„Mune. Sagt dir der Name was?“
Die Augen des Jungen weiteten sich, seine Wut wurde durch den Schock kurzzeitig unterdrückt. „Mune …“, flüsterte er, und der Name kam mit der Last tausender Erinnerungen über seine Lippen. Sein Blick heftete sich auf mich, sein Gesichtsausdruck war unverfälscht und verzweifelt. „Woher … woher kennst du diesen Namen?“
Ich konnte mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. „Rate mal.“
Da begann er zu zittern, sein Körper bebte, als meine Worte zu ihm durchdrangen und das Lügengebäude, das der Flüsterer um ihn herum aufgebaut hatte, zum Einsturz brachte. Er drehte sich um und blickte mit einer Mischung aus Entsetzen und Hoffnung zu dem Flüsterer zurück, seine Stimme brach. „Mune … und die anderen … Ist es … ist es wahr?“
Der Flüsterer zuckte zusammen, sein Gesicht verzog sich vor Frust, als er merkte, dass sein Netz aus Lügen schneller zerfiel, als er es retten konnte. „Hör ihm nicht zu!“, fauchte er mit verzweifelter Stimme. „Das ist alles Teil seines Plans! Er will dich nur verwirren, dich schwächen, bevor er zuschlägt! Denk nach, Riken! Denk daran, was ich für dich getan habe, für deine Schwester …“
Aber Riken hörte nicht zu. Der Name hatte das letzte bisschen Vertrauen, das er noch in seinen Meister hatte, zerstört und nur Zweifel und Wut zurückgelassen. Seine Augen suchten das Gesicht des Flüsterers nach einem Anzeichen von Leugnung, nach einem Hinweis, dass das alles nur eine weitere Illusion war. Aber was er fand, war der unverkennbare Schatten der Schuld.
„Ist das … Ist das wirklich wahr?“
*********
– Mugen.
Aus Rikens Sicht war Mugen mehr als nur ein Gesicht im Dorf gewesen – sie war ein Lichtblick in seiner ansonsten harten, gnadenlosen Welt gewesen. Mugen war auf eine ruhige, widerstandsfähige Weise schön und strahlte eine Wärme aus, die der Bitterkeit ihrer gemeinsamen Gefangenschaft zu trotzen schien.
Ihre Augen, sanftes Bernstein mit goldenen Sprenkeln, strahlten immer einen Funken Trotz aus, eine Erinnerung daran, dass selbst an den dunkelsten Orten einige Glutnester nicht erlöschen wollten.
Sie waren sich in heimlichen Momenten zwischen Training und Arbeit näher gekommen, hatten leise Gespräche geführt und flüchtige Blicke ausgetauscht, die die anstrengenden Tage fast erträglich machten.
Mugen war geduldig, sprach leise, aber auf ihre eigene Art auch wild. Sie erzählte ihm Geschichten von ihrem Volk – von wilden Wäldern und Mondtänzen, von Freiheit und weiter Himmel.
Sie hatte eine Art zu reden, die ihn an etwas Größeres glauben ließ, etwas jenseits der eisernen Faust ihres Meisters und der Mauern, die sie einsperrten.
Für Riken war Mugen mehr als eine Freundin – sie war seine Hoffnung. Selbst als die Zeichen in ihre Haut geritzt wurden, die sie an den Willen des Flüsterers banden, hielt sie dieses Feuer am Leben und flüsterte ihm Versprechen von Flucht und Freiheit zu.
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Sie sagte ihm, er solle stark bleiben und sich an die Kraft ihrer Vorfahren erinnern, an den Stolz der Tiermenschen. Für Riken wurde sie zu seinem Anker, zu dem einzigen, was das endlose Training, die Schmerzen und den Gehorsam erträglich machte.
Deshalb gab Riken auch dann nicht auf, als ihr Dorf fiel und ihre Angehörigen gefesselt und unterworfen wurden.
Er klammerte sich an Mugens geflüsterte Versprechen, an ihre wilde Widerstandskraft und an den Glauben, dass er und seine Schwester durch ihr Durchhalten für etwas Größeres kämpften – für ihr Volk, für die Hoffnung auf Freiheit, die Mugen ihm eingeflößt hatte.
Aber da war noch etwas anderes, ein Geheimnis, das er tief in sich verbarg, eine Erinnerung, die niemand sonst kannte.
In seltenen, ruhigen Momenten, wenn sie allein waren, erlaubte sie ihm, sie „Mune“ zu nennen.
Sie lächelte dann, und ein Hauch von Sanftheit brach durch die Müdigkeit in ihren Augen, und es war wie eine kleine, private Welt, die sie teilten – eine Welt, die von der Brutalität um sie herum unberührt war. Sie hatte ihm gesagt, dass niemand sonst sie so nannte, dass es etwas nur für sie beide war, eine Erinnerung daran, dass selbst an diesem Ort ein Teil von ihr frei geblieben war.
Es war ein Geheimnis, das nur er kannte. Nicht ihre Schwester, kein anderer Dorfbewohner – nur er.
Und jetzt, in diesem blutigen, verwüsteten Raum, hatte er diesen Namen aus dem Mund eines Fremden gehört.
Lucavion, so hieß er wahrscheinlich, hatte er die Frau gerade rufen hören. Allerdings wusste er auch, wer er war, da er die Kämpfe dieses Mannes im Turnier verfolgt hatte.
Es war wirklich ein seltsamer Name, klang seltsam … wahrscheinlich auch seltsam geschrieben.
Aber das war nicht wichtig.
Wichtig war jetzt, wie er ihn mit einer beiläufigen Gewissheit ausgesprochen hatte, als wäre es ganz normal, aber Riken wusste es besser. Dieser Name bedeutete nur ihm und Mugen etwas, etwas Heiliges und Unantastbares.
Er starrte Lucavion an, und ein Funken Hoffnung durchbrach das Chaos in seinem Herzen. Dieser Mann hatte ihren Namen ausgesprochen, hatte Mune gekannt, seine Mugen. Eine Erinnerung blitzte in seinem Kopf auf – ihr Lächeln, ihre geflüsterten Versprechen, ihre stille Stärke. Wie konnte dieser Fremde von ihr wissen, es sei denn … es sei wahr, was er gesagt hatte?
Zweifel wichen der Hoffnung, einer zerbrechlichen, zitternden Hoffnung, die er schon so lange nicht mehr zu spüren gewagt hatte.
Ein Funken Hoffnung entflammte in Rikens Brust, wie eine längst vergessene Glut, die nach Jahren der Kälte und Dunkelheit wieder aufflammte. Lucavions Stimme hatte das Chaos durchbrochen und die Zweifel zerstört, die ihn so lange verfolgt hatten.
Mune.
Der Spitzname, den nur er kannte, der Name, den sie ihm in den geheimen Momenten ihrer Zweisamkeit gegeben hatte. Es war etwas Kleines, etwas Privates gewesen, doch nun stand dieser Fremde vor ihm und sprach ihn aus, als hätte er sie gesehen, als hätte er sie gekannt.
Doch so schnell wie diese Hoffnung aufgekommen war, verwandelte sie sich in etwas Dunkles und Scharfkantiges.
Wenn Lucavion ihren Namen kannte, wenn er Mune getroffen hatte … wie konnte das geschehen sein?
Sie war wie er gefangen gehalten worden, mit denselben Zeichen gebrandmarkt, an dieselben Ketten gefesselt. Wenn er sie kannte, wenn er ihr irgendwie begegnet war, dann konnte das nur bedeuten …
Rikens Atem stockte, seine Brust zog sich zusammen. Seine Gedanken rasten, er versuchte, den Gedanken zu verdrängen, gegen die Schlussfolgerung anzukämpfen, die sich langsam in ihm breitmachte.
Sie war verkauft worden. Sie war verkauft worden, wie alle anderen Sklaven, wie er es eines Tages sein würde, wenn er versagte.
Die Hoffnung in seiner Brust begann zu erkalten und verwandelte sich in etwas, das sich wie Verzweiflung anfühlte. Wenn Mune verkauft worden war, wenn sie nicht mehr unter demselben Herrn stand, wofür hatte er dann gekämpft? Jede qualvolle Stunde des Trainings, jeder Tropfen Blut, jede Prellung, jede schlaflose Nacht war für sie gewesen. Er hatte sich eingeredet, dass er sie beschützte, dass er diese Hölle ertrug, damit sie in Sicherheit war.
Aber jetzt … jetzt schien nichts davon eine Rolle zu spielen. Sie war nicht da, wartete nicht in einer versteckten Ecke der Festung ihres Meisters. Sie war entführt, verkauft, verloren in der Leere dieser Welt, in der Menschen wie sie nichts weiter als Handelsware waren.
Warum?
Die Frage hallte in ihm wider, wie ein bitteres Mantra. Warum hatte er gekämpft? Warum hatte er gehorcht, Opfer gebracht, ausgehalten, nur um festzustellen, dass alles eine Illusion gewesen war? Seine ganze Existenz, die stillen Versprechen, die er ihr geflüstert hatte, als niemand sonst sie hören konnte, die endlosen Tage und Nächte voller Schmerz und Hoffnung – alles war eine Lüge gewesen.
Sein Blick sank, seine Schultern sackten zusammen, als die Last der Erkenntnis ihn erdrückte. Der Raum um ihn herum verblasste, die Leichen, das Blut, die Gesichter derer, die ihn beobachteten … nichts davon spielte mehr eine Rolle. Alles, woran er sich festgehalten hatte, glitt ihm durch die Finger und hinterließ nichts als Leere.
Zum ersten Mal spürte er etwas, das er sich seit Jahren nicht mehr erlaubt hatte: Hilflosigkeit.
„Nein.“
Aber diese Hilflosigkeit konnten sie nicht aufrechterhalten.
Diese Gefühle …
Sie waren nichts, woran er einfach so denken konnte.
Eine dunkle, brodelnde Hitze stieg in ihm auf und bewegte sich tief in seiner Brust. Es begann als schwaches Brennen, ein flackerndes Wärmegefühl, das sich entzündete, als seine Hilflosigkeit sich in etwas Schärferes, Heißeres verwandelte.
Wut. Pure, ungefilterte Wut.
Er ballte die Fäuste und spürte, wie seine Fingernägel sich in seine Handflächen gruben und Blut floss. Die Wärme breitete sich aus, durchdrang ihn und verschlang den leeren Schmerz, den die Erkenntnis über Munes Schicksal hinterlassen hatte. Die Illusion, an der er sich so lange festgeklammert hatte, war verschwunden, in Stücke zerbrochen, und ließ ihn mit nichts als dieser rohen, pulsierenden Wut zurück.
Er spürte, wie sie wuchs, eine urwüchsige Wut, die er immer wieder unterdrückt hatte, um seines Volkes willen, um der Sicherheit willen, um Munes willen. Er hatte seine Wut heruntergeschluckt, daran erstickt, sie tief in sich vergraben, um das gehorsame Werkzeug zu werden, das sein Meister von ihm verlangte. Aber jetzt kämpfte sie sich an die Oberfläche und erwachte mit der Kraft eines Sturms zum Leben.
„Du warst es …“
Sein Blick hob sich und fixierte den verhüllten Flüsterer, der mit demselben Grinsen und demselben kalten, distanzierten Blick dastand, als wäre er unantastbar.
Aber jetzt sah Riken ihn nicht mehr als Meister, sondern als Feigling, der sich hinter Ketten und Lügen versteckte.
Die Welt um ihn herum wurde schärfer, jedes Detail war klar zu erkennen – der Gestank von Blut, die flackernden Schatten, die Spannung in der Luft.
Dieser Mann,
dachte er, während sein Körper zitterte,
war derjenige, der alles, was er liebte, in Ketten gelegt hatte, der Mune entführt und verkauft hatte, der jeden Traum, den er jemals gehabt hatte, zerstört hatte und ihm nichts als Schmerz hinterlassen hatte.
Die Wut schwoll an, überwältigend, unaufhaltsam, jeder Herzschlag trieb sie tiefer in seine Knochen. Sein Blick verengte sich und fixierte den Flüsterer, als wäre er der einzige Mensch im Raum. Riken spürte nur noch die Wut, die ihn überflutete und jede Faser seines Wesens verzehrte, als würde der Kern seiner Seele nach Rache schreien.
Ein leises Knurren stieg aus seiner Kehle, seine Muskeln spannten sich an, als sein Körper sich zu verändern begann und auf die urwüchsige Wut in ihm reagierte.
Er spürte, wie sich seine Klauen ausstreckten, sein Körper instinktiv seine Mana anzapfte, seine Kraft verstärkte und sich auf den Schlag vorbereitete. Das war keine überlegte Entscheidung, sondern Instinkt, pur und ungezügelt, der Vergeltung für jeden Moment der Qual forderte, den er erlitten hatte.
Er machte einen Schritt nach vorne, seine Augen glühten vor Hass. Er würde diesen Mann dafür bezahlen lassen, ihn leiden lassen, wie er gelitten hatte, jeden Gramm des Schmerzes spüren lassen, den er ihm zugefügt hatte. Der Flüsterer hatte ihm alles genommen, und jetzt würde er es sich mit der einzigen Waffe zurückholen, die ihm noch blieb – seiner Wut.