Das Wasser rauschte um sie herum und verschlang sie komplett. Ihr Körper drehte sich unkontrolliert im Strudel, und mit jeder Drehung und jedem Ruck zog sich ihre Brust zusammen, ihre Lungen brannten und ihr Verstand versank in einem Chaos, das noch heftiger war als die Strömungen, die sie nach unten zogen.
„Das ist es jetzt, oder?“
Der Gedanke durchdrang die Kakophonie ihrer Umgebung, scharf und giftig. Ihre Glieder fühlten sich schwer an, ihre Kraft schwand mit jeder Sekunde, während ihr Körper dem erdrückenden Druck nachgab. Aber der Schmerz – der brennende, unerbittliche Schmerz – blieb und erinnerte sie unaufhörlich an alles, was sie verabscheute.
„Warum? Warum wurde ich überhaupt so geboren? Gebrochen, krank, nutzlos.“
Aelianas Sicht verschwamm noch mehr, das salzige Wasser brannte in ihren Augen. Ihre Gedanken wirbelten wie der Strudel selbst, ein Sturm aus Hass und Selbstverachtung riss an ihrem Verstand.
„Wenn ich stark gewesen wäre, hätten sie mich nicht so angesehen. Wenn ich nicht mit dieser Krankheit gestraft worden wäre, müsste ich mich nicht wie ein erbärmlicher Schatten hinter Schleiern verstecken.“
Die Erinnerung an diese mitleidigen, angewidert Blicke tauchte unaufgefordert wieder auf. Die Dienstmädchen, die hinter ihrem Rücken tuschelten. Die Ritter, die ihren Blick abwandten. Die Adligen, die sich nicht einmal die Mühe machten, ihre Verachtung zu verbergen.
„Sie alle finden mich ekelhaft. Ich bin ekelhaft, nicht wahr? Sie haben recht. Ich bin nur ein erbärmliches, gebrochenes Wesen, das sich hinter Stoffbahnen und Mauern versteckt.“
Ihr Körper krümmte sich heftig, als die Strömung sie tiefer zog. Instinktiv schnappte sie nach Luft, doch nur Wasser füllte ihre Lungen und versetzte sie in einen weiteren Anfall verzweifelter, wild um sich schlagender Bewegungen. Doch während ihr Körper um sein Überleben kämpfte, ertrank ihr Verstand auf andere Weise.
„Madeleina.“
Ihr Name tauchte auf und brachte eine Flutwelle aus Verrat und Bitterkeit mit sich.
„Sie sollte anders sein. Sie tat so, als würde sie sich um mich kümmern. All die Male, als sie mir zur Seite stand, mir Mut zusprach und mir versprach, dass ich nicht allein sei. Und was war das alles wert? Lügen. Nur Lügen. Sie war nicht besser als die anderen. Nicht besser als die Dienstmädchen, die mich ansahen, als wäre ich ein Monster. Nicht besser als die Adligen, die hinter dem Rücken meines Vaters über mich lachten.“
Die Wut wurde immer größer, der Hass durchzog ihre Gedanken wie ein Lauffeuer.
„Und Vater. Er hat mich nicht beschützt. Ich war ihm egal. Ihm ging es nur um das Haus, die Familie, das Erbe. Das war alles, was ich für ihn war – eine Schachfigur, eine Last, eine Erinnerung an sein eigenes Versagen. Er sieht mich nicht einmal. Er sieht nur das, was er in mir sehen will.“
Ihre Sicht verdunkelte sich noch mehr, und zu den Schmerzen in ihrer Brust gesellte sich nun ein tiefer Schmerz in ihrem Herzen.
„Und Mutter.“
Der Gedanke an ihre Mutter traf sie wie ein Dolch, scharf und grausam.
„Du hast mich verlassen. Du bist einfach gegangen. Du hättest bleiben sollen, oder? Du hättest mich beschützen, mich lieben und mir zeigen sollen, wie ich damit umgehen kann. Aber das hast du nicht getan. Du bist gestorben. Du hast mich allein gelassen, damit ich mich selbst zurechtfinden muss, hast mich in dieser endlosen Leere aus Schmerz und Verzweiflung zurückgelassen.“
Eine neue Welle der Wut durchflutete sie und vermischte sich mit ihrer Qual, bis sie beides nicht mehr unterscheiden konnte.
„Ich hasse dich. Ich hasse euch alle. Ich hasse mich selbst.“
Ihr Körper zuckte, als eine weitere Welle Wasser auf sie drückte und die Strömung sie wie eine Marionette an Fäden herumwirbelte. Ihre Gliedmaßen strampelten schwach, ihre Energie schwand, während ihr Geist immer tiefer in den Abgrund sank.
„Ich hasse diese Krankheit. Ich hasse diesen Körper.
Ich hasse es, wie sie mich gefangen hält, mich quält, mich zu etwas macht, das die Leute nicht mal anschauen können, ohne zurückzuzucken. Ich hasse es, dass ich ihr nicht entkommen kann, egal wie sehr ich es versuche. Ich kann mich nicht von ihr befreien. Von ihnen. Von mir selbst.“
Das Wasser drückte stärker, der Strudel verengte sich, als sie tiefer in seine erdrückende Tiefe sank. Ihr Verstand schrie, ihre Gedanken waren ein Wirbelwind aus Gift und Verzweiflung.
Warum bin ich nicht einfach früher gestorben? Warum habe ich so hart um mein Leben gekämpft, wenn das alles ist, was ich je war? Eine Elende. Eine Last. Ein Schatten. Es ist nicht einmal mehr wichtig.
Ihre Brust zuckte, ein verzweifelter Versuch, Luft zu holen, aber es gab keine. Ihr Körper gehörte ihr nicht mehr, er ergab sich der überwältigenden Kraft des Wassers.
Ihre Gedanken gerieten ins Stocken, ihr Geist wurde zum ersten Mal still. Nur ein einziges, raues Flüstern blieb übrig.
„Ich hasse alles.“
Ihre Augen schlossen sich, die Dunkelheit verschlang sie vollständig, während ihr Körper erschlaffte. Der Strudel drehte sich weiter und zog sie tiefer in seine Tiefe, aber Aelianas Geist war jetzt still. Es gab nichts mehr zu fühlen. Nichts mehr zu kämpfen.
Und zum ersten Mal umarmte sie die Stille.
******
Aelianas Bewusstsein flackerte, ihre Brust hob und senkte sich mit flachen Atemzügen, als sie langsam erwachte. Das erste, was sie wahrnahm, war das Gefühl von trockenem, festem Boden unter sich. Er war warm, rau und unbeweglich – ein krasser Gegensatz zu dem chaotischen Sog des Strudels, der sie verschluckt hatte.
Sie hustete schwach, ihr Körper zitterte vor Anstrengung.
Jeder Atemzug fühlte sich seltsam an. Die Luft war kühl, frisch und seltsam beruhigend, ohne den salzigen Geruch des Meeres. Ihre Augen flatterten auf, zunächst unscharf, dann sah sie den trüben grauen Himmel über sich. Lichtstrahlen drangen durch einen höhlenartigen Raum, doch die Decke blieb von Nebel verschleiert, der hartnäckig an den höheren Stellen hing.
„Was …?“
Ihre Finger krallten sich in den Boden unter ihr. Er fühlte sich fest an, aber etwas Weiches und Feuchtes – fast schwammig – streifte ihre Handflächen. Sie zwang sich aufzurichten, ihre Arme zitterten, als Schmerz durch ihren Körper schoss. Das verdorbene Mana, das wie Feuer durch ihre Adern gebrannt war, war immer noch da, schwelte schwach, aber es fühlte sich … gedämpft an.
Die Welt um sie herum wurde klarer.
Seltsame Gestalten waren überall zu sehen. Zuerst waren sie nur verschwommene Flecken, aber als ihre Sicht klarer wurde, erkannte Aeliana, dass sie nicht allein war. Söldner, Abenteurer und Soldaten waren über das Gebiet verstreut, ihre Gesichter waren verwirrt und vorsichtig.
Einige lagen bewusstlos da, ihre Körper regungslos, als wären sie leblos. Andere bewegten sich schwach und stöhnten, während sie versuchten, sich aufzurichten. Ein paar standen aufrecht, ihre Bewegungen vorsichtig, während sie ihre Umgebung absuchten oder nach Verletzten sahen.
Das Murmeln der Gespräche drang an ihre Ohren, leise und angespannt.
„Wo … sind wir?“, murmelte ein Söldner, dessen Rüstung von den Kämpfen oben verbeult und zerkratzt war.
„Das ist nicht das Meer“, sagte ein anderer Soldat mit gedämpfter Stimme. Er umklammerte sein Schwert fester und musterte misstrauisch die Umgebung.
Aelianas Blick schweifte über das Becken. Der Boden war zerklüftet und uneben, Felsen ragten in seltsamen Winkeln hervor. An einigen Stellen wuchs leuchtendes Moos, das in Grün- und Blautönen schimmerte und die Szene in ein unheimliches Licht tauchte.
Die Luft fühlte sich ruhig und angenehm an, doch sie hatte eine seltsame Schwere, als wäre der Raum selbst nicht ganz stabil. Kleine Lichtpunkte schwebten in der Luft und pulsierten sanft wie winzige Glühwürmchen. Sie flackerten kurz auf, bevor sie wieder verschwanden, nur um an anderer Stelle wieder aufzutauchen und einen subtilen Welleneffekt zu erzeugen.
Die Stille war beunruhigend.
Aeliana blinzelte in die Luft und bemerkte schwache Wellen – wie Hitzewellen, die die Landschaft verzerrten. Die Struktur des Raumes schien zu flimmern und sich zu verbiegen, als wären Boden und Himmel Reflexionen in einem verzerrten Spiegel.
Sie hob eine zitternde Hand und streckte sie nach einem der schwebenden Lichtpunkte aus. Er flatterte davon und verschwand, bevor ihre Fingerspitzen ihn berühren konnten.
„Dieser Ort … Was ist das überhaupt für ein Ort?“
Der Gedanke blieb ihr im Kopf hängen, unwillkommen und beunruhigend.
Ihr Körper fühlte sich schwer an, ihre Glieder schmerzten, als wäre sie wiederholt geschlagen worden – zweifellos durch die unerbittlichen Strömungen des Strudels. Sie umklammerte ihre Brust, wo das vertraute Brennen von verdorbenem Mana noch immer nachhallte, wenn auch jetzt gedämpft.
„Warum bin ich am Leben? Ich sollte tot sein. Ich hätte ertrinken müssen. Das … das ergibt keinen Sinn.“
Ihr Atem ging schneller, als bruchstückhafte Erinnerungen hochkamen: die erdrückende Tiefe des Strudels, Madeleinas kalte Worte, die erdrückende Last des Verrats. Ihre Hände krallten sich in den Boden, während ihre Gedanken kreisten.
„Warum bin ich hier? Was ist das für ein Ort? Und … Madeleina …“
Ihre Brust zog sich zusammen, als das Gesicht ihrer Begleiterin vor ihrem inneren Auge auftauchte, die Maske der Gleichgültigkeit, die sich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte.
Aeliana zwang sich, sich ganz aufzurichten, ihr Schleier war zerrissen und schief, hing aber noch an ihrem Gesicht. Mit zitternden Händen richtete sie ihn, um sicherzugehen, dass ihre Haut verborgen blieb.
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die verstreuten Gestalten in ihrer Nähe. Söldner versorgten einander und benutzten Stoffstreifen als provisorische Verbände, um Blutungen zu stillen oder Verstauchungen zu verbinden.
Eine Gruppe Soldaten kauerte zusammen, die Waffen gezückt, in Verteidigungsstellung, während sie misstrauisch die Umgebung beobachteten.
Trotz ihrer gemeinsamen Notlage war die Atmosphäre von Unbehagen geprägt. Die Flüstertöne, die sie aufschnappte, waren voller Spannung.
„Wir werden hier alle sterben“, murmelte ein Abenteurer mit zitternder Stimme.
„Halt die Klappe“, fauchte ein anderer. „Wir müssen erst mal herausfinden, wo wir hier sind.“
Aeliana beobachtete sie schweigend, ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Sie traute keinem von ihnen. Aber Vertrauen war schon immer ein Luxus gewesen, den sie sich nicht leisten konnte.
„Dieser Ort …“,
dachte sie und richtete ihren Blick wieder auf die seltsamen Wellen in der Luft.
„Das ist mein letzter Ort, nicht wahr?“
Schließlich konnte sie es spüren.
Ihre Krankheit …
Sie tobte zu sehr.