Herzog Thaddeus atmete tief aus. Langsam. Kontrolliert. Die Last des Augenblicks drückte schwer auf seine Brust.
Zu lange hatte er geschwiegen.
Er war wie betäubt.
Madeleinas Worte waren wie ein Dolchstoß gewesen – ein Dolchstoß gegen alles, woran er einst geglaubt hatte, gegen alles, wofür er sich verschrieben hatte.
Aber es waren Lucas Worte – die Worte dieses verdammten Jungen –, die endlich den Nebel in seinem Kopf zerstreuten.
Jetzt konnte er es sehen. Ganz klar.
Er wandte seinen Blick zu Aeliana.
Ihre Hände waren immer noch an ihren Seiten geballt, ihre Finger immer noch mit Blut befleckt – Madeleinas Blut. Aber es war nicht nur Wut, die in ihren bernsteinfarbenen Augen loderte.
Es war etwas viel Tieferes.
Etwas, das fast Trauer war.
Sie hatte immer gewusst, dass sie als Belastung angesehen wurde. Immer. Aber es so klar ausgesprochen zu hören, von jemandem, der ihrem Vater so nah gestanden hatte –
Das war etwas ganz anderes.
Thaddeus ließ seinen goldenen Blick einen Moment lang auf ihr ruhen, bevor er sprach.
„Diese ganze Situation ist meine Schuld“, sagte er mit leiser, aber entschlossener Stimme.
Madeleina stockte der Atem.
Luca neigte neugierig den Kopf.
Aeliana ballte die Fäuste.
„Wegen meiner Nachlässigkeit“, fuhr Thaddeus fort und presste die Kiefer aufeinander. „Und wegen meines mangelnden Verständnisses für meine Untergebenen.“
Madeleina zuckte zusammen.
Luca jedoch –
„Heh.“
Ein leises Lachen.
Ein scharfes, unentschuldigtes Geräusch, das die bedrückende Stille wie ein Messer durchschnitten.
Thaddeus‘ goldene Augen schossen zu ihm, scharf wie die eines Raubtiers.
Luca grinste.
Aber ausnahmsweise war sein Gesichtsausdruck nicht amüsiert.
„Nichts“, sagte er nachdenklich und winkte lässig mit der Hand. „Es ist nur … schön, das von dir zu hören, Herr Herzog.“
Thaddeus‘ Blick wurde schärfer, aber er würdigte den Jungen keiner weiteren Antwort.
Denn er hatte Recht.
Seine eigenen Fehler einzugestehen, war nicht das Wichtigste im Moment.
Derjenige, der am meisten davon betroffen war, war nicht er.
Sein Blick wanderte erneut.
„Aeliana.“
Sie hob den Kopf, ihr Atem ging ruhig, aber unregelmäßig, ihre Wut brodelte noch immer unter der Oberfläche.
„Du wirst über ihr Schicksal entscheiden.“
Die Worte hallten durch den Raum und drückten wie ein unausgesprochenes Urteil gegen die Wände.
Madeleina erstarrte.
Ihre silberblauen Augen weiteten sich leicht, bevor sie sich wieder verengten.
Aelianas Lippen öffneten sich leicht.
„Du meinst …“, begann sie, aber Thaddeus ließ sie nicht ausreden.
„Du entscheidest“, erklärte er bestimmt. „Was jetzt mit ihr geschieht, liegt in deinen Händen.“
Aeliana holte tief Luft, ihre Gedanken rasten.
Madeleina. Die Frau, die sie verraten hatte. Die Frau, die versucht hatte, sie auszulöschen. Die Frau, die sie in den Abgrund gestoßen hatte.
Sie hatte allen Grund, sie loswerden zu wollen.
Und doch –
etwas nagte an ihr.
Etwas, das sie noch nicht verstand.
Sie warf ihrem Vater noch einen Blick zu und suchte in seinem Gesicht nach einem Hinweis darauf, was er von ihr erwartete.
Aber Thaddeus schwieg.
Sein Gesichtsausdruck war unlesbar.
Es war ihre Entscheidung.
Und das …
Das machte es umso schwieriger.
Es herrschte weiterhin Stille in der Kammer – bis Thaddeus sich leicht aufrichtete und seinen Tonfall änderte.
„Bis dann.“
Er wandte sich von Aeliana ab und blickte zur Tür der Kammer.
„Edric.“
Sofort öffnete sich die schwere Tür mit einem Knarren.
Ein Ritter trat vor, seine Rüstung glänzte im schwachen Schein des Feuers. Seine Haltung war fest und diszipliniert – er verkörperte die Autorität von Herzog Thaddeus.
„Mein Herr.“
„Bring sie in die unteren Verliese“, befahl Thaddeus mit fester, unerbittlicher Stimme. „Sie soll wie eine Verbrecherin behandelt werden, bis meine Tochter ihr Urteil gefällt hat.“
Madeleina wehrte sich nicht.
Sie leistete keinen Widerstand.
Ihr Körper blieb starr, ihr Gesichtsausdruck war kontrolliert, aber sie hatte keinen Kampfgeist mehr in sich.
Vielleicht hatte sie nie einen gehabt.
Sie hatte es gewusst. Von dem Moment an, als die Wahrheit ans Licht gekommen war, von dem Moment an, als er sie so angesehen hatte, als wäre sie nichts weiter als ein Fleck, den man wegwischen musste –
Sie hatte es gewusst.
Und so atmete sie, als der Ritter seinen Griff um ihren Arm verstärkte, einfach leise aus und sprach mit ruhiger, fester Stimme.
„Ich kann selbst gehen.“
Der Ritter zögerte nur eine Sekunde, bevor er nickte und ihren Arm losließ.
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ging mit gemessenen Schritten zur Tür.
Keine Abschiedsworte. Kein verzweifelter Versuch, sich zu verteidigen.
Sie ging schweigend.
Und genau das
war es, was es so endgültig machte.
Die schweren Türen fielen mit einem lauten Knall hinter ihr zu, und der Raum war wieder auf drei Personen reduziert.
Es wurde wieder still, aber es war nicht mehr dieselbe Stille wie zuvor.
Diese Stille war dicht, erstickend.
Aeliana stand regungslos da, ihre Hände zitterten immer noch an ihren Seiten, ihr Kiefer war angespannt.
Sie wollte Madeleina umbringen.
Thaddeus konnte es deutlich sehen.
Die Art, wie ihre Aura noch immer schwach pulsierte, als würde sie sich nur mit Mühe zurückhalten. Die Art, wie ihr Atem etwas zu schnell ging. Die Art, wie ihre Finger zuckten, als wollten sie mehr als nur Worte.
Und doch –
sie hatte gezögert.
Warum?
War es Zweifel? War es Zurückhaltung?
Nein.
Es war etwas Komplizierteres.
Etwas, das sie selbst noch nicht verstand.
Aber im Moment spielte das keine Rolle.
Thaddeus drehte sich um, sein goldener Blick wanderte –
zu dem Jungen.
Derjenige, der Luca hieß.
Das Kind.
Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich, sein Kiefer spannte sich an, während er ihn musterte.
Dieser Junge …
Was zum Teufel war das?
Die Art, wie er gesprochen hatte. Die Art, wie er Madeleina mit nichts als Worten in die Seele gebissen hatte.
Das war keine einfache Schlussfolgerung gewesen. Keine bloße Analyse.
Nein.
Das war persönlich gewesen.
Die Art, wie er den Dolch gedreht hatte – wie er gesprochen hatte, als wüsste er genau, was in ihren Gedanken vor sich ging, als hätte er schon einmal Menschen wie sie gesehen.
Als hätte er es selbst erlebt.
Luca seinerseits zuckte unter dem Blick des Herzogs nicht zusammen.
Wenn überhaupt, grinste er nur.
Thaddeus spürte, wie seine Verärgerung stieg.
Dieser verdammte Junge.
Aber es gab dringendere Angelegenheiten zu erledigen.
Auch wenn Madeleina gekommen war und eine Szene gemacht hatte, auch wenn die Kammer viel chaotischer geworden war, als er erwartet hatte –
es gab immer noch einen Grund, warum er sowohl Aeliana als auch diesen jungen Mann hierher gerufen hatte.
Seine goldenen Augen huschten zu seiner Tochter.
Dann wieder zurück zu Luca.
Der Wirbel.
Das war jetzt wichtig.
Er atmete langsam aus und richtete sich auf. Als er sprach, klang seine Stimme kalt und präzise.
„Genug von diesem Unsinn.“
Das amüsierte Funkeln in Lucas dunklen Augen verschwand nicht.
Aber Thaddeus ignorierte es.
Sein Blick ruhte nun auf Aeliana, und als er sprach, wählte er seine Worte mit Bedacht.
„Erzähl mir alles.“
Sein Blick huschte erneut zu Luca.
„Ihr beide.“
Seine Stimme wurde etwas leiser, seine Worte schärfer.
„Was ist passiert, nachdem ihr vom Wirbel verschluckt wurdet?“
*****
Lucavion lächelte.
Es war kein Grinsen. Kein verschmitztes Lächeln.
Nein.
Es war ein gemessenes, bewusstes Lächeln – die Art, die man zeigt, wenn sich die Teile eines Puzzles zu seinen Gunsten zusammenfügen.
Herzog Thaddeus‘ Worte hatten sich an beide gerichtet, aber Aeliana – ach, die arme, erschütterte Aeliana – war immer noch in den Strudel ihrer eigenen Gefühle geraten. Das bedeutete natürlich, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren. Und Lucavion?
Nun, er würde sich eine solche Gelegenheit niemals entgehen lassen.
„Nachdem ich von dem Strudel verschluckt worden war, fand ich mich in einem anderen Raum wieder“, begann er mit ruhiger, aber bedächtiger Stimme. Er ließ sich Zeit. Sie sollten an jedem Wort hängen. Das Unbekannte sollte erst einmal sacken.
„Ein anderer Raum?“ Die goldenen Augen des Herzogs verengten sich.
Lucavion nickte. „Ja. Ein anderer Raum. Der Himmel war mir fremd. Allein schon die Mana war … anders. Dichter. Chaotischer.“ Er atmete aus und neigte leicht den Kopf, als würde er sich an das Gefühl erinnern. „Allein daran konnte ich erkennen, dass es nicht nur ein anderer Ort war. Es war eine andere Welt.“
Stille. Eine schwere Pause. Aeliana stand immer noch steif neben ihm, ihre Fäuste ballten sich bei der bloßen Erinnerung an das, was passiert war. Thaddeus hingegen nahm alles in sich auf, überlegte.
Dann, nach einem Moment –
„… Dann?“ Die Stimme des Herzogs klang leicht ungeduldig. „Wie hast du Aeliana getroffen?“
Lucavion summte und warf einen Blick auf das Mädchen.
Er sah, wie sich ihre Schultern anspannten. Wie ihr Atem stockte.
Diesmal lächelte er nicht. Noch nicht.
„Ich habe sie gefunden, als ich umherwanderte“, sagte er mit leichter, fast beiläufiger Stimme. „Sie war kurz davor, von ein paar Affen angegriffen zu werden.“ Er hielt inne. Absichtlich. Er ließ den Moment ausdehnen. Er ließ die Spannung steigen. „… angegriffen zu werden.“
Die Luft im Raum veränderte sich.
Aeliana versteifte sich noch mehr.
Thaddeus –
„Was?!“
Seine Stimme war scharf, ein donnerndes Brüllen, das von den Steinwänden widerhallte. Seine ganze Haltung veränderte sich, seine Hände ballten sich zu Fäusten an seinen Seiten. Die Temperatur im Raum schien zu sinken.
Lucavion, völlig unbeeindruckt, seufzte nur.
„Nun, jetzt sind sie tot.“ Er winkte ab. „Kein Grund, sich aufzuregen, lieber Herzog.“
Die goldenen Augen des älteren Mannes brannten und waren immer noch auf ihn gerichtet, mit der Intensität eines Raubtiers, das Blut wittert. Mehr dazu in My Virtual Library Empire
Lucavion hielt seinem Blick stand.