Draven atmete durch die Nase aus, rollte mit den Schultern und deutete dann nach hinten. „Komm mit.“
Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern drehte sich einfach um und ging zu den privaten Räumen im hinteren Teil der Bar. Seine Schritte waren langsam und bedächtig. Sie zeigten deutlich, dass er sich nicht zurückzog, sondern bewusst die Führung übernahm.
Caius folgte ihm, seine Nerven immer noch angespannt. Er warf einen Blick auf den schwarzhaarigen Kerl neben sich und erwartete ein Zeichen von Anspannung, eine Veränderung in seiner Haltung – irgendetwas, das zeigte, dass er begriff, dass er sich auf Dravens Terrain begab.
Aber nichts.
Der Kerl ging mit derselben gemächlichen Gelassenheit wie zuvor, als würde er einfach nur einen gemütlichen Abendspaziergang machen.
Caius spürte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief.
„Nimmt dieser Typ die Gefahr nicht einmal wahr?“
Draven hingegen war anders. Caius konnte die winzigen Veränderungen in seiner Haltung erkennen, die subtile Art, wie sein Blick zu dem Mann an seiner Seite huschte – berechnend, wachsam.
Und unter dieser scharfen Fassade verbarg sich noch etwas anderes.
„Corvina.“
Der Name lastete schwer auf seinem Gemüt, wie ein Gewicht, das auf seine Rippen drückte.
Er hatte ihn seit Jahren nicht mehr gehört – und noch länger nicht mehr daran gedacht. Und doch, in dem Moment, als er aus dem Mund dieses Mistkerls kam, hatte sich etwas in Draven verdreht.
„Sie spielt also immer noch ihre kleinen Spielchen, was?“
Corvina war schon immer so gewesen – sie zog im Hintergrund die Fäden, schmiedete Pläne innerhalb von Plänen und machte ihre Züge, lange bevor irgendjemand überhaupt bemerkte, dass das Spiel begonnen hatte.
Aber was zum Teufel hatte dieser Typ mit ihr zu tun?
Dravens Blick huschte zur Seite und fiel erneut auf das Gesicht des Mistkerls – ruhig, undurchschaubar.
„Wer bist du?“
Und noch wichtiger:
„Was zum Teufel machst du in meiner Stadt?“
Sie erreichten die Tür zum Hinterzimmer, und Draven stieß sie ohne zu zögern auf. Der Raum war schwach beleuchtet, in der Mitte stand ein langer Holztisch, auf dem alte Karten, Geschäftsbücher und halb leere Rumflaschen verstreut lagen. An den Wänden standen ein paar Stühle, auf denen Dravens Leutnants saßen – Männer, die sich noch vor wenigen Augenblicken entspannt hatten.
Jetzt beobachteten sie ihn.
Und sie beobachteten ihn nicht nur – sie schätzten ihn ein.
Caius bemerkte es sofort. Die Art, wie ihre Blicke zu dem schwarzhaarigen Bastard huschten, wie ihre Hände sich langsam ihren Waffen näherten – nicht aggressiv, aber bereit.
Sie hatten den Tumult draußen gehört. Sie hatten Dravens Gesichtsausdruck gesehen, als er hereinkam. Und sie waren keine Idioten.
Irgendetwas stimmte hier nicht.
Draven ging an den Kopf des Tisches, lehnte sich mit einem langsamen Ausatmen dagegen und richtete dann seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf den Neuankömmling.
Und trotzdem – dieser Mistkerl war ruhig.
Nicht entspannt, nicht arrogant – einfach nur ruhig.
Als ob nichts davon eine Rolle spielte. Als ob er die Entscheidung bereits getroffen hatte, bevor er den Raum betreten hatte.
Caius schluckte schwer.
„Götter, in was habe ich Draven da hineingezogen?“
Draven neigte leicht den Kopf und rieb sich die Kinnlade. Seine scharfen, grauen Augen ließen den Mann vor ihm nicht los.
„Also“, sagte er mit beiläufiger Stimme, die jedoch einen deutlichen Unterton hatte. „Du bist den ganzen Weg hierher gekommen, hast Corvinas Namen erwähnt, meine Männer wie nichts beiseite geschoben …“ Er ließ seine Worte einen Moment lang hängen, bevor er fortfuhr. „Jetzt sag mir, warum zum Teufel ich dich nicht auf der Stelle töten sollte?“
Caius spannte sich an.
Die Leutnants spannten sich an.
Und der schwarzhaarige Bastard?
Er grinste.
Kein breites, spöttisches Grinsen – nur ein kleines, wissendes Zucken der Lippen. Die Art, die sagte, dass er dieses Ergebnis bereits erwartet hatte.
Dann sprach er endlich.
„Weil“, sagte er mit ruhiger, gelassener Stimme, „dir die Konsequenzen nicht gefallen würden.“
Stille.
Dravens Finger klopften einmal langsam und bedächtig auf den Tisch.
Seine Leute warteten. Sie warteten darauf, ob sie sich bewegen mussten, warteten darauf, ob Draven das Signal für eine Hinrichtung geben würde.
Aber Draven?
Draven sah ihn an.
Er sah dieses Grinsen.
Er sah diese pechschwarzen Augen.
Und er sah, dass dieser Mann nicht ein einziges Mal – nicht einmal für eine Sekunde – besorgt gewirkt hatte.
Die Stille im Raum wurde immer dichter und drückte auf jeden einzelnen der Anwesenden. Draven erwiderte den Blick des schwarzhaarigen Bastards mit derselben unerschütterlichen Intensität, seine scharfen Augen suchten nach Rissen in dieser wahnsinnigen Ruhe. Aber es gab keine.
Der Mann zappelte nicht, verlagerte nicht sein Gewicht, tat überhaupt nichts.
Er stand einfach da, völlig gelassen, und beobachtete Draven mit unlesbarem Gesichtsausdruck, als würde er diese angespannte Konfrontation nur beobachten, anstatt daran teilzunehmen.
Caius spürte, wie die Luft mit jeder Sekunde schwerer wurde, sein Puls pochte gegen seine Rippen. Er konnte fühlen, wie die Leutnants neben ihm angespannt wurden, ihre Hände juckten nach ihren Waffen, sie warteten auf ein Signal. Sie warteten auf den Moment, in dem alles explodieren würde.
Und dennoch reagierte der Mistkerl nicht. Er verkrampfte sich nicht, nahm keine Kampfhaltung ein, blinzelte nicht einmal, während Draven ihn mit dem prüfenden Blick eines Mannes musterte, der sein ganzes Leben damit verbracht hatte, zu erkennen, wenn jemand log.
Die Spannung erreichte ihren Höhepunkt – sie war so angespannt, dass Caius dachte, sie könnte wie eine gespannte Bogensehne reißen –
Und dann –
Ein lautes, dröhnendes Lachen zeriss sie.
„HAHAHAHAHAHAHA!“
Caius sprang fast aus seiner Haut.
Draven warf den Kopf zurück, sein Lachen war rau und echt und erschütterte die Luft um sie herum. Der plötzliche Wechsel war so erschütternd, dass sogar seine Männer einen Moment lang fassungslos waren. In einer Sekunde hatte er den Kerl noch angestarrt, als würde er entscheiden, ob er ihn aufschlitzen oder am Leben lassen sollte, und in der nächsten – das.
„Bringt etwas Starkes!“, bellte Draven, immer noch kichernd, während er sich mit der Hand durch sein dunkles Haar fuhr und den Kopf schüttelte, als könne er nicht glauben, was gerade passiert war.
Einer der Männer sprang sofort auf, ging zu einem Schrank am anderen Ende des Raumes und holte eine dunkle, alte Flasche hervor. Der Geruch von starkem Alkohol erfüllte bereits den Raum, als der Korken gezogen wurde.
Draven drehte sich wieder zu dem Kerl um, sein Grinsen wurde breiter und nahm fast bewundernde Züge an. „Ich mag dich“, gab er zu, und seine Stimme klang ein wenig amüsiert.
Caius hatte kaum Zeit, Dravens plötzlichen Stimmungsumschwung zu verarbeiten, als der Kerl tatsächlich antwortete.
„Ich dich auch“, sagte der schwarzhaarige Mann mit sanfter Stimme und neigte leicht den Kopf. „Du kannst deine Gefühle ziemlich gut kontrollieren.
Ich habe von der südlichen Grenze gehört, aber ich sehe sie zum ersten Mal mit eigenen Augen.“
Caius blinzelte. Was?
Dravens Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber etwas flackerte in seinen Augen. „Was hältst du von diesem Ort?“, fragte er mit beiläufiger Stimme, in der jedoch ein scharfer Unterton mitschwang.
Der Mann atmete leise aus, sah sich im Raum um und nahm die grob geschnitzten Holzwände, das schwache Laternenlicht, das auf fleckige Landkarten und alte, vom Kampf gezeichnete Möbel fiel, in sich auf. „Nicht schlecht“, sagte er nach einem Moment. „Die Leute hier sind ziemlich hitzköpfig. Ich schätze, das ist hier ziemlich ähnlich wie im Norden.“
Draven verzog leicht die Lippen, aber seine Belustigung verschwand. Sein Blick wurde einen Bruchteil härter, obwohl er immer noch grinsend. „Vergleich uns nicht mit diesen Barbaren aus dem Norden.“
Es folgte eine lange, angespannte Stille.
Der schwarzhaarige Mann antwortete nicht. Er zuckte nicht. Er reagierte überhaupt nicht. Er sah Draven nur mit demselben unlesbaren Ausdruck an, als würde er still etwas abwägen.
Caius verlor langsam den Verstand.
Was zum Teufel war hier los?
Vor einer Sekunde standen sie noch kurz vor einem Kampf auf Leben und Tod, und jetzt tauschten sie Worte aus wie zwei alte Söldner, die sich an Kriegsgeschichten erinnerten. Und dieser Typ? Er redete, als würde er Draven kennen – als hätte er ihn bereits durchschaut, als würde er etwas verstehen, was niemand sonst in diesem verdammten Raum verstand.
Caius spürte, wie sich sein Kiefer zusammenpresste. Das war nicht normal. Nichts daran war normal.
Draven atmete kurz aus, bevor er auf die Stühle um den Tisch herum deutete.
„Ähem.“ Er räusperte sich und grinste dann wieder, diesmal allerdings etwas weniger. „Komm. Setz dich.“
Draven atmete durch die Nase aus, zog einen Stuhl heran und ließ sich mit der Gelassenheit eines Mannes nieder, dem dieser Raum gehörte. Seine Finger trommelten auf die Tischplatte, während er den jungen Mann beobachtete – ohne Eile, geschmeidig, viel zu entspannt für jemanden, der gerade eine Gruppe ausgebildeter Männer wie nichts beiseite gefegt hatte.
Der Mistkerl nahm mit derselben lässigen Anmut Platz, lehnte sich leicht zurück, seine Haltung weder steif noch nachlässig. Einfach … ausgeglichen.
Draven neigte leicht den Kopf, und das flackernde Licht der Laterne fiel auf die scharfen Linien seines Gesichts. „Also“, sagte er und stützte einen Ellbogen auf die Armlehne seines Stuhls, „wie soll ich dich nennen?“
Der junge Mann lächelte – nicht breit, nicht gezwungen, nur ein kleines, wissendes Lächeln. „Lucavion.“
Dravens Augen verengten sich leicht. Er ließ den Namen in seinem Kopf widerhallen und wog sein Gewicht ab. Es war kein lokaler Name. Und jetzt, wo er ihn deutlich hörte, wusste er es schon –
„Lucavion“, wiederholte Draven langsam und bedächtig. „Bist du ein Fremder?“
Lucavion lachte leise, seine schwarzen Augen blitzten. „Du hast es erraten.“