„Kein Wunder, dass sie so stolz auf ihre Schützlinge und Illusionen sind. Dieser ganze Ort ist ein lebender Beweis für das Vermächtnis der Alchemie.“
Kellner in einer Mischung aus zeremoniellen Roben und praktischen Schürzen schwebten durch den Saal und trugen silberne Tabletts mit Köstlichkeiten.
Jedes Gericht schien verzaubert zu sein: Weinperlen schwebten sanft über edlen Glaskelchen, als würden sie der Schwerkraft trotzen; dünne Fasanenscheiben waren mit einer glänzenden „Traumhonig“-Glasur überzogen, die angeblich angenehme Visionen hervorrufen sollte; kleine Gebäckstücke, die als „Nebelzucker-Windbeutel“ bezeichnet wurden, schwebten leicht auf den Tellern und lösten sich beim ersten Bissen in einen Wirbel aus fruchtiger, magischer Süße auf.
Mikhailis war sich sehr bewusst, wie alle Blicke im Saal immer wieder auf ihn und Elowen fielen. Von hochrangigen Adligen in aufwendigen Roben aus schimmerndem Brokat über ausländische Würdenträger in aufwendig bestickten Umhängen bis hin zu den staunenden Dienern, die zu jung waren, um sich an eine so verheerende Krise wie die giftigen Nebel zu erinnern, schienen alle von Faszination erfüllt zu sein.
Einige Blicke drückten Bewunderung aus, andere eine stille Hoffnung. Mikhailis war es nicht gewohnt, so ununterbrochen beachtet zu werden – erst im letzten Jahr war er aus der Versenkung als Erfinder ins Rampenlicht der Öffentlichkeit getreten, seit seine geniale Lösung für die Bodenvergiftung eine scheinbar unüberwindbare Kluft zwischen den Königreichen überbrückt hatte.
Elowen stand inmitten dieses Wirbels aus Farben und Klängen und legte ihre Hand leicht auf Mikhailis‘ Unterarm. Er spürte die beruhigende Wärme ihrer Berührung durch seinen Ärmel, eine erdende Kraft inmitten der berauschenden Atmosphäre. Sie neigte den Kopf in Richtung einer erhöhten Plattform am anderen Ende des Saals, auf der ein aufwendig verzierter Tisch stand.
Darauf stand ein einzelner, glänzender Kelch – aus silberner Filigranarbeit, die an wirbelnden Nebel erinnerte.
„Der Kelch der Sühne“, flüsterte sie mit plötzlich ernsterer Stimme. „Ich habe in den Unterlagen darüber gelesen. Er wird nur in Zeiten großer nationaler Buße dargebracht – wenn ein Königreich seine Fehler eingestehen und um Vergebung bitten muss.“ Sie hielt inne und blickte ernst. „Das kommt selten vor.“
Mikhailis nickte und folgte ihrem Blick. Eine Stille schien durch die Versammlung zu gehen, als immer mehr Gäste den Kelch bemerkten. Das leise Rascheln von Stoffen und Schritten verstummte, ersetzt von einer ehrfürchtigen Stille, die die Verzauberungen der Halle noch lebendiger erscheinen ließ. Die Illusionen von Himmelskörpern über ihnen verlangsamten ihre Bahn, fast als würden sie diesen heiligen Moment würdigen.
Er beobachtete mit großem Interesse, wie ein Robenträger nach vorne trat – eine große Gestalt mit sorgfältig zurückgestecktem silbernem Haar, gekleidet in mehrlagige Roben, die die Farben der Tore draußen aufgriffen. Mit einer bedächtigen Geste hob der Robenträger den Kelch von seinem Ständer. Sein Inhalt, eine sanft leuchtende Flüssigkeit mit wirbelnden türkisen und lavendelfarbenen Reflexen, schien eine sanfte Lumineszenz auszustrahlen, die Mikhailis fragen ließ, welche alchemistischen Elemente bei seiner Herstellung verwendet worden waren.
Als der Priester sich Elowen zuwandte, stand die Königin ruhig da, mit gefasstem, aber nicht kaltem Gesichtsausdruck. Sie machte einen bedächtigen Schritt nach vorne, und Mikhailis konnte fast spüren, wie der ganze Saal den Atem anhielt. Mit königlicher Anmut nahm Elowen den Kelch entgegen, hob ihn ein wenig an und nippte leicht an seinem Rand. Es war eine kleine Geste, aber eine mit großer symbolischer Bedeutung.
Mit diesem Ritual gab Serewyn zu, dass er auf das Fachwissen von Silvarion Thalor – und insbesondere von Mikhailis – angewiesen war, um eine Krise zu bewältigen, die er allein nicht lösen konnte. Indem sie aus dem Kelch trank, bekundete Elowen ihre Dankbarkeit und bot Serewyn im Gegenzug Vergebung an, falls er jemals an ihrer Allianz gezweifelt hatte.
Nach diesem einen Schluck wandte sie sich Mikhailis zu, ihr Blick war warm und ermutigend. Er trat vor, alle Sinne geschärft. Die Stille umhüllte ihn wie ein weicher, schwerer Mantel und mahnte zu Vorsicht und Respekt.
Mit vorsichtigen Händen nahm er den Kelch entgegen, dankbar, dass seine Handschuhe ihm einen festen Griff ermöglichten. Die leuchtende Flüssigkeit verströmte einen schwachen, blumigen Duft, den er nicht genau zuordnen konnte – etwas Ähnliches wie Lavendel mit einer Kräuternote. Er hob den Kelch an seine Lippen und nahm einen kleinen, bedächtigen Schluck. Die Flüssigkeit kitzelte auf seiner Zunge und erinnerte ihn an die milden Tränke, die er manchmal für seine Gesundheit oder Klarheit braute.
Die Stille der Menge war so greifbar wie die verzauberte Luft. Mikhailis senkte den Kelch und reichte ihn dem Priester zurück, wohl wissend, dass jede Bewegung eine verbindliche Geste zwischen Silvarion Thalor und Serewyn darstellte. Sein Kopf schwirrte von der Tragweite dieses Moments: Dies war mehr als eine Ehrerbietung oder eine Höflichkeit; es war der Abschluss eines tieferen Bündnisses, ein Beweis dafür, dass die beiden Königreiche ihr Schicksal miteinander verknüpft hatten.
Er schluckte, die Wärme des Tranks blieb in seiner Kehle zurück, sein Geschmack war wie flüssiges Sternenlicht, das seine Sinne kitzelte. Elowen, nur ein paar Schritte entfernt, fing seinen Blick auf und lächelte leicht amüsiert, ihre eigene Neugierde gemildert durch die Dankbarkeit für die symbolische Geste, die sie gerade vollzogen hatten.
Tatsächlich hatte der Kelch der Versöhnung eine Stille über den großen Saal gelegt – ein kollektives Bewusstsein, dass ein uraltes Ritual vollzogen worden war, das eine Brücke des Vertrauens zwischen Silvarion Thalor und Serewyn geschlagen hatte. Sie hatten in einer einzigen, ritualisierten Handlung die Stärken und Schwächen des anderen anerkannt.
„Ich mag deinen Tee immer noch lieber“, flüsterte Mikhailis leise, sodass nur sie ihn hören konnte.
Die Trockenheit seiner Stimme stand im Kontrast zu den ernsten Mienen der Umstehenden, aber zwischen ihm und Elowen flackerte ein Funken gemeinsamer Heiterkeit auf. Ihre Augenwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, eine zurückhaltende Freude über diese unerwartete Leichtigkeit.
Es wurde wieder still im Saal, als mit einem leisen Läuten alchemistischer Glocken die großen goldenen Türen aufgingen.
Seidene Vorhänge, dünn wie Nebel, aber schwach leuchtend wie lebendes Silber, teilten sich und gaben den Blick auf einen kurzen Korridor frei. Licht strömte durch die Öffnung, eine Mischung aus Laternen und geheimnisvollem Schein, der von hohen, in den Stein gemeißelten Wandleuchtern ausging. Zuerst schien der Korridor unbewohnt, doch dann hallten gemessene, zielstrebige Schritte über den polierten Marmor.
Mikhailis warf Elowen einen kurzen Blick zu. Sie nickte leicht und richtete die Falten ihres Kleides. Das subtile Spiegelbild seiner eigenen Zauber glänzte auf ihrem Gesicht: ein sanfter Schimmer entlang ihrer Wangenknochen von Moonveil, das leichte Funkeln in ihren Augen, das dem Starcatcher Dust zu verdanken war, und der warme Glanz auf ihren Lippen von Wispkiss Gloss.
Er verspürte einen seltsamen Anflug von Stolz, als er an die langen Nächte in seiner Werkstatt dachte, in denen er diese Kosmetika nicht nur aus modischen Gründen, sondern auch als Statement verfeinert hatte – um zu zeigen, dass Kreativität, Mitgefühl und ein bisschen geheimnisvolle Brillanz alte Rivalitäten überwinden können.
Sie traten Seite an Seite einen Schritt vor und betraten den Flur. Die Stille in der Halle hinter ihnen hielt einen, zwei, drei Takte lang an; dann signalisierte ein fast hörbares Ausatmen der Menge die gespannte Erwartung aller Anwesenden. Musiker, die irgendwo außerhalb des Blickfelds standen, spielten eine leise, würdevolle Melodie an. Die Töne schwebten um sie herum, beschwingt und doch gefasst, und webten eine Kulisse, die einer großen Enthüllung würdig war.
Unter der gewölbten Decke des Korridors leuchteten wirbelnde Muster aus eingravierten Runen in pastellfarbenem Glanz und wiesen Elowen und Mikhailis den Weg. Wohin er auch blickte, sah Mikhailis Zeugnisse von Serewyns unvergleichlicher Kunstfertigkeit, Kunst und Zauberei zu verbinden: ein Mosaik aus lebendem Kristall, das in den Boden eingelassen war, schimmernde Illusionen, die in geschnitzten Nischen tanzten.
Sogar der Duft in der Luft – eine subtile Mischung aus seltenen, aromatischen Kräutern – zeugte vom tiefen alchemistischen Erbe des Königreichs.
Schließlich traten sie durch die geöffneten Türen und wieder in die Halle, diesmal jedoch auf einer höheren Ebene, wo sie oben auf einer Reihe breiter, geschwungener Stufen standen. Es war, als hätten sie die Außenkanten des Gebäudes umrundet, um einen grandiosen Auftritt zu haben.
Als sie nun hinabstiegen, richteten sich alle Augen auf sie, in einem fast theatralischen Moment kollektiver Stille. Elowens Kleid schimmerte bei jedem Schritt, der leuchtende Puder betonte ihre königliche Ausstrahlung, und Mikhailis strahlte in seiner Haltung ruhiges Selbstbewusstsein aus – seine Schultern waren entspannt und doch würdevoll, er war durch und durch der Prinzgemahl, der zu sich selbst gefunden hatte.
Aus dem Augenwinkel sah Mikhailis bekannte Gesichter. Eine kleine Gruppe von Mitgliedern der Entourage von Silvarion Thalor stand zusammen und war sichtlich beeindruckt von dem Spektakel. Vyrelda, die stoische Ritterin, die Mikhailis einmal privat als „den Träumer ohne Verstand“ bezeichnet hatte, blinzelte, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
Neben ihr strahlte Estella, die scharfsinnige Händlerin und Entwicklerin verschiedener arkaner Waren, vor Zufriedenheit – er vermutete, dass sie bewunderte, wie die von ihr mitentwickelten Kosmetika die Aufmerksamkeit der Halle auf sich zogen. Rhea, bekannt für ihre unerschütterliche Pragmatik, beobachtete das Geschehen mit einem leichten, stolzen Lächeln, während Lira, die normalerweise schüchtern und zurückhaltend war, mit großen Augen die alchemistische Pracht bestaunte.
Neben ihnen stand Cerys, die Einzelkämpferin der Hofwache, deren Wissensdurst manchmal ihre Umgangsformen überschattete. Heute Abend jedoch schien selbst sie von der Pracht überwältigt zu sein. Als Elowen und Mikhailis vorbeigingen, nickte jeder in der Gruppe kurz anerkennend – sei es mit einem knappen Nicken, einer respektvollen Verbeugung oder, wie im Fall von Estella, einem triumphierenden Grinsen.
Das war mehr als nur eine Zeremonie: Es war die öffentliche Bestätigung, dass die Monarchie von Silvarion Thalor, die einst übersehen oder unterschätzt worden war, nun vom stolzen Land Serewyn anerkannt und gepriesen wurde.