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Kapitel 597: Schüler

Kapitel 597: Schüler

Der Wind heulte durch die Berge, fegte über die schroffen Klippen und wirbelte um die uralten Steinformationen, die den Lauf der Jahrhunderte überstanden hatten. Der Himmel war in tiefe Zwielichttöne getaucht, die Sonne klammerte sich kaum noch an den Horizont und tauchte das zerklüftete Gelände in ein goldenes Licht.
Und mitten in all dem

saß Aeliana auf einem kleinen, verwitterten Felsbrocken, vollkommen still, die Beine gekreuzt, die Hände auf dem Schoß. Ihre bernsteinfarbenen Augen waren geschlossen, ihr Atem langsam und gleichmäßig.

Aber sie meditierte nicht einfach nur.

Sie sammelte Kraft.
Die Mana um sie herum war dicht, schwer – lebendig. Sie pulsierte in der Luft, unsichtbare Energiefäden, die sich durch ihre Adern schlängelten und sich tief in ihrem Innersten zusammenrollten. Sie konnte es spüren – wie einen langsamen, kraftvollen Strom, der mit jedem Atemzug in sie hineingezogen und mit jedem Ausatmen verfeinert wurde. Er legte sich in ihr nieder, schichtete sich übereinander, wurde dichter, kontrollierter.

Der Prozess war heikel.
Wenn sie zu hastig war, wenn sie versuchte, es zu erzwingen, konnte sie den natürlichen Fluss stören, ihren Kern belasten und Wochen des Fortschritts in einem Augenblick zunichte machen.

Aber sie hatte längst Geduld gelernt.

Ihre Gedanken schweiften ab – zurück zum Arbeitszimmer ihres Vaters, zu jener Nacht, als sie ohne ein Wort des Abschieds weggezerrt worden war.

Monate.

Es war Monate her, seit sie Lucavion das letzte Mal gesehen hatte.
Seit sie seine nervtötend sanfte Stimme gehört hatte. Seit sie zum letzten Mal die Wärme seiner Gegenwart gespürt hatte, die lächerliche Arroganz in seinen Worten, die Art, wie er es immer irgendwie schaffte, ihr unter die Haut zu gehen – nur um ihre Verärgerung einen Moment später wieder zu besänftigen.

Ist er jetzt in der Akademie?

Der Gedanke drängte sich ihr in den Sinn, aber sie verdrängte ihn.

Konzentrier dich.

Sie musste sich konzentrieren.
Sie atmete tief ein und ließ das Mana sich weiter ausbreiten, tiefer in ihr Innerstes sinken –

„Du machst das wirklich gut.“

Aelianas Augen flogen auf.

Eine Stimme – leicht amüsiert, völlig entspannt – drang von links zu ihr herüber.

Ihr Blick huschte zu der Quelle, und tatsächlich –

Da war er.

Ein älterer Mann.
Er war in eine Robe gehüllt, die eindeutig schon bessere Tage gesehen hatte, sein grauer Bart reichte bis zur Brust, und wilde silberne Haarsträhnen ragten in alle Richtungen, als hätte er vergessen, was ein Kamm war. Seine faltigen Hände steckten träge in den Ärmeln, und seine Augen – trüb vom Alter, aber scharf wie eh und je – strahlten die Lebendigkeit eines Mannes aus, der weit über sein Alter hinaus war.

Aeliana seufzte.

Tsk.
„Du.“

Der alte Mann grinste. „Ich.“

Aeliana atmete durch die Nase aus. „Was willst du?“

„Ah, so feindselig.“ Der Mann neigte den Kopf und strich sich mit übertriebener Nachdenklichkeit über den Bart. „Solltest du deinem verehrten Lehrer nicht mehr Respekt entgegenbringen?“

Aeliana warf ihm einen Blick zu. „Das würde ich, wenn mein verehrter Lehrer nicht so nervig wäre.“
Der alte Mann lachte, völlig unbeeindruckt. „Ha! Das ist die richtige Einstellung!“

Aeliana kämpfte gegen den Drang an, mit den Augen zu rollen.

Dieser Mann.

Dieser exzentrische, unmögliche alte Mann –

Seit Monaten war er derjenige, der ihr Training leitete, ihr die Feinheiten der Manaverfeinerung, der Kernausdehnung und des Überschreitens ihrer Grenzen unter Beibehaltung der Kontrolle beibrachte.
Und obwohl sie widerwillig zugeben musste, dass seine Methoden effektiv waren –

war er auch eine absolute Plage.

In einem Moment war er ein einsichtsvoller Meister, der präzise Anweisungen und Weisheiten gab. Im nächsten machte er schreckliche Witze, wich ernsten Gesprächen aus oder machte ihr absichtlich das Leben schwer, nur um sich zu amüsieren.

Aeliana presste eine Hand an ihre Schläfe. „Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es.“
Der alte Mann brummte und verlagerte sein Gewicht auf einen Fuß. „Ungeduldig wie immer.“

Aeliana atmete scharf aus. „Du bist derjenige, der mein Training unterbrochen hat.“

„Stimmt, stimmt“, sinnierte er. Dann schnippte er ohne Vorwarnung mit den Fingern –

und ein plötzlicher Mana-Stoß traf den Felsbrocken unter ihr.

Aelianas Instinkte schlugen Alarm.

Mit einem tiefen Atemzug sammelte sie blitzschnell ihre Mana und hielt sich fest, obwohl der Felsen unter ihr wackelte.

Aber sie fiel nicht.

Sie wankte nicht einmal.

Der alte Mann grinste.

„Nicht schlecht.“

Aelianas Auge zuckte.

„Macht es dir Spaß, meine Geduld zu testen?“

Der alte Mann lachte wieder. „Endlich kapierst du es!“
Aeliana seufzte.

Sie war jedoch nicht die Einzige.

Auch der alte Mann stieß einen tiefen Seufzer aus, streckte mit einem übertriebenen Stöhnen seine Arme aus und ließ sich dann neben ihr auf den felsigen Boden fallen. Seine Roben fielen wie ein Haufen weggeworfener Lumpen um ihn herum zusammen, und für einen kurzen Moment sah er weniger wie ein verehrter Meister aus, sondern eher wie ein obdachloser Wanderer, der sich versehentlich auf einem Berggipfel verirrt hatte.
Aeliana schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein. Geduld. Atmen. Wenn sie sich von jeder seiner Eigenarten irritieren ließ, würde sie nichts erreichen.

Der alte Mann seinerseits musterte sie mit dem immer gleichen Funkeln in seinen scharfen, alten Augen.

„Lass uns über deinen kleinen … Zustand sprechen.“

Aeliana öffnete ein Auge. „Zustand?“
Er strich sich über den Bart und nickte weise, als wäre er ein tiefsinniger Philosoph. „Ja, ja. Der seltsame Fall von Aeliana Thaddeus. Du bist wirklich eine Anomalie.“

Aeliana seufzte. „Was jetzt?“

„Nun“, sagte der alte Mann gedehnt, „es kommt nicht jeden Tag vor, dass jemand aus einer lebenslangen Krankheit erwacht und sich plötzlich auf dem Höhepunkt der 1-Stern-Kultivierung wiederfindet.“
Aeliana erstarrte.

Schon wieder.

Es war nicht das erste Mal, dass er das erwähnte. Und um ehrlich zu sein – sie hatte es bemerkt.

Bevor sie krank geworden war, als sie noch ein Kind war, hatte ihr Manakern kaum die Schwelle zur 1-Stern-Kultivierung erreicht. Sie hatte sich normal entwickelt – nichts Außergewöhnliches, nichts Ungewöhnliches. Dann überkam sie die Krankheit und alles kam zum Stillstand.
Sie verbrachte Jahre bettlägerig, schwach, unfähig, Fortschritte zu machen, unfähig, auch nur ein Trainingsschwert zu heben.

Und dann –

wurde sie geheilt.

Und sie hatte nicht nur ihre Kraft zurückgewonnen – ihr Mana hatte bereits den Gipfel von 1 Stern erreicht, als wäre es irgendwo anders gewachsen, während sie in ihrem Körper gefangen war.

Der alte Mann klopfte mit den Fingern gegen sein Knie. „Hast du das nicht bemerkt?“
Aeliana lachte höhnisch. „Natürlich habe ich das.“

Er grinste. „Gut. Das bedeutet, du bist nicht völlig begriffsstutzig.“

Aeliana atmete durch die Nase aus. „Wirst du mir jetzt tatsächlich etwas erklären oder sitzt du nur da und genießt den Klang deiner eigenen Stimme?“

Der alte Mann kicherte. „Ehrlich gesagt, ein bisschen von beidem.“

Aeliana widerstand dem Drang, ihn von der Klippe zu stoßen.
Er lehnte sich zurück, stützte sich auf seine Ellbogen und blickte zum Himmel. „Ich denke Folgendes, Mädchen. Dieses Mana – dein Kern – ist nicht neu. Es ist alt. Sogar uralt.“ Er tippte sich an die Schläfe. „All die Jahre ist etwas in dir gewachsen, selbst als dein Körper dahinsiechte.“
Aeliana runzelte die Stirn. „Das ist unmöglich. Wenn ich während meiner Krankheit Mana kultiviert hätte, hätte ich es doch spüren müssen.“

„Hättest du das müssen?“, überlegte der alte Mann. „Oder warst du einfach nicht in der Lage, es wahrzunehmen?“

Aelianas Finger zuckten.

Der Gedanke beunruhigte sie. Dass sich etwas in ihr aufgebaut hatte, ohne dass sie es wusste, ohne dass sie es bemerkt hatte.

Aber sie verdrängte den Gedanken.
„Und?“, fragte sie und neigte den Kopf. „Was bedeutet das für mein Training?“

Der alte Mann grinste. „Es bedeutet, dass wir eine Grundlage haben. Eine sehr starke. Und wenn du aufhörst, so steif zu sein, können wir tatsächlich damit anfangen, diesen monströsen Kern in dir zu verfeinern.“

Aeliana schnaubte. „Na gut.“
Der alte Mann klatschte in die Hände und setzte sich aufrechter hin. „Da du eine Thaddeus bist, hast du natürlich die [Herrschaft des Sturmfürsten] geübt, oder?“

Aeliana nickte.

Die [Herrschaft des Sturmfürsten].
Eine fast schon legendäre Kultivierungsmethode, die über Generationen der Thaddeus-Blutlinie weitergegeben wurde. Es war nicht nur eine Technik – es war eine Verbindung, eine Macht über den Ozean selbst. Das Meer beugte sich seinen Anwendern, die Stürme gaben ihnen nach. Das war es, was es der Familie Thaddeus ermöglicht hatte, die Seestreitkräfte des Reiches zu beherrschen und die Gewässer zu regieren, als wären sie eine Verlängerung ihres eigenen Körpers.

Die Technik selbst war brutal. Im Gegensatz zu anderen Elementar-Kultivierungswegen, die auf Harmonie und langsamer Meisterschaft beruhten, war die [Herrschaft des Sturmfürsten] reine, unerbittliche Willenskraft.

Es gab kein „Führen“ der Mana wie ein sanfter Strom.

Es gab nur Dominanz.
Der Praktizierende musste das Mana wie eine reißende Flutwelle ergreifen, es unterwerfen und seiner Kontrolle unterwerfen. Er musste die Elemente beherrschen, nicht einfach nur mit ihnen koexistieren.

Und wenn er scheiterte?

Dann würde das Mana ihn stattdessen verschlingen.

Aeliana hatte Monate damit verbracht, sich an dieser Methode zu versuchen, ihren Körper zu zwingen, dem schieren Gewicht standzuhalten, und ihren Kern zu stärken, um der rohen Kraft der Stürme standzuhalten.
Der alte Mann grinste, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Gut, gut. Dann lass uns mal sehen, wie viel du dich verbessert hast.“

Aeliana atmete aus und schloss erneut die Augen.

Sie griff in sich hinein, in die tiefen, brodelnden Tiefen ihres Innersten –

In dem Moment, als Aeliana ihr Innerstes erreichte, spürte sie es.
Eine Welle der Kraft – brodelnd, wartend. Das Mana in ihr war riesig, ein tiefer Vorrat, der jahrelang geschlummert und still gewachsen war.

Sie atmete langsam aus und befahl ihm, sich zu bewegen.

Und es gehorchte.

Ein leises, elektrisches Summen erfüllte die Luft, als das Mana nach außen strömte und ihre Haut umhüllte. Es umschlang sie wie eine zweite Hülle, eine greifbare Kraft, die sich an jede Faser ihres Wesens klammerte.
Ihr Körper kribbelte, die Kraft pulsierte unter ihrer Haut und schwang im Rhythmus ihres Atems mit. Sie war kontrolliert, gebändigt – genau das, was eine 1-Stern-Erwachte erreichen sollte.

Doch dann …

Etwas anderes regte sich.

Tief unter der Oberfläche ihres Innersten, eine Welle.
Eine Kraft, die älter war als sie selbst, älter als die Krankheit, die sie geplagt hatte, älter als die bloßen menschlichen Grenzen, an die sie einst geglaubt hatte.

Aeliana holte scharf Luft, als ein Puls aus Mana – uralt, ungezähmt – gegen ihr Bewusstsein schlug. Es war nicht wild wie ein tobender Sturm oder das Rauschen des Meeres. Es war etwas anderes. Etwas, das sie noch nicht ganz verstand.

Ihr Atem stockte.

„Unterwirf dich.“
Sie versuchte es erneut.

Der gleiche Vorgang.

Sie bettelte nicht.

Sie befahl.

Das Mana bäumte sich auf und wehrte sich – wie ein Tier, das die Hand seines Herrn nicht gewohnt war.

In diesem Punkt hatte sie in den letzten Tagen immer versagt.

„Denk daran, was ich dir beigebracht habe, Aeliana.“

Aber diesmal wusste sie es.

Sie war nah dran.

TOK!
In diesem Moment spürte sie es.

Ein scharfer Windstoß umfing sie, als die Kraft in ihr sich zusammenzog, mit ihrem Kern verschmolz und sich mit ihr verband wie ein Strom, der endlich eine Richtung gefunden hatte.

Sie schnappte nach Luft.

Für einen Moment war es, als könne sie alles spüren.

Die Feuchtigkeit in der Luft, das Gewicht der Wolken über ihr, die Art, wie der ferne Wind an den Bäumen entlang des Bergpfades zerrte.
Es war berauschend.

Kraft strömte durch ihre Glieder, ihr Atem synchronisierte sich mit dem Rhythmus der Mana in ihr, bis –

ein knisterndes Geräusch um sie herum hallte.

Der alte Mann, der sie schweigend beobachtet hatte, stieß einen leisen Pfiff aus.

„Oooooh …“

Ein breites, wissendes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, seine Augen funkelten vor unverkennbarer Belustigung.

„Was für ein Talent.“

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt

Score 10
Author: Artist: Released: 2024 Native Language: German
Auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, konnte er nur noch die Hölle ertragen. Er hatte keine Familie, auf die er sich verlassen konnte, da sie ihm den Rücken zugekehrt hatten. Eine Seele vom Schlachtfeld: Lucavion Thorne. Aber anscheinend war er viel mehr als nur ein einfacher Soldat, denn das Schicksal hatte noch einiges für ihn auf Lager. Eine Seele von der Erde ... Als sie verschmolzen, wurde ihm klar: Er war ein Bösewicht aus einem Kapitel, dessen einziger Zweck darin bestand, als Kulisse für die Tragödie des Protagonisten zu dienen. Aber war er wirklich nur ein Bösewicht aus einem Kapitel, oder hatte das Schicksal noch ein paar Asse im Ärmel? Verfolge die Geschichte von Lucavion Thorne, wie er den Sinn seiner Seelenwanderung findet und sein eigenes Schicksal entdeckt. ---------- Ein oder zwei Kapitel täglich. Kapitellänge 1500-2000 Wenn du möchtest, kannst du bei mir auf Discord vorbeischauen. Dort kannst du die Illustrationen sehen und mit mir chatten, wenn ich verfügbar bin. https://discord.gg/BQRMhDxZr8 ---------------------------0------------------------------ Geschäftliche E-Mail-Adresse: [email protected] Discord: _yty_ Shattered Innocence: Transmigrated Into a Novel as an Extra ist ein beliebter Light Novel, der die Genres Action, Abenteuer, Drama, Fantasy, Harem, Romantik und Tragödie abdeckt. Geschrieben vom Autor Darkness_Enjoyer geschrieben. Lies "Zerstörte Unschuld: Als Statist in einen Roman versetzt" kostenlos online.

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