FOOSH!
Es regnete immer stärker und die Erde wurde klatschnass.
TAP! TAP! TAP!
Unter dem unerbittlichen Regen schleppte sich eine kleine Gestalt voran, deren Schritte in dem prasselnden Regen kaum zu hören waren. Der Körper der Person war zierlich und zerbrechlich und wirkte fast kindlich. Die durchnässte Kapuze klebte schwer an ihrem Kopf und bot kaum noch Schutz.
Tropfen liefen ihr Gesicht hinunter und zeichneten unsichtbare Linien unter dem Stoff.
Die Gestalt bewegte sich langsam und zielstrebig, jeder Schritt ein Kampf gegen die Kraft des Sturms. Die Straße vor ihr war vom Regen verschwommen, ein unübersichtlicher Pfad aus glitzernden Pfützen und schlüpfrigem Schlamm. Trotz des rauen Wetters ging die Gestalt entschlossen weiter, als wäre der Sturm nur eine kleine Unannehmlichkeit.
Blitze zuckten über den Himmel und erhellten für einen kurzen Moment die Umgebung. In diesem flüchtigen Licht wurde die kleine Gestalt deutlich, aber ihr Gesicht blieb im Schatten der durchnässten Kapuze verborgen. Ihre blassen, zerbrechlichen Hände umklammerten etwas, das sie an ihre Brust drückte und in ein Tuch gewickelt war, um es trocken zu halten.
FOOSH!
Der starke Regen setzte weiter ein.
TAP! TAP! TAP!
Die kleine Gestalt bewegte sich mit unveränderter Entschlossenheit vorwärts.
Plötzlich durchdrang eine Stimme das Geräusch des Sturms, scharf und befehlend.
„Worauf wartest du? Beweg dich!“
Die Gestalt hielt kurz inne, drehte sich aber nicht um. Ihr Kopf blieb gesenkt, Regenwasser tropfte von ihrer Kapuze auf ihre durchnässten Kleider. Die Stimme gehörte einem Mann, streng und ungeduldig. Seine Gestalt ragte hinter ihnen auf, groß und breit, ein Schatten im Regen.
„Du wirst das Training beenden.“ Sein Tonfall war von Autorität geprägt, doch darunter lag eine seltsame Kälte. „Sieh doch, deine Schwester hat es schon geschafft.“
Die Worte hingen in der Luft, voller Erwartung. Der kleine Körper der Gestalt versteifte sich bei der Erwähnung ihrer Schwester. Sie antwortete nicht sofort, sondern verschob ihren Griff um das Bündel in ihren Armen und hielt es fester.
Der Blick des Mannes wurde schärfer, als er einen Schritt nach vorne machte und die Augen zusammenkniff. „Enttäusche mich nicht“, fügte er mit leiser, fast knurrender Stimme hinzu.
Dann wandte er seinen durchdringenden Blick von dem Kind ab und sah ihr seltsamerweise in die Augen.
„Tss.“
Ein scharfer Zungenschnal durchbrach die Stille im Wagen. Das Mädchen mit den langen, glänzenden schwarzen Haaren, die ihr bis zur Taille reichten, starrte aus dem Fenster und sah zu, wie der Regen in Strömen an der Scheibe herunterlief. Der heftige Regenguss spiegelte die Erinnerung wider, die in ihrem Kopf wieder aufgetaucht war, unerwünscht und unangenehm.
„Was für eine unangenehme Erinnerung“, murmelte sie leise vor sich hin, ihre Stimme klang ein wenig bitter.
Neben ihr spürte die Zofe, die bis jetzt still gesessen hatte, die Veränderung in ihrer Stimmung. Ihr Blick wandte sich ihrer Herrin zu, Besorgnis stand ihr deutlich in den Augen geschrieben.
„Meine Dame“, fragte die Zofe leise, um nicht zu aufdringlich zu sein, „ist was passiert?“
Das Mädchen antwortete nicht sofort. Ihre dunklen Augen waren auf die regnerische Landschaft draußen gerichtet, ihre Finger spielten mit den Falten ihres Kleides. Das rhythmische Geräusch des Regens auf dem Dach der Kutsche erfüllte die Luft, aber im Inneren war die Spannung spürbar.
Nach einem Moment wandte das Mädchen endlich ihren Blick zu ihrer Zofe, ihr Gesichtsausdruck kalt, aber mit einer subtilen Unterströmung von etwas Tieferem – vielleicht Wut, vielleicht Schmerz.
„Es ist nichts“, antwortete sie. „Ich habe mich nur an etwas Unangenehmes erinnert.“
Das Mädchen wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Fenster zu und folgte mit den Augen den Regenstreifen, die an der Scheibe herunterliefen. Das Geräusch der Wagenräder, die durch Pfützen spritzten, erfüllte für einen Moment die Stille.
Die Zofe spürte, dass das Gespräch noch nicht beendet war, und sprach mit sanfter, beruhigender Stimme weiter. „Es dauert nicht mehr lange, bis wir in Rackenshore sind, meine Dame“, sagte sie mit leiser Besorgnis in den Augen. Sie warf einen Blick auf ihre junge Herrin, um ihre Reaktion zu beobachten, bevor sie fortfuhr. „Aber … sind Sie sich wirklich sicher? Es könnte auch nur ein Zufall sein.“
Die Finger des Mädchens ruhten auf den Falten ihres Kleides, ihr Kiefer spannte sich leicht an. Ihr Blick blieb auf die regnerische Landschaft gerichtet, obwohl ihre Gedanken offensichtlich woanders waren. Nach einer Pause schüttelte sie langsam den Kopf, eine leise, aber entschlossene Geste.
„Das kann kein Zufall sein“, antwortete sie mit ruhiger, aber entschlossener Stimme. „Dieser Name … er ist einzigartig.“
Ihre Worte hingen schwer in der Luft, voller Bedeutung. Die Zofe nickte, obwohl sich die Besorgnis in ihren Augen vertiefte. Sie wusste, dass es besser war, nicht weiter nachzuhaken. Was auch immer ihrer Herrin bevorstand, es war nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen konnte.
„Die Schande, die den Namen unserer Familie besudelt hat. Glaubst du wirklich, du kannst entkommen?“, murmelte das Mädchen mit leiser Stimme, die jedoch von einer gefährlichen Schärfe untermalt war.
Als die Worte ihre Lippen verließen, begann ein schwacher gelber Schein um sie herum zu pulsieren, der immer intensiver flackerte. Die Mana, die von ihrem Körper ausging, schien die Luft zu laden, und die Temperatur im Inneren der Kutsche stieg stetig an. Die Augen ihrer Zofe weiteten sich, obwohl sie gelassen blieb, da sie an die Fähigkeiten ihrer Herrin gewöhnt war.
Die Augen des Mädchens brannten vor innerer Wut und Entschlossenheit. Kleine Flammen flackerten am Saum ihrer Kleidung und tanzten über ihre Ärmel, ohne jedoch den Stoff zu verbrennen. Die Luft knisterte vor Hitze, während das Mana um sie herum wirbelte und mit jeder Sekunde intensiver wurde.
Das war nichts, was jeder einfach so tun konnte. Die Fähigkeit, seine Absichten in der physischen Welt zu materialisieren, erforderte immense Kontrolle und Kraft, eine Fähigkeit, die nur ein 4-Sterne-Erwachter besitzen konnte. Die Flammen waren eine Verlängerung ihres Willens, eine Manifestation der brodelnden Emotionen, die unter ihrer gefassten Oberfläche tobten.
Die Magd war zwar besorgt, rührte sich aber nicht. Sie kannte die Stärke ihrer Herrin und wusste, dass es die Flammen nur weiter anfachen würde, wenn sie sie jetzt bedrängte.
„Meine Dame … bitte beruhigen Sie sich“, flüsterte die Magd leise, ihre Stimme ruhig und respektvoll. „Die Zeit wird früh genug kommen.“
Das Mädchen atmete scharf aus, ihren Blick immer noch nach draußen gerichtet, und die Flammen wurden schwächer, als sie ihre Gefühle unter Kontrolle brachte.
Das gelbe Leuchten verblasste langsam, und die drückende Hitze im Wagen ließ nach, sodass nur noch eine schwache Wärme in der Luft hing.
„Es geht nicht um Geduld“, sagte das Mädchen, und ihre Stimme nahm wieder ihren gewohnt kalten Ton an. „Es geht darum, die verlorene Ehre unserer Familie wiederherzustellen.“
Wie es dazu gekommen war, muss man ein halbes Jahr zurückgehen.
*******
Die schwere Eichentür schlug mit einem lauten Knall zu und erstickte das Echo eiliger Schritte. In dem schwach beleuchteten Raum stand ein großer, strenger Mann am Fenster, sein kaltes, hartes Gesicht wurde vom flackernden Kerzenlicht beleuchtet. Seine scharfen, stahlgrauen Augen bohrten sich in das Pergament in seinen Händen, die Tinte war an den Stellen verschmiert, an denen er es wütend umklammerte.
Seine Kiefer presste sich zusammen, die Stille um ihn herum verdichtete sich, während das Feuer im Kamin knisterte und die beißende Kälte seiner Anwesenheit nicht vertreiben konnte. Seine breiten Schultern, die von einem knackigen Militärmantel bedeckt waren, hoben und senkten sich vor unterdrückter Wut, die Adern an seinem Hals pulsierten vor kaum unterdrückter Wut.
Plötzlich wurde die Stille durchbrochen.
„Er hat seinen Posten verlassen und ist geflohen?“
Die Hand des Mannes zitterte, als er die Worte noch einmal las, seine Finger krallten sich um das Pergament, als könnte er die Buchstaben aus der Seite herausreißen. Seine kalten, stahlgrauen Augen blitzten mit einem wilden, mörderischen Licht, als die Beleidigung tiefer in seine Adern sank.
„Geflohen? Dieser elende Bastard hat es gewagt, zu fliehen?“ Seine Stimme schwoll zu einem Knurren an, tief und giftig, jedes Wort triefte vor Abscheu.
Seine breiten Schultern strafften sich, sein Militärmantel bewegte sich unter der starren Anspannung seines Körpers. Der Name der Familie Thorne, sein Name, war von diesem wertlosen Köter besudelt. Die Schande, die bereits wie eine eiternde Wunde über ihrem Vermächtnis hing, war nun unheilbar vertieft.
„Erst entehrt er uns, indem er die Tochter des Herzogs angreift, und jetzt flieht er wie ein Feigling vom Schlachtfeld!“ Seine Stimme brach hervor, und der Raum schien unter dem Gewicht seines Zorns zu schrumpfen. Er schlug den Brief auf den Schreibtisch, das Pergament zerknitterte unter seiner Faust, die Adern an seinem Hals pochten sichtbar.
Das Feuer im Kamin knisterte lauter, fast als würde es auf die Wut im Raum reagieren, aber es konnte die eisige Wut, die von ihm ausging, nicht lindern.
„Hast du überhaupt eine Ahnung, was das bedeutet? Die Demütigung? Die Schande?“ Sein Blick huschte zu einer leeren Stelle im Raum, als würde er erwarten, dass ein Geist der Vergangenheit antwortet. „Die Thornes werden zum Gespött werden – zu einer Schande.“
Er biss die Zähne zusammen, die Kiefermuskeln zuckten, als er sich mühsam zurückhielt, um die Flüche nicht herauszuschreien, die ihm in der Kehle steckten.
Der Name Thorne hatte einst für etwas gestanden – für etwas Edles, Stolzes und Unbeugbares. Jetzt, wegen ihm, wurde er hinter vorgehaltener Hand geflüstert, in Hinterzimmern verspottet, mit Skandalen und Feigheit in Verbindung gebracht.
„Ich habe ihn auf dieses Schlachtfeld geschickt, damit er für seine Schande blutet. Um den Namen der Familie zu retten!“ Seine Faust schlug erneut auf den Schreibtisch, diesmal flog das Tintenfass durch die Luft und schwarze Tinte spritzte in heftigen Spritzern über das Holz. Der Fleck, der sich über den Schreibtisch ausbreitete, spiegelte den dunklen Schatten wider, der nun über die Familie Thorne lag.
„Die Tochter des Herzogs anzugreifen war dir nicht genug, oder?“, spuckte er mit bitterer Wut in der Stimme. „Jetzt widersetzt er sich mir und flieht wie ein Aratin in der Nacht? Nachdem ich ihm die einzige Chance gegeben habe, sich zu beweisen und wenigstens mit einem Funken Ehre zu sterben!“
Das donnernde Dröhnen des Feuers wurde von einem lauten Klopfen an der Tür unterbrochen. Der Mann hielt den Atem an, seine kalten Augen verengten sich, als sein Blick zu der schweren Eichenbarriere schoss. Für einen Moment herrschte Stille, nur das Knistern der Flammen und das leise Zischen der Tinte, die sich auf dem Schreibtisch ausbreitete, waren zu hören.
„Herein“, bellte er, seine Stimme noch immer voller Wut.
Die Tür öffnete sich langsam und eine junge Frau mit glänzendem schwarzem Haar, das ihr über den Rücken fiel, trat ein. Ihr Gesicht lag im Schatten, aber ihr Blick war entschlossen. Ihre Augen, scharf wie Stahl, trafen die ihres Vaters, ohne zu zucken. Es gab kein Zögern, keine Angst, nur eine wilde Entschlossenheit, die den Sturm widerspiegelte, der in ihm tobte. Sie trat zielstrebig vor, ihre Schritte waren leicht, aber selbstbewusst, als sie den Raum durchquerte.
„Vater“, begann sie mit fester Stimme, in der eine kalte Entschlossenheit mitschwang. „Überlass das mir.“
Die Augen des Mannes, die immer noch vor Wut glühten, flackerten, als sie ihren Blick trafen. Es folgte eine lange Pause, bevor er sprach, seine Stimme schnitt durch die angespannte Luft. „Was redest du da?“
„Ich werde ihn finden“, fuhr sie fort, ohne mit der Wimper zu zucken, als hätte sie ihre Entscheidung bereits getroffen. „Und ich werde ihn eigenhändig töten.“