„Segne Mikhailis. Segne diese kleinen Wunder.“
Rodions Text flackerte als blasser Herzschlag der Bestätigung in ihrer Linse auf und verschwand dann.
Es folgten kleinere Berichte – Grenzpatrouillen meldeten ruhige Straßen, seit die neuen befestigten Wegstationen (eine weitere Innovation der Ameisen) Schmuggler abschreckten; der Steuerbeamte freute sich über einen reibungsloseren Geldfluss, da geheime Untergrundstraßen nun die sperrigen Handelswagen unter den verstopften nördlichen Pässen hindurchleiteten; der Zunftmeister der Handwerker bat um bescheidene Mittel, um die verblassten Fresken des öffentlichen Amphitheaters neu zu streichen. Im Vergleich zu den Vertragsverhandlungen waren diese Probleme ein Kinderspiel.
Doch die Zeit verging wie im Flug. Die bernsteinfarbenen Sonnenstrahlen, die über den Marmorboden krochen, wurden länger und kühler, als es Mittag wurde. Als Aelthrin schließlich die Tagesordnung für abgeschlossen erklärte, stand die Sonne so hoch, dass die Heiligen aus Buntglas über den Kammertüren Heiligenscheine an die Rückwand warfen.
Elowen erhob sich in einer fließenden Bewegung.
Die königlichen Etikette-Regeln verlangten, dass sie keine Müdigkeit zeigte, doch ein leiser Schmerz zog hinter ihren Schultern. Dennoch nickte sie zum Abschied – alle Minister verneigten sich tief – und schwebte mit ihren Begleitern aus dem Saal.
Doch auf halbem Weg durch den hallenden Korridor hob sie eine Hand. „Bleibt hier“, flüsterte sie. Die Pagen und Wachen blieben verwirrt stehen, während ihre Königin durch einen mit Efeu umrankten Torbogen schlüpfte, den nur wenige Höflinge jemals bemerkt hatten.
Der Puderraum war klein, mit Perlenputz gewölbt, und seine einzige Verzierung war eine einzelne Hortensienblüte, die in einer Kristallschale schwamm. Hexenlichtkugeln schwebten wie schläfrige Glühwürmchen über den Köpfen und tauchten alles in ein sanftes, kerzenartiges Licht.
Elowen stützte ihre Handflächen auf das geschnitzte Waschbecken aus Elfenbein und beugte sich vor, bis ihr Spiegelbild den polierten Spiegel füllte. Eine halb offene Zopfsträhne fiel ihr über die Schulter; sie strich sich die losen Strähnen unter das seidene Band zurück. Tinte verschmierte ihren Ärmel – wahrscheinlich von einer Politikrolle, die sie Lord Rether gereicht hatte – und sie tupfte sie mit einem feuchten Tuch ab, bis der weiße Stoff wieder glänzte.
In diesem Moment summte die Stimme in ihrem Ohr, sanft wie immer. <Status: Aussehen bereits optimal.>
Sie rollte mit den Augen zur gewölbten Decke und verzog die Lippen. „Nörgel, nörgel, nörgel. Du klingst jetzt genau wie Mikhailis.“
<Ist dir das erst nach wochenlangem Kontakt aufgefallen?>
Elowens Lachen hauchte gegen den Spiegel und beschlug das Glas mit einem Kreis.
Sie wischte ihn mit dem Ärmel ab und zupfte dann an der kleinen Falte an ihrem Kragen, bis die Stickerei glatt lag. Kleine Rituale beruhigten ihre Nerven besser als Kamillentee.
So lebt also Mikhailis, dachte sie und stellte sich den Prinzen vor, der ständig von Rodions trockenen Kommentaren begleitet wurde. Reizend – und ein bisschen anstrengend.
Die Brille glitzerte, als neue Worte auf der Innenseite der Gläser erschienen.
„Prinz Mikhailis bittet dich, dich in den Flügel der königlichen Gemahlin zu begeben. Ein Geschenk erwartet dich.“
Ein Geschenk. Nach einer vierstündigen Ratsdebatte und zwei dringenden Steueränderungen fühlte sich dieses Versprechen wie kühler Regen auf sommerlichem Staub an. Sie richtete sich auf, zog die Schultern zurück und nahm eine königliche Haltung ein, aber innerlich flatterte eine Aufregung – kindisch, berauschend, unmöglich zu verbergen.
Sie trat in den Korridor. Das Tageslicht war nach Westen gewandert, und über ihren Köpfen schwebten sanft wechselnde, hexenhafte Lichtkugeln, die alle in einem zarten Goldton schimmerten, um den grellen Glanz des Marmors zu mildern. Ihr Schein malte bewegte Münzen auf den Boden, und ihre Pantoffeln klackerten von einem Kreis zum nächsten, als wären sie Trittsteine in einem trägen Bach.
Die Diener verschwanden in Nischen, als sie vorbeiging, und verneigten sich so tief, dass sie ihre Scheitel sehen konnte.
Eine Magd stolperte fast über einen Staubwedel, ihre Wangen glühten, doch Elowen lächelte nur und ging weiter. Ein leises Klopfen hallte in den Wänden wider – chis-chis-chis – das Geräusch von Ameisenkiefern, die überschüssige Weinreben abschnitten oder Fugen hinter dem Mauerwerk flickten. Die meisten Menschen hörten nichts als das Knirschen von Stein. Sie jedoch, die durch monatelange Heimlichkeit darauf eingestellt war, erkannte den lebenden Herzschlag ihrer versteckten Verbündeten.
Die Luft kühlte sich ab, als sie sich dem Flügel der Gemahlin näherte. Der Flur war mit Zedernholzvertäfelungen ausgekleidet, die auf Hochglanz poliert waren; in regelmäßigen Abständen hingen Lavendelsäckchen, deren Duft beruhigend und doch belebend war. Jeder Türvorhang war mit weicher Ameisenseide eingefasst – natürlich Mikhailis‘ Handarbeit –, die Staubkörnchen auffing, bevor sie die königlichen Lungen erreichten.
An der vereinbarten Tür blieb sie stehen. Die geschnitzte Eichentür stand einen Spalt breit offen, als würde sie atmen. Warmes orangefarbenes Feuerlicht flackerte dahinter. Sie drückte sanft gegen die Tür, die Scharniere raschelten leise wie ferne Schilfrohre.
Und die Welt kippte.
Am Kamin stand eine Silhouette – groß, rund, unglaublich sanft. Weder Metall noch Fleisch, sondern etwas dazwischen, als hätte das Sternenlicht gelernt, zu umarmen.
Seine Oberfläche glänzte wie perlpoliertes Leder, das über einen Rahmen aus Wolken gespannt war. Blassblaue Runen pulsierten unter der Haut und drifteten in langsamen Konstellationen über die Brust und die kissenartigen Arme, die dicker waren als Bogenschießscheiben. Die Konturen der Gestalt waren weich und abgerundet, ohne Spitzen oder Ecken, eine Statur, die Feinde zögern und Kinder vorwärts drängen ließ.
Elowens Herz sank und stieg dann wieder empor, wie ein Seil ohne Knoten. Sie merkte, wie sie einen Schritt machte, ihre Stiefel schluckten der weiche Teppich, eine Hand hob sich, als würde sie an einer Schnur gezogen. Ihre Finger streiften die äußere Rundung eines Arms – warm, nachgiebig und doch fest wie frisches Brot. Ein entzückter Seufzer stockte in ihrer Kehle.
Das Wesen neigte den Kopf, jede Bewegung von versteckten Kreiselkompassen abgefedert. Ein leises Glockenspiel begleitete die Verbeugung, als würde der Wind an einem Glasrand spielen.
„Hey, Königin Elowen. Protokollbezeichnung: „Rodion Autonomous Chassis Mark One.“
Rodion. Sie blinzelte und lachte dann – ein helles, überrascht klingendes Lachen, das den Raum wie Glöckchen erfüllte. Klar. Wer sonst würde einen Körper haben, der halb Wächter, halb Kuscheldecke ist?
Ein leises Lachen ertönte hinter ihr.
Mikhailis lehnte lässig gegen den Türrahmen, die Beine übereinandergeschlagen, die Arme vor seiner purpurroten Weste verschränkt. Das Kerzenlicht zeichnete ein amüsiertes Lächeln auf seine scharfen Gesichtszüge. „Rodion wollte einen Körper“, sagte er mit gedehnter Stimme und funkelnden Augen, „und – vielleicht – habe ich ihn ein bisschen zu sehr verwöhnt.“
Elowen drehte sich um ihre eigene Achse und blickte abwechselnd den plüschigen Ritter und den selbstgefälligen Erfinder an. „Zu sehr verwöhnt? Du hast ein wandelndes Sofa gezaubert!“
Sie umkreiste Rodion erneut und studierte die Details. Winzige Blütenblätter mit Runenschrift – Schutz, Stabilisierung, Beruhigung – schwebten unter dem äußeren Glanz und bewegten sich wie Fische unter Eis. Wo eine normale Rüstung Nieten hatte, hatte dieser Körper sanfte Knöpfe aus opalisierender Muschel. Sogar die Torso-Platten waren wie überlappende Kissen geschichtet, die sich mit jedem Atemzug ausdehnten und wieder zusammenfielen, begleitet vom Rauschen einer fernen Brandung.
Ein kleiner Teil von ihr, die Königin, die alles durch die Brille der Staatskunst betrachtete, bemerkte die Stoßdämpfung und die Temperaturregulierung – ideal für die Feldmedizin. Aber ein anderer Teil, die müde Frau, die Nächte damit verbrachte, Budgets auszugleichen, wollte einfach nur in diese marshmallowartigen Arme sinken und eine Woche lang schlafen.
„Du bist so … weich“, murmelte sie und errötete bei ihrem eigenen unköniglichen Vokabular.
Rodions Augen – große Ovale, die an aus Mondstein geschnitzte Welpenaugen erinnerten – blinzelten.
„Optimiert für Stoßdämpfung, Pflege und Wärmeregulierung. Kampfmodus steht bereit.“
Mikhailis richtete sich auf und breitete theatralisch die Hände aus. „Und Plüschigkeit. Unterschätze niemals die moralfördernde Wirkung von Flauschigkeit.“
Elowen schüttelte halb empört, halb bezaubert den Kopf. Ein Fussel flatterte von ihrem Ärmel und blieb an der statischen Stille hängen, die Rodion ausstrahlte. Sofort hob sich eine riesige, gepolsterte Hand – sanft wie fallende Blütenblätter – und strich ihn weg.
Die Fingerspitze streifte ihre Schulter. Weich, ja, aber dennoch schwer wie ein kleines Holzstück. Sie quietschte unwillkürlich und sprang zur Seite. „Bei den Sternen!“
Aus der Tür drang lautes Gelächter – voll, rau, ganz Mikhailis. Er krümmte sich vor Lachen und schlug mit der Handfläche gegen den Türrahmen. „Er – oh, bei den Sieben – er versucht es!“ keuchte er zwischen zwei Lachschnaufen. „Gib dem armen Konstrukt doch etwas Anerkennung!“
Elowen presste eine Hand auf ihr klopfendes Herz, ihr Blick wurde scharf, obwohl ein Lächeln sie verriet. „Erst programmierst du Grenzen, dann kommt das Kuscheln“, schimpfte sie mit Mann und Maschine.
Rodions Augen verdunkelten sich leicht, vielleicht aus Verlegenheit.
<Fehler: Persönlicher Raum falsch berechnet. Anpassung der Annäherungsprotokolle.>
Ein leises Surren ertönte aus seinem Gehäuse, wie ein Kätzchen, das in einer Pauke schnurrt.
Mikhailis wischte sich eine Träne weg und fasste sich wieder. „Da, siehst du? Er lernt.“
Sie verschränkte die Arme und presste die Lippen zusammen. „Bei der nächsten Ratssitzung wird er sich verbeugen und versehentlich die Hälfte der hohen Geistlichen mit seinem Kopf abfedern.“
„Das könnte die Besucherzahlen verbessern.“ Er tippte Rodion auf die Schulter – seine Hand sank einen Zentimeter ein, bevor das Material zurückdrückte. „Das ist übrigens nur der Butler-Modus.“
Rodions Optik verdunkelte sich, seine Pupillen verengten sich zu saphirblauen Schlitzen. Unauffällig kühlten die Runen an seinen Flanken von Babyblau zu Sturm-Indigo ab. Unter dem Plüsch klickten leise Servomotoren – Metallknochen, die unter Winterdecken erwachten.
Mikhailis senkte seine Stimme, und seine Verschmitztheit wich einer fast ehrfürchtigen Miene. „Als Nächstes“, flüsterte er und trat näher, „solltest du dir den Kampfmodus ansehen.“
Elowens Atem stockte in ihrer Brust. Das Feuerlicht erstarrte, die Glut schwebte in der Luft. Der Raum, das Schloss, das Königreich hingen in dieser einen versprochenen Enthüllung.
Die Welt stand still, gefangen zwischen zwei Herzschlägen.