Die Wärme des Tees blieb in ihrer Brust und bildete einen sanften Kontrast zur Kälte der Höhle. Aeliana lehnte sich gegen die raue Steinwand und ließ sich von der festen Oberfläche erden. Ihr Blick wanderte nach oben, durch die Spalten in der felsigen Decke, zu dem seltsamen Himmel dahinter.
Die Sterne über ihr waren ihr unbekannt, ihr grelles, bläuliches Licht tauchte die zerklüftete Landschaft in ein unheimliches Licht. Sie erkannte keine Sternbilder, keine vertrauten Muster aus ihrer Heimat. Nur eine Weite fremder Lichter, die bedrohlich in der bedrückenden Dunkelheit flackerten.
„Was ist das für ein Ort?“, fragte sie sich und ihre Gedanken kehrten zu dem Moment zurück, als sie ohne Umstände in diese albtraumhafte Welt geworfen worden waren.
Die Teleportation war abrupt gewesen, ein ruckartiges Gefühl, das sie desorientiert und atemlos zurückgelassen hatte. Es hatte keine Warnung gegeben, keine Vorbereitung – in einem Moment waren sie noch in den belebten Gängen der Akademie gewesen, und im nächsten waren sie hier.
„Wie konnten wir so einfach hierher gebracht werden?“ Ihre Finger umklammerten die warme Tasse, ihre Knöchel wurden weiß. „Was für eine Magie könnte das bewirken? Und warum wir?“
Die Fragen schwirrten unaufhörlich in ihrem Kopf, eine beunruhigender als die andere. Ihr Vater, der Herzog, hatte ihr immer beigebracht, dass die Welt riesig sei, voller Wunder und Gefahren, die man sich nicht vorstellen könne. Doch selbst seine Lehren hatten sie nicht auf das hier vorbereitet – einen Ort, an dem die Realität zu verzerren schien, an dem sogar die Luft schwerer war, voller unausgesprochener Bedrohung.
Aeliana warf einen Blick auf Luca. Er war wie immer ganz entspannt, seine dunklen Augen spiegelten die tanzenden Flammen wider. Es machte sie wütend, wie unbeeindruckt er von allem schien – den Monstern, dem verzerrten Gelände, der ganzen Fremdartigkeit dieses Ortes.
„Luca“, begann sie mit zögerlicher, aber entschlossener Stimme. „Was ist das hier für ein Ort? Wie konnten wir so einfach hierher gebracht werden?“
Lucas Grinsen verschwand, sein Blick wanderte vom Feuer zu ihr. Für einen Moment herrschte Stille, nur das Knistern der Flammen war zu hören. Dann nahm er einen langsamen Schluck von seinem Tee, schien den Geschmack zu genießen, bevor er antwortete.
„Dieser Ort?“, wiederholte er, fast nachdenklich. „Er ist irgendwo, wo er nicht sein sollte, aber er ist da. Wie eine Narbe, die etwas Uraltes und Mächtiges hinterlassen hat.“
Seine Worte hingen bedeutungsschwer in der Luft. Aeliana kniff die Augen zusammen, während sie darüber nachdachte, und die Rätselhaftigkeit seiner Antwort verstärkte ihr Unbehagen nur noch.
„Wie kannst du so ruhig bleiben?“, fragte sie mit einer Spur von Frust in der Stimme. „Findest du das nicht … unnatürlich? Gefährlich?“
Er lachte leise und stellte seine Tasse neben sich ab. „Unnatürlich? Sicher. Gefährlich? Auf jeden Fall.“ Sein Blick traf ihren, dunkel und durchdringend. „Aber genau das macht es doch interessant, findest du nicht?“
„Interessant?“, dachte sie ungläubig. „Das ist doch kein Spiel …“
Sie öffnete den Mund, um zu erwidern, aber sein Blick hielt sie davon ab.
Da war etwas – etwas, das sie nicht genau deuten konnte. Keine Belustigung, sondern ein tieferes Verständnis, eine Vertrautheit mit der Gefahr, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
„Orte wie dieser“, fuhr er fort, seine Stimme jetzt leiser, fast ein Flüstern, „werden von den Menschen geprägt, die sie geschaffen haben. Von ihren Ängsten, ihren Wünschen, ihrem Hass. Sie sind ein Spiegelbild von etwas Verdrehtem, etwas Vergrabenem.“
Das Feuer flackerte und warf wechselnde Schatten auf sein Gesicht. Aeliana spürte, wie sich ihre Brust zusammenzog, die bedrückende Atmosphäre drückte erneut auf sie. Das Land, auf dem sie standen – nein, die ganze Welt um sie herum – fühlte sich wie ein Gefängnis an, ein Ort, der dazu bestimmt war, zu prüfen und zu brechen.
Luca atmete leise aus und trommelte mit den Fingern gegen den Keramikbecher. „Zumindest ist das meine Interpretation der ganzen Sache.“
Seine Stimme war ruhig, weder sicher noch abweisend. „Es könnte falsch sein. Es könnte richtig sein.“ Er rollte mit den Schultern, als wolle er die Last der Frage abschütteln. „Ist das überhaupt wichtig?“
Aeliana runzelte die Stirn und umklammerte ihre Tasse fester. „Natürlich ist das wichtig. Wenn wir nicht wissen, wie wir hierher gekommen sind …“
„Dann was?“, unterbrach er sie sanft und neigte den Kopf. „Wird das Wissen etwas ändern? Werden wir dann plötzlich wieder zu Hause sein? Werden die Monster, das verdrehte Gelände, das endlose Unbekannte verschwinden?“ Sein Blick flackerte unlesbar, das Feuerlicht spiegelte sich in seinen dunklen Augen. „Letztendlich sind wir hier, irgendwie. Anstatt die Realität zu leugnen, ist es nicht besser, das zu akzeptieren, was kommt?“
Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber er fuhr fort, bevor sie dazu kam, und sein Tonfall wurde leichter. „Und anstatt uns mit Dingen zu beschäftigen, die wir nicht kontrollieren können …“ Er nahm einen weiteren Schluck Tee und sah sie dann fast verschmitzt an. „Warum nicht das Leben genießen, solange man kann?“
Aeliana starrte ihn ungläubig an. „Du kannst das genießen?“
Luca lachte leise und schüttelte den Kopf. „Solange du es willst, kannst du alles genießen.“ Er lehnte sich zurück, streckte die Arme hinter sich aus und seine Stimme klang lässig und selbstbewusst. „Selbst die kleinsten, eintönigsten Dinge kann man mit der richtigen Einstellung genießen …“ Er hielt inne und zwinkerte ihr zu. „Oder wenn man mit der richtigen Person zusammen ist.“
Aeliana stockte der Atem und ihre Finger umklammerten die Tasse.
Ausnahmsweise grinste er nicht. Seine übliche Arroganz war einer sanfteren Haltung gewichen – einem echten Lächeln, das nur einen Hauch seiner Zähne zeigte. Es war subtil, aber unverkennbar anders. Und doch … erzählten seine Augen eine andere Geschichte. Hinter dem neckischen Funkeln lag eine stille Melancholie, wie das schwache Nachbild einer alten Wunde.
„Dieser Blick …“, dachte sie, und etwas regte sich in ihrer Brust. „Warum fühlt es sich an, als würde er aus Erfahrung sprechen?“
Sie merkte gar nicht, dass sie ihn anstarrte, bis er den Blick abwandte und wieder ins Feuer schaute, als wäre der Moment vorbei.
Ihre Neugierde flammte auf, stärker als zuvor.
Luca war immer undurchschaubar, immer wie Sand zwischen ihren Fingern, der ihr durch die Finger rann. Aber das hier? Das war das erste Mal, dass sie etwas Echtes, etwas Ungeschütztes von ihm sah.
„… Luca“, sagte sie vorsichtig und stellte ihre Tasse beiseite. „Du redest wie jemand, der das schon mal gemacht hat.“
Er warf ihr einen Seitenblick zu, am Rande seines Gesichts spielte ein amüsiertes Lächeln. „Was habe ich schon mal gemacht?“
„So gelebt.“ Sie deutete vage um sich herum. „Umgeben von Gefahr, immer auf der Hut. Immer so, als würde dich nichts davon stören.“ Sie zögerte, fuhr dann aber mit leiserer Stimme fort: „Wie jemand, der einen Weg finden musste, Dinge zu genießen, weil … weil du es sonst nicht schaffen würdest.“
Luca schwieg einen Moment lang und fuhr mit den Fingern gedankenverloren am Rand seiner Tasse entlang. Dann lachte er leise und schüttelte den Kopf.
„Du bist schlauer, als du aussiehst, kleine Dame.“ Seine Stimme klang leicht, aber dahinter lag eine Tiefe, die zuvor nicht da gewesen war.
Aeliana verschränkte die Arme. „Das ist keine Antwort.“
„Nein, ist es nicht“, gab er zu und sah ihr wieder in die Augen. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert – sein Lächeln war noch da, aber der neckische Unterton war verschwunden. „Aber in einem Punkt hast du recht.“
Sie hielt den Atem an und wartete.
Seine Augen verdunkelten sich leicht, seine Stimme wurde gerade so leise, dass sie einen leichten Schauer überkam.
„Man lernt nicht aus freien Stücken, das Leben zu genießen“, murmelte er. „Man lernt es, weil man muss.“
Aelianas Herz setzte einen Schlag aus.
Die Art, wie er das sagte, hatte etwas – so beiläufig und doch so absolut. Wie eine in Stein gemeißelte Wahrheit.
Luca hielt inne.
Für einen kurzen Moment warfen die Flammen tiefe Schatten auf sein Gesicht, dessen Züge unheimlich regungslos waren. Die neckische Stimmung war völlig verschwunden und hatte etwas Kälteres Platz gemacht – etwas, das fast wie Trauer wirkte.
Dann atmete er leise aus und neigte den Kopf leicht, als würde er sich auf etwas vorbereiten.
„Also …“, murmelte er mit leiserer Stimme als zuvor, „hasst mich nicht dafür, okay?“
Aeliana hatte kaum Zeit zu reagieren.
Ein scharfer, brennender Schmerz explodierte in ihrer Brust, ein Gefühl, das so plötzlich und unerträglich war, dass sich die Welt drehte.
Die Tasse glitt ihr aus den Händen und zersprang auf dem Steinboden.
Die Qual breitete sich wie Feuer aus, zerriss ihre Glieder, ihre Lungen, ihre Knochen. Ihr Atem stockte heftig, als sie vornüber sank und mit den Knien auf den kalten Boden schlug. Ein erstickter Schrei entriss sich ihrer Kehle, ihre Finger krallten sich hilflos in ihre Brust, als könnte sie den Schmerz aus sich herausreißen.
Ihre Sicht verschwamm – dunkle Flecken breiteten sich an den Rändern aus. Die Höhle, das Feuer, Lucas Anwesenheit – alles verschwamm, als würde ihr Körper in einer Leere versinken.
Und sie kannte dieses Gefühl.
„Nein … nicht schon wieder …“
Es war dieselbe Qual, die sie seit ihrer Kindheit verfolgt hatte, die Krankheit, die ihr die Kraft raubte, die sie an ihre Schwäche fesselte, die sie mitten in der Nacht nach Luft ringen ließ.
Aber dieses Mal –
Dieses Mal war es schlimmer.
Ihr Körper zuckte, wurde von einer Kraft geschüttelt, die viel stärker war als zuvor, ihr Innerstes zitterte, als würde etwas in ihr zerissen. Sie konnte vor Schmerz kaum klar denken, aber eine einzige verzweifelte Frage drang durch die Panik:
„Warum … jetzt?“
Die ganze Zeit hier hatte sie sich gut gefühlt. Sogar stärker. Als hätte die Krankheit ihren Griff um sie gelockert. Sie hatte fast angefangen zu hoffen.
Und doch, jetzt, aus dem Nichts, kam es zurück – bösartig und unerbittlich.
Ihr Atem ging stoßweise, flach, die Welt um sie herum verschwamm. Ihre Glieder fühlten sich fremd an, nutzlos. Das Feuer flackerte wild und verzerrte Lucas Gesicht, als er sich bewegte, doch sie konnte seinen Gesichtsausdruck kaum erkennen.
Hatte er das erwartet?
Hatte er etwas getan?
„Bitte nicht …“
Wenn es wieder das war …
Sie wusste nicht, ob sie es ertragen konnte.