Switch Mode

Kapitel 603: Der rosa Ritter (4)

Kapitel 603: Der rosa Ritter (4)

Der Marsch zurück zum Lager verlief still, bis auf das gelegentliche Murmeln der Ritter und die schweren, ungleichmäßigen Schritte von Baron Godfrey, der hinterhergeschleppt wurde. Valeria ging vorne, den Blick starr nach vorne gerichtet, ihre Gedanken schon weit weg von der eroberten Festung hinter ihr.
Sie hätte dort bleiben können. Es wäre die logische Entscheidung gewesen, die praktische. Die meisten Kommandeure würden nach der Einnahme einer Festung die Einrichtungen für sich beanspruchen – zumindest vorübergehend. Die Säle waren gebaut worden, um Lords zu beherbergen, die Vorratskammern, um eine Armee zu versorgen, und die Mauern, um sie vor den Elementen zu schützen.

Aber Valeria hatte das nie getan.
Nicht bei Baron Relmar. Nicht bei Baron Varrin. Nicht bei Estrel und auch nicht bei den anderen Verbrechern, die sie entmachtet hatte. Und schon gar nicht bei Godfrey.

Sie würde ihnen nicht ihr Zuhause wegnehmen.

Denn es stand ihr nicht zu, es sich anzueignen.
Nur weil ein Mann für schuldig befunden worden war, nur weil sein Land unter der Autorität von Marquis Vendor beschlagnahmt worden war, gehörte es nicht plötzlich ihr oder ihren Rittern. Die Autorität über diese Ländereien lag weiterhin beim Imperium, bei der Regierung, die die von ihr gestürzte korrupte Herrschaft ablösen würde.

Noch wichtiger war, dass Valeria nicht zulassen wollte, dass ihre Männer sich daran gewöhnten, etwas zu besetzen, das ihnen nicht gehörte.
Krieg hatte die Eigenschaft, Perspektiven zu verschieben und die Grenzen zwischen Gerechtigkeit und Eroberung zu verwischen. Sie hatte das schon einmal erlebt – Ritter, die glaubten, für ihre Siege etwas zu verdienen, und sich nahmen, was sie wollten, einfach weil sie es konnten.

Sie würde nicht zulassen, dass ihre Truppen so wurden.

Und so befahl sie, wie bei jeder anderen Festung, die sie eingenommen hatten, ein Lager außerhalb der Mauern zu errichten.
Als sie ankamen, war das Lager bereits gut eingerichtet. Zelte standen auf der Lichtung knapp außerhalb der Reichweite der Burg, Lagerfeuer flackerten in der Abenddämmerung. Ritter bewegten sich diszipliniert und effizient, einige versorgten ihre Verwundeten, andere reinigten Waffen oder verstärkten die Umzäunung. Es war nicht der Komfort eines Adelsanwesens, aber es war ihr Zuhause.

Anfangs hatte sie sich nicht viel dabei gedacht.
Sie hatte getan, was von ihr erwartet wurde. Sie hatte das Kommando über die Truppen übernommen, die ihr von ihrem Vater, dem Hause Olarion, übertragen worden waren, und ihre Pflicht mit unerschütterlicher Entschlossenheit erfüllt. Jede Schlacht, jede eroberte Burg, jeder ausgeführte Befehl – alles hatte sie im Namen der Wiederherstellung der Ehre ihrer Familie getan.

Das war es, was sie angetrieben hatte.
Sie hatte für den Namen Olarion gekämpft, um einen Weg zurück zu Ruhm und Ehre zu bahnen und zu beweisen, dass ihre Blutlinie noch immer Respekt verdiente.

Aber jetzt –

Jetzt, als sie im flackernden Schein der Lagerfeuer stand und der Nachtwind das entfernte Murmeln ihrer Ritter herüberwehte, blickte sie auf alles zurück, was sie getan hatte.

Und sie erkannte, wie naiv sie gewesen war.

Ihre Finger krallten sich leicht in ihre Seiten.
Sie hatte geglaubt, dass Ehre ein Leitstern sei, etwas Absolutes, etwas Reines. Sie war ihr blind gefolgt, in dem Glauben, dass ihr Weg gerecht bleiben würde, solange sie sich daran hielt. Dass ihre Entscheidungen richtig sein würden.

Aber die Welt hatte diese Illusion zerstört.

Sie dachte an die Nächte zurück, die sie mit Lucavion verbracht hatte.
Keine Herberge, keine Unterkunft, kein sicherer Hafen, der sie aufnehmen wollte – weil er sich die Wolkenhimmel-Sekte zum Feind gemacht hatte. Weil er es gewagt hatte, sich ihnen entgegenzustellen.

Kein Adliger hatte ihnen die Hand gereicht. Kein Kaufmann hatte ihnen eine Unterkunft angeboten. Selbst diejenigen, die die Wahrheit kannten, die hinter vorgehaltener Hand über die Korruption der Sekte flüsterten, hatten sich in der Öffentlichkeit von ihnen abgewandt.

Weil es einfacher war.
Weil Gerechtigkeit nur dann bequem war, wenn sie ihnen nicht gefährlich wurde.

Und dann –

Dann waren da diese beiden kleinen Tiermenschenkinder.

Diese Nacht würde sie nie vergessen.

Sie hatte dort gestanden, den Geruch von feuchter Erde und Brennholz in der Nase, und ihnen zugesehen, wie sie sich aneinander klammerten, um sich zu wärmen, ihre Augen voller Angst, die sie nicht von Monstern gelernt hatten, sondern von Menschen.

Von Männern wie Godfrey.
Von Lords und Baronen, die sie als wenig mehr als Eigentum betrachteten, als etwas, das verkauft und benutzt werden konnte.

Sie hatte von Noblesse Oblige gesprochen, von Pflicht und Ehre.

Aber was bedeutete das schon, wenn sie deren Gewicht nie gespürt hatte? Wenn sie nie diejenige gewesen war, die hungerte, die abgewiesen wurde, die um Gnade flehte, die niemals kommen würde?
Ehre war nicht nur ein Schwur. Sie war nicht nur ein Banner, das man hochhalten konnte, wenn es gerade passte.

Sie war eine Last.

Sie war eine Pflicht, die sich nicht beugen ließ, wenn die Welt es einem schwer machte, die nicht verschwand, wenn sie unbequem wurde.

Und das war nicht einfach.

Das verstand sie jetzt.
„Seufz …“

Oder doch nicht?

„Seufz …“

Oder doch nicht?

Hatte sie wirklich alles verstanden?

Oder suchte sie noch immer?

Die Antwort war doch klar, oder?

Sie hatte noch nichts herausgefunden.

Trotz all der Kämpfe, all der korrupten Lords, die von ihren Thronen gezerrt worden waren, all der gerechten Reden, die im Namen der Gerechtigkeit gehalten worden waren – was hatte sie wirklich entdeckt?

Sie hatte die Welt gesehen, wie sie wirklich war. Sie hatte den Verfall unter dem Gold und der Seide gesehen, den Dreck, der sich hinter Titeln und Etikette verbarg. Aber zu wissen, was falsch war, und zu wissen, wie man es in Ordnung bringen konnte, waren zwei völlig verschiedene Dinge.
Sie war mit dem Glauben aufgewachsen, dass Ehre und Pflicht unumstößlich waren. Dass Gerechtigkeit ein klarer Weg war. Aber jetzt wusste sie, dass es gar kein Weg war – es war ein ständiger Kampf, ein Kampf gegen die Welt selbst.

Und trotz allem, trotz allem, was sie erreicht hatte, wusste sie immer noch nicht, ob sie gewinnen würde.

Ihre Gedanken schweiften weiter.

Was würde er sagen, wenn sie ihn wieder treffen würde?

Lucavion.
Würde er grinsen und sagen: „Hast du lange gebraucht, um das zu erkennen, Valeria?“ Würde er sich über ihre alten Überzeugungen lustig machen und sie daran erinnern, wie blind sie an den Idealen des Adels festgehalten hatte, an genau dem System, das Monstern wie Godfrey ermöglicht hatte, sich zu entfalten?

Oder würde er gar nichts sagen?

Denn –

„Werde ich ihn überhaupt wieder sehen?“

Der Gedanke drückte schwerer auf ihre Brust, als sie erwartet hatte.
Lucavion war nie jemand, der lange an einem Ort blieb. Das hatte sie von Anfang an gewusst. Er war wie ein Sturm, der an einem Ort vorbeizog, bevor jemand ihn fassen konnte. Er war nicht wie sie, gebunden an seine Pflicht, gebunden an einen Familiennamen, der wiederhergestellt werden musste.

Er hatte keinen Ort, an den er zurückkehren konnte. Keine Fahne, unter der er knien konnte.

Und deshalb –

Vielleicht war er schon weg.
Valerias Blick fiel auf den Boden unter ihren Füßen. Das Feuer flackerte und warf lange Schatten auf den Boden.

„Er würde nicht lange an einem Ort bleiben.“

„Stimmt’s?“

In diesem Moment näherten sich Schritte von der Seite.

„Hauptmann.“

Sie blinzelte und drehte den Kopf.
Ein junger Ritter stand neben ihr, sein Gesicht halb vom Schein des Feuers erhellt. Er war jünger als die meisten ihrer Männer, und trotz der Jahre, die ihn im Kampf gehärtet hatten, war sein Gesicht noch von Jugendlichkeit geprägt. Seine Rüstung war gut gepflegt, aber sie trug Spuren des Gebrauchs – Kratzer und Dellen, die von einem Ritter erzählten, der sich seinen Platz verdient hatte.

Thom.
Einer der ihren. Einer der wenigen, die ihr gefolgt waren, bevor all das begonnen hatte – bevor der Marquis, bevor die große Säuberung der Wolkenhimmel-Sekte.

Er war bei ihr gewesen, bevor sie die Welt wirklich verstanden hatte.

Er war bei ihr gewesen, als sie nach Rackenshore gereist waren.

„Du hast wieder zu viel nachgedacht“, sagte Thom und lächelte leicht.
Thom war älter als sie, doch irgendwie fand Valeria ihn immer ein wenig kindisch.

Vielleicht lag es an seiner Art, sich zu geben – selbst nach dem Krieg war er entspannt, immer zu einem Lächeln bereit, als würde die Last der Welt nie wirklich auf seinen Schultern lasten. Selbst jetzt, als er neben ihr stand, hatte sein Auftreten etwas zu Leichtes an sich.
Sie kniff die Augen leicht zusammen und beobachtete ihn genauer.

„… Du hast getrunken.“

Thom blinzelte. Dann huschte langsam ein Grinsen über seine Lippen.

„Ja …“, gab er zu und kratzte sich am Hinterkopf. „Captain, warum bist du so streng?“

Valeria verschränkte die Arme. „Habe ich dir nicht gesagt, dass du während der Arbeit nicht trinken darfst?“
Er hob einen Finger. „Ah, aber war das nicht das letzte Mal? Der letzte Baron, die letzte Festung? Ich dachte, das würde bedeuten, dass die Arbeit …“

„Bis wir ihn sicher abgeliefert haben“, unterbrach sie ihn mit fester Stimme, „ist es nicht vorbei.“

Thom starrte sie einen Moment lang an. Dann sackten seine Schultern langsam herab.

„…“

Er wusste, dass es sinnlos war, mit ihr zu diskutieren, wenn sie so war.
Mit einem tiefen Seufzer ließ er seine neckische Art fallen und wechselte das Thema. „Okay, also – wenn du fertig bist, mich zu schelten, ist der Anruf mit dem Marquis bereit.“

Valeria atmete aus und blickte zu dem größeren Kommandozelt in der Mitte des Lagers.

Vendor war also bereit, ihren Bericht zu hören.
Das hatte sie erwartet. Er war kein Mann, der untätig herumsaß, wenn es etwas zu gewinnen gab.

„Na gut“, sagte sie schließlich. „Ich werde jetzt mit ihm sprechen.“

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Score 10
Author: Artist: Released: 2024 Native Language: German
Auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, konnte er nur noch die Hölle ertragen. Er hatte keine Familie, auf die er sich verlassen konnte, da sie ihm den Rücken zugekehrt hatten. Eine Seele vom Schlachtfeld: Lucavion Thorne. Aber anscheinend war er viel mehr als nur ein einfacher Soldat, denn das Schicksal hatte noch einiges für ihn auf Lager. Eine Seele von der Erde ... Als sie verschmolzen, wurde ihm klar: Er war ein Bösewicht aus einem Kapitel, dessen einziger Zweck darin bestand, als Kulisse für die Tragödie des Protagonisten zu dienen. Aber war er wirklich nur ein Bösewicht aus einem Kapitel, oder hatte das Schicksal noch ein paar Asse im Ärmel? Verfolge die Geschichte von Lucavion Thorne, wie er den Sinn seiner Seelenwanderung findet und sein eigenes Schicksal entdeckt. ---------- Ein oder zwei Kapitel täglich. Kapitellänge 1500-2000 Wenn du möchtest, kannst du bei mir auf Discord vorbeischauen. Dort kannst du die Illustrationen sehen und mit mir chatten, wenn ich verfügbar bin. https://discord.gg/BQRMhDxZr8 ---------------------------0------------------------------ Geschäftliche E-Mail-Adresse: [email protected] Discord: _yty_ Shattered Innocence: Transmigrated Into a Novel as an Extra ist ein beliebter Light Novel, der die Genres Action, Abenteuer, Drama, Fantasy, Harem, Romantik und Tragödie abdeckt. Geschrieben vom Autor Darkness_Enjoyer geschrieben. Lies "Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt" kostenlos online.

Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Options

not work with dark mode
Reset