Aeliana schnaubte, ließ Lucavions Kragen mit einer schnellen Bewegung ihrer Finger los und trat zur Seite.
Lucavion, der sich immer noch viel zu sehr amüsierte, nahm sich alle Zeit der Welt, um sich aufzusetzen, streckte mit einem zufriedenen Seufzer seine Arme und rollte sich schließlich auf die Füße.
Mit geübter Leichtigkeit griff er in seinen Raumbeutel, holte eine kleine, verzierte Blechdose, einen Wasserkocher und ein paar andere Utensilien heraus.
Aeliana, die Arme immer noch verschränkt, sah zu, wie er alles abstellte und mit seiner Arbeit begann.
Das Feuer knisterte leise, sein goldener Schein beleuchtete seine Bewegungen, während er den Tee mit ruhiger Präzision zubereitete.
Diesmal –
war es anders.
Es war nicht derselbe leichte, delikate Tee, den er ihr gekocht hatte, als sie krank gewesen war.
Nein.
Dieser Tee war stärker.
Sein Aroma erfüllte sofort die Höhle, reichhaltig und vielschichtig, mit einer gewissen Tiefe, die sich … fast fremd anfühlte.
Aelianas Nase zuckte leicht.
Sie hatte diesen Duft schon einmal gerochen. Irgendwo.
Aber –
sie hatte ihn noch nie probiert.
Ihre bernsteinfarbenen Augen verengten sich, als sie die dunkle Flüssigkeit in der Kanne studierte. „Was ist das für ein Tee?“
Lucavion antwortete, ohne aufzublicken, mit ruhiger Stimme: „Imperial Black Orchid.“
Aeliana hob leicht die Augenbrauen.
Diesen Namen kannte sie.
Ein seltener Tee, der aus Ländern jenseits der Grenzen des Imperiums importiert wurde. Trotz seines guten Rufs wurde er unter Adligen nicht oft serviert, da sein Geschmack sehr kräftig war.
Zu kräftig für die empfindlichen Gaumen der Aristokraten, die mildere, blumige Mischungen bevorzugten.
Aeliana neigte den Kopf. „Du hast solche Vorlieben?“
Lucavion grinste und sah sie endlich an, während er den Tee in zwei Tassen einschenkte. „Nun, ich mag diesen Tee. Mein Meister hat ihn oft getrunken.“
Aeliana blinzelte.
Ihre Finger umklammerten leicht ihren Ärmel.
„Dein Meister?“
„Ja.“
Und einfach so –
tauchte der Name wieder in ihrem Kopf auf.
Lucavion.
Es ergab immer noch keinen Sinn.
Ein Name wie dieser musste irgendwo existieren. Er musste Gewicht haben, er musste etwas bedeuten.
Ein Talent wie seines – eines, das in der Lage war, Monster wie den Kraken zu bekämpfen – konnte nicht einfach aus dem Nichts auftauchen.
Das war unmöglich.
Aelianas Lippen öffneten sich leicht, bevor sie endlich sprach.
„Wer war dein Meister?“
Lucavions Finger verharrten kurz über der Tasse.
Es war kaum wahrnehmbar – ein flüchtiges Zögern.
Dann –
lächelte er.
„Wenn ich dich so anschaue, muss er auch sehr mächtig gewesen sein“, fuhr Aeliana fort.
Lucavion atmete leise aus.
„… In der Tat“, murmelte er.
Aeliana bemerkte, wie sich sein Tonfall veränderte.
Nicht schwer. Nicht bitter.
Aber endgültig.
In ihrem Kopf machte es klick.
„Ah …“, hauchte sie.
Er war es.
Nicht ist.
Sie sah Lucavion in die Augen und las die stille Bestätigung darin.
„Also ist er nicht mehr da?“
„In der Tat.“
Aelianas Finger fuhren einen Moment lang über den Rand ihres Ärmels, bevor sie endlich sprach.
„Mein Beileid.“
Lucavion blinzelte.
Dann –
Er lachte leise.
„Danke?“ Sein Grinsen wurde etwas breiter, als er sich zurücklehnte und sie ansah. „Aber weißt du, die meisten Leute würden …“
„Traurig aussehen?“, unterbrach Aeliana ihn.
Lucavion hob eine Augenbraue.
Aeliana hob ihre Tasse, blies leicht über die Oberfläche des Tees und nahm einen kleinen Schluck.
Er war stark. Dunkel. Leicht rauchig, aber mild, und hinterließ ein anhaltendes Wärmegefühl in ihrer Brust.
Sie senkte die Tasse und sah ihm in die bernsteinfarbenen Augen.
„Wenn ich das tun würde“, erklärte sie unverblümt, „wäre es nur gespielt.“
Lucavion neigte leicht den Kopf, fasziniert.
„Ich kann niemanden bemitleiden, den ich nicht kenne“, fuhr sie mit fester Stimme fort.
„Deshalb bin ich lieber ehrlich.“
Lucavion starrte sie an.
Dann –
lächelte er.
Nicht sein übliches neckisches, verschmitztes Grinsen.
Etwas Ruhigeres.
Etwas Anerkennendes.
„Hah“, seufzte er und schwenkte den Tee in seiner Tasse. „Du bist wirklich interessant, nicht wahr?“
Aeliana schnaubte. „Das war ich schon immer.“
Lucavions Lachen wurde tiefer.
So viel –
dem konnte er zustimmen.
Aeliana hob ihre Tasse wieder, aber gerade als der Rand ihre Lippen berührte –
spürte sie es.
Ein schwaches, fast unmerkbares Kribbeln tief in ihrem Innersten.
Ihr Dantian.
Ihr Zentrum.
Ein Ort, den sie seit Jahren nicht mehr gespürt hatte.
Ihr stockte der Atem.
„Was ist das …?“
Das Gefühl war subtil – wie ein Hauch von Wärme, der sich in ihrem Körper ausbreitete, wie das Echo von etwas längst Vergessenem.
Das hatte sie nicht mehr gespürt seit …
Seit ihrer Krankheit.
Von dem Moment an, als sie aufgetreten war, hatte sie als Erstes ihre Kultivierung verloren.
Ihre Fähigkeit, Mana zu kontrollieren.
Ihre Verbindung zu sich selbst.
Und jetzt …
Jetzt regte es sich wieder.
„Eh?“
Lucavions schwarze Augen huschten zu ihr, aber bevor sie ihre Verwirrung in Worte fassen konnte …
Er sprach.
„Ich schätze, die Wartezeit ist vorbei.“
Aeliana riss den Kopf zu ihm herum.
„Was?“
Lucavions Grinsen war immer noch da – zurückhaltend, aber wissend.
„Du solltest es spüren können“, sagte er mit ruhiger Stimme. Zu ruhig.
„Den herannahenden Sturm.“
Aelianas Finger krallten sich um ihre Tasse.
Sie spürte es tatsächlich.
Nicht nur das Flackern in ihrem Innersten –
sondern noch etwas anderes.
Etwas draußen.
Etwas Mächtiges.
Eine Präsenz, so gewaltig, so überwältigend, dass sie wie ein herannahender Sturm auf ihre Sinne drückte.
Es gab nur eine Person im gesamten Herzogtum Thaddeus, die eine so starke Präsenz hatte.
„… Vater?“
Lucavion atmete leise aus und nahm einen langsamen Schluck von seinem Tee.
„In der Tat“, murmelte er.
Seine schwarzen Augen trafen ihre.
„Dein Vater.“
Der Herzog.
*******
Auf dem Schlachtfeld war es still.
Die letzten monströsen Schreie waren längst verklungen. Der Ozean, einst eine tosende Sturmflut des Todes, lag nun unheimlich ruhig da. Der Himmel, der zuvor in unnatürlicher Dunkelheit gehüllt war, begann sich aufzuklären – Licht drang durch die sich auflösenden Wolken und warf silberne Wellen über das endlose Meer.
Und doch –
Herzog Thaddeus entspannte sich nicht.
Sein Innerstes pochte.
Die Resonanz war nur noch stärker geworden.
Sie war hier.
Nicht auf den Schiffen. Nicht auf irgendwelchen schwimmenden Trümmern.
Nein –
sie war unter ihnen.
Tief.
Thaddeus stand am Bug des Schiffes, seine Augen verengten sich, als seine Mana aufloderte. Die Herrschaft seines Sturmfürsten flüsterte ihm zu, der Ozean sprach in einer Sprache, die nur diejenigen seiner Blutlinie verstehen konnten.
Und sie bestätigte seinen Instinkt.
Seine Tochter war unter ihm.
Ohne zu zögern, bewegte er sich.
Mit einem einzigen, kontrollierten Atemzug trat er auf die Reling des Schiffes – und sprang.
PLATSCH.
Das Meer hieß ihn als seinen Herrscher willkommen.
Wo andere ungeschickt untergegangen wären, wo ihre Körper gegen das Gewicht des Wassers gekämpft hätten, bewegte sich Thaddeus, als gehöre er dorthin.
Nein –
als beherrschte er es.
Schneller.
Er schoss vorwärts, sein Körper durchschnitten mühelos die Strömungen, das Wasser teilte sich um ihn herum, als würde es ihm den Weg weisen.
Wo die Luft ihn bremste, gab ihm das Meer Kraft.
Wo Menschen um Luft rangen, blühte er auf.
Und um ihn herum –
verneigten sich die Kreaturen der Tiefe.
Kolossale Seeungeheuer, deren massive Gestalten in der Dunkelheit lauerten, griffen nicht an.
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Schlangenartige Schrecken, deren leuchtende Augen den Abgrund durchbohrten, griffen nicht an.
Stattdessen –
senkten sie ihre Köpfe.
Sie machten ihm Platz.
Denn der Herzog aus dem Geschlecht der Thaddeus hatte ihr Reich betreten.
Und sie wollten ihm nicht im Weg stehen.
Schneller.
Schneller.
Tiefer.
Der Druck des Ozeans spielte keine Rolle. Die erdrückende Dunkelheit spielte keine Rolle.
Nur eines zählte.
Seine Tochter.
Und dann –
sah er es.
Eine riesige, zerklüftete Formation, die auf dem Grund des Abgrunds ruhte.
Ein Felsen.
Nein –
etwas Fremdes.
Etwas Unnatürliches.
Es leuchtete mit einem unheimlichen, überirdischen Licht, seine Oberfläche war mit Symbolen verziert, die er nicht erkannte.
Es gehörte nicht zum Ozean.
Es gehörte nicht zu dieser Welt.
Thaddeus‘ Atem verlangsamte sich, seine Muskeln spannten sich an.
Dies war kein gewöhnlicher Ort.
Und doch, obwohl sein Instinkt ihm etwas Unnatürliches, etwas jenseits des menschlichen Verständnisses signalisierte,
flüsterte ihm sein Innerstes nur eines zu.
Sie ist hier.
Sein Blick wurde schärfer.
Aeliana ist hier drin.
Und ohne einen weiteren Gedanken
ging er vorwärts.
Der Wind heulte. Die See tobte. Aber Herzog Thaddeus zögerte nicht.
Seine Stiefel schlugen gegen das durchnässte Deck, während er sich bewegte, seine Präsenz wie eine Naturgewalt. Die Ritter, die Matrosen – sogar die Monster – schienen die Veränderung in der Luft zu spüren und machten Platz, als er sich der Quelle der Unruhe näherte.
Und dann …
sah er es.
Einen Felsen.
Zumindest sah es so aus.
Wie ein zerklüfteter Obsidianmonolith ragte das Gebilde aus dem Ozean empor und trotzte den tosenden Wellen, vom Zahn der Zeit gezeichnet, aber von der Natur unberührt.
Aber irgendetwas stimmte nicht.
Der Raum um ihn herum flackerte – eine unnatürliche Verzerrung in der Luft, wie eine Fata Morgana, die die Realität verbog.
Herzog Thaddeus stockte der Atem.
Ein Riss? Nein. Nicht ganz.
Das war etwas anderes.
Eine Grenze.
Eine Schwelle.
Und sein Instinkt schrie ihn an: Überquere sie!
Ohne ein weiteres Wort, ohne einen weiteren Gedanken, trat er vor.
Und die Welt – veränderte sich.
–
„…“
Das Rauschen der Wellen war verstummt.
Der heulende Wind hatte aufgehört.
Eine tiefe, unnatürliche Stille umhüllte alles.
Herzog Thaddeus blinzelte.
Eine Höhle.
Der zerklüftete Obsidianfelsen war nichts weiter als ein Tor gewesen – ein Eingang zu etwas anderem.
Die Luft im Inneren war dick, feucht, uralt. Seltsame biolumineszente Kristalle hafteten an den Wänden und warfen unheimliche violette und tiefblaue Lichtreflexe. Die Decke der Höhle ragte hoch über ihm empor und verlor sich in einer Leere aus Schatten, während der Boden unter seinen Stiefeln von einer beunruhigenden Wärme pulsierte.
Und dann –
spürte er sie.
Zwei Präsenzen.
Eine – schwach. Wie eine schwindende Glut, zerbrechlich und kaum noch am Leben.
Die andere – stark. Unbekannt. Beobachtend.
Duke Thaddeus‘ Instinkte schrien ihn an, auf der Hut zu sein, aber er ignorierte sie. Seine Füße bewegten sich bereits und trugen ihn tiefer in die Höhle hinein, geleitet von dem Pulsieren von Mana, das ihn wie ein Herzschlag rief.
Und dann …
Er sah sie.
Am anderen Ende der Höhle, umgeben von zerklüfteten Felsformationen und flackernden Kristallen, standen zwei Gestalten.
Aber seine Augen sahen nur eine.
Der Atem stockte ihm in der Kehle.
„Vater.“