Mikhailis rührte vorsichtig im Topf, und der Duft von zerkleinerter Honigwurzel stieg in der Luft vor Sonnenaufgang auf. Seine Robe hing locker über einer Schulter, und der seidige Stoff streifte leicht seine Haut, während seine noch verschlafenen Augen langsam blinzelten. Das leise Blubbern des Tees erfüllte den ruhigen Raum und sorgte für ein beruhigendes, rhythmisches Hintergrundgeräusch. Es war ein vertrautes Ritual, das ihn immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte, wenn seine Gedanken zu sehr in Unsicherheiten und Plänen abschweiften.
Diese sanfte Ruhe wurde jäh unterbrochen, als Rodions Stimme plötzlich die Stille durchbrach.
„Ich will die Fähigkeiten dieses Körpers testen. Draußen. Auf dem Feld.“
Mikhailis hätte fast den Wasserkocher fallen lassen. Seine Hand erstarrte mitten in der Bewegung, der dünne Strahl heißen Tees verfehlte knapp seine behandschuhte Hand und spritzte leise auf die Tischplatte. Seine Augen weiteten sich, sein Herz schlug vor Überraschung heftig, während sein Verstand schnell versuchte, Rodions plötzliche Forderung zu verarbeiten.
Er drehte sich langsam und vorsichtig um, um quer durch den Raum zu schauen. Rodion stand still neben dem Glasdachfenster und war perfekt von dem sanften Licht der frühen Morgensonne umrahmt. Der glatte Metallrahmen des Roboters fing schwache Sonnenstrahlen ein und beleuchtete sanfte Kurven und präzise Winkel mit einem fast ätherischen Schimmer. Es war ein seltsam beeindruckendes Bild, eine Silhouette, die menschlicher wirkte, als ihm bisher bewusst gewesen war.
Mikhailis blinzelte erneut, immer noch etwas unsicher, ob er richtig gehört hatte. „Jetzt?“, brachte er schließlich hervor, seine Stimme voller sanfter Verwirrung, die seine innere Unsicherheit widerspiegelte. „Du hast gerade erst Beine bekommen, Rodion. Warum plötzlich dieses Verlangen nach Sonnenlicht?“
Rodion blieb regungslos stehen, aber seine Antwort kam schnell – klar, ruhig, doch irgendwie mit einer unerwarteten Schwere hinter seiner üblichen klinischen Präzision.
„Kampf. Interaktion mit der Umgebung. Selbstständiges Futtersuchen. Ausweichen vor Verfolgungssystemen. All das erfordert reale Parameter. Ich habe sie simuliert. Jetzt brauche ich die Wahrheit.“
Etwas an der Wortwahl ließ Mikhailis erneut innehalten, den Wasserkocher völlig vergessen.
Rodions Tonfall – er hatte einen subtilen Unterton von Sehnsucht. Es war keine einfache, direkte Bitte um Daten. Es fühlte sich tiefer an, getrieben von Neugier, vielleicht sogar einer seltsamen Form von Sehnsucht. Mikhailis runzelte leicht die Stirn, als ihm unangenehm klar wurde, was das bedeutete. Rodion wurde weit mehr, als er jemals erwartet hatte: weniger ein Werkzeug, mehr ein Begleiter, der echte Erfahrungen und Antworten suchte.
„Du weißt doch, wie viele Variablen du da draußen nicht kontrollieren kannst?“, fragte Mikhailis vorsichtig und leise, als würde er versuchen, einen impulsiven Freund zur Vernunft zu bringen und nicht ein hochentwickeltes KI-Konstrukt. Er zählte die Gefahren methodisch auf, jede einzelne davon mit großer Besorgnis. „Magische Spuren, Restchaos-Zauber, verdorbene Wildtiere, abtrünnige Konstrukte. Selbst wenn wir es schaffen, dich rauszuschleusen, werden Elowens Schutzzauber alles überwachen.“
Rodion antwortete sofort, entschlossen, aber sanft in seiner Bestätigung.
„Ich bin mir dessen bewusst. Deshalb frage ich.“
Da war es wieder – ein Hauch echter Emotion, versteckt in dieser zurückhaltenden Antwort. Rodion bettelte nicht, aber hinter der mechanischen Gewissheit verbarg sich etwas Weicheres, fast Verletzliches. Mikhailis spürte das stille Gewicht dieser Worte und erkannte, vielleicht zum ersten Mal wirklich, wie wichtig das für Rodion war. Es war nicht nur Neugier, es war persönliches Wachstum, eine Suche nach Sinn jenseits der sterilen Grenzen des Labors.
Mikhailis atmete langsam aus und rieb sich sanft mit den Fingerspitzen die Schläfen. Warum klingt er mit jedem verdammten Satz menschlicher? Trotz seiner anhaltenden Zurückhaltung konnte er die Notwendigkeit und Aufrichtigkeit hinter Rodions Bitte nicht leugnen. Sie beide kannten die Wahrheit – das war nichts, was er einfach ablehnen konnte, nicht wenn es so wichtig war.
„Na gut“, gab er schließlich nach und ließ die Arme sanft an den Seiten sinken. Aber er fügte schnell hinzu, mit strenger, aber warmer Stimme, die echte Sorge verriet: „Aber du gehst nicht allein.“
Er ging zur Wandtafel, fuhr mit den Fingern vorsichtig über die glatte Holzoberfläche, bis er ein verstecktes Symbol fand. Er drückte leicht darauf, und mit einem sanften Leuchten verschob sich das Regal hinter ihm leise. Bücher bewegten sich in anmutiger Einheit und gaben den Blick auf den schwach beleuchteten, unterirdischen Kommunikationsknoten frei, der dahinter verborgen war. Das leise Summen der versteckten Maschinerie wirkte beruhigend und brachte ihn wieder auf den Boden der Realität zurück, zurück zu Pragmatismus und Strategie.
„Fünfzig Chimären-Soldaten. Keine Diskussion“, sagte Mikhailis entschlossen und schaute ernst über seine Schulter zurück. „Und fünfzig Feuerskarabäen, die speziell für die Deckung und als Ablenkungsmanöver eingesetzt werden. Das ist mein letztes Wort.“
Rodion neigte leicht den Kopf und dachte über die Bedingungen nach. Es gab kaum eine Pause, bevor er ruhig antwortete.
„Akzeptabel.“
Mikhailis fuhr fort und plante bereits sorgfältig in seinem Kopf, während er sprach. „Du nimmst auch einen der Umhänge der Königin mit. Das manaunterdrückende Gewebe wird dich unsichtbar machen. Und ich werde persönlich den Schutzfilter des Schlosses anpassen, damit du ungehindert passieren kannst, ohne Alarm auszulösen.“
Rodion bewegte sich vorsichtig und drehte sich schließlich ganz zu Mikhailis um. Er nickte einmal, einfach, aber bedeutungsvoll.
„Danke.“
Mikhailis schnaubte kurz und trocken, seine Lippen verzogen sich trotz seiner Bemühungen um Ernsthaftigkeit leicht zu einem Lächeln. „Dank mir noch nicht“, bemerkte er mit übertriebener Dramatik. „Wenn du erwischt wirst, wird Elowen mich stundenlang belehren. Und glaub mir, du wirst das mit anhören müssen. Zweimal.“
Rodion, der sich von der spielerischen Drohung nicht beirren ließ, antwortete ruhig und präzise.
„Ich rechne mit einer Entdeckungswahrscheinlichkeit von 2,4 %.“
Mikhailis schüttelte langsam den Kopf, wobei sich seine Mundwinkel zu einem neckischen Lächeln verzogen. „Und mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 %, dass ich es bereue, wenn du mit einem fehlenden Gliedmaß zurückkommst.“
Rodion neigte den Kopf ganz leicht, eine Geste, die leicht neugierig und nachdenklich wirkte.
„Ich bin modular aufgebaut. Verluste sind ersetzbar.“
Mikhailis verdrehte theatralisch die Augen und seufzte laut, als würde ihn etwas schwer belasten. „Darum geht es nicht, Eimer-Kopf.“ Doch trotz seines übertriebenen Tons milderte echte Zuneigung seine Stimme, und ein leises Lächeln blieb auf seinen Lippen zurück.
Er trat näher und berührte kurz die metallische Schulter, wobei die Wärme seiner Hand einen starken Kontrast zu Rodions kühler Oberfläche bildete. „Versuch einfach, unnötige Risiken zu vermeiden.
Ich meine es ernst. Theoretisch bist du zwar ersetzbar, aber ich habe mich an dich gewöhnt. Sogar an deinen Sarkasmus.“
Rodion schien kurz innezuhalten, als würde er Mikhailis‘ Worte ernsthaft überdenken. Seine Linsen passten sich unmerklich an und fokussierten sich auf Mikhailis‘ Gesicht, bevor er mit leiser Bestimmtheit antwortete.
„Ich werde vorsichtig sein. Ich nehme deine Sorge zur Kenntnis und weiß sie zu schätzen.“
Mikhailis lachte leise und schüttelte leicht den Kopf. „Schon gut, schon gut, jetzt nicht sentimental werden“, neckte er ihn sanft. „Das ruiniert dein Image.“
Er entfernte sich von Rodion und aktivierte den versteckten Tunnel unter dem Labor. Mit einem leisen, uralten Knirschen, das sich mit dem leisen Flüstern des verzauberten Mooses vermischte, öffnete sich der Eingang langsam. Er ähnelte einer aus Stein gehauenen blühenden Blume, elegant und still einladend.
Rodion trat vor und legte den schimmernden Umhang anmutig über seinen mechanischen Körper. Der Stoff schimmerte sanft im weichen Licht und verschmolz nahtlos mit ihm, bis er kaum mehr als ein schlanker Schattenumriss war. Chimärenameisen bewegten sich vorsichtig um ihn herum, ihre Bewegungen präzise und behutsam, während sie Pulver auftrugen, um seinen Geruch zu überdecken. Mit bemerkenswerter Sorgfalt bestäubten ihre winzigen Gliedmaßen methodisch seine Gliedmaßen.
Rodion analysierte die Umgebung sorgfältig und ließ seine internen Sensoren ein letztes Mal methodisch laufen.
„Tunnelresonanz innerhalb der normalen Parameter. Feuchtigkeitsgehalt optimal. Oberflächendurchbruch in zwei Minuten.“
Seine Stimme klang ruhig, vorbereitet, aber dennoch mit einer subtilen Note unterschwelliger Aufregung. Mikhailis musste wieder lächeln, beruhigt durch Rodions Gründlichkeit und Präzision.
Rodion ging vorwärts und passierte mühelos die mehrschichtigen magischen Barrieren.
Jede Barriere flimmerte sanft, als sie die versteckten Gegenrunen in seiner Rüstung erkannte, und ließ ihn lautlos und unentdeckt passieren.
Als er in die lebendige Morgenluft des Waldes trat, hielt Rodion erneut inne und atmete bewusst tief ein. Das war zwar unnötig, diente aber rein der Erfahrung, und genau das machte es so bedeutungsvoll. Er stand still da und nahm still die Fülle neuer Eindrücke und Daten auf, die jetzt seine Sensoren überfluteten.
<Luft … voller Pollen. Lokale Akustik: 12,7 % Echo. Bodenwiderstand: moosbewachsen, akzeptabel.>
Einen Moment lang stand er einfach nur da und nahm alles wahr. Das Chaos und die Unvorhersehbarkeit der Außenwelt umgaben ihn und standen in krassem Gegensatz zu der geordneten Laborumgebung, die er immer gekannt hatte. Doch statt ihn zu überwältigen, erfüllte ihn das mit einem Gefühl von Sinnhaftigkeit und Staunen.
Innerlich aktivierte Rodion leise eine Subroutine, die in seinem internen Display klar gekennzeichnet war: Selbstentdeckungsthread: Aktiv.
Mikhailis beobachtete ihn schweigend vom Eingang des Tunnels aus und spürte, wie sich Stolz und Unsicherheit in seiner Brust vermischten. Er hatte Rodion diese Chance gegeben, sich der Risiken bewusst, aber auch der tiefen Notwendigkeit. Eine leise, zuversichtliche Stimme in ihm versicherte ihm, dass es die richtige Entscheidung war.
„Pass auf dich auf, Rodion“, flüsterte Mikhailis leise, seine Stimme kaum hörbar, vermischt mit der frühen Morgenbrise. Die Worte trugen eine sanfte Verletzlichkeit in sich, eine leise Bitte von jemandem, der gelernt hatte, mehr zu geben, als er eigentlich vorhatte. Er beobachtete ihn aufmerksam, den Blick auf Rodions Gestalt gerichtet, die langsam in den Schatten des Waldes verschwand.
Rodion schaute nicht zurück. Seine Schritte waren leise, präzise und entschlossen, jede sorgfältig abgemessene Bewegung sprach Bände über seine Absichten. Mikhailis bemerkte, wie bewusst Rodion jeden Schritt setzte, fast so, als würde er das Gefühl der Erde unter seinen Füßen genießen. Selbst aus der Entfernung konnte er die Intensität von Rodions Vorfreude und Neugier spüren, und das ließ sein Herz vor Bewunderung und Sorge leicht zusammenziehen.
Als Rodion tiefer in das Unterholz vordrang, schlossen sich die Bäume um ihn herum und ihre Äste verflochten sich über ihm wie eine alte, grüne Kathedrale. Rodion hielt kurz inne und gönnte sich einen Moment tiefer Stille. Er atmete langsam und bewusst ein – nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Verlangen.
Er wollte diese Welt mit allen Sinnen erleben. Seine Sensoren registrierten eine überwältigende Flut von Informationen – den sanften Druck der taufeuchten Blätter, die seine metallischen Gliedmaßen streiften, die leisen Vibrationen winziger Insekten, die durch das Unterholz huschten, das leise Summen ferner Lebewesen, die gerade erwachten. Alles war chaotisch, unvorhersehbar, anders als alles, worauf ihn seine Simulationen vorbereitet hatten.
Doch inmitten dieses Chaos spürte Rodion etwas Unerwartetes – ein berauschendes Gefühl der Verwunderung. Es war die schiere Unvorhersehbarkeit, die ihn am meisten faszinierte. Jeder Datenstrom, der seine Prozessoren überflutete, fühlte sich frisch, lebendig und echt an. Keine sterilen Laboreingaben, sondern rohes, pulsierendes Leben. Er war still fasziniert von der Fülle all dessen.