Als Thailon die Tür aufstieß, ließ ihn der Anblick, der sich ihm bot, innerlich erstarren.
Blut spritzte über die Wände und bildete Pfützen auf dem polierten Marmorboden. Der Raum, einst ein Symbol für Vaelrics Macht und Autorität, war jetzt ein grauenvolles Bild der Gewalt. In der Mitte des Gemetzels lag eine Leiche – oder besser gesagt, das, was davon übrig war.
Nur die untere Hälfte war noch da, der Oberkörper und der Kopf fehlten komplett. Die zerfetzten Überreste waren verdreht und grotesk, als wären sie von etwas Monströsem zerfleischt worden.
Thalion riss vor Entsetzen die Augen auf, als er die zerfetzten, blutgetränkten Roben an der unteren Hälfte des Körpers erkannte.
„V-Vater?“, stammelte er mit kaum hörbarer Stimme. Seine Beine fühlten sich schwach an, seine Brust zog sich zusammen, als ihm die Erkenntnis dämmerte. Diese zerfleischte Leiche … sie gehörte Vaelric.
Seine Gedanken rasten, unfähig, das Bild vor ihm zu begreifen.
Vaelric, der mächtigste Mann der Crimson Serpent Sect, der beste 4-Sterne-Erwachte, der kurz vor dem Durchbruch stand, war tot. Nicht nur tot – ausgelöscht.
„Vater!“, schrie Thalion mit brüchiger Stimme. Er stolperte vorwärts und streckte zitternde Hände nach den Überresten aus. Doch bevor er einen weiteren Schritt machen konnte, durchdrang eine Stimme die Stille wie ein Messer.
„Oh? Du bist sein Sohn?“
Thalion erstarrte. Die Stimme war sanft, spöttisch und strahlte eine lässige Selbstsicherheit aus. Er drehte sich ruckartig um und ließ seinen Blick zu der Quelle der Stimme wandern.
Thalians Körper schoss in Richtung der Stimme, sein Kopf drehte sich zu der Seite, von der das Geräusch gekommen war. Sein Herz hämmerte in seiner Brust und sein Atem stockte, als sein Blick auf eine Gestalt fiel, die aus den Schatten trat.
Es war ein junger Mann, gekleidet in dunkle Kleidung, die mit dem schwachen Licht des Raumes zu verschmelzen schien. Seine Bewegungen waren bedächtig, fast gemächlich, als wären das Chaos und das Gemetzel um ihn herum ohne Bedeutung. Aber es waren nicht seine Kleidung oder sein ruhiges Auftreten, die Thalion beeindruckten – es waren seine Augen.
Der Blick des jungen Mannes bohrte sich mit einer fast körperlichen Kraft in Thalion, eine Intensität, die die Luft um ihn herum verdrehte. Seine Augen glänzten mit etwas Unbeschreiblichem, einer kalten, unnachgiebigen Absicht, die Thalians zerbrechliche Fassung wie ein Messer durchschnitten. Es war keine Wut. Es war kein Hass. Es war etwas Schlimmeres.
Für einen flüchtigen Moment versuchte Thalion, dem Blick des jungen Mannes standzuhalten, um sich gegen das erdrückende Gewicht seiner Präsenz zu stemmen. Aber die Anstrengung war vergeblich. Die pure Entschlossenheit in diesen Augen – das stille, unbestreitbare Versprechen der Zerstörung – zwang ihn, den Blick abzuwenden. Sein Kopf drehte sich unwillkürlich, sein Körper zuckte zurück, als hätte er einen Schlag erhalten.
Sein Atem ging schneller, seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Kalter Schweiß brach ihm aus der Stirn, seine Hände zitterten, als er sein Schwert fester umklammerte. Dann spürte er es, wie es ihm den Rücken hinaufkroch und sich wie eine eisige Hand um seine Kehle legte.
„Angst …“, flüsterte er, das Wort kaum hörbar, als es über seine Lippen kam. Sein Körper fühlte sich schwer an, als würde ihn eine unsichtbare Kraft niederdrücken, die ihm die Kraft aus den Beinen zog. Er wollte sich bewegen, handeln, zuschlagen – aber er konnte nicht. Die Präsenz vor ihm war erdrückend, eine Leere aus Macht und Bosheit, die alles andere überschattete.
Der junge Mann grinste, ein kleines, fast amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. Er machte einen weiteren Schritt nach vorne, seine Bewegungen so geschmeidig wie die eines Raubtiers, das seine Beute verfolgt.
„Also“, sagte der junge Mann mit ruhiger Stimme, die jedoch von einer leisen Drohung untermalt war. „Das ist also der Erbe der Crimson Serpent Sect. Der Sohn von Vaelric.“ Sein Blick huschte kurz zu den zerfetzten Überresten auf dem Boden, sein Grinsen wurde etwas breiter.
„Dein Vater hat mich ziemlich enttäuscht. Ich hatte mehr erwartet vom ‚Stärksten der Stadt‘.“
Thalians Finger zuckten, sein Instinkt schrie ihn an, zu kämpfen, wegzulaufen, irgendwas zu tun. Aber die Präsenz des jungen Mannes hielt ihn fest an seinem Platz und machte ihn handlungsunfähig.
„W-warum …?“, stammelte Thalion mit zitternder Stimme. „Warum tust du das? Wer … wer bist du?“
Der junge Mann neigte leicht den Kopf, sein Grinsen verschwand nicht. „Warum?“, wiederholte er, als würde er das Wort genießen. „Ist das wichtig? Dein Vater hat seine Entscheidungen getroffen und jetzt bezahlt er dafür. Und du …“ Sein Blick verdunkelte sich, die bedrückende Atmosphäre wurde noch schwerer. „… du wirst dafür bezahlen.“
Thalians Knie gaben leicht nach, seine Beine zitterten unter ihm.
Er versuchte, sich zu zusammenzureißen, die Angst zu überwinden, die ihm die Brust zuschnürte, aber die Präsenz des jungen Mannes war wie ein schwarzes Loch, das ihn immer tiefer in die Verzweiflung zog.
„Nein …“, flüsterte Thalion mit kaum hörbarer Stimme. Er umklammerte sein Schwert fester und sammelte all seinen Mut. „Ich werde nicht … Ich werde dich nicht …“
Das Grinsen des jungen Mannes verschwand, sein Blick wurde kälter. „Du lässt mich nicht?“, wiederholte er, ohne einen Funken Belustigung in der Stimme. Er hob die Hand, seine Finger krümmten sich leicht, während sich ein schwaches Leuchten dunkler Energie um ihn herum zu sammeln begann.
„Jetzt, wo ich darüber nachdenke …“ Die dunkle Energie des jungen Mannes wirbelte um ihn herum, und in der bedrückenden Leere funkelten schwache Sternchen. Sein Gesichtsausdruck blieb kalt und distanziert, aber seine nächsten Worte schnitten mit der Schärfe eines Rasiermessers durch die stickige Luft.
„Es gibt eine Chance“, sagte er mit ruhiger, fast nachdenklicher Stimme. „Eine Chance, dass du diesen Ort lebend verlässt.“
Thalians Herz setzte einen Schlag aus, seine zitternden Hände umklammerten sein Schwert fester. Die Präsenz des jungen Mannes verlor nichts von ihrer Wucht, aber diese Worte enthielten einen schwachen Hoffnungsschimmer – einen, an den er verzweifelt glauben wollte.
Der junge Mann neigte leicht den Kopf und fixierte Thalion mit kaltem Blick. „Allerdings“, fuhr er fort, wobei sein Tonfall einen spöttischen Unterton annahm, „gibt es diese Chance nur, wenn du meine Frage beantwortest.“
Thalion schluckte schwer, seine Kehle war trocken, als die Luft um ihn herum schwerer wurde. „W-was … was willst du wissen?“, brachte er hervor, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Der junge Mann trat näher, jede seiner bedächtigen Bewegungen ließ Thalion erschauern. Er senkte seinen schwarzen Degen leicht, die wirbelnde Energie um ihn herum pulsierte schwach, als er sich vorbeugte, seine Stimme leise, aber voller Drohung.
„Wo“, sagte er, seine Worte bedächtig und präzise, „ist das Mädchen namens Ilyana?“
Der Name ließ einen kalten Schauer durch Thalians Adern laufen. Seine Augen weiteten sich und sein Atem stockte, als ihm wie ein Donnerschlag klar wurde, was hier vor sich ging. Dies war kein zufälliger Angriff. Es ging nicht um seinen Vater oder die Macht der Crimson Serpent Sect. Dieser Mann war mit einer bestimmten Absicht hierhergekommen, und diese Absicht hieß Ilyana.
Er wusste es.
Thalians Gedanken rasten, seine Gedanken wirbelten in einem verzweifelten Sturm. Deshalb ist er hier. Deshalb hat er Vater getötet. Es ist alles wegen ihr.
Seine Finger umklammerten seine Klinge, seine Knöchel wurden weiß. Er wusste, was das bedeutete. Er war nicht dumm.
Selbst wenn er die Frage beantwortete, selbst wenn er diesem Mann genau sagte, wo Ilyana war, würde es nichts ändern. Sein Vater war tot. Die Sekte lag in Trümmern. Und jetzt gab es keinen Grund mehr, ihn zu verschonen.
Thalions Atem stockte, und für einen Moment lag eine bedrückende Stille in der blutgetränkten Kammer. Dann plötzlich durchbrach ein Geräusch die Stille.
„Heh …“
Es begann als leises, kehliges Kichern, das wie eine verdrehte Melodie aus seiner Kehle stieg. Seine Schultern zitterten, als das Lachen lauter wurde, ungezügelt, und mit einem wilden, fast wahnsinnigen Unterton durch den Raum hallte. Seine Klinge fiel mit einem dumpfen Klirren zu Boden, als er den Kopf zurückwarf und unkontrolliert lachte.
„Ahaha! All das …“, keuchte er zwischen Lachanfällen, seine Stimme brach unter der Last der Hysterie. „Du … du bist den ganzen Weg hierher gekommen. Du hast meinen Vater getötet. Du hast alles zerstört … für sie?“ Er krümmte sich, hielt sich die Seiten, während sein Lachen düsterer und giftiger wurde. „Ich weiß nicht, ob ich dich bemitleiden oder deine Dummheit beklatschen soll!“
Der junge Mann rührte sich nicht, sein ruhiger Gesichtsausdruck blieb unverändert, während er Thalion mit fast klinischer Distanziertheit beobachtete. Die bedrückende Energie um ihn herum schien sich zu verdichten, aber Thalion war zu sehr in seiner Welt versunken, um es zu bemerken.
Schließlich richtete sich Thalion auf, seine Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen. Seine Augen, voller Wahnsinn und Hass, fixierten den jungen Mann. „Du hältst dich für so furchterregend“, spuckte er, und seine Worte trieften vor Gift. „Du glaubst, du kannst mich brechen? Fick dich.“
Mit einem scharfen Einatmen sammelte Thalion die Galle seines Hasses und spuckte. Der Speichelklumpen flog durch die Luft und zielte auf das Gesicht des jungen Mannes – aber er landete nie dort. In dem Moment, als er nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt war, traf der Speichel auf eine unsichtbare Barriere und glitt mit einem leisen Zischen harmlos zu Boden.
Der Blick des jungen Mannes schwankte nicht. Wenn überhaupt, dann ließ die fehlende Reaktion Thalians Hass nur noch stärker lodern.
„Diese Schlampe“, knurrte Thalion mit tiefer, giftiger Stimme. „Ich hätte sie vergewaltigen sollen, als ich die Chance dazu hatte. Dann wäre sie vielleicht noch zu etwas nützlich gewesen.“ Er grinste und fletschte die Zähne wie ein in die Enge getriebenes Tier. „Na los, töt mich doch. Ihr werdet sie nie finden.“
Die Temperatur im Raum schien zu sinken. Das schwache Flackern des Sternenlichts um die Klinge des jungen Mannes wurde heller, schärfer, und die bedrückende Last seiner Präsenz
Die Temperatur im Raum schien zu sinken. Das schwache Flackern des Sternenlichts um die Klinge des jungen Mannes wurde heller, schärfer, und die bedrückende Last seiner Präsenz wurde erdrückend.
Zum ersten Mal verschwand Thalians Grinsen, seine Tapferkeit bröckelte, als die schiere Kraft der Absicht des jungen Mannes auf ihn drückte.
Die Stimme des jungen Mannes war kalt und emotionslos, als er endlich sprach. „Ich verstehe“, sagte er einfach, sein Tonfall ruhig, aber eiskalt. „Danke, dass du mir geantwortet hast.“
Der junge Mann ließ seinen durchdringenden Blick nicht von Thalion weichen, als er einen Schritt näher trat, wobei seine Klinge leise vor einer beunruhigenden Energie summte. Die bedrückende Aura im Raum verdichtete sich und machte es Thalion schwerer zu atmen. Er spottete und weigerte sich, die Angst zu zeigen, die an ihm nagte, aber das leichte Zucken in seinem Auge verriet ihn.
Der junge Mann neigte leicht den Kopf, seine Stimme war ruhig, aber voller eisiger Verachtung. „Dieser Geruch von dir … er ist schwach, aber unverkennbar.“ Er beugte sich leicht vor, seine dunklen Augen fixierten Thalion mit einer Intensität, die die Luft schwer werden ließ. „Du kommst gerade von ihr, nicht wahr?“
Thalians Augen weiteten sich unmerklich, und ein Zucken in seiner Stirn verriet ihn. Sein höhnisches Grinsen verschwand für den Bruchteil einer Sekunde und machte einem Ausdruck der Besorgnis Platz.
Der junge Mann verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. „Ah, es stimmt also. Du hast es mir bestätigt.“ Er richtete sich auf und senkte seine Stimme zu einem tödlichen Flüstern. „Nun, dann hast du offenbar deinen Zweck erfüllt.“
Er trat einen Schritt näher, seine Präsenz war erdrückend, als er sich über Thalion beugte. Das flackernde Sternenlicht um seine Klinge flackerte kurz auf und tauchte den Raum in scharfes, kaltes Licht.
„Allerdings“, sagte der junge Mann mit scharfem, verächtlichem Tonfall, „so über Vergewaltigung zu reden … Das ist doch ziemlich oberflächlich, findest du nicht?“
Thalion öffnete den Mund, um zu erwidern, aber bevor er die Worte formen konnte, bewegte sich die Klinge.
SWOOSH! SWOOSH! SWOOSH!
Die Schläge waren unmöglich schnell, so schnell, dass Thalion den Schmerz zunächst nicht einmal wahrnahm. Das leise, metallische Geräusch von Stahl, der Fleisch und Knochen durchschnitten, hallte durch den Raum, gefolgt von dumpfen Schlägen, als abgetrennte Gliedmaßen auf den blutigen Boden fielen.
Thalion schaute entsetzt nach unten.
Sechs Finger – drei von jeder Hand – lagen verstreut auf dem Boden und zuckten grotesk. Sein rechtes Bein war knapp über dem Knie sauber abgetrennt worden, Blut spritzte in ekelerregenden Fontänen aus dem Stumpf. Sein Verstand versuchte verzweifelt zu begreifen, was gerade passiert war, doch dann traf ihn der Schmerz wie eine Flutwelle.
„AAAAAH!“, schrie Thalion mit heiserer, kehliger Stimme, als er zu Boden sank und die Stümpfe seiner verstümmelten Hände umklammerte. Blut sickerte zwischen seinen zitternden Fingern und befleckte den bereits blutroten Boden. Sein Bein zuckte sinnlos, und mit jedem Herzschlag breitete sich die Qual in seinem Körper aus.
Der junge Mann stand ruhig und unerschrocken über ihm. Er neigte leicht den Kopf, sein Gesichtsausdruck zeigte kein Mitleid. „Jetzt“, sagte er mit unheimlich sanfter Stimme, „pass das nächste Mal besser auf, was du sagst.“
SCHLUCK!
Und er zwang Thailon, eine kleine Phiole zu schlucken.
„Auf Wiedersehen.“