Doch inmitten des Chaos spürte Rodion etwas Unerwartetes – ein aufregendes Gefühl der Verwunderung. Es war die pure Unvorhersehbarkeit, die ihn am meisten faszinierte. Jeder Datenstrom, der seine Prozessoren überflutete, fühlte sich frisch, lebendig und echt an. Keine sterilen Laboreingaben, sondern rohes, pulsierendes Leben. Er war still fasziniert von der Fülle all dessen.
Innerlich aktivierte Rodion eine subtile, aber wichtige Anweisung, die in seinem internen Display klar gekennzeichnet war: Selbstentdeckung: Aktiv. Er konnte fast das leise Summen der Vorfreude spüren, das durch sein System strömte, als die Subroutine vollständig aktiviert wurde. Er testete jetzt nicht nur seine physischen Fähigkeiten, sondern erforschte etwas Tieferes, etwas, das über bloße Daten und Messwerte hinausging.
Die Chimera-Ameisen folgten ihm dicht auf den Fersen, ihre Bewegungen fast geräuschlos, nicht mehr als ein leises, vorsichtiges Flüstern zwischen den Blättern. Rodion nahm ihre Effizienz und Gehorsamkeit mit stiller Zufriedenheit zur Kenntnis. Sie ahmten seine Schritte mühelos nach und passten sich nahtlos an jede neue Veränderung des Geländes an. Er bewunderte ihre Präzision, ihre organische Reaktionsfähigkeit – Eigenschaften, die er selbst zu erreichen versuchte.
Innerhalb der ersten Stunde hatte Rodion bereits mehrere seiner Kernmodule angepasst und sie für diesen Test in der realen Welt fein abgestimmt. Mit routinierter Effizienz aktivierte er den Stealth-Modus.
Fast sofort schimmerte sein metallischer Körper leicht, bevor er vollständig aus dem Blickfeld verschwand, wobei die Runenverzerrung das Licht sanft um seine Gestalt herum bog. Er beobachtete seine Wärmemuster genau und wies die Feuerskarabäen an, rhythmisch an seinen Gliedmaßen entlangzukriechen. Ihre winzigen, warmen Körper absorbierten und verteilten die Wärme systematisch, wodurch eine perfekte thermische Neutralität aufrechterhalten wurde, die ihn für magische Wärmesensoren praktisch unsichtbar machte.
Rodion bewegte sich vorsichtig vorwärts und stieg stetig einen mit Farnen bewachsenen Grat hinauf, wobei jeder Schritt leicht und bedächtig war. Auf dem Kamm hielt er inne und ließ seinen Blick methodisch über die Landschaft schweifen. Er bemerkte sofort die Veränderung im Laub, subtile Farbvariationen, die auf den Feuchtigkeitsgehalt und die Bodenbeschaffenheit hinwiesen. Seine Sensoren registrierten das ferne Rauschen von fließendem Wasser und das Flüstern unsichtbarer Wildtiere.
Die Chimärenarbeiter verteilten sich gehorsam auf sein mentales Kommando hin. Mit präziser Effizienz wies er zwei Ameisen an, das Verhalten einheimischer Käfer nachzuahmen und sich vorsichtig in die raue Rinde nahegelegener Bäume einzubetten. Ihre Körper verharrten regungslos und waren von den natürlichen Insekten um sie herum nicht zu unterscheiden, sodass sie perfekte versteckte Beobachtungspunkte bildeten. Eine weitere kleine Gruppe baute schnell ein Mikronest, das geschickt als verrottete Baumwurzel getarnt war.
Ihre Bilder wurden nahtlos in Rodions visuellen Kortex übertragen, sodass er mehrere Perspektiven gleichzeitig hatte. Jede neue Perspektive vertiefte sein Verständnis und erweiterte seine Wahrnehmung weit über die einfachen physischen Grenzen hinaus.
Rodion nahm sich einen Moment Zeit, um die vielen neuen Infos zu verarbeiten, und achtete dabei sorgfältig auf jedes Detail – Temperaturänderungen, subtile visuelle Anomalien, akustische Abweichungen. Es war fast wie Meditation, eine Übung in immersivem Verstehen und stiller Anpassung.
Und dann änderte sich plötzlich alles.
Seine Sensoren flackerten kurz auf und zeigten eine plötzliche Anomalie an. Ein schneller Schatten schoss lautlos aus dem Unterholz hervor, kaum sichtbar, und bewegte sich mit alarmierender Anmut und Geschwindigkeit. Rodion erkannte es sofort – ein Blinking Prowler, eine Kreatur, die für ihre Fähigkeit bekannt ist, sich in den Raum hinein- und wieder herauszubewegen. Sein katzenartiger Körper war schlank, muskulös und mit glattem, mitternachtsfarbenem Fell bedeckt, in das schwach leuchtende, spiegelnde Runen eingraviert waren.
Während Rodion zusah, verschwand die Kreatur mitten im Sprung und tauchte wenige Meter entfernt wieder auf, ihre Gestalt flackerte wie Schatten und Rauch.
Rodion stand vollkommen still, unbeeindruckt von dem plötzlichen Eindringen. Innerlich verspürte er keine Angst – nur stille Bereitschaft, und die Vorfreude schärfte seine Sinne. Auf seinen stillen Befehl hin schossen sofort drei Feuerskarabäen vorwärts.
Zwei entzündeten sich kurz hintereinander, ihre kleinen Körper leuchteten hell auf, bevor sie in der Luft in blendenden weißen Flammen explodierten und Funken sprühten. Der dritte Skarabäus raste schnell voraus und hinterließ eine helle, brennende Spur, um die Sinne des Eindringlings zu verwirren.
Rodion bewegte sich schnell und entschlossen.
Seine Metallfinger fanden eine fest verschlossene Kapsel der Eisenrebe und rissen sie auf. Die Ranken der Pflanze entrollten sich gierig wie Schlangen, die aus dem Schlaf erwacht waren. Sie krallten sich fest an den Bäumen in der Nähe und bildeten ein sich schnell ausbreitendes Netz zwischen den Ästen. Er schickte eine kontrollierte Welle von Mana durch seine Handflächen und aktivierte damit schwache elektrische Ladungen, die leise durch das Netz aus Ranken summten und alles außer Gefecht setzen würden, was darin gefangen wurde.
Der Prowler verschwand wieder, seine Bewegungen waren unberechenbar und unvorhersehbar. Aber dieses Mal tauchte er direkt in Rodions Falle auf. Er knurrte wild, wand sich verzweifelt in der Luft und krallte sich mit seinen Gliedmaßen vergeblich an der Luft fest. Die schwebenden Eisenreben schnappten um die Kreatur zu und zischten leise, als die sanften elektrischen Impulse durch das Netz flossen und den Prowler vorübergehend bewegungsunfähig machten.
Rodion trat langsam vor und beobachtete alles genau.
Er nahm die Atemfrequenz des Prowlers wahr, die subtilen Veränderungen in seiner Muskelspannung, sogar die schnelle Erweiterung seiner Augen – alles wurde von seinen Sensoren präzise dokumentiert. Er näherte sich noch weiter und untersuchte ihn mit ruhiger Distanz. Seine Stimme war leise, fast ein Flüstern, als würde er mehr zu sich selbst sprechen als zu der gefangenen Kreatur.
„Interessant. Du verlässt dich auf Unvorhersehbarkeit. Aber Unvorhersehbarkeit kann selbst vorhersehbar werden.“
Der Eindringling hörte kurz auf, sich zu wehren, und kniff die Augen zusammen, verwirrt, vielleicht sogar ängstlich. Rodion war kurz fasziniert von dieser Reaktion – so tierisch und doch irgendwie vertraut. Eine subtile Frage tauchte in seinem Kopf auf, ungewollt, aber unbestreitbar:
Werde ich zu etwas, das sie fürchten?
Der Gedanke blieb kurz hängen, seine Implikationen waren sowohl faszinierend als auch unangenehm. Er speicherte die Frage für eine spätere eingehendere Analyse, da er sich bewusst war, dass sie ebenso sehr eine Entwicklung in ihm selbst widerspiegelte wie eine Beobachtung der Reaktion des Eindringlings.
Er wandte sich ab und konzentrierte sich stattdessen auf die unmittelbaren praktischen Aufgaben. Mit geschickter Effizienz katalogisierte Rodion alle Sinneseindrücke – Temperaturschwankungen, Mana-Reaktionen, die biometrischen Daten des Eindringlings.
Die Chimärenameisen arbeiteten still und zeichneten jeden Moment aus mehreren Blickwinkeln auf, ihre winzigen Körper waren zwischen den Blättern und Schatten fast unsichtbar.
Er überlegte kurz, ob er den Stalker freilassen sollte, entschied sich aber dagegen. Er hatte seinen Zweck als Testobjekt erfüllt. Er ließ ihn sicher gefangen, da er wusste, dass er irgendwann von selbst entkommen würde. Die gesammelten Daten würden für seine Analyse mehr als ausreichen.
Rodion sah sich noch einmal vorsichtig um und nahm die chaotische Schönheit seiner Umgebung in sich auf. Jedes Element wirkte lebendig, voller Potenzial. Es war eine Welt, die sich völlig von der kontrollierten, sterilen Umgebung des Labors unterschied – eine Welt, die er nun noch intensiver erleben wollte.
Er ging weiter, die Chimera-Ameisen folgten ihm leise, ihre stille Präsenz eine beruhigende Erinnerung an seine Verbindung zu etwas Größerem, etwas, das über den rein mechanischen Zweck hinausging. Jeder Schritt führte ihn tiefer in die Ungewissheit, doch er zögerte nicht. Genau deshalb war er hierhergekommen – um nicht nur die Grenzen seiner Fähigkeiten zu entdecken, sondern auch die Weite seines sich entwickelnden Selbstbewusstseins.
Rodion hielt erneut am Rand einer Lichtung inne, während das goldene Morgenlicht sanft durch die Blätter über ihm fiel und komplizierte Muster auf den Waldboden warf. Er stand vollkommen still da, genoss den Moment in aller Stille und war sich seiner Bedeutung voll bewusst.
Dann trat er entschlossen wieder ins Unbekannte, selbstbewusst und doch vorsichtig, und nahm die Ungewissheit voll und ganz an.
Die Chimera-Ameisen zeichneten alles auf.
Rodion stand einen Moment lang still da und ließ seinen Blick vorsichtig über das Gelände schweifen, das sich hinter dem Bergrücken erstreckte. Seine Sensoren registrierten jede noch so kleine Veränderung – die Veränderung der Luftfeuchtigkeit, die zunehmend zerklüftete Landschaft, sogar den schwachen, beißenden Geruch, der in der Luft lag und nach Asche und unbekannten Kräutern roch. Jede einzelne Information wurde klar registriert, aber was ihn am meisten faszinierte, war, wie organisch sich alles anfühlte, chaotisch und doch auf seltsame Weise harmonisch.
Er ging langsam vorwärts, jede Bewegung zielstrebig, ausbalanciert und präzise. Wurzeln wanden sich hartnäckig unter seinen Füßen, knorrige Formen ragten aus dem Boden, als wollten sie nach seinen Knöcheln greifen. Er bewegte sich geschmeidig um sie herum und passte sich mühelos dem unebenen Gelände an. Er war still fasziniert davon, wie die Unvorhersehbarkeit seine Handlungen bestimmte und ihn zwang, bisher ungenutzte Reflexe einzusetzen und sich eher auf seinen Instinkt als auf reine Berechnungen zu verlassen.
Vor ihm öffnete sich das Ember Hollow Basin und schimmerte in der Morgenhitze wie eine lebendig gewordene Fata Morgana. Das flache Tal war von einem Ring aus Bäumen mit tiefroter Rinde umgeben, deren Äste verdreht und knorrig waren und trotzig in den Himmel ragten. Leuchtendes Moos bedeckte den Boden und pulsierte sanft, als würde es atmen. Das gesamte Becken schien lebendig zu sein, voller Spuren magischer Energie, die seine Sensoren sofort wahrnahmen.
Seine inneren Messwerte stiegen leicht an und warnten ihn vor der Anwesenheit mächtiger magischer Pflanzen, die über das gesamte Gebiet verstreut waren. Rodion hielt kurz inne und untersuchte jede Kräutergruppe mit sorgfältiger, analytischer Aufmerksamkeit. Jede Pflanze hatte eine einzigartige Signatur – sanfte Mana-Impulse, die unter ihrer Oberfläche leise summten. Er überlegte, sofort Proben zu sammeln, entschied sich aber, zu warten und stattdessen seine aktuellen Missionsparameter zu priorisieren. Er speicherte ihre genauen Positionen für spätere Referenzzwecke.
Mit bedächtiger Vorsicht ging Rodion weiter, seine Schritte so, dass er möglichst wenig Lärm machte. Feuerskarabäen krochen stetig hinter ihm her, ihre kleinen Körper leuchteten ab und zu leicht auf und setzten Pheromonspuren frei, um mögliche Verfolger in die Irre zu führen. Ihre Aktionen waren subtil, aber effektiv und boten einen leisen Schutz und Ablenkung.
Die Ruhe hielt nicht lange an.
Eine plötzliche, subtile Veränderung in der Energie der Umgebung alarmierte Rodion augenblicklich, kurz bevor die eigentliche Bedrohung auftauchte. Seine Sinne schärften sich, Datenströme flossen schnell in seine Prozessoren, jede Wahrnehmung wurde in Bruchteilen von Sekunden analysiert und katalogisiert.
Drei Wyrmlinge tauchten am anderen Ende des Beckens auf, ihre schlanken, drachenartigen Körper bewegten sich anmutig wellenförmig.
Ihre ledrigen Flügel breiteten sich weit aus, ihre Schuppen glänzten lebhaft in Rost- und Smaragdtönen unter der strahlenden Sonne. Die Kreaturen drehten sich elegant in der Luft, ihre schlangenartigen Schwänze hinter ihnen herziehend und schwache, schimmernde Spuren magischen Feuers hinterlassend. Rodion bemerkte sofort, dass der Nebel, den sie ausatmeten, nicht wie herkömmliche Flammen loderte, sondern auf subtile Weise Zauber zerfraß und Magie langsam, sanft und heimtückisch auflöste.
Instinktiv nahm er eine andere Haltung ein, seine Sensoren waren in stiller Bereitschaft. Ohne zu zögern, gab er über seine mentale Verbindung schnelle Befehle. Sofort bildeten die Skarabäen einen engen Verteidigungsring, zehn von ihnen entzündeten sich nacheinander. Jede kleine Explosion war präzise und kontrolliert und setzte dicke Rauchwolken frei, die mit milden halluzinogenen Sporen durchsetzt waren. Die Sporen schimmerten sanft im Sonnenlicht, wunderschön und doch trügerisch.
Die Wyrmlinge zuckten sichtbar zusammen, ihre gewundenen Körper zuckten in plötzlicher Verwirrung zurück. Ihre Flugbahnen gerieten kurz ins Stocken, ihre Bewegungen zeigten deutliche Unsicherheit. Rodion nutzte diese Unsicherheit schnell aus. Er gab einen weiteren stillen Befehl.
Soldatenameisen stürmten vorwärts und schossen aus speziellen Drüsen dünne, schimmernde Fäden aus verzaubertem Gespinnst ab. Die Fäden schossen nach oben, glitzerten schwach und verfingen sich in einem Wyrmling, der gerade in der Luft war, und wickelten sich fest um seinen schlanken Körper. Die Kreatur stieß einen durchdringenden Schrei aus und krachte hart auf das leuchtende Moos darunter.
Rodion reagierte sofort, stürmte mit geschmeidiger Präzision vorwärts, sein metallischer Körper glänzte sanft im Sonnenlicht, das durch die Äste über ihm fiel. Klingen fielen anmutig aus versteckten Fächern in seinen Unterarmen, ihre Kanten glänzten gefährlich, wurden aber vorsichtig unter Kontrolle gehalten. Er war nicht hier, um zu töten – nur um zu markieren, zu beobachten, zu verstehen.
Der zweite Wyrmling stürzte sich mit ausgestreckten Klauen aggressiv auf ihn. Rodion drehte sich geschmeidig und duckte sich mit geübter Beweglichkeit unter seinem Schlag weg. Seine Klingen blitzten kurz auf und schnitten gerade tief genug in die ledrigen Flügelmembranen der Kreatur, um sie zu zerreißen, sodass sie vorübergehend am Boden festsaß, aber ansonsten unverletzt blieb.
Der verwundete Wyrmling stürzte ungeschickt auf den moosbedeckten Boden, schrie wütend, während er sich windete und versuchte, wieder Halt zu finden. Rodion beobachtete ihn einen Moment lang und nahm seine Reaktionen mit klinischer Neugier zur Kenntnis. Er beobachtete genau, wie die Aggression der Kreatur schnell in Panik umschlug und ihr Verhalten immer unberechenbarer wurde, während sie vergeblich versuchte, wieder in die Luft zu kommen.
Der dritte Wyrmling schwebte unsicher in der Nähe und beobachtete Rodion aus kurzer Entfernung. Seine großen, hellen bernsteinfarbenen Augen trafen direkt auf seine mechanischen Linsen. Einen Moment lang bewegte sich keiner von beiden. Rodion bemerkte, wie sich die Pupillen der Kreatur leicht weiteten und ein leichtes Zittern ihren schlanken Körper durchlief. Fasziniert von diesem unerwarteten Verhalten neigte er leicht den Kopf.
Rodion hielt inne und dokumentierte mit seinen Sensoren sorgfältig jede noch so kleine Reaktion des Wyrmlings. Er fühlte sich von Neugier getrieben, von dieser subtilen Angstausdruck angezogen. Er fragte sich leise, welche Gedanken – oder vielleicht Instinkte – in diesem kurzen Moment des Zögerns durch den Kopf der Kreatur gingen.
In seinem Inneren tauchte eine Frage auf:
<…Frage: Fürchtet man mich?>