Die Herberge der Silberflammen-Sekte, ein prächtiges Gebäude, das einer so angesehenen Gruppe angemessen war, lag in der Stille der Nacht. Das leise Knistern entfernter Glut und das leise Murmeln der sich unterhaltenden Schüler erfüllten die Luft. Die Schüler, erschöpft von den Anstrengungen des Turniers, kehrten gerade zu ihrer Routine zurück, als es passierte.
Ein plötzliches Brüllen.
Kein Brüllen eines Tieres oder eines Menschen, sondern ein tiefes, kehliges Grollen, als wäre die Erde selbst erwacht. Es folgte eine Hitzewelle, die sich wie ein Lauffeuer ausbreitete und die Herberge in Sekundenschnelle überflutete.
Die Wände bebten, und aus einem der oberen Zimmer brach eine Explosion aus feurigem Licht hervor, die den Nachthimmel kurzzeitig erhellte. Flammen tanzten an den Fenstern und warfen flackernde Schatten über die Flure.
Die Luft wurde dick von Mana, schwer und erstickend, als eine überwältigende Aura durch die Herberge fegte.
„Was – was ist los?“, stammelte ein Schüler mit zitternder Stimme.
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Ein anderer Schüler, mit weit aufgerissenen Augen und wie angewurzelt, zeigte auf die Quelle. „Es kommt aus dem Zimmer von Senior-Bruder Varen!“
Plötzlich wurde allen klar, was los war. Ein Raunen ging durch die Hallen, während die Schüler sich schockiert und verwirrt ansahen. Es brach ein hektisches, unsicheres Flüstern aus.
„Senior Brother? Ist er verletzt?“
„Nein … diese Aura – das ist seine! Aber sie ist … anders.“
„Sollen wir nach ihm sehen?“
„Bist du verrückt? Bei dieser Aura? Er ist wieder in der Ignis-Ascension – nein, das ist etwas ganz anderes!“
Währenddessen war die Luft in Varens Zimmer ein Wirbelsturm aus Feuer und Mana. Flammen wirbelten chaotisch umher, leckten an den Wänden und der Decke, hinterließen jedoch keine Spuren, da sie von einem dünnen Schleier aus Mana zurückgehalten wurden, der ihre zerstörerische Kraft kontrollierte. Der Raum selbst schien lebendig zu sein und unter dem Gewicht seiner Macht zu zittern.
Inmitten des Geschehens kniete Varen auf dem Boden, sein Großschwert fest vor sich aufgestemmt, dessen Klinge in silbrig-rotem Feuer loderte. Sein Atem kam in schweren, mühsamen Stößen, und mit jedem Ausatmen entwich eine Stichflamme, die sich in der Luft auflöste. Schweiß tropfte ihm von der Stirn und verdampfte fast augenblicklich in der Hitze, die von ihm ausging.
Seine Augen, einst kalt und ruhig, brannten jetzt mit einer Intensität, die den Flammen selbst in nichts nachstand. Der stoische Erbe, der disziplinierte Krieger, der seine Zurückhaltung wie eine Rüstung trug, war verschwunden. An seiner Stelle stand ein Mann, der vom Feuer verzehrt wurde – roh, ungezähmt und absolut lebendig.
Varen atmete tief aus, Flammen sprühten aus seinen Lippen, als wäre sein ganzes Wesen in Brand gesetzt worden. Er schloss die Augen und ließ das Inferno in ihm frei entfesseln.
Zum ersten Mal unterdrückte er es nicht. Er kämpfte nicht dagegen an. Er ließ es brennen.
Als er die Augen wieder öffnete, leuchtete die feurige Aura um ihn herum noch heller und warf seinen Schatten wie ein flackernder Geist durch den Raum. In seinem Blick gab es kein Zögern, keinen Zweifel – nur ein unerbittliches Feuer, das mit Entschlossenheit brannte.
Die Tür zu seinem Zimmer klapperte, als ein zögerliches Klopfen die knisternde Stille durchbrach. Eine Stimme rief zitternd, aber besorgt: „Älterer Bruder? Bist du … bist du in Ordnung?“
Einen Moment lang kam keine Antwort. Die Flammen wirbelten herum und füllten den Raum mit einer strahlenden Hitze, die durch die Wände zu sickern schien. Dann öffnete sich die Tür einen Spalt und ein jüngerer Schüler spähte herein, sein Gesicht blass, aber entschlossen.
Was er sah, verschlug ihm die Sprache.
Varen wandte seinen Blick zur Tür und fixierte den Schüler mit seinen feurigen Augen. Die schiere Intensität seiner Präsenz ließ den jüngeren Mann unwillkürlich zurückweichen, sein Atem stockte.
„Sag den anderen“, sagte Varen mit leiser, aber hallender Stimme, die von seiner neu gefundenen Entschlossenheit zeugte. „Mir geht es gut.“
Der Schüler zögerte, aber das unerschütterliche Feuer in Varens Augen ließ ihn keine weiteren Fragen stellen. Mit einer schnellen Verbeugung zog er sich zurück und schloss die Tür hinter sich.
Die flackernden Flammen in Varens Zimmer wurden etwas schwächer, ihr einst chaotischer Tanz verwandelte sich in einen gleichmäßigen, rhythmischen Puls, der die Ruhe seines Atems widerspiegelte. Er saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, sein Großschwert lag auf seinem Schoß, dessen silbrig-rote Flammen zu einem schwachen Glühen verblasst waren. Die Hitze im Raum blieb bestehen und erinnerte ihn ständig an den Sturm, den er entfesselt hatte, aber jetzt fühlte sie sich weniger bedrückend an.
Es war nicht das Feuer der Zerstörung, sondern das der Erneuerung.
Varen schloss die Augen und ließ seine Gedanken schweifen. Das tosende Inferno in ihm war jetzt ruhiger, aber seine Wärme blieb und verbrannte den Nebel, der seinen Geist so lange vernebelt hatte.
„Wie lange ist das her?“, dachte er und seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen, wehmütigen Lächeln. „Wie lange habe ich schon gegen mich selbst gekämpft?“
Jetzt sah er es klar, als hätten die Flammen die tief in ihm vergrabene Wahrheit ans Licht gebracht. Seine Disziplin, seine Selbstbeherrschung – das waren nicht die edlen Tugenden, auf die er immer so stolz gewesen war. Es waren Ketten. Ketten, geschmiedet aus Schmerz, aus Angst, aus den Narben, die Liras Verrat hinterlassen hatte.
Ihr Gesicht tauchte unaufgefordert, aber vertraut in seinem Geist auf. Die Frau, die einst an seiner Seite gestanden hatte, deren Lächeln ein Leuchtfeuer der Wärme und des Vertrauens gewesen war, kam ihm jetzt vor wie ein Geist, der ihn auf Schritt und Tritt verfolgte. Ihr Verrat war ein Feuersturm gewesen, der nicht nur ihre Verbindung, sondern auch einen Teil von ihm selbst verschlungen hatte.
„Ich dachte, ich wäre stark“, grübelte er und umklammerte den Griff seines Großschwertes fester. „Stark genug, um das zu überwinden. Um es zu begraben. Aber jetzt sehe ich … dass das keine Stärke war. Es war Feigheit.“
Seine Stirn runzelte sich, und die Flammen um ihn herum flackerten schwach als Reaktion auf seine wechselnden Gefühle. Indem er seine Gefühle unterdrückt und weggesperrt hatte, hatte er sich nicht nur von seinem Schmerz distanziert – er hatte sich von dem distanziert, der er eigentlich sein sollte.
„Der Stolz der Flamme“, dachte er, und der Titel hallte in seinem Kopf wider. So hatte ihn die Sekte der Silbernen Flamme immer genannt. Ihr Erbe. Ihre Zukunft.
Eine lodernde Fackel, die ihnen den Weg wies. Und doch hatte er zugelassen, dass seine Flammen erloschen, kalt und gefühllos wurden, in seinem Streben nach Kontrolle.
Aber Flammen sollten nicht kalt sein. Sie sollten brennen – nicht wahllos zerstören, sondern Licht, Wärme und Leben bringen. Nur das verbrennen, was es verdiente, verbrannt zu werden, und diejenigen schützen, die es nicht verdienten.
Varens Gedanken schweiften zum Schlachtfeld, zu Lucavion. Dieses wahnsinnige Grinsen, diese chaotischen schwarzen Flammen und die unerbittliche Herausforderung in seinen Augen. Er hatte wie kein anderer gekämpft, jede seiner Bewegungen widersprach den Konventionen, jeder Schlag war eine Erklärung seines ungezähmten Geistes.
„Lucavion“, dachte Varen, und ein Funken Respekt entflammte in ihm. „Du … hast mir die Augen geöffnet.“
Lucavion war nicht nur ein Gegner gewesen. Er war ein Spiegel gewesen, der Varens eigene Kämpfe auf eine Weise reflektierte, die er nicht ignorieren konnte. Das Chaos, die ungefilterten Emotionen – Lucavion hatte sich bloßgestellt und Varen gezeigt, was es bedeutete, wirklich loszulassen.
Und jetzt, als Varen inmitten der stillen Glut seines Erwachens saß, wusste er, was er zu tun hatte.
„Lira …“, flüsterte er, und ihr Name kam wie ein Seufzer über seine Lippen. Er hatte nicht mehr das Gewicht, das er einst hatte, die Bitterkeit und Wut, die ihn geprägt hatten. Stattdessen fühlte er sich leichter an, als wäre es jetzt ein Akt der Befreiung, ihn auszusprechen.
„Es ist Zeit, loszulassen“, sagte er, diesmal mit festerer Stimme, die seine Entschlossenheit widerspiegelte.
Die Flammen um ihn herum flackerten kurz auf, ein letzter Lichtblitz, bevor sie zu einem gleichmäßigen Glühen wurden. Er öffnete die Augen, und zum ersten Mal seit Jahren waren sie nicht von Schmerz oder Zweifel getrübt. Sie brannten vor Entschlossenheit und Klarheit.
Und dann lächelte Varen.
Es war kein stolzes Grinsen oder eine Maske der Gelassenheit. Es war echt, ungeschützt – ein Lächeln, das aus der stillen Ruhe des Verstehens geboren war. Er war verloren gewesen, hatte in den Schatten seiner eigenen Schöpfung umhergeirrt, aber jetzt hatte er seinen Weg zurück ins Licht gefunden.
Er stand langsam auf, sein Großschwert leuchtete noch schwach in seiner Hand. Das Gewicht, das einst auf seinen Schultern lastete, fühlte sich jetzt leichter an, ersetzt durch die beständige Wärme seiner Flammen.
„Ich werde hell brennen“, dachte er und sein Lächeln wurde breiter. „Nicht nur für mich selbst, sondern für alle, die an mich glauben. Für die Silberflammen-Sekte. Für den Stolz der Flammen.“
Und als er aus dem Fenster blickte und den Nachthimmel endlos vor sich sah, wusste er, dass dies erst der Anfang war.
„Und Lucavion … Das nächste Mal werde ich nicht verlieren.“