seine Lippen. „Und was war das Zweite?“
„Das hast du noch nicht gesagt.“

Sie lachten gemeinsam, ihre Schritte hallten leicht auf dem Kopfsteinpflaster wider, dicht gefolgt vom Echo der Jahrhunderte und der warmen Verlockung neuer Möglichkeiten.

Im Schatten der Flamme von Kaiserin Lysandra betraten zwei Erben weniger bedeutender Familien das Chaos –

nicht als Herrscher.

Noch nicht.

Sondern als neugierige Seelen, die mit einer Stadt verbunden waren, in der Legenden gerade erst wieder zu erwachen begannen.

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Score 10
Author: Artist: Released: 2024 Native Language: German
Auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, konnte er nur noch die Hölle ertragen. Er hatte keine Familie, auf die er sich verlassen konnte, da sie ihm den Rücken zugekehrt hatten. Eine Seele vom Schlachtfeld: Lucavion Thorne. Aber anscheinend war er viel mehr als nur ein einfacher Soldat, denn das Schicksal hatte noch einiges für ihn auf Lager. Eine Seele von der Erde ... Als sie verschmolzen, wurde ihm klar: Er war ein Bösewicht aus einem Kapitel, dessen einziger Zweck darin bestand, als Kulisse für die Tragödie des Protagonisten zu dienen. Aber war er wirklich nur ein Bösewicht aus einem Kapitel, oder hatte das Schicksal noch ein paar Asse im Ärmel? Verfolge die Geschichte von Lucavion Thorne, wie er den Sinn seiner Seelenwanderung findet und sein eigenes Schicksal entdeckt. ---------- Ein oder zwei Kapitel täglich. Kapitellänge 1500-2000 Wenn du möchtest, kannst du bei mir auf Discord vorbeischauen. Dort kannst du die Illustrationen sehen und mit mir chatten, wenn ich verfügbar bin. https://discord.gg/BQRMhDxZr8 ---------------------------0------------------------------ Geschäftliche E-Mail-Adresse: [email protected] Discord: _yty_ Shattered Innocence: Transmigrated Into a Novel as an Extra ist ein beliebter Light Novel, der die Genres Action, Abenteuer, Drama, Fantasy, Harem, Romantik und Tragödie abdeckt. Geschrieben vom Autor Darkness_Enjoyer geschrieben. Lies "Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt" kostenlos online.

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